27. März 2024
Kolumbiens Präsident Gustavo Petro erklärt den US-geführten »War on Drugs« für verloren und geht einen anderen Weg, um den Drogenhandel einzudämmen: Statt Koka-Bauern mit tödlicher Repression zu begegnen, will er ihnen wirtschaftliche Alternativen bieten.
Gustavo Petro spricht auf einer Pressekonferenz über Friedensprozess in Kolumbien, Aufnahme vom 8. Februar 2024.
»Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert«, betonte der kolumbianische Präsident Gustavo Petro bei seiner Amtsantrittsrede im August 2022. Er nannte das Thema als eine der Top-Prioritäten der ersten linken Regierung in der Geschichte Kolumbiens. Petro will die Drogenpolitik seines Landes, das weltweit führend in der Kokainproduktion sowie enger Verbündeter der USA im gewaltsamen Kampf gegen den Drogenhandel ist, auf neue Beine stellen. Dem Ex-Guerillero zufolge hat die bisherige militarisierte Strategie zu einem regelrechten »Völkermord« geführt, der »einer Million Lateinamerikanerinnen und Lateinamerikanern« das Leben gekostet hat.
Unter dem Titel »Leben säen, Drogenhandel beseitigen« hat die Regierung einen Aktionsplan vorgelegt, der die kolumbianische Drogenpolitik bis zum Jahr 2033 bestimmen soll. Dieser neue Plan hat einige Ziele mit vorherigen Ansätzen gemeinsam, wie zum Beispiel die Beseitigung von 90.000 Hektar illegalen Koka-Anbaus und die Reduzierung der Kokainproduktion um 43 Prozent. Der zugrundeliegende Ansatz ist hingegen neu; das Ziel besteht vor allem darin, die Anbauer von 69.000 Hektar Pflanzen dazu zu bringen, den Anbau freiwillig zu stoppen. Dafür sollen entsprechende wirtschaftliche Alternativen für die Bäuerinnen und Bauern geboten werden.
Jahrzehntelang bestand Kolumbiens Kampf gegen den Drogenhandel vor allem in Angriffen auf Personen, die Koka anbauen – eine Pflanze, die durchaus auch für legale Zwecke wie Tees und Aufgüsse oder als Dünger verwendet wird. Im weiter südlich gelegenen Bolivien ist Koka als kulturelles Erbe verfassungsrechtlich geschützt. Die Pflanze wurde traditionell von diversen indigenen Völkern in der Region verwendet, war im Laufe der Zeit aber auch immer stärker mit einem Stigma assoziiert. In einer berühmten Kampagne wurde sie als »la mata que mata« (die Pflanze, die tötet) bezeichnet. Im neuen kolumbianischen Politikansatz wird ausdrücklich zwischen dem Blatt und dem daraus hergestellten Kokain unterschieden.
»Petro hat gesagt, dass er nicht den Kleinanbau, sondern den industriellen Anbau bekämpfen wird. Die kleinen Kulturen werden entweder freiwillig ersetzt, oder sie bleiben bestehen«, sagt Sandra Borda, Politikwissenschaftlerin an der Universidad de Los Andes. »Früher haben wir alle illegalen Ernten bekämpft, auch die der Kleinbauern. Das hat zu schweren Problemen geführt, zu Konfrontationen zwischen den lokalen Gemeinschaften und der Armee [...] und es hat nie irgendwelche Ergebnisse gebracht.«
Heute leben schätzungsweise 115.000 Familien in Kolumbien vom Koka-Anbau. Die Regierung fordert, dass mindestens 50.000 von ihnen auf erlaubte Aktivitäten umsteigen müssten: Sie sollen die Blätter ausschließlich für legale Zwecke verwenden – oder komplett umsatteln und beispielsweise als Förster tätig werden, um gemeinsam die Abholzung zu bekämpfen. Tatsächlich ist der Koka-Anbau eine der Ursachen für die Zerstörung des Regenwaldes im kolumbianischen Amazonasgebiet.
»Da es an wirtschaftlichen Alternativen fehlt, sind einige Familien wieder zum Koka-Anbau zurückgekehrt, und illegale bewaffnete Gruppen sind wieder aufgetaucht.«
Die Strategie, den Kokaanbau zu ersetzen, ist nicht neu. Sie wurde bereits 2016 in die Friedensabkommen zwischen dem kolumbianischen Staat und der Guerillatruppe Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) aufgenommen. Nach UN-Angaben sind die Anbauflächen für die Koka-Produktion dennoch weiter gewachsen. Die Zahlen deuten darauf hin, dass sowohl die bisherigen Ansätze zur freiwilligen Umstellung als auch die gewaltsame Beseitigung und Repression gescheitert sind. Sieben Jahre nach dem Friedensabkommen erklärt ein Vorsteher einer Gemeinde, in der die Substitution des Koka-Anbaus erstmalig versucht wurde, dass »die mit der Regierung vereinbarten Verpflichtungen nicht erfüllt wurden; die angekündigten Produktionsprojekte wurden nie umgesetzt«. Da es an wirtschaftlichen Alternativen fehle, seien einige Familien wieder zum Koka-Anbau zurückgekehrt, und illegale bewaffnete Gruppen seien im Dorf wieder aufgetaucht, so der Mann, der anonym bleiben will.
Dass vorherige Programme zur Ersetzung von Koka gescheitert sind, sei auf das Fehlen eines »gebietsbezogenen Ansatzes zurückzuführen, der die jeweilige Dynamik der Gebiete, in denen Koka angebaut wird, berücksichtigt«, meint Carolina Cepeda, Politikwissenschaftlerin an der Universidad Javeriana. Petro versuche mit seinem Plan nun, »Partizipationsmechanismen zu schaffen, bei denen auch das Wissen der Koka-Bauern berücksichtigt und einbezogen wird«.
Eine zusätzliche Herausforderung bestehe darin, dass »die bäuerlichen Gemeinschaften weiterhin der sozialen Ordnung ausgeliefert sein werden, die von den bewaffneten Gruppen [in den Koka-Anbaugebieten] diktiert wurde«, wie Ana María Rueda von der Stiftung Ideas for Peace in der Zeitung El Espectador erklärt. So seien einige lokale Teilnehmer des Programms zur Umstellung weg von Koka von Paramilitärs oder FARC-Abweichlern ermordet worden.
Die neue Drogenpolitik der Petro-Regierung konzentriert sich nicht auf die polizeiliche und militärische Repression der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, sondern auf den industriellen Anbau. Damit sollen dem organisierten Drogenhandel wirtschaftliche Schäden zwischen 55 und 86 Milliarden Dollar zugefügt werden. Gleichzeitig hat die Regierung ihre Bereitschaft gezeigt, mit den Kartellen zu verhandeln – eine Strategie, die Cepeda für klug hält: »Es hat sich gezeigt, dass eine Politik der eisernen Faust nicht funktioniert. Verhandlungen sind sicherlich ein effizienterer Weg, um mit dem Problem umzugehen.«
Das Bemühen um Entwaffnungsabkommen mit kriminellen Organisationen ist Teil der »Politik des totalen Friedens«, mit der Petro den jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt in Kolumbien beenden will. »Es geht darum, den Verbrechern eine Strafminderung anzubieten und dass sie einen Teil ihrer wirtschaftlichen Ressourcen behalten dürfen, solange sie die kriminellen Strukturen auflösen, Vermögenswerte zurückgeben, Wiedergutmachung an die Opfer leisten und die strafrechtliche Verantwortung übernehmen«, erklärte Justizminister Néstor Osuna im Magazin Ctxt.
»Kolumbien ist seit Jahrzehnten ein treuer Verbündeter der USA in ihrem War on Drugs.«
Die Repression gegen die Koka-Bauern hat zahlreiche Todesopfer gefordert und auch der Umwelt und der menschlichen Gesundheit schwer geschadet, insbesondere durch das Besprühen der Pflanzen mit Glyphosat – einer Substanz, die von der Weltgesundheitsorganisation als »wahrscheinlich krebserregend« eingestuft wird. Der konservative Präsident Iván Duque hatte weniger als zwei Wochen vor dem Amtsantritt Petros noch 263.000 Liter des Herbizids gekauft. Letzterer weigert sich, das Mittel zu verwenden. »Die frühere Politik betrachtete diese [Umwelt-]Probleme als reinen Kollateralschaden«, so die Politikwissenschaftlerin Sandra Borda. Die neue Politik sei hingegen ganzheitlicher und »umfassender«.
Mit dem neuen Plan der Petro-Regierung soll sich auch der Regierungsansatz gegenüber Drogenkonsumenten ändern: »Dem problematischen Konsum muss mit kontrollierten Versorgungszentren begegnet werden, mit therapeutischer und hygienisch-sanitärer Unterstützung«, sagt Minister Osuna. Die Soziologin Estefanía Ciro, die den Geschäftsbereich Drogen der sogenannten Wahrheitskommission über den bewaffneten Konflikt in Kolumbien leitete, betonte in einem Telefongespräch, dass die neue Politik »die Entstigmatisierung, den Schutz der Konsumenten und die Prävention unterstützt«. Allerdings kritisiert sie, die Ansätze gingen nicht weit genug und es handle sich letztlich »um dieselbe Strategie, die seit [dem früheren Präsidenten] Juan Manuel Santos verfolgt wird«. Bisher gebe es »keine nennenswerten Investitionen« in diesem Bereich.
Kolumbien ist seit Jahrzehnten ein treuer Verbündeter der USA in ihrem War on Drugs. »Mit dem Plan Colombia gelang es [den Ex-Präsidenten] Pastrana und Uribe, Gelder für die Drogenbekämpfung zu erhalten, die dann auch für die Bekämpfung der Guerilla verwendet wurden«, erklärt Cepeda.
Die Regierung von Joe Biden hat sich bisher nicht öffentlich zu Kolumbiens neuem Vorgehen gegen die Drogen geäußert. Ciro geht aber davon aus, dass »die neue Drogenpolitik die volle Unterstützung der USA hat. Sie basiert schließlich auf einem Dokument der US Congressional Commission on Drug Policy in the Western Hemisphere, in dem der Begriff ›ganzheitliche Politik‹ geprägt wurde, den auch Gustavo Petro von Anfang an benutzt hat«.
»Es wird keinen Frieden geben, solange es keine angemessene gesetzliche Regelung im Sinne der sozialen Gerechtigkeit gibt.«
Die kolumbianische Regierung bemüht sich außerdem um Unterstützung und Kooperation in ganz Lateinamerika und der Karibik. Im vergangenen September kamen mehr als dreißig Länder aus der Region zu einer Konferenz in Cali zusammen. Prominenter Hauptgast war Andrés Manuel López Obrador, der Präsident Mexikos, das ähnlich wie Kolumbien die traurige Bilanz von Zehntausenden Toten im Drogenkrieg zu verzeichnen hat. Das Treffen war allerdings von den Differenzen zwischen den beiden Regierungen überschattet: López Obrador ist während seiner Präsidentschaft von dem Versprechen, mit den Kartellen unter dem Slogan »Abrazos, no balazos« (Umarmung statt Patronen) zu verhandeln, zu einer deutlich schärferen und verbotsorientierten Haltung übergegangen. Damit folgt er weitgehend den Ansätzen seiner Vorgänger.
Internationale Allianzen werden einer der Schlüssel für den Erfolg (oder Misserfolg) der neuen kolumbianischen Drogenpolitik sein. Ein weiterer ist die Umsetzung. Wie Cepeda sagt: »Die Drogenpolitik muss mit Biss betrieben werden; sie muss in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden, damit es für denjenigen, der in drei Jahren kommt, nicht so einfach ist, sie wieder zu ändern.«
Dabei fällt auf, dass es bisher an neuen Gesetzen mangelt. Im vergangenen Dezember wurde ein Vorschlag zur Regulierung des Marihuanahandels, der von Senatorin María José Pizarro von der Regierungskoalition Pacto Histórico eingebracht worden war, zum fünften Mal im Parlament – in dem die Regierung nicht über die Mehrheit verfügt – abgelehnt. Noch umstrittener ist die Kokainfrage: Petro betonte zwar, die Legalisierung von Kokain würde »automatisch die Gewalt in Kolumbien beenden«, eine entsprechende Entscheidung hänge aber nicht von seinen persönlichen Ansichten und seinen Wünschen ab.
Estefanía Ciro ist derweil der Meinung, dass die Legalisierung »der Weg ist, um die Auswirkungen des Kokain- und Cannabismarktes in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen zu vermindern. Es wird keinen Frieden geben, solange es keine angemessene gesetzliche Regelung im Sinne der sozialen Gerechtigkeit gibt«.
Pablo Castaño ist freiberuflicher Journalist sowie Politikwissenschaftler. Er hat einen PhD in Politikwissenschaften von der Autonomen Universität Barcelona und schreibt unter anderem für Ctxt, Público, Regards und The Independent.