18. Mai 2021
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz liefert die Antworten auf die falschen Fragen.
Keine großen Schritte: Bundesumweltministerin Svenja Schulze bei der Präsentation der neuen Klimaziele der Bundesregierung am 12. Mai 2021.
Kurz war der Jubel groß, als das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zur sogenannten Klimaklage verkündete und darin das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung in Teilen für verfassungswidrig, weil nachbesserungsbedürftig, erklärte.
Das Urteil gilt als der bislang größte Erfolg einer Klimaklage in Deutschland. Und dennoch ist dieser Erfolg bei weitem nicht so bahnbrechend, wie die mediale Darstellung zunächst vermuten ließ. Das offenbarte sich erst wieder zuletzt. Wer Hoffnungen auf den lang ersehnten Klima-Aufbruch hegte, dürfte diese spätestens mit der Verkündung der neuen Klimapläne der Bundesregierung wieder begraben haben. Statt – wie ursprünglich vorgesehen – im Jahr 2050, soll Deutschland nun 2045 klimaneutral sein.
Das Ergebnis ist also eine minimale Kurskorrektur. Dabei wäre eine Anpassung des Klimaschutzgesetzes ohnehin notwendig gewesen, nachdem die EU ihr Klimaziel für 2030 erhöht hatte. Und genau diese hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch gefordert: Keine Klima-Revolution, sondern eine Kurskorrektur. Nicht genug, sagen manche, aber immerhin – »nicht genug« kann im Falle der Klimakrise aber »tödlich« bedeuten.
In der Begründung des Urteils führt das Gericht an, die Bundesregierung treffe im Klimaschutzgesetz keine hinreichenden Maßnahmen für die Verringerung von Treibhausgasemissionen ab 2031. Sie verschiebe notwendige Maßnahmen zur immer drastischeren und dringenderen Emissionsreduktion in die Zukunft. Stärkere Freiheitseinschränkungen nach 2030 sind also absehbar. Mit dem Klimaschutzgesetz gefährde die Bundesregierung daher die Ausübung »künftiger Freiheit« der Beschwerdeführenden.
Bemerkenswert ist der Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Freiheit, den das Gericht in seiner Begründung geltend macht. Denn wenn der Begriff der Freiheit in Debatten um Ökologie eingeführt wurde, dann bislang von der rechten und konservativen Flanke. Die behauptet routinemäßig, der Klimaschutz diene in erster Linie der Einschränkung der Freiheit. Klimaaktivistinnen und -aktivisten, so legt es dieses Narrativ nahe, sind Predigende des absoluten Verzichts. Dieser Position erteilte das Bundesverfassungsgericht in seiner Urteilsbegründung eine Absage. Der Gesetzgeber sei zum Klimaschutz verpflichtet – und zwar gerade, um die Freiheitsrechte langfristig zu sichern. Damit wird juristisch bekräftigt, was politisch ohnehin klar sein dürfte: Diejenigen, die sich oft besonders lautstark als Verfechtende der Freiheit inszenieren, verteidigen höchstens ihre eigene.
Der Verweis des Gerichts auf die Schutzwürdigkeit künftiger Freiheiten lädt auf den ersten Blick dazu ein, die Klimafrage zu einem vermeintlichen Generationenkonflikt zu banalisieren. Hinsichtlich der juristischen Notwendigkeit von mehr Klimaschutz mag das noch stimmen, die politische Realität der Klimakrise bildet das aber nicht ab.
Es liegt auf der Hand, dass die jüngere Generationen länger und auch stärker von der Klimakrise betroffen sein wird. Mit dem Versuch, die Klimakrise als Generationenfrage zu verhandeln, wollen Klimaaktivistinnen und -aktivisten häufig auch ein abstraktes Krisen-Geflecht konkreter, persönlicher und emotionaler machen. Die Ursachen dieser Krise droht diese Darstellung jedoch zu verschleiern.
Je weiter die Erderhitzung eskaliert, desto stärker nehmen globale Verteilungskämpfe zu – um Nahrung und Wasser, um Lebensräume und (Über-)Lebenschancen. Die Konfliktlinie verläuft dabei nicht zwischen den Generationen. Sie verläuft zwischen den Interessen mächtiger Industrienationen sowie fossiler Konzerne und den Menschen, deren Arbeitskraft, Gesundheit, lebensnotwendige Ressourcen und Lebensräume sie sich aneignen. Sie verläuft zwischen den Wenigen, die von der Zerstörungskraft des Kapitalismus selbst angesichts der ökologischen Krisen profitieren, und den Vielen, für die Klimakrise Leid bedeutet – wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß.
Für diese Verteilungskämpfe und die ökologischen Krisenzustände sind nicht die Exzesse der heutigen Eltern- und Großelterngenerationen verantwortlich. Sie sind das Resultat kapitalistischen Wirtschaftens. Denn der Kapitalismus verlangt nicht nur die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch, die Ausbeutung der »Natur als Zapfstelle und … Abfalldeponie«, wie der Sozialwissenschaftler Jason W. Moore in seinem Buch Kapitalismus im Lebensnetz schreibt. Die Folgen sind verheerend. Dieses System produziert katastrophale gesellschaftliche Verhältnisse und zieht gerade daraus seine Entwicklungskraft. Nicht die Eltern und Großeltern, die in diesen Verhältnissen leben, sind ungerecht. Die Verhältnisse selbst sind es.
Klimafragen sind Klassenfragen, das gilt im globalen Kontext genauso wie auch in Deutschland. Die ökologischen Krisen werden von gegenwärtigen und zukünftigen Verteilungskämpfen bestimmt – wahrscheinlich den entscheidendsten des 21. Jahrhunderts. Dadurch sind sie – mit den Worten des Humangeographen Matt T. Huber – für die arbeitende Klasse nicht weniger als eine Frage des Überlebens.
Ein bisschen Emissionshandel hier, ein Preisschild für CO2 dort, dazwischen Hoffnungen auf die Entkopplung von (quantitativem) Wachstum und Ressourcenverbrauch: Solche kapitalistischen Kurskorrekturen verschleiern, dass der Kapitalismus die Klimakrise nicht lösen wird. Die Systemfrage stellt sich daher unausweichlich. Und es liegt an uns, sie zugunsten der Vielen zu beantworten.
Franziska Heinisch ist Kolumnistin bei JACOBIN.