11. März 2024
Chiara Ferragni ist Italiens Top-Influencerin – und eine Marke, mit der sich die sozialdemokratische Partito Democratico lange Zeit zu schmücken versuchte. Ihre skandalträchtige Geschichte zeigt die Probleme beim Versuch, Influencer zu progressiven Ikonen stilisieren zu wollen.
Amazon präsentiert: Die Ferragnez.
Seit Jahren ist Chiara Ferragni die Influencerin mit den meisten Followern in Italien. Doch es brauchte nur einen Pandoro – ein süßes italienisches Weihnachtsbrot – um ihr millionenschweres Unternehmen zu Fall zu bringen. Nach einem Spendenskandal im Zusammenhang mit dem Verkauf von Pandoro ist die Influencerin im Visier der italienischen Ermittlungsbehörden: es geht um diverse Betrügereien mit vermeintlichen Charity-Aktionen sowie unlautere Geschäftspraktiken.
Beim näheren Betrachten der Ruinen von Ferragnis Ex-Imperium fällt auch auf, wie ungelenk die italienische Sozialdemokratie im Umgang mit der Influencerin agierte – und nun selbst darunter leidet. Denn der Absturz Ferragnis zeigt auch die ideologische Schwäche der Partei, die sie unterstützte und hoffte, von ihrer Reichweite zu profitieren.
Die rechtsradikale Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hingegen hat früh gemerkt, dass Influencer durchaus peinliche Aushängeschilder für progressive Politik und so zu einem lohnenswerten Ziel für rhetorische Attacken werden können. Damit hatte sie der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) einiges voraus.
Bei 29,5 Millionen Instagram-Followern hat Ferragni großes Einflusspotenzial. Mit einem Wohltätigkeits-Pandoro mit ihrem persönlichen Branding sollte diese Reichweite für eine vermeintlich gute Sache genutzt werden: So schien es, dass Ferragni einen Teil des Gesamtumsatzes an ein Turiner Krankenhaus spenden würde. Stattdessen hatte Balocco (das Unternehmen, das das Weihnachtsgebäck herstellt) bereits im Voraus eine feste Summe von lediglich 50.000 Euro überwiesen – alles darüber hinaus war Gewinn für Ferragni. Als dieser Vorgang aufgedeckt wurde, entschuldigte die Influencerin sich unter Tränen und spendete umgehend eine Million Euro an das Krankenhaus. Das reichte allerdings nicht aus, um zu verhindern, dass nun auch strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen wurden und ihrem Image schwer zusetzen.
In den vergangenen Jahren waren Ferragni und ihr Ehemann, der Rapper Fedez, mehrfach mit politischen Anliegen an die Öffentlichkeit getreten. So lieferten sie sich öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzungen mit Melonis Partei Fratelli d‘Italia bei den Themen LGBTQ-Rechte und Schwangerschaftsabbruch. Unterstützung fanden die beiden dabei bei Melonis politischem Hauptgegner, der sozialdemokratischen PD, die das Paar stets gegen die Angriffe von rechts verteidigte.
Die »linke moralische Überlegenheit« der Ferragnez – wie die beiden Namen des Paares verschmolzen wurden – war der italienischen Rechten ein Dorn im Auge. Als der Pandoro-Skandal ausbrach, revanchierte sich Meloni und thematisierte die Nachrichten auf einem Parteitag genüsslich. Gleichzeitig machten die Reaktionen der PD ungewollt deren zwiespältige Beziehung zu den Ferragnez sichtbar. Die Sozialdemokraten kritisierten zwar (zu Recht) die Ministerpräsidentin für ihre Attacken gegen Privatpersonen. Doch ebenso wurde dem Paar wiederholt dafür gedankt, den Kämpfen der Partei »eine Stimme gegeben« zu haben.
Es stellt sich die Frage: Wie kann es sein, dass die größte linksgerichtete Partei Italiens, deren Wurzeln sowohl auf die Kommunistische Partei Italiens als auch auf die Sozialisten zurückgehen, die Hilfe einer Mode-Influencerin und eines Rappers benötigt, um sichtbar und beachtet zu werden?
»Ferragni ist weder Politikerin noch Aktivistin für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Ihr Einsatz für die Rechte von LGBTQ und Frauen beschränkt sich meist auf Lippenbekenntnisse und Online-Ansprachen.«
Anstatt die Beziehungen zu den Ferragnez nach dem Skandal abzubrechen, verteidigte die PD das Paar erneut. Selbst die neue Parteivorsitzende Elly Schlein vom linken Flügel der PD sagte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: »Wenn [Ferragni] etwas falsch gemacht hat, wird sie dafür einstehen. Aber ich finde die Debatte surreal, und der Frontalangriff von Meloni zeigt mir, dass die Rechten vor allem eins brauchen: jeden Tag ein Feindbild.« Schleins Beharren auf dem scheinbar unanfechtbar guten Namen der Angeklagten (trotz aller gegenteiliger Beweise) galt bisher als die Art von politischem Klientelismus, für den lange Zeit der verstorbene Ex-Premier Silvio Berlusconi stand.
Das von Schlein betonte »wenn« gibt es nicht: Die Kartellbehörde hat Ferragni bereits der irreführenden Werbung für schuldig befunden und ihr eine Geldstrafe von einer Million Euro auferlegt. Die Reaktion der Sozialdemokraten war absolut unverhältnismäßig – und Meloni kam im Januar erneut mit Freude auf das Thema zurück: Eine hyperventilierende Linke habe »so reagiert, als hätte ich ihren Che Guevara angegriffen«.
Der Journalist und Autor Michele Masneri, der als Experte für die Ferragni-Story gilt, stellt fest: »In der Opposition hat tatsächlich niemand gesagt: Ferragni steht und spricht nicht für uns.« Die PD habe das Paar offen unterstützt, wenn es opportun war. Das ging so weit, dass selbst die kleinste Andeutung politischen Engagements der beiden gefeiert wurde. Alles, was das Paar tat, schien Gold wert, um in den sozialen Medien Aufmerksamkeit zu erregen. Linksliberale Medien wie Politikerinnen und Politiker versuchten verzweifelt, sich an ihre Rockschöße zu hängen und von der Online-Prominenz zu profitieren.
2022 teilte Ferragni eine Instagram-Story darüber, wie schwierig es in der Region Marken (die von den Fratelli d‘Italia regiert wird) bereits geworden ist, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Ferragni kommentierte dazu: »Es ist unsere Pflicht, solche Dinge nicht zuzulassen.« Die Reaktionen sozialdemokratischer Politiker und liberaler Zeitungen waren enorm. La Stampa bediente sich einer in Italien leider üblichen Praktik des falschen Zitats und titelte: »Ferragni meint: Hände weg von der Abtreibung« (was sie so nie gesagt oder gepostet hat). La Republica widmete der Insta-Story der Influencerin und den Reaktionen darauf ganze sechs Artikel in vier Tagen. Die Zeitung versuchte so, möglichst viel Online-Traffic für die eigenen Seiten abzuzwacken. Der PD-Abgeordnete Francesco Ameli dankte Ferragni seinerseits, sie habe »die Situation in den Marken in den Fokus gerückt«. Natürlich hatte nicht Ferragni selbst den Vorgang öffentlich gemacht – es handelte sich vielmehr um einen Bericht des Guardian. Die PD war aber offensichtlich weniger daran interessiert, eine britische liberale Zeitung »auf ihrer Seite« zu wissen als eine reichweitenstarke italienische Influencerin.
Ferragni ist weder Politikerin noch Aktivistin für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Ihr Einsatz für die Rechte von LGBTQ und Frauen beschränkt sich meist auf Lippenbekenntnisse und Online-Ansprachen. Karitative Aktivitäten stehen auf Instagram direkt neben der Präsentation ihres luxuriösen (und zuweilen skandalträchtigen) Lebensstils in Mailands schickem Reichen-Viertel CityLife.
»Die Ferragnez sind ein perfektes Symbol- und Feindbild für die Rechte. Die Zurschaustellung von extremem Luxus und jetzt die Betrugsermittlungen: Meloni hätte sich keine besseren [politischen Gegner] ausdenken können,« meint Masneri.
Chiara Ferragni legte 2009 mit einem Modeblog den Grundstein für ihr Influencer-Imperium. 2018 heiratete sie, nun bereits mit massiver Instagram-Reichweite, den Rapper Fedez im sizilianischen Noto. Die Hochzeit wurde auf Ferragnis Wunsch hin von mehreren Gästen live in den sozialen Medien gestreamt. Fernsehen und Boulevardzeitungen hingegen waren auf der Promi-Hochzeit nicht erwünscht. Bei der Gelegenheit lancierte Ferragni erstmals den Hashtag und späteren »Namen« des Paares: #Ferragnez.
In den folgenden Jahren hielt sich das Ehepaar mit mehreren medialen Fehlschlägen und anschließenden Wiedergutmachungsaktionen im Gespräch. Ein Beispiel dafür war eine Überraschungsgeburtstagsfeier für Fedez im Jahr 2018, die Ferragni in einem Supermarkt organisierte. Die Feierlichkeiten endeten in einer auf Instagram Live gestreamten Orgie der Lebensmittelverschwendung: die Partygäste bedienten sich für eine Essensschlacht ausgiebig an den Ladenregalen. Zu Pandemie-Hochzeiten im Dezember 2020 fuhr Fedez durch Mailand und verteilte Umschläge mit 5.000 Euro an bedürftige Fremde, die von seinen Fans ausgewählt wurden, darunter ein Lieferfahrer und ein Obdachloser. Die Aktion mutete nicht nur bizarr an, sondern war geradezu herablassend: Der reiche Rapper wirft den Armen ein paar Brotkrumen zu – natürlich aus dem Fenster eines Lamborghini im Wert mehrerer hunderttausend Euro heraus.
Die PD agierte gegenüber dem Promi-Paar naiv. Sie erkannte nicht die politische Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Partei, wenn sie mit derartigen Aktionen in Verbindung gebracht wird. Trotzdem konnten die Ferragnez sich immer wieder auf sozialdemokratisches Lob verlassen. So gab es im vergangenen Jahr Debatten um Ferragnis Teilnahme am wichtigsten Musikwettbewerb des Landes, dem Sanremo-Festival. Nach Ansicht vieler gebührenzahlender Zuschauerinnen und Zuschauer (Sanremo ist eine Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders RAI) ließ sie sich ihren Auftritt deutlich zu hoch vergüten. Daraufhin verpflichtete sich die Influencerin, die Summe, die sie erhalten hatte, an einen Verein zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu spenden. Progressive Medien feierten diese »mutige Tat«. Zwei prominente PD-Mitglirder, die ehemalige Präsidentin des Unterhauses Laura Boldrini und der Parteivorsitzende Stefano Bonaccini, bedankten sich herzlich bei Ferragni dafür, dass sie dem Kampf gegen Gewalt an Frauen »Sichtbarkeit« verliehen habe.
»Ferragni ist in erster Linie eine Marke und ein millionenschweres Geschäftsimperium.«
Die Journalistin und langjährige Ferragni-Kritikerin Selvaggia Lucarelli von der linken Zeitung Il Fatto Quotidiano sowie die Social-Media-Expertin Serena Mazzini waren die einzigen beiden, die auf ein Detail während der zugehörigen Pressekonferenz hinwiesen: Ferragni trug dabei ein Shirt mit dem Aufdruck »girls supporting girls« – das in ihrem Online-Store für 219 Euro verkauft wird.
Ferragni erhielt also Lob und Anerkennung der Sozialdemokraten dafür, dass sie eine Imagekrise mit einer als Spende getarnten Werbeaktion löste. Der PD hätte es deutlich besser zu Gesichte gestanden, statt die Influencerin lieber die unzähligen Vereine und Verbände zu loben, die sich aktiv für die Rechte von Frauen einsetzen.
Ein Problem mit Ferragni ist freilich, dass sich nie genau sagen lässt, was lediglich ein PR-Gag ist und was aus echtem Mitgefühl heraus geschieht. Klar sein sollte bei allen ihren Aktionen aber, dass Ferragni in erster Linie eine Marke und ein millionenschweres Geschäftsimperium ist. Ihr Engagement für die Rechte der Frauen oder die Umwelt ist vor allem Brand Activism: Im Laufe der Jahre haben sich die Ferragnez mit Vorliebe auf politische Themen gestürzt, die gerade auf Instagram trendeten und positive Resonanz versprachen.
Ferragnis Sprunghaftigkeit und Inkohärenz hätte der PD auffallen müssen. Der Markenaktivismus hat seine Grenzen. »Ihre Werte mögen rein theoretisch sogar links sein, vor allem in Bezug auf Menschenrechte. Aber um Themen wie die Schließung einer Fabrik oder andere soziale Themen wurde sich nie gekümmert«, fasst Masneri zusammen. Für die Influencer sei klar: Man sollte sich nicht politisch engagieren, wenn das für das Geschäft negative Auswirkungen haben könnte.
Auf einem traditionell von den Gewerkschaften organisierten Konzert zum 1. Mai 2021 in Rom brachte Fedez seine Solidarität mit LGBTQ-Personen zum Ausdruck. Er attackierte dabei Matteo Salvini, den Vorsitzenden der rechtsradikalen Lega, weil dieser sich gegen einen Gesetzesentwurf ausgesprochen hatte, der Schutz vor Diskriminierung aufgrund sexueller Präferenzen und Identität hätte bieten sollen. Die Verantwortlichen beim öffentlich-rechtlichen Sender RAI, der das Konzert übertrug, versuchten, die Rede von Fedez zu zensieren. Die Partito Democratico stellte sich deswegen auf Fedez‘ Seite. In einer Radiosendung dankte der damalige PD-Vorsitzende Enrico Letta dem Rapper für seinen Mut und betonte, dass er »seine Ansichten voll und ganz teilt«. Wie könnte er auch nicht? Lettas Partei hatte das Antidiskriminierungsgesetz selbst eingebracht.
Im März desselben Jahres hatte indes ein anderer Fall Schlagzeilen gemacht: Eine Recherche hatte aufgezeigt, dass mehrere Amazon-Angestellte während ihrer Schichten in Flaschen urinierten, um die strikten Quoten erfüllen zu können. Landesweit wurden in mehreren Lagerhäusern des Konzerns Streiks angekündigt – eigentlich ein perfektes Thema für den 1. Mai als Arbeiterkampftag. Allerdings war (und ist) Fedez der »regionale Amazon-Botschafter« für Italien. Im Dezember 2021 sollte ein Dokumentarfilm über das Ehepaar auf Amazons Streamingplattform Prime erscheinen; Fedez moderierte außerdem die italienische Version der Prime-Comedyshow LOL!.
»Die Entwicklung der Ferragnez ist auch eine Blamage für die PD.«
Sich an die Seite von Fedez zu stellen hatte somit den unangenehmen Nachteil, dass sich eine angebliche Arbeiterpartei während eines Streiks von Amazon-Lagerarbeitern Hand in Hand mit einem Amazon-Botschafter präsentierte. Zwar gab es keine formelle Unterstützung für Fedez, aber de facto entstand ein Bündnis zwischen Rapper und Partei. Fedez zeigte in den folgenden Wochen mit mehreren Instagram-Beiträgen seine Sympathie für den Hauptverfechter des Antidiskriminierungsgesetzes, den PD-Abgeordneten Alessandro Zan. Wie die linksliberale Zeitung Domani treffend bemerkte, wirkten die Ferragnez wie die neuen »Schattenminister« der sozialdemokratischen Partei – eine These, die rechtsgerichtete Zeitungen wie Libero und La Verità schon lange propagierten.
Monate später wurde das Antidiskriminierungsgesetz im Senat unter Jubel der rechten Parteien abgelehnt. Der Brand Activism von Fedez und Ferragni hatte nicht geholfen. Letztlich nutzte der Einsatz für LGBTQ-Rechte nur Fedez, der eine Produktlinie für »geschlechtslosen Fingernagellack« auf den Markt brachte. In den folgenden Monaten verblasste das vorherige Interesse des Rappers an dem Thema LGBTQ-Rechte langsam.
Für Menschen ist es oft schwierig, derartige Widersprüche und Inkonsequenzen bei Influencern nachzuvollziehen, da diese sich so sehr bemühen, immer wieder neue Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und von früheren Standpunkten abzulenken. Doch im Laufe der Zeit merkten auch die Fans der beiden Influencer, dass das Ehepaar Ferragnez nicht sonderlich konsequent mit seinen Aktionen war.
Bei den Filmfestspielen in Cannes 2021 präsentierte Ferragni auf dem roten Teppich ein grünes Kleid aus recycelten Nespresso-Kapseln. Die italienischen Medien kürten sie umgehend zur »Nachhaltigkeitsqueen«. Ein Jahr später flog sie per Hubschrauber zum Aperitivo auf einem Gletscher.
Das Imperium der Ferragnez bröckelt jetzt unter anderem, weil Versprechen zu Wohltätigkeitsaktionen nicht eingehalten wurden. »Ich glaube, das ist ein beispielloser Fall. Nicht einmal die Kardashians hatten eine so schlimme Reputationskrise«, meint Masneri. Das mag sein; die Entwicklung ist aber auch eine Blamage für die PD.
»Die Partito Democratico hat sich lächerlich und unglaubwürdig gemacht, als sie das Promi-Paar wie ›progressive Helden‹ verteidigte.«
Im vergangenen Dezember leiteten die Staatsanwaltschaften in Cuneo und Mailand die Ermittlungen wegen schweren Betrugs im Zuge der Partnerschaft zwischen Ferragni und der Süßwarenmarke Balocco ein. Diese weiteten sich in den Folgemonaten aus und umfassen nun mehrere andere (vermeintlich) karitative Initiativen der Influencerin. Darunter sind Ostereier, mit deren Verkauf ein Verein für autistische Kinder unterstützt werden sollte, eine Ferragni-Puppe im Rahmen einer Kampagne gegen Mobbing, und eine besondere Oreo-Aktion, bei der Ferragni versprochen hatte, 100 Prozent des Gewinns würden in den Kampf gegen COVID-19 fließen. Oreo und andere Marken haben jegliche Beteiligung an den Aktionen dementiert.
Kurz nach Bekanntwerden des Balocco-Skandals meldete sich die Influencerin mit einem Entschuldigungsvideo tränenreich zu Wort. Dabei trug sie einen 600 Euro teuren Jumpsuit von Laneus in grau. Zeitungen berichteten nach dem Video, das Modestück sei nicht mehr erhältlich. Nach erster Aufregung wurde klar, dass dies nicht an Ferragnis Online-Popularität lag; das Stück war schon zuvor ausverkauft gewesen. So konnte medial immerhin weiter gemutmaßt werden, sie habe den letzten Anzug gekauft…
In den vergangenen Monaten haben drei mächtige Frauen die italienischen Nachrichten dominiert: die strauchelnde Influencerin Ferragni, die PD-Chefin Schlein und Premierministerin Meloni. Gegen Ferragni wird ermittelt, und auch Schlein steht unter Beschuss. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine juristische Angelegenheit, sondern um harsche Kritik aus der eigenen Partei: Italiens größte sozialdemokratische Kraft ist gespalten zwischen Schleins progressivem Kurs einerseits und den entgegengesetzten Beschwerden des konservativeren katholischen Flügels andererseits.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Wählerinnen und Wähler offenbar mit ihrer Geduld am Ende sind und die Strategie von Schlein gegen Meloni für unzureichend halten. Aktuell wird eine TV-Debatte zwischen den beiden Parteichefinnen vorbereitet. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass diese zu einer weiteren Meloni-Show wird und der sozialdemokratischen Opposition nicht nützt. Die Premierministerin ist sehr geschickt bei der Auswahl ihrer Feinde. Dass die PD so schwach und der Ansicht war, Ferragni zu brauchen, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen, lässt sie angesichts der Skandale der Influencerin bei der Wählerschaft kaum glaubwürdiger erscheinen. »Es war klug von Meloni, das Ferragnez-Paar als Feind von links darzustellen. Die [sozialdemokratische] Linke hat sich gegen diese falsche Zuschreibung allerdings auch nicht wirklich gewehrt«, sagt Masneri. Stattdessen habe man von Seiten der PD lediglich »lautes Schweigen« vernehmen können.
Es ist sicherlich ungewöhnlich, dass eine Ministerpräsidentin (direkt oder indirekt) eine Privatperson angreift, und das Nachtreten gegen Ferragni war ein klassischer Meloni-Propaganda-Move. Das ändert aber nichts am Inhalt der laufenden Ermittlungen. Mehr noch: Eine Influencerin, gegen die wegen Betrugs ermittelt wird, ist ganz grundsätzlich kein gutes Aushängeschild. Die Partito Democratico hat sich lächerlich und unglaubwürdig gemacht, als sie das Promi-Paar auch nach den ersten Anschuldigungen wie »progressive Helden« verteidigte.
Pierluigi Bersani, einer der PD-Gründer und ehemaliger Parteivorsitzender, sagte der Presse im Januar zwar, dass Meloni »sich weder um Ferragni noch um Che Guevara Sorgen machen sollte« und das Aufheben um Ferragni »eine Schande« sei. Man könne »nicht jedes Problem in Italien auf [Ferragni] schieben«. Auch er sprach die De-facto-Allianz der Partei mit einer zu medialen Fehlschlägen neigenden Influencerin nicht an.
Eine bereits skeptische Wählerschaft könnte daraus lesen, dass die zur Schau gestellte progressive Haltung der Sozialdemokraten ebenso verlogen ist wie der Brand-Aktivismus der Influencer.
Wie geht es nun für Ferragni weiter? Die italienische Regulierungsbehörde für Telekommunikation (AGCOM) kündigte neue Regeln an, mit denen Influencer die gleiche rechtliche Verantwortung und Haftung zugeschrieben wird wie anderen Publizisten. Dies wird sich auch auf Spendenaktionen auswirken. Ferragni kommentierte, sie begrüße die neuen Regeln. Großsponsoren wie Coca-Cola haben sich allerdings von der Marke Ferragni abgewandt. Die Kartellbehörde verhängte bereits eine Geldstrafe in Höhe von einer Million Euro; Ferragnis Anwälte fechten diese Entscheidung aktuell an.
Den Schlagzeilen der Boulevardpresse nach zu urteilen, dürfte das Influencer-Paar in den kommenden Monaten eine Menge um die Ohren haben.
Gabriele Di Donfrancesco ist freiberuflicher Journalist aus Rom. Er schreibt unter anderem für La Repubblica, Rolling Stone Italia, Euronews und The Daily Dot.