17. April 2025
Die SPD wurde zuletzt oft für ihr Verhandlungsgeschick gelobt. Dabei enthält der Koalitionsvertrag kaum sozialdemokratische Anliegen, findet Ole Nymoen.
Haben sich der CDU untergeben: SPD-Vorsitzende Esken und Klingbeil.
Wochenlang haben uns deutsche Hauptstadt-Journalisten erklärt, die SPD würde die Koalitionsverhandlungen dominieren. Erst vor wenigen Tagen fragte Paul Ronzheimer voller Bewunderung beim SPD-Chef Lars Klingbeil nach: »Wie haben Sie Merz sieben Ministerien abverhandelt?« Die Antwort scheint nun zutage zu treten: Alle fortschrittlichen Inhalte des Koalitionsvertrages stehen unter Vorbehalt – etwa, dass die Einkommensteuer für Gering- und Durchschnittsverdiener gesenkt werden oder der Mindestlohn auf 15 Euro erhöht werden soll.
Der baldige Kanzler Friedrich Merz hat das nun klargestellt: Einige Verbesserungen für die arbeitende Klasse stehen zwar im Koalitionsvertrag, diese haben jedoch keine Priorität. Ob steuerliche Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen wirklich realisiert werden können, sei alles andere als fix – das erklärte Merz der Bild am Sonntag: »Wir senken die Unternehmensbesteuerung. Das ist richtig, damit die Unternehmen in Deutschland wieder investieren. Und die Einkommenssteuer, die wollen wir senken, wenn es der öffentliche Haushalt hergibt.«
Ab 2028 soll die Körperschaftssteuer von 15 auf 10 Prozent gesenkt werden. Angeblich soll es dann mehr Investitionen geben. Das ist jedoch fraglich: Schon in den vergangenen Jahrzehnten wurden die Unternehmensteuern hierzulande immer weiter abgesenkt, ohne dass es zu großen Investitionsoffensiven oder hohen Wachstumsraten gekommen wäre. Höchstwahrscheinlich werden durch die Merz’schen Reformen lediglich die Reichsten der Gesellschaft massiv steuerlich entlastet, und wenn dann noch Krümel übrig bleiben, werden diese unter den Ärmsten verteilt.
»Die eigentlichen sozialdemokratischen Anliegen werden auf der Strecke bleiben, dafür gibt es öffentlichkeitswirksame Ministerposten.«
Auch die Erhöhung des Mindestlohns ist keine ausgemachte Sache: Denn während die Ampel-Koalition zum 1. Oktober 2022 einfach einen Stundenlohn von 12 Euro die Stunde beschloss, will die neue Regierung nicht selbst einen höheren Mindestlohn festlegen. Das soll nämlich wieder Aufgabe der Mindestlohnkommission sein, der man nur unverbindliche Vorschläge macht, so dass der Mindestlohn im Jahr 2026 ganz hypothetisch auf 15 Euro steigen könnte – oder aber auch nicht.
Schon in der Ampel-Koalition standen progressive Projekte wie die Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag, aus denen dann jedoch nichts wurde. Gut möglich, dass Merz der SPD mit einigen Ministerien entgegengekommen ist – nur um dann alle Projekte der Sozialdemokraten unter einen Finanzierungsvorbehalt zu stellen. Das könnte sich als kluger Schachzug erweisen, der dummerweise Nachteile für Millionen Beschäftigte und Erwerbslose bringt. Denn arbeiterfeindliche Maßnahmen wie die Aufweichung des 8-Stunden-Tages wird sich Merz garantiert nicht nehmen lassen.
So betrachtet wäre der Verhandlungserfolg der SPD nur ein Pyrrhussieg. Die eigentlichen sozialdemokratischen Anliegen werden auf der Strecke bleiben, dafür gibt es öffentlichkeitswirksame Ministerposten. Ob das die Wähler zurück zur SPD bringen wird, ist mehr als fraglich. Profitieren dürfte eher die AfD, die in der vergangenen Woche zum ersten Mal in Umfragen vor der Union lag.
Und als wären die Inhalte des Koalitionsvertrages nicht schon schlimm genug, bringt die kursierende Liste potentieller Minister das Blut endgültig zum Stocken: Dorothee Bär, die ihr gesamtes bisheriges Erwerbsleben in der Berufspolitik verbracht hat, soll Forschungsministerin werden – erinnert sei an ihr kolossales Scheitern als Beauftragte für Digitalisierung, als Bär über autonomes Fahren und Flugtaxis schwadronierte, anstatt sich um den Breitbandausbau zu kümmern. Und zum Kulturstaatsminister könnte Joe Chialo werden, der als Berliner Senator zuletzt nur zwei Aufgaben hatte: die Kürzungen im Kultursektor umsetzen und die Staatsräson durchprügeln. Ein klares Zeichen: Die Kultur könnte auch im Bund weniger frei und finanziell schlechter ausgestattet werden.
Ein kursorischer Blick auf die Inhalte und die möglichen Namen der schwarz-roten Koalition macht klar: Der neuen Regierung fehlt es einerseits am Willen, andererseits an der Kompetenz, um Verbesserungen im Leben der durchschnittlichen Bürger zu erwirken. Die Löhne bleiben also in Zukunft niedrig, die Züge verspäten sich weiter, das Internet reicht vielerorts nicht aus, um eine einfache Google-Suchanfrage zu tätigen – und in Bayern träumt man von deutschen Weltraum-Missionen. Wäre man nicht mittendrin in dem Schlamassel, dann müsste man eigentlich schreien vor Lachen über den Niedergang der Bundesrepublik.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN. Sein neustes Buch Warum ich nicht für mein Land kämpfen würde ist kürzlich beim Rowohlt Verlag erschienen.