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Das Online-Magazin von JACOBIN Deutschland

01. Dezember 2025

Panzer sind nicht die Antwort auf die Wirtschaftsflaute

Aufrüstung wird die deutsche Wirtschaft nicht retten. Um nachhaltig Arbeitsplätze zu sichern, braucht es eine Industriepolitik samt Klimastrategie, die Strompreise und Lebenshaltungskosten senkt.

Arbeiter auf einem Hochspannungsmast vor dem Rotorblatt eines Windrades bei Salzgitter.

Arbeiter auf einem Hochspannungsmast vor dem Rotorblatt eines Windrades bei Salzgitter.

IMAGO / Norbert Neetz

Die deutsche Industrie ist in der Krise, Standorte drohen zu schrumpfen. Autozulieferer wie ZT und Continental kündigten bereits vor einiger Zeit den Abbau von mehreren Tausend Stellen an – als Reaktion auf den zunehmenden Wettbewerbsdruck in der gesamten Automobilbranche. Auch die Stahlsparte von Thyssenkrupp plant, in den kommenden Jahren rund 11.000 Arbeitsplätze zu streichen, begründet mit hohen Energiepreisen und billigen Importen aus Asien.

In diesem Jahr schloss sich auch Siemens an: Das Unternehmen will in Deutschland rund 3.000 Stellen abbauen, wegen schwacher Nachfrage. Selbst die Chemieindustrie befürchtet in den kommenden Jahren massive Einschnitte beim Personal, nach eigenen Angaben getrieben von hohen Energiepreisen und bürokratischen Hürden. Die Liste der Industriekonzerne, die Kürzungen angekündigt haben, wird immer länger. Allein im vergangenen Jahr sollen bis zu 68.000 Stellen in der deutschen Industrie weggefallen sein.

Um deutsche Industriebetriebe am Leben zu erhalten, setzen bürgerliche Parteien und Institutionen auf massive Investitionen in die Bundeswehr und den Ausbau der Rüstungsindustrie. Doch die Umwandlung eines maroden Wohlfahrtsstaats in einen Wehrfahrtsstaat wird weder die Wirtschaft nachhaltig beleben noch die eigentlichen Ursachen der aktuellen Krise lösen. Stattdessen braucht es einen grünen Wirtschaftspopulismus, das heißt eine Politik, die der arbeitenden Klasse unmittelbare materielle Verbesserungen bringt, indem sie etwa die Lebenshaltungskosten für Energie, Lebensmittel und Wohnen senkt und genau diese Entlastungen ins Zentrum stellt.

Allerdings ist die heutige Klimapolitik in Deutschland, und insbesondere für die arbeitende Klasse, ein hochgradig polarisierendes Thema. Mit Klimaschutzmaßnahmen, die die Lebenskosten erhöhen, ohne dass gegengesteuert wird, sind keine Mehrheiten zu gewinnen. Eine linke Antwort muss auch industriepolitische Maßnahmen umfassen, die Standorte sichern und ihre Dekarbonisierung vorantreiben. In anderen Worten: Es braucht eine nicht-klimazentrische Klimastrategie, die nicht abstrakt das Klima, sondern konkret die Beschäftigten fokussiert und überzeugt und Klimaschutz über industriepolitische Maßnahmen und Umverteilungspolitik vorantreibt.

Hausgemachte Probleme

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) nennt hohe Energie- und Arbeitskosten sowie ungünstige Rahmenbedingungen als Hauptgründe dafür, dass immer mehr Unternehmen ihre Investitionen verlagern und somit in Deutschland Stellen abbauen. In einer aktuellen DIHK-Umfrage gaben rund 40 Prozent der Betriebe an, künftig im Ausland investieren zu wollen, weil die Kosten in Deutschland zu hoch seien.

Eine kürzlich veröffentlichte Befragung von Betriebsräten der IG Metall zur Zukunft der Industrie zeigt aber, dass die Ursachen vielfältiger sind. Betriebsräte verweisen auf eine Kombination struktureller und konjunktureller Probleme – von kurzsichtigen Unternehmensstrategien und unzureichenden wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen bis hin zu einer zu langsamen Transformation und den stark gestiegenen Energiepreisen seit dem Beginn des Ukrainekriegs. In anderen Worten, die Energiekrise hat bestehende Defizite offengelegt und latente Schwächen verschärft.

»Materielle Sorgen wie hohe Mieten, steigende Lebensmittel- und Transportkosten, Energiekosten oder der Mangel an Kitaplätzen und Umverteilung müssen zum Kern einer linken nicht-klimazentrischen Klima-Strategie werden.«

Die Sorge vor einer Abwanderung der Industrie ins Ausland wächst. Nur 49 Prozent der befragten Betriebsräte gaben an, dass die Beschäftigung in ihren Branchen in den kommenden Jahren gesichert sei. Besonders gefährdet gelten die Autoindustrie, ihre Zulieferer sowie abhängige Branchen wie die Stahlindustrie.

Eine Studie zeigt, wie verheerend ein Verlust der Stahlindustrie für Deutschland und Europa wäre. Ein importabhängiges Deutschland würde demnach jährlich rund 50 Milliarden Euro verlieren. Da Stahl zugleich ein zentraler Vorleistungssektor ist, auf den zahlreiche Industriezweige angewiesen sind – in ihnen arbeiten etwa zwei Drittel aller Industriebeschäftigten – hätte ein Rückbau gravierende volkswirtschaftliche Folgen. Insgesamt arbeiten rund 5,5 Millionen Menschen im verarbeitenden Gewerbe, das 19,7 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung erwirtschaftet. Ein Einbruch in diesen Sektoren würde nicht nur die regional verankerte Kaufkraft schwächen, sondern auch wichtige kommunale Steuerquellen wie die Gewerbesteuer treffen.

Konkurrenz und Energie

Doch die Ursachen der aktuellen Krise sind nicht nur hausgemacht. Schon zuvor standen deutsche Industrien unter Druck – etwa durch Bidens Inflation Reduction Act und den wachsenden Konkurrenzdruck aus dem Ausland, insbesondere durch die starke Position Chinas in der E-Auto-Industrie. Zwar hat sich Bidens Experiment eines grünen Kapitalismus inzwischen erledigt, stattdessen zeitigt nun aber Trumps Außenhandelspolitik weitreichende Folgen für deutsche Betriebe und Beschäftigte.

Im Auftrag der EU kapitulierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in diesem Jahr rasch vor Trump und führte die Europäische Union damit in eine neue Abhängigkeit, die auch der deutschen Industrie schadet. Zölle sollen für die Auto- und Pharmaindustrie bei 15 Prozent bestehen bleiben und für Stahl, Aluminium und Kupfer sogar bei 50 Prozent. Zudem verpflichtete sich die EU, US-amerikanisches LNG im Wert von 750 Milliarden Euro zu kaufen (ein Energieträger, der deutlich anfälliger für Preisschwankungen ist als Pipeline-Gas) sowie Investitionen europäischer Unternehmen in den USA in Höhe von 600 Milliarden Euro zu fördern, gekrönt mit der Aufhebung von EU-Zöllen auf amerikanische Industriegüter.

Das heißt, dass EU-Staaten nicht nur verstärkt in den USA investieren werden, sondern zudem amerikanische Industriegüter künftig ungehindert den europäischen Markt durchfluten können. Wie auch die IG-Metall-Befragung zeigt, wird die US-Zollpolitik damit einen direkten Einfluss auf Produktionsverlagerungen in die Vereinigten Staaten haben – ein Prozess, der längst begonnen hat. Mercedes-Benz kündigte kürzlich an, die Produktion eines seiner Automodelle bis 2027 in den Süden der USA zu verlagern, um Zöllen zu entgehen. Angesichts der amerikanischen Zollpolitik und des neuen EU-US-Abkommens sind solche Entscheidungen kaum überraschend.

Auch die hohen Energiepreise in Deutschland sind ein wichtiger Grund, warum energieintensive Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit gefährdet sehen. Und das, obwohl viele von ihnen bereits von staatlichen Vergünstigungen profitieren, zum Beispiel durch die Strompreiskompensation, eine Subvention, die Unternehmen von den indirekten CO₂-Kosten entlasten soll.

»Gewerkschaften sollten die grundsätzliche Frage aufwerfen, wie wirtschaftlich sinnvoll es ist, kritische Industrien in privater Hand zu belassen, wenn sie ohnehin auf staatliche Subventionen angewiesen sind.«

Allerdings existiert kein einheitlicher Strompreis für die Industrie, denn Unternehmen zahlen je nach jährlicher Abnahmemenge unterschiedliche Beschaffungs- und Vertriebskosten sowie Umlagen, Abgaben, Steuern und Netzentgelte. Trotzdem steht fest, dass Strompreise für energieintensive Industrien in Deutschland hoch bleiben, auch wenn sie seit ihrem Höhepunkt im Jahr 2022, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, etwas gesunken sind.

Ein Unternehmen mit Ermäßigungen und hohem, konstantem Stromverbrauch zahlte in diesem Jahr rund 11,69 Cent pro Kilowattstunde, verglichen mit 5,92 Cent im Jahr 2020. Industriebetriebe ohne Vergünstigungen zahlten letztes Jahr sogar 16,77 Cent pro Kilowattstunde. Zum Vergleich lag der Strompreis für Unternehmen in den USA im selben Zeitraum bei etwa 7 Cent pro Kilowattstunde, was letztendlich auf die eigenen Erdgasvorkommen zurückzuführen ist.

Die schwarz-rote Bundesregierung plant, Anfang nächsten Jahres einen begrüßenswerten Industriestrompreis einzuleiten, also einen staatlich subventionierten Stromtarif, der besonders stark betroffene Branchen wie die Stahlindustrie schützen soll. Gewerkschaften wie IG Metall und IG BCE fordern einen sogenannten Brückenstrompreis bereits seit einigen Jahren. Allerdings sollte dieses Instrument nach Ansicht der Gewerkschaften zeitlich befristet sein und mit klaren Bedingungen verknüpft werden: etwa mit einem gleichzeitigem Ausbau erneuerbarer Energien, einer Verpflichtung der Unternehmen, in die eigene Transformation zu investieren, sowie mit Standort- und Arbeitsplatzsicherung und Tarifbindung.

Angesichts der bisherigen ablehnenden Haltung der Bundesregierung in Transformationsfragen und der Aussage der Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, Deutschland solle »nicht zum Silicon Valley der Bürokratie« werden, bleibt noch offen, ob und wie die Subventionen an Bedingungen geknüpft werden. Außerdem plant die Regierung den Bau neuer staatlich geforderter Gaskraftwerke, deren Notwendigkeit jedoch umstritten ist. Der geplante Industriestrompreis wird Milliarden an Steuergeldern kosten und voraussichtlich aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden. Ein bloßes Geschenk an Unternehmen wäre industriepolitisch fatal.

Wehrfahrt ist nicht der Weg

Dass die Bundesregierung der Industrie unter die Arme greifen muss, ist in der Politik weitgehend unumstritten. Kontrovers ist vor allem, wie das geschehen soll. Ein falscher Ansatz wäre es, wie schon in früheren Krisen auf Standortsicherung durch zusätzliche Flexibilisierung, erhöhten Produktivitätsdruck, die Abwälzung der Krise auf prekäre Sektoren oder auf Lohnverzicht zu setzen. So vereinbarte die IG Metall kürzlich mit Thyssenkrupp einen Sparplan, nach dem Beschäftigte 8 Prozent ihres Einkommens einbüßen sollen.

Der Vorschlag von IG-Metall-Chefin Christiane Benner, die Aktionäre insbesondere jener Unternehmen, die über Jahre hohe Dividenden ausgeschüttet haben, selbst stärker zur Kasse zu bitten, ist richtig. Allerdings sollten Gewerkschaften sich entschieden gegen Sparpläne wehren, die auf Kosten von Beschäftigten gehen, und zugleich in der Politik wie auch im öffentlichen Raum die grundsätzliche Frage aufwerfen, wie wirtschaftlich sinnvoll es ist, kritische Industrien in privater Hand zu belassen, wenn sie ohnehin auf staatliche Subventionen angewiesen sind.

Eine drohende Deindustrialisierung muss ernst genommen werden. Sie stellt nicht nur eine enorme Herausforderung dar – gerade im Kontext der aktuellen Aufrüstungspläne – sondern bietet auch die Chance, neue Mehrheiten für ein linkes Projekt zu gewinnen. Materielle Sorgen wie hohe Mieten, steigende Lebensmittel- und Transportkosten, Energiekosten oder der Mangel an Kitaplätzen und Umverteilung müssen zum Kern einer linken nicht-klimazentrischen Klima-Strategie werden und mit einem industriepolitischen Angebot einhergehen.

»Die Produktion von Kampfjets und Panzern, selbst wenn sie in Deutschland stattfinden soll, wird die Energiepreise nicht senken – ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien und der Infrastruktur hingegen schon.«

Eine Antwort auf die gegenwärtige Krise muss daher neben kurzfristigen Maßnahmen wie dem Industriestrompreis auch eine industriepolitisch gesteuerte, rasche Dekarbonisierung und Elektrifizierung beinhalten, damit die Strompreise dauerhaft sinken. Gewerkschaften sind in so einer Strategie unerlässlich, denn sie verfügen in diesen Sektoren über die Expertise und noch immer über eine vergleichsweise hohe Organisationsmacht, die für einen erfolgreichen sozial-ökologischen Strukturwandel unverzichtbar ist. Zum Beispiel können Arbeitskämpfe vor Ort zu Sprachrohren für einen politischen Kurswechsel werden. So könnten Gewerkschaften und Beschäftigte etwa im Fall von drohendem Stellenabbau und einer Konversion auf Rüstungsproduktion gegen die destruktive und ökonomisch kurzsichtige Logik der Aufrüstung mobilisieren.

Die öffentliche Hand wird dabei eine immer größere Rolle spielen müssen. Eine öffentliche Finanzierung der Transformation – etwa beim Ausbau der Stromnetze – senkt Kosten, weil keine hohen Renditen privater Investoren bedient werden müssen. Laut einer Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung erfordert das Erreichen der Klimaziele bis 2045 Investitionen von rund 651 Milliarden Euro in Übertragungs- und Verteilnetze. Wird dieses Kapital privat aufgebracht, verteuert sich der Netzausbau um bis zu 3 Cent pro Kilowattstunde; eine öffentliche Finanzierung käme mit etwa 1,7 Cent pro Kilowattstunde aus. Deshalb schlagen Ökonomen die Gründung öffentlicher Beteiligungsgesellschaften vor, ein Modell, das sich auch auf andere Sektoren übertragen ließe. Solche Maßnahmen würden nicht nur Industriebetriebe, sondern auch private Haushalte entlasten.

Weitere industriepolitische Maßnahmen wie die Schaffung grüner Leitmärkte (etwa für klimaneutralen Stahl), Local-Content/Green-Regeln und eine Ausweitung öffentlicher Beschaffung für Infrastrukturprojekte – von Stromnetzen über Sozialwohnungen und die Sanierung öffentlicher Gebäude bis zum Schienenausbau – könnten zudem die Binnennachfrage stärken, die inländische Produktion ankurbeln und den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung erhöhen. Doch solche Maßnahmen müssen an klare Bedingungen geknüpft werden: Tarifbindung, Standortsicherung, Dekarbonisierung – und sie müssen als Gegenprojekt zum aktuellen Aufrüstungskurs der Bundesregierung verstanden und politisiert werden.

Denn die Produktion von Kampfjets und Panzern, selbst wenn sie in Deutschland stattfinden soll, wird die Energiepreise nicht senken – ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien und der Infrastruktur hingegen schon. Eine wachsende Rüstungsindustrie würde zudem dringend benötigte Ingenieurinnen und Fachkräfte aus anderen Sektoren abziehen. Nicht nur das Personal, sondern auch Ressourcen würden fehlen. Viele der kritischen Mineralien, die für die Energiewende unverzichtbar sind, werden ebenso in Waffentechnologien verbaut – was neue Engpässe erzeugen könnte. Zudem schafft ein Wehrfahrtsstaat weder nachhaltiges Wachstum noch Jobs. Aufrüstung setzt kaum weitere wirtschaftliche Aktivitäten in Gang, Investitionen werden zu totem Kapital. Hinzu kommt, dass eine militarisierte Wirtschaft strukturell darauf angewiesen ist, dass irgendwo auf der Welt ständig Krieg herrscht.

Deutschland steht somit an einem Scheideweg. Entweder blicken wir in eine Zukunft, in der Industriearbeitsplätze gesichert sind und die Transformation mit vollem Tempo vorangetrieben wird, oder in eine Zukunft, in der unsere Infrastruktur weiter verfällt und wir unsere Ressourcen für nutzloses, träges Kapital verschwenden. Die gesellschaftliche Linke steht vor der historischen Aufgabe, zu beweisen, dass nur sie in den Betrieben, in den Gemeinden und Städten eine verantwortungsvolle, soziale Antwort auf diese Krise anbietet.

Nicole Kleinheisterkamp-González ist Geographin und promoviert zum Thema Gewerkschaften und Transformation in der Automobilindustrie und im rheinischen Kohlerevier an der Syracuse University in USA.