20. Februar 2025
Die umstrittene Krankenhausreform wird nun auch von der Bundeswehr kritisiert: Um die Versorgung von Soldaten im Kriegsfall sicherzustellen, soll die Bevölkerung nachrangig behandelt werden. Als Ärztinnen lassen wir uns nicht für diese Militarisierung des Gesundheitswesens einspannen. Ein Gastbeitrag.
»Wir können davon ausgehen, dass der Abbau von zivilen Strukturen und der Aufbau von Kapazitäten fürs Militär Hand in Hand gehen könnten«, warnen die Autorinnen.
An der Krankenhausreform der scheidenden Ampel-Koalition, die im Oktober vergangenen Jahres im Bundestag beschlossen wurde, gab es bereits im Vorfeld viel Kritik. Mehrere Bundesländer, Expertinnen und Interessengruppen, unter ihnen die Deutsche Krankenhausgesellschaft, warnten eindringlich davor, dass die Versorgungssicherheit gefährdet werde. Auch viele Aktivisten aus der Krankenhausbewegung zeigten sich schockiert.
Doch im letzten Jahr wurde Kritik um die immer prekärer werdende Krankenhausversorgung auch aus ganz anderer Richtung laut. So sorgt sich die Bundeswehr um den möglichen Verlust von Betten in deutschen Krankenhäusern. Der Bundeswehr geht es in ihrer Kritik alleine darum, Kapazitäten für ihre Zwecke zu sichern, soll heißen: die Versorgung verwundeter Soldatinnen und Soldaten im Kriegsfall. Für die Zivilbevölkerung zeichnet sich eine dramatische Situation ab, heißt es doch, dass ihre Versorgung schlichtweg unmöglich werden könnte. Seit Jahren wird immer offensichtlicher, dass sich im deutschen Gesundheitssystem dringend etwas ändern muss. Berichte von schlechter Versorgungsqualität, große und kämpferische Tarifauseinandersetzungen von Beschäftigten und zivilgesellschaftlichen Verbündeten weisen schon lange darauf hin, wie schlecht die Zustände in deutschen Kliniken sind. Nach der Covid-Pandemie und dem Auslaufen der damit verbundenen finanziellen Hilfen waren es auch die drohenden Insolvenzen vieler Kliniken, die zeigten, dass es so nicht weiter gehen kann.
Das lang erwartete und Ende 2023 angekündigte sogenannte Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz soll den ökonomischen Druck auf die Kliniken mindern und flächendeckend die Versorgungsqualität verbessern – klingt erst einmal begrüßenswert. Doch wer sich eingehender mit dem Gesetzestext beschäftigt, den wundert es nicht mehr, warum manche das Gesetz in Krankenhausversorgungsverschlechterungsgesetz umgetauft haben. Aktivistinnen und Aktivisten vom Bündnis Krankenhaus statt Fabrik und vom Bündnis Klinikrettung haben sich die Mühe gemacht, aus den komplexen Gesetzestexten herauszuarbeiten, was sie konkret für die Krankenhauslandschaft bedeuten könnten. Aber auch ihnen fällt es schwer, alle Aspekte kritisch einzuordnen und ihre Erkenntnisse andererseits so zu kommunizieren, dass sie für die meisten Pflegekräfte, Ärztinnen oder gar Patienten verständlich sind.
Fest steht, dass die in Verruf geratenen Fallpauschalen nicht abgeschafft, sondern nur zum Teil durch einen weiteren Finanzierungsbaustein ersetzt werden. Dieser nennt sich »Vorhaltepauschale«, ist aber tatsächlich auch wieder fallzahlabhängig. Das macht die Finanzierung vor allem komplizierter, mehr Geld kommt dadurch nicht ins System. Mit dem System von Leistungsgruppen wird ein neues Kategorisierungssystem geschaffen, durch das eine gänzlich neue Art von Wettbewerb zwischen den Kliniken entsteht. Denn in Zukunft sollen Kliniken nur noch Leistungen innerhalb ihrer Leistungsgruppe vergütet bekommen. Würden diese Leistungen anhand von tatsächlich durch die Versorgungsforschung ermittelte Bedarfe geplant und vergeben werden, wäre das sicher sinnvoll. Doch statt durch Versorgungsplanung sollen die Leistungsgruppen im Verlauf anhand von Mindestfallzahlen geregelt werden.
Das erklärte Ziel hierbei ist es, hunderte Kliniken zu schließen. Viele Kommunen, deren Krankenhäuser bereits vor der Reform drohten, insolvent zu gehen, müssen nun nach der Reform erst recht damit rechnen, Klinikstandorte zu verlieren. Wie genau sich die Reform auswirkt, steht jedoch noch in den Sternen, eine vorher angekündigte Auswirkungsanalyse stand zum Zeitpunkt der Entscheidung im Bundestag noch nicht zur Verfügung.
»Mit der Krankenhausreform droht ein kalter Strukturwandel nach den Regeln eines beinahe unüberschaubar kompliziert gestalteten Marktes.«
SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach sprach bei der Ankündigung der Reformen im Dezember 2022 noch von einer »Revolution«. In diesem Gesetzesentwurf jedenfalls ist nichts Revolutionäres enthalten. Dabei wäre eine drastische Wende in der Gesundheitspolitik durchaus angebracht. Mit der Einführung des Fallpauschalensystems Anfang der 2000er Jahre wurde die Finanzierung der deutschen Krankenhäuser so umgestellt, dass Profite und Verluste möglich waren. Das betrifft bis heute alle Kliniken, egal welchen Trägers. Neben den sich verschärfenden Arbeitsbedingungen, sprich mehr Fälle für immer weniger Personal, ist es gerade auch der ökonomische Druck, der die Arbeit belastend und für viele unerträglich macht.
Das Einzige, was in diesem System einer Revolution gleichkäme, wäre, dem fortschreitenden Neoliberalismus den Kampf anzusagen. Dafür schlägt beispielsweise das Bündnis Krankenhaus statt Fabrik vor, die Fallpauschalen ganz abzuschaffen und notwendige Betriebskosten nach dem sogenannten Selbstkostendeckungsprinzip zu erstatten, das sowohl Gewinne als auch Verluste weitestgehend verunmöglichen würde. Es stünde privaten Konzernen dann zwar frei, weiterhin Krankenhäuser zu betreiben. Ohne Gewinnmöglichkeit dürfte ihr Interesse daran jedoch klein sein. Dementsprechend müssten die Kliniken wieder zurück in öffentliche Hand gehen, die nach Versorgungsbedarfen und nicht nach Profitabilität planen könnte.
Im Zuge der Reform droht aktuell ein kalter Strukturwandel nach den Regeln eines beinahe unüberschaubar kompliziert gestalteten Marktes. Dass das ein Problem sein könnte, hat mittlerweile auch die Bundeswehr erkannt. Unter dem Stichwort »Zeitenwende im Gesundheitswesen« wird bereits seit mindestens einem Jahr eine Militarisierung des Gesundheitswesens forciert.
Vor kurzem wurde vom Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit – einem Thinktank von Vertretetern von Sicherheitsfirmen, Ministerien und Hilfsorganisationen – ein »Grünbuch Zivilmilitärische Zusammenarbeit 4.0« veröffentlicht, das unter anderem unter Mitarbeit verschiedener Ministerialbeamtinnen, Rettungsdienste, Verfassungsschutzvertreter und Soldatinnen entstanden ist. Es skizziert die Einbindung von Zivilistinnen und Zivilisten in die militärische Logistik. Das dem Grünbuch zugrundeliegende hypothetische Ausgangsszenario ist ein Konflikt zwischen der NATO und Russland Ende Mai 2030. Die Ausführungen enden mit dem Aufmarsch von 80.000 NATO Soldatinnen und Soldaten im Baltikum und in Polen, der Widerstand aus der Bevölkerung durch »rechte und linke Gruppierungen« wird bereits miteingeplant.
»Die Zivilbevölkerung sei nicht ausreichend darauf vorbereitet, im Kriegsfall den Nachrang hinter Soldatinnen und Soldaten haben zu müssen. Hierfür bräuchte es eine entsprechende Kommunikationsstrategie.«
Dem Gesundheitswesen kommt dabei eine wichtige Rolle für die Moral und Resilienz der Zivilbevölkerung zu. Laut »Grünbuch« soll mit etwa 1.000 Soldatinnen und Soldaten pro Tag zu rechnen sein, die im deutschen Gesundheitswesen behandelt werden. Alle Akteure des Gesundheitswesens, von den Rettungsdiensten über die Apotheker bis zu den Hausärztinnen und Reha-Einrichtungen sollen eingebunden werden. Zwar wird auf die bereits im Friedensfall eingeschränkte Versorgung der Bevölkerung hingewiesen, aber nur, um das bisherige Fehlen einer »öffentliche[n] Diskussion über eine daraus folgende Reduzierung des Versorgungsniveaus« für die Zivilbevölkerung zu beklagen, die nicht ausreichend darauf vorbereitet sei, im Kriegsfall den Nachrang hinter Soldatinnen und Soldaten haben zu müssen. Hierfür bräuchte es eine entsprechende Kommunikationsstrategie.
Im März 2024 hatte Bundesgesundheitsminister Lauterbach ein Gesundheitssicherstellungsgesetz verkündigt, das die medizinische Versorgung im Katastrophen- und Kriegsfall regeln soll. Schon einmal, in den 1980er Jahren, wurde ein Gesundheitssicherstellungsgesetz vorbereitet. Gegen den damaligen Referentenentwurf gab es eine erhebliche Mobilisierung, vor allem vonseiten der deutschen Sektion der IPPNW (Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs / Ärzt*innen in sozialer Verantwortung). Der massive Widerstand konnte letztlich das Gesetz verhindern. Mit dem Slogan: »Wir werden euch nicht helfen können«, machten die Medizinerinnen und Mediziner deutlich, dass alle Vorkehrungen für »Zivilschutz« im Kriegsfall (und besonders im Falle des Einsatzes von nuklearen Waffen) nur eine Illusion sein konnten.
Diese Einschätzung müssen wir uns auch heute wieder vor Augen führen, trifft sie doch noch genauso zu. Gleichzeitig müssen sich kritische Beschäftigte Gedanken dazu machen, inwiefern sie im Kriegsfall überhaupt »helfen wollen«. Es sind nie die herrschenden Klassen, die ihre Leben auf dem Schlachtfeld riskieren, sich auf eine eingeschränkte Versorgung einstellen oder sich um die Verletzten und Traumatisierten kümmern sollen. Deshalb gilt es sich zu fragen, inwieweit man sich für einen Krieg instrumentalisieren lassen will, den weder Gesundheitsfachkräfte noch ihre Patientinnen und Patienten verantworten. Wollen wir unsere Arbeit dafür einsetzen, um Soldatinnen und Soldaten wieder kriegsfähig zu machen, während die Zivilbevölkerung als nachrangig betrachtet wird?
»Mit einem zukünftigen, NATO-affinen CDU-Kanzler Merz können wir uns sicher sein, dass das Thema Militarisierung weiter an Bedeutung gewinnen wird.«
Gerade auch als Beschäftigte im Gesundheitswesen müssen wir auf die grausamen Schrecken eines jeden Krieges aufmerksam machen und der Logik widersprechen, nach der die militärische Aufrüstung die einzige Option darstellt, um »Frieden zu wahren«. Durch das vorzeitige Ende der Ampelkoalition wird ein Gesundheitssicherstellungsgesetz erst von der nächsten Regierung in Angriff genommen werden. Mit einem zukünftigen, NATO-affinen CDU-Kanzler Merz können wir uns aber sicher sein, dass das Thema Militarisierung weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Es ist also recht wahrscheinlich, dass wir auch im Gesundheitswesen eine fortschreitende Militarisierung als Kulisse für eine neoliberale Haushaltspolitik erleben werden. Dabei können wir davon ausgehen, dass der Abbau von zivilen Strukturen und der Aufbau von Kapazitäten fürs Militär durchaus Hand in Hand gehen könnten. Im Wahlkampf der Bundestagsparteien ist es gruselig still um das Thema Gesundheitsversorgung. Während der Bevölkerung das Thema Gesundheit und Pflege laut Ärzteblatt sehr wichtig sei, teilweise sogar wichtiger als innere Sicherheit und Wirtschaft, spielt es im Wahlkampf praktisch keine Rolle. Es bleibt also Sache der Beschäftigten, in Bündnissen mit der Zivilgesellschaft, für ein gutes Gesundheitssystem, bessere Arbeitsbedingungen und gegen eine fortschreitende Einbindung in den Militärapparat zu streiten. Im oben genannten »Grünbuch« wird darauf hingewiesen, welch wichtiger Faktor das Gesundheitswesen für die Moral und Resilienz der Bevölkerung in Konfliktfällen darstelle. Stattdessen können auch wir eine wichtige Stimme des Widerstands und des Einsatzes für den Frieden sein.
Annebirth Steinmann arbeitet als Assistenzärztin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Im Rahmen ihrer Tätigkeit im Verein demokratische Ärzt*innen beschäftigt sie sich mit der Krankenhausreform und der Militarisierung des Gesundheitswesens.
Karen Spannenkrebs ist Ärztin und hat zuletzt in der Geschäftsstelle des Vereins Solidarisches Gesundheitswesen e.V. gearbeitet. Sie ist Co-Vorsitzende des Vereins demokratischer Ärzt*innen und beschäftigt sich in diesem Rahmen schwerpunktmäßig mit Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, Militarisierung und Rechtsruck.