28. November 2024
CDU und SPD haben Berlin ein hartes Spardiktat aufgezwungen. In der Konsequenz bedeutet das: Die Mieten und der öffentliche Nahverkehr werden teurer, die Kulturlandschaft verarmt, bei der Kinder- und Jugendarbeit werden heftige Einschnitte gemacht. Dieses Sparprogramm richtet sich gegen die Menschen der Stadt.
Bürgermeister Kai Wegner (CDU), Finanzsenator Stefan Evers (CDU) und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) stellen ihr milliardenschweres Kürzungsprogramm vor, Berlin, 19. November 2024.
Eigentlich steht der Berliner Landeshaushalt für 2025 bereits. Als »Zukunfts- und Chancenhaushalt« hatte Kai Wegener (CDU), der Regierende Bürgermeister des Landes Berlins, den im Dezember 2023 mit der Mehrheit der Koalition aus CDU und SPD beschlossenen Doppelhaushalt für 2024 und 2025 noch bezeichnet. In nahezu allen Bereichen wurde mehr Geld als in den Vorjahren eingeplant. Knapp 39 Milliarden Euro waren für 2024 und etwas über 40 Milliarden Euro für 2025 vorgesehen.
Die Koalition aus CDU und SPD wollte mit dem großzügig angewachsenen Haushalt vor allem interne Konflikte über die Prioritätensetzungen im Landeshaushalt befrieden. Insbesondere der linke Flügel der SPD und die Jusos waren über die Koalitionsbildung mit der CDU nicht glücklich. Zwar setzte sich der rechte Flügel der SPD unter Führung von Franziska Giffey durch, jedoch musste auch den eigenen Genossinnen und Genossen bewiesen werden, dass die Große Koalition kein Rückschritt für die Stadt darstellt. Zu den bereits durch die Vorgängerregierung erarbeiteten Vorlagen fügte die neue Koalition noch Ausgaben in Höhe von zusätzlich 800 Millionen Euro hinzu. Sogar die teure Spielerei einer Magnetschwebebahn wollte sich die Koalition auf Wunsch der CDU-Fraktion leisten. Hierfür wurde in Kauf genommen, dass der frisch aufgestellte Haushaltsplan wenige Wochen nach Beschluss des Abgeordnetenhauses wieder kassiert werden musste.
Die Finanzverwaltung forderte nach dem Beschluss des Haushaltes die Berliner Verwaltung zum Sparen auf. Mehrere Milliarden Euro sollten über das Instrument der »Pauschalen Minderausgaben« eingespart werden. Diese Sparvorgabe der Verwaltung bedeutet, dass eine bestimmte Summe pauschal gekürzt wird und es in der Verantwortung der jeweiligen Senatsverwaltungen liegt, diese Einsparungen im Laufe des Haushaltsjahres umzusetzen. Die Sparvorgaben waren dabei aber so hoch, dass von Anfang an radikale Einschnitte in den gerade beschlossenen Haushalt notwendig wurden. Gleichzeitig ist die Auflösung der Einsparvorgaben vom Abgeordnetenhaus in die Senatsverwaltungen verschoben worden, in der aufkommende Konflikte unter Ausschluss der Abgeordneten moderiert werden konnten.
»Fast 200 Millionen Euro fallen bei der Wohnungsbauförderung weg und sollen teilweise über die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen kreditfinanziert werden.«
In der Folge wurden Ausgaben und Finanzierungszusagen durch die Verwaltung zurückgehalten. Leidtragende waren die Sozialen Träger und ihre Beschäftigten, die outgesourcte Aufgaben für die Verwaltung übernehmen und dafür Finanzierungen aus der Landeskasse erhielten. Bis zum Sommer 2024 war ungewiss, was nun tatsächlich finanziert wird und welche Arbeitsplätze und Angebote betroffen sein werden. 1,75 Milliarden Euro wurden so aus dem laufenden Haushalt 2024 gestrichen. Diese Unsicherheit setzte sich auch für das Haushaltsjahr 2025 fort, in der knapp 3 Milliarden Euro und damit 7,4 Prozent des gesamten Berliner Landeshaushaltes gestrichen werden sollen. Auf diese Art hat die Regierungskoalition dazu beigetragen, insbesondere die sozialen Träger und die Kunst- und Kulturszene gegen sich aufzubringen.
Nach monatelanger Ungewissheit steht die Kürzungsliste des Berliner Senates nun fest. Etwa 1 Milliarde Euro werden statt wie ursprünglich geplant über den Landeshaushalt durch Kreditaufnahmen Landeseigener Unternehmen kompensiert. Schuldenaufnahme durch das Land kommen durch die Schuldenbremse nicht in Frage. Stattdessen wurde die Schuldenaufnahme als haushälterischer Kunstgriff in die Bilanzen der privatrechtlich organisierten Landeseigenen Betriebe verschoben. Diese müssen die Kredite dann aus dem in letzter Zeit etwas schlechter laufenden Geschäft heraus zurückzahlen. Welche Folgen dies für die Unternehmen haben wird, ob und wie diese sich die fehlenden Mittel dann auf der Einnahmenseite durch Preiserhöhungen für Ihre Dienstleistungen von den Bürgerinnen und Bürgern Berlins zurückholen werden, bleibt abzuwarten.
2 Milliarden Euro Einsparungen werden durch Kürzungen erreicht. Gekürzt wurde dabei vor allem bei Investitionen. Besonders betroffen ist der Verkehrsbereich. Über 680 Millionen Euro sollen hier wegfallen. Dies trifft Ausbauprojekte für Radwege, Tramlinienverlängerungen, Wasserwege und andere Verkehrsvorhaben, sowie das Berlin-Abo für den Stadtbereich Berlin für 29 Euro, das komplett wegfallen soll. Auch das Sozialticket, das bisher 9 Euro kostete, soll auf 18 Euro monatlich erhöht werden.
Fast 200 Millionen Euro fallen bei der Wohnungsbauförderung weg und sollen stattdessen teilweise über die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen kreditfinanziert werden. Es ist abzusehen, dass die Abzahlung dieser Schulden auf die Mieterinnen und Mieter in Berlin umgelegt wird und auch die Mieten der landeseigenen Wohnungsbauunternehmen weiter steigen werden. Die Landeseigenen wollen bereits ab 2025 bei mehr als 90.000 Wohnungen die Miete zwischen durchschnittlich 7,9 und 9 Prozent erhöhen: nicht zuletzt auch, um Ihre Schulden für den Ankauf von Mietwohnungen der Deutsche Wohnen abzuzahlen, die der Berliner Senat zu überteuerten Marktpreisen anschaffte, anstatt den Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen umzusetzen. Auch die Neubaupläne der Landeseigenen dienten bisher als Begründung für die Notwendigkeit steigender Mieten. Diese »Notwendigkeit« dürfte sich damit verschärfen.
»Schulneubauten werden verschoben und die Mittel für soziale Unterstützung, Familien- und Jugendhilfe sowie Maßnahmen zur Förderung von Beschäftigung insgesamt um über 163 Millionen gekürzt.«
Radikale Einschnitte gab es auch im Kulturbereich. Hier wurden teilweise bis zu 10 Prozent der Mittel für Theater, Museen und weitere Kultureinrichtungen sowie anstehende Investitionen gestrichen. Viele bisher kostenlose Angebote für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt fallen weg, so beispielsweise der kostenlose Eintritt an Sonntagen zu Museen oder die Umsetzung des Berliner Kultursommers. Insbesondere Menschen mit wenig Geld haben bisher von diesen kostenlosen Angeboten profitiert und mussten nicht zwischen den Kosten von einem Kino- oder einem Museumsbesuch abwägen. Dies ändert sich nun. Auch bei freien Kultureinrichtungen wurde der Rotstift angesetzt. Nicht viel besser sieht es bei Bildung und Wissenschaft aus.
Nicht zuletzt spart der Senat bei der Jugend. Schulneubauten werden verschoben und die Mittel für Jugendarbeit, soziale Unterstützung, Familien- und Jugendhilfe sowie Arbeitsmarktprogramme und Maßnahmen zur Förderung von Beschäftigung werden insgesamt um über 163 Millionen gekürzt. Jugendliche, die in der Schule oder zu Hause Probleme haben, verlieren damit ihre Unterstützungsangebote. Millionen Euro fehlen zukünftig auch, um soziale Einrichtungen in den verschiedensten Ressorts zu bezuschussen. Die Liste der Kürzungen und Einsparungen ist endlos länger als dieser kurze Auszug.
Auch die Verzögerungen beim Beschluss des Bundeshaushaltes durch die Notwendigkeit von Neuwahlen durch den Bruch der Ampel-Koalition auf Bundesebene wird Auswirkungen auf Berlin haben. In Berlin werden über Bundesprogramme viele Projekte im Bereich Wissenschaft, Forschung, Wirtschaftsförderung, die Kultur und Soziales finanziert. Auch auf dieser Ebene wird um Geld gestritten. Die Ampel-Regierung ist nicht zuletzt an der Frage zerbrochen, wie die Milliarden verschlingende Aufrüstung der Bundeswehr gegenfinanziert werden soll. Die SPD würde dies gern ohne zu große Kürzungen im Sozialbereich bewerkstelligen. Die FDP setzt, wie auch die CDU, auf die bekannten und gescheiterten neoliberalen Rezepte zur »Entlastung« der Wirtschaft auf Kosten von sozialer Sicherheit, um »Wachstum« und Beschäftigung zu fördern. Diskutiert werden vor allem Einschnitte bei Rente und Bürgergeld. Die Grünen können sich, gerade vor der Wahl, zwischen beiden Positionen nicht so richtig entscheiden. Die Erfahrung mit der linksliberalen Partei lehrt jedoch, dass im Zweifel bei den Grünen gegen die Interessen der Lohnarbeitenden entschieden wird.
»Währenddessen werden Forderungen nach immer größeren Sondervermögen für die Rüstung laut und auch mit der Neuwahl auf Bundesebene ist keine Regierungskonstellation denkbar, die die Schuldenbremse ernsthaft in Frage stellt.«
Bei allen Parteien außer der Linken und BSW ist klar, dass die »Kriegstüchtigkeit« Priorität hat. Lediglich über das Ausmaß der damit verbundenen Einschränkungen für die arbeitende Klasse und kleinen Selbständigen herrscht Uneinigkeit. Währenddessen werden Forderungen nach immer größeren Sondervermögen für die Rüstung laut und auch mit der Neuwahl auf Bundesebene ist keine Regierungskonstellation denkbar, die die Schuldenbremse ernsthaft in Frage stellt.
Spielräume um Steuern zu erhöhen, etwa durch die Abschöpfung von Extra-Profiten, sowie eine deutlich höhere Erbschaftssteuer ohne Sonderregelungen für Kapitalbesitzerinnen und -besitzer sowie die Wiedererhebung von Vermögenssteuern werden nicht genutzt. Die Lücken im Steuersystem, die es dem Immobilienkonzern Vonovia ermöglicht haben, dem Land Berlin Hunderte Millionen Euro an Grunderwerbssteuer vorzuenthalten, werden nicht angetastet. Auch die Berliner Landesregierung nutz ihre Spielräume zur Erhöhung von Landessteuern nicht. Lediglich eine Übernachtungssteuer für Touristinnen und Touristen soll von 5 Prozent auf 7,5 Prozent erhöht werden und zusätzliche Einnahmen von gerade mal 18 Millionen Euro generieren. Grunderwerbssteuer, Zweitwohnungssteuer und Vergnügungssteuer bleiben unangetastet.
Bereits im Sommer 2024 kündigte Finanzsenator Evers an, dass im folgenden Doppelthaushaltsjahr noch einmal stärker gespart werden wird. Von 5 Milliarden Euro und damit 12,5 Prozent des derzeitigen Haushaltes ist dabei die Rede. Evers bemüht dabei die neoliberale Erzählung, dass das Problem nicht auf der Einnahmenseite bestehe, sondern die Ausgaben das Problem seien. Die Berliner Bezirke, die bisher um eine Beteiligung bei der Auflösung der Pauschalen Minderausgaben außen vor bleiben konnten, drohen dann bei den Einsparungen beteiligt werden zu müssen. Doch auch schon ohne eine solche Beteiligung sind die durch neoliberale Verwaltungsinstrumente auf Effizienz getrimmten Bezirke stark belastet.
Bereits jetzt müssen die Bezirke sparen. In den Vorjahren haben viele Berliner Bezirke mit einem Defizit abgeschlossen, in diesem Jahr wird es keinen Bezirk geben, der kein Defizit einfahren wird. Einzelne Bezirke sind jedoch in der Lage, durch Ihre Rücklagen die prekäre Haushaltssituation kurzfristig zu kompensieren. Diejenigen die dies nicht können, kürzen bereits jetzt an den Angeboten für die Bürgerinnen und Bürger Berlins. Kommen Sparvorgaben des Senates hinzu, müssen hier bei allen noch radikalere Einschnitte vorgenommen werden. Der Protest gegen das Sparprogramm des Berliner Senats ist jedoch noch immer verhalten. Nur wenige Berlinerinnen und Berliner beteiligen sich an den Protesten.
Zwar war es politisch unklug von SPD und CDU einen aufgeblähten Haushalt zu beschließen und dann wieder zu kassieren. Doch das zu Grunde liegende Problem ist eines, das jede in Berlin denkbare Regierungskonstellation zu bewältigen hätte. In Berlin gibt es nach drei Jahrzehnten neoliberaler Politik auf Bundes- und Landesebene keine wirkliche Alternative. Die Lösungsansätze der Opposition, insbesondere die Verschiebung von Kreditaufnahmen in die Bilanzen der landeseigenen Betriebe, unterscheiden sich nur graduell von denen der regierenden Koalition.
»Eine Kürzungsliste von Rot-Grün-Rot hätte sicherlich andere Schwerpunkte gesetzt, doch auch diese Koalition hätte Milliarden kürzen müssen.«
Spielräume für eine progressive linke Reformpolitik, von der vor allem Teile der Partei Die Linke träumen, sind angesichts der engen Fesseln der in diesen Jahrzehnten durchgesetzten neoliberalen Organisation des Staates und der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung kaum vorhanden. Eine Kürzungsliste von Rot-Grün-Rot hätte sicherlich andere Schwerpunkte gesetzt, doch auch diese Koalition hätte Milliarden kürzen müssen.
Auch eine »linke« Regierung unter der Beteiligung der Partei Die Linke könnte bestenfalls den Mangel weiterverwalten und müsste schlimmstenfalls an der Zerstörung des Sozialstaats und dem Ausverkauf der Stadt mitwirken, so wie die PDS beziehungsweise Die Linke unter Rot-Rot zwischen 2002 bis 2011. Die Linke würde in der Folge als eine glaubwürdige Opposition gegen die Zustände ausfallen.
Was es braucht, ist eine politische Linke, die Schuldenbremse, Outsourcing von staatlichen Aufgaben und die Verwaltung des Mangels ablehnt. Konsequenterweise muss dies bedeuten, die Oppositionsrolle zu besetzen und sich einzugestehen, dass mit zwei neoliberalen Parteien wie der SPD und den Grünen und unter durch jahrzehntelange neoliberale Politik geformte Rahmenbedingungen keine linke Politik zu machen ist. Der Austritt einiger Vertreterinnen und Vertreter aus dem Berliner Landesverband der Partei Die Linke, die für die fast bedingungslose Unterstützung jeder möglichen Regierungsbeteiligung standen und für ihren »Pragmatismus« bei der Aufrechterhaltung des Status Quo auch im politischen Zentrum geschätzt wurden, dürfte es der Linken erleichtern, diese Rolle einzunehmen. Was bleibt, ist den Widerstand von links zu organisieren und damit Macht von unten aufzubauen, um andere politische Kräfteverhältnisse und veränderte Rahmenbedingungen in der Zukunft zu erkämpfen.
Fabian Nehring ist Politikwissenschaftler und aktives Mitglied bei der LINKEN in Berlin.