11. September 2025
Der 11. September lieferte den USA den Vorwand, geopolitische Interessen unter dem Deckmantel der Terrorabwehr zu verfolgen. Der »War on Terror« führte zu einer gefährlichen Erosion des Völkerrechts, die unsere Welt heute prägt.
Die Kriege, die auf den Terroranschlag des 11. September folgten, führten zu einer regionalen Destabillisierung, die Terrorismus befördert.
Heute vor 24 Jahren katapultierten neunzehn Attentäter die Welt ins 21. Jahrhundert. Vier vom islamistischen Terrornetzwerk al-Qaida entführte Passagierflugzeuge wurden unter anderem ins World Trade Center in New York und ins US-Verteidigungsministerium in Washington gelenkt. Mit fast 3.000 Todesopfern und doppelt so vielen Verletzten ist der 11. September 2001 der bis heute blutigste Terroranschlag. Fast alle, die alt genug sind, erinnern sich noch genau, wo sie waren, als sie die brennenden Wolkenkratzer in Manhattan im Fernsehen sahen.
Der 11. September war eine historische Zäsur, die bis heute tiefgreifend nachwirkt. Der von den USA angeführte globale »Krieg gegen den Terror«, der darauf folgte, verwüstete ganze Regionen, untergrub das Völkerrecht dauerhaft, förderte im Westen den Autoritarismus und befeuerte nicht zuletzt auch den antimuslimischen Rassismus. Umso problematischer ist es, dass der Nährboden vom 11. September und die weitreichenden Folgen des »Krieges gegen den Terror« in der öffentlichen Erinnerung zunehmend verblassen – auch aufgrund der vielen aktuellen geopolitischen Krisen. Wollen wir diese gerecht lösen, ist es unabdinglich, den »War on Terror« und dessen Entstehungsbedingungen besser zu verstehen.
Die Anfänge der Tragödie führen nach Saudi-Arabien. Ab den 1980ern versuchte die dort herrschende Öldynastie der Saudis, seit jeher eng mit den USA verbündet, ihre immer brüchigere Legitimität zu festigen. Diese wurde vor allem von den Klerikern und den unzufriedenen Massen infrage gestellt. Die saudische Antwort war ein umfassendes Islamisierungsprogramm, das man als Schutzgeld an die Fundamentalisten verstehen kann.
Die radikalsten Islamisten wurden indes nach Afghanistan verschifft, um sich dort mit saudischem Geld und pakistanischer Unterstützung, am von den USA orchestrierten Jihad gegen die von der Sowjetunion unterstütze kommunistische Regierung zu beteiligen. Der bekannteste dieser zehntausenden »afghanischen Araber« aus vierzig Ländern wurde der saudische Staatsbürger Osama bin Laden, späterer al-Qaida-Chef und Drahtzieher des 11. September.
Nach dem Sieg der afghanischen Mujahedin kehrten die ausländischen Kämpfer ab den 1990ern in ihre Heimatländer zurück, wo sie ihren »Heiligen Krieg« fortsetzen sollten – gegen die eigenen Regierungen in der arabischen Welt oder in neuen Konfliktregionen wie Bosnien, Tschetschenien, Kaschmir oder auf den Philippinen.
Der gut ins saudische Königshaus vernetzte bin Laden – bislang Werkzeug geopolitischer Interessen des Westens – entwickelte eine gefährliche eigene Agenda: »Ich erkannte, dass es nicht genug war in Afghanistan zu kämpfen, sondern dass wir an allen Fronten kämpfen mussten, ob gegen kommunistische oder westliche Unterdrückung«, so bin Laden 1995 über seine Zeit am Hindukusch. Für den Sohn eines einflussreichen Bauunternehmers war die dauerhafte Stationierung von US-Soldaten in Saudi-Arabien, der Wiege des Islams, infolge des Kuwaitkriegs 1990 zum Fanal geworden.
So ist es zu erklären, dass fünfzehn der neunzehn Attentäter des 11. Septembers saudische Staatsbürger waren. Die Rolle des saudischen Königshauses bleibt, wie viele andere Fragen rund um die Anschläge, bis heute ungeklärt. Die Hauptlast des »Kriegs gegen den Terror« trugen derweil andere Länder, allen voran Afghanistan und der Irak.
Kurz nach den Terroranschlägen des 11. September erklärte US-Präsident George W. Bush Osama bin Laden zum Hauptverantwortlichen. Zugleich forderte er von dem Taliban-Regime in Afghanistan, das dem al-Qaida-Chef Unterschlupf gewährte, diesen unverzüglich auszuliefern. Da die Taliban unter Verweis auf fehlende Belege ablehnten, begann im Oktober 2001 der jüngste Afghanistankrieg. Ziel war es, bin Laden zu fassen und sowohl al-Qaida als auch die mit ihm verbündeten Taliban in Kabul auszuschalten.
»Wir werden keinen Unterschied machen, zwischen den Terroristen, die diese Taten begangen haben, und denen, die ihnen Unterschlupf gewähren«, erklärte der damalige US-Präsident Bush – eine Logik, die durch den UN-Sicherheitsrat bestätigt wurde. Gleiches galt für Washingtons Berufung auf das staatliche Selbstverteidigungsrecht nach Terrorangriffen. Dennoch bleibt die weitreichende Interpretation dieser UN-Resolutionen als Rechtfertigung für die Intervention in Afghanistan völkerrechtlich höchst umstritten.
»Den Terrorvorwurf gegen ein UN-Mitglied als Rechtfertigung für einen Angriffskrieg zu nutzen, schuf einen gefährlichen Präzedenzfall.«
Die Intervention führte rasch zum Sturz der Taliban und Bush verkündete nun das Ziel, eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu errichten. Um die neue Regierung und den Wiederaufbau abzusichern, mandatierte die UN eine hauptsächlich von NATO-Ländern gestellte Sicherheitstruppe (ISAF), auch unter Beteiligung der Bundeswehr. Doch infolge des baldigen Wiedererstarkens der Taliban, die nicht am Staatsaufbau beteiligt und von Pakistan unterstützt wurden, musste die Mission erheblich ausgeweitet werden. 2011 waren auf ihrem Höhepunkt 130.000 Soldaten aus fünfzig Ländern am Hindukusch stationiert.
Der neuerliche Krieg gegen die islamistischen Guerillakämpfer und der mühselige Staatsaufbau, der religiöse Elemente, wie etwa in den islamischen Republiken Iran und Pakistan negierte, wurden zu einem Treibsand, der Menschen, Material und Geld verschlang und 2021 mit den dramatischen Bildern des »Falls von Kabul« endete. Dieser bedeutete die vollständige Rückeroberung Afghanistans durch die Taliban und das Ende der Hochphase des »Kriegs gegen den Terror«.
Der Einsatz am Hindukusch scheiterte auch, weil ab 2003 wesentliche US-Ressourcen in den wohl verheerendsten Krieg seit dem 11. September flossen: den völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak. 2002 hatten die USA erklärt, ausländischen Bedrohungen künftig auch ohne Hinweise auf bevorstehende Angriffe präventiv mit Gewalt zu begegnen. Diese Doktrin ermöglichte es, schon allein den Widerstand gegen US-Interessen zur Bedrohung zu erklären. Am Irak und dessen Diktator Saddam Hussein, einem Intimfeind der US-Außenpolitik, sollte ein Exempel statuiert werden.
Neben der Lüge über angebliche Massenvernichtungswaffen versuchten die USA und Großbritannien, den Irakkrieg durch frei erfundene Verbindungen zwischen Saddam Hussein und al-Qaida zu rechtfertigen. In Wirklichkeit aber waren der arabische Nationalist und die Islamisten seit jeher verfeindet.
Den Terrorvorwurf gegen ein UN-Mitglied als Rechtfertigung für einen Angriffskrieg zu nutzen, schuf einen gefährlichen Präzedenzfall. Zehn Jahre nach dem Ende der Sowjetunion gefiel sich Washington in diesem unipolaren Moment als Weltpolizist. Die UN-Charta mit ihrem Gewaltverbot spielte dabei keine Rolle.
Deutschland und Frankreich protestierten zwar zunächst und verweigerten Bodentruppen, reihten sich nach dem Fall Bagdads aber schnell wieder ein, etwa in Form von Überflugrechten für US-Transportflugzeuge.
Wie schon in Afghanistan scheiterte der Versuch, einen Irak nach westlichen Vorstellungen und Interessen zu formen. Die planlose US-Besatzung wurde schnell von den Komplexitäten des Landes eingeholt. Zusammen mit dem Machtvakuum nach dem Sturz Saddam Husseins öffnete die Besatzung der USA – in einer bitteren Ironie der Geschichte – Tür und Tor für Islamistengruppen wie al-Qaida, die schon bald einen jahrelangen bewaffneten Aufstand begannen.
Nur drei Jahre nach dem Abzug aus dem Irak 2011 sah sich Washington erneut dazu veranlasst, militärisch einzugreifen – diesmal, um die neue Terrorgruppe des Islamischen Staates (IS) und ihr Kalifat im Irak und in Syrien zu bekämpfen, das zeitweise bis zu 12 Millionen Menschen beherrschte. Der »Krieg gegen den Terror« war zur selbsterfüllenden Prophezeiung geworden.
Ähnliche Dynamiken zeigten sich ab 2011 in Libyen, wo der NATO-geführte Sturz von Muammar al-Gaddafi – unbeabsichtigt, aber kaum überraschend – ebenfalls zum Einfallstor für den IS wurde.
Nicht nur in Westasien und Nordafrika löste der »War on Terror« eine Welle des Antiamerikanismus aus. Befeuert wurde diese nicht zuletzt auch dadurch, dass die Grenzen zwischen den Terroristen und ihren Bekämpfern zunehmend verschwammen. So wurde das Ansehen des Westens durch zahlreiche Kriegsverbrechen schwer beschädigt, darunter das willkürliche Töten von Zivilisten an allen Fronten, das als Kollateralschaden in Kauf genommen wurde.
Ferner stützten sich die USA in Afghanistan auf skrupellose Warlords und setzten im Irak weißen Phosphor als Brandwaffe in Städten ein. Und unter Obamas Präsidentschaft entfesselte Washington in Pakistan, Jemen und Somalia einen völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg, der diese Länder, die zu den ärmsten des Planeten gehören und dementsprechend ideale Rekrutierungsgebiete für Terrorgruppen sind, weiter destabilisierte.
Zu Symbolen für den brutalen Konflikt wurden Fotos aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib, die US-Soldaten bei sadistischer Folter zeigten, sowie das Haftlager Guantanamo Bay. Letzteres richteten die USA auf Kuba ein, um mutmaßliche Terroristen, denen man den Kombattantenstatus verweigerte, unter drakonischen Haftbedingungen außergerichtlich zu verhören und zu foltern.
»Hybris war es, zu glauben, ganze Länder und regionale Ordnungen ließen sich unter Bombenhagel nach westlichen Wünschen umgestalten.«
Parallel dazu errichtete die CIA ein weltweites Netz an Geheimgefängnissen. Viele Verbündete, darunter Deutschland, unterstützten die USA indes bei illegalen Praktiken wie Verschleppungen. Zudem stärkten die USA autoritäre, pro-westliche Regime in Ländern wie Ägypten, Jordanien, Marokko oder den Golfstaaten, indem sie diese zu repressiven Antiterrorgesetzen drängten.
Dieser Autoritarismus macht aber auch vor den westlichen Gesellschaften nicht halt. Die Befugnisse der Sicherheitsbehörden wurden massiv ausgeweitet und es begann die automatisierte, flächendeckende Internetüberwachung und Massendatenspeicherung, deren Vereinbarkeit mit den Prinzipien liberaler Demokratie bis heute kontrovers diskutiert wird.
Ein weiteres Vermächtnis des »Kriegs gegen den Terror« ist der anhaltende antimuslimische Rassismus im Westen und darüber hinaus. Westliche Medien verklärten den Islam zur ultimativen Antithese zur angeblich zivilisierten westlichen Moderne.
Die Tatsache, dass die USA den Nährboden für den Islamismus bereitet hatten, indem sie während des Kalten Kriegs aus geopolitischem Kalkül heraus Autokratien in der WANA-Region unterstützt und deren unzufriedene Islamisten für den Kampf gegen die Sowjets, antikoloniale Nationalisten oder Kommunisten hochgerüstet hatten, wurde ausgeblendet.
Zum Ziel westlichen Zorns wurden diese einstigen Kollaborateure amerikanischer Geopolitik erst, als sie die USA selbstbewusst herausforderten. Zugleich dienten die Terroristen als willkommener Vorwand, um gegen andere unliebsame Widersacher in Westasien und Nordafrika vorzugehen und die dortige US-Hegemonie zu festigen.
Fanatischer Sektarismus und global verfolgte US-Interessen stehen also, anders als in Benjamin Barbers berühmtem Buch Jihad vs. McWorld behauptet, nicht in einem Widerspruch zueinander. Vielmehr wird islamistische Gewalt durch die Einmischung der USA oftmals bedingt, verstärkt oder von Washington instrumentalisiert, weshalb Vijay Prashad den Begriff »McJihad« demgegenüber gestellt hat.
Das zeigt sich etwa am Beispiel von Ahmed al-Scharaa. Der Islamistenführer und ehemalige hochrangige al-Qaida-Terrorist regiert heute unter amerikanisch-israelischer Gnade Syrien und soll in einer zynischen Wendung vor der diesjährigen UN-Vollversammlung in New York sprechen. Gewalttätiger Islamismus ist offenbar nur dann ein Problem, wenn er sich gegen den Westen richtet.
Der »War on Terror« war ein zeitlich, geografisch und politisch entgrenzter Krieg gegen Phantome, nicht aber gegen deren Ursachen, der Länder von Mali bis zu den Philippinen heimsuchte. Aber handelte es sich dabei wirklich um einen Krieg? Angesichts fehlender völkerrechtlicher Mandate, seiner umfassenden Einsatzlogik, unklarer Ziele und menschenrechtswidriger Praktiken lässt er sich eher als globale, ungezügelte und vigilantische Aufstandsbekämpfung verstehen.
Dass sich die USA der Rechtswidrigkeit vieler ihrer Vorhaben bewusst waren, zeigt ein 2002 erlassenes Gesetz, umgangssprachlich als »Hague Invasion Act« bekannt. Dieses verbietet die Auslieferung von US-Bürgern an den Internationalen Strafgerichtshof und erlaubt sogar militärische Gewalt zur Befreiung von potenziell in Den Haag inhaftierten US-Offiziellen.
Schätzungsweise 4,6 Millionen Menschen verloren durch direkte und indirekte Folgen des westlichen Antiterrorkriegs ihr Leben. Einer konservativen Schätzung der Brown University zufolge wurden mindestens 37 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen (wahrscheinlich jedoch 48 bis 59 Millionen), die meisten davon Binnengeflüchtete. Nur der Zweite Weltkrieg erzeugte mehr Vertriebene. Der Nährboden für den Terrorismus von morgen ist also schon bereitet.
Der längste Krieg der US-Geschichte verursachte zudem unvorstellbare wirtschaftliche Kosten. Schätzungsweise 8.000 Milliarden US-Dollar flossen in die »Forever Wars« im Rahmen des westlichen »Kriegs gegen den Terror« und wurden zum Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie. Von Anfang an war es Irrsinn, asymmetrischem Terror, der seine Unterstützer auch aufgrund von sozioökonomischen Verwerfungen findet, primär militärisch statt mit gerechter wirtschaftlicher Entwicklung, politischer Selbstbestimmung, Rechtsstaat und Diplomatie zu begegnen. Hybris war es, zu glauben, ganze Länder und regionale Ordnungen ließen sich unter Bombenhagel nach westlichen Wünschen umgestalten.
Weltweit dient die Terrorbekämpfung inzwischen als Vorwand für repressive Maßnahmen, die damit nicht in Zusammenhang stehen – etwa in der Migrations- und Asylpolitik oder gegen unliebsamen politischen Aktivismus. Es ist eine Form der Repression, an die wir uns schon lange gewöhnt haben. Russland, China und Indien nutzten die Entgrenzung des Terrorbegriffs und den neuen Konsens für seine militärische Bekämpfung derweil, um Separatisten in Tschetschenien, Xinjiang und Kaschmir militärisch zu bekämpfen.
Die inzwischen zur Terrorbekämpfung akzeptierten Maßnahmen leisten währenddessen ebenso Vorschub für den Völkermord in Gaza. So beruft sich Israel etwa auf das Recht auf Selbstverteidigung, obwohl dieses Israel nicht zusteht, da die Hamas aus einem von Israel völkerrechtswidrig kontrollierten Besatzungsgebiet operiert.
Der »War on Terror« zeigte, dass der Westen im Zweifel bereit ist, das Völkerrecht systematisch zu brechen und sich zur Durchsetzung seiner Interessen in Kolonialherrenmanier auf das Recht des Stärkeren zu verlassen. Diese Heuchelei der selbsternannten Hüter der regelbasierten Weltordnung öffnete die Büchse der Pandora. Dem Westen gelingt es daher kaum, im Globalen Süden eine Verurteilung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffs auf die Ukraine zu erreichen. Der israelische Völkermord in Palästina verdeutlicht indes, wie stark die regelbasierte Ordnung inzwischen erodiert ist und wie wenig sich der Westen dieser noch verpflichtet fühlt.
Im Bemühen, sich angesichts des Ukrainekriegs seiner selbst zu vergewissern, verdrängt der Westen die politisch-mediale Erinnerung an den desaströsen Antiterrorkrieg, der unsere Welt gefährlicher, ungerechter und ärmer gemacht hat – ebenso wie die Lehren, die er daraus hätte ziehen sollen. Etwa, dass Krieg keine Antwort auf Terror ist, dass die Entfesselung sektiererischer Fanatiker unkalkulierbare Risiken birgt und vor allem, dass sich ganze Länder und Regionen nicht mit Gewalt nach westlichem Gutdünken umformen lassen.
Amadeus Marzai ist Historiker und Politikwissenschaftler und hat Internationale Beziehungen an der Universität Leiden studiert.