05. Mai 2022
Durch eine Übergewinnsteuer könnten Unternehmen, die am Krieg verdienen, effektiv besteuert werden. Das wäre nicht nur gut für die Wirtschaft, sondern würde auch die Macht der Megakonzerne einschränken.
Finanzminister Christian Lindner bei einer Pressekonferenz, Berlin, 27. April 2022.
Es ist schon etwas skurril. Die angeblich so fortschrittliche Ampel wird von der konservativen Regierung Italiens links überholt. Einen Tag nach dem sich die Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang für eine kriegsbedingte Übergewinnsteuer aussprach, verkündet Italiens Premierminister Mario Draghi, dass er die geplante Übergewinnsteuer für Energieunternehmen von 10 Prozent auf 25 Prozent anheben möchte. Damit sollen jene zur Kasse gebeten werden, die überdurchschnittliche Gewinne – sogenannte Übergewinne – gemacht haben. Diese Übergewinne sind vor allem durch einen Anstieg der Börsenpreise entstanden. Laut Draghi würden mit seinem Vorschlag 10 Milliarden Euro für Italien zusammenkommen.
Eine Übergewinnsteuer auf die Kriegsgewinne von Energieunternehmen hat im März auch schon der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorgeschlagen. Seitdem hat sich in Deutschland nichts getan – bis Ricarda Lang am Montag in einer Pressekonferenz sagte: »Wenn wir im Moment sehen, [...] dass einige Konzerne wissentlich und vor allem übergebührlich am Horror dieses Krieges verdienen, dann sollten wir doch eine Übergewinnsteuer einführen.« Langs Vorschlag geht damit einige Schritte weiter als der von Habeck, da er womöglich nicht nur die Energieunternehmen sondern auch die Rüstungsindustrie umfassen könnte. Darauf antwortete die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium Katja Hessel: »Unsere Unternehmen sind bereits mehrfach belastet: durch die Nachwehen der Corona-Pandemie, die hohen Energiepreise sowie zusammengebrochene Lieferketten«.
Dieser Einwand ist jedoch haltlos. Es würden nämlich eben nicht die bereits belasteten Unternehmen besteuert werden, sondern jene, die übermäßig profitiert haben. Hessel behauptet außerdem man würde durch die Debatte um Steuererhöhungen »Unsicherheit schüren«, was wiederum keine guten »Rahmenbedingungen für neues Wachstum« setze. Das Gegenteil ist der Fall. Um gerade für kleine und mittlere Unternehmen die Sicherheit zu erhöhen, muss der Staat in den Markt eingreifen, wenn große Unternehmen übergebührlich profitieren. Eine Beschränkung der Macht von marktbeherrschenden Unternehmen und möglicherweise sinkende Energiepreise sind notwendig, um gute Rahmenbedingungen für neues Wachstum zu schaffen – das müsste eigentlich selbst den überzeugtesten Marktwirtschaftlern klar sein.
Doch auch Lindner schreckt davor zurück. So entgegnete er auf Habeck, der weiter an der konkreten Ausgestaltung tüftelt, dass die Übergewinnsteuer die Anreize und Möglichkeiten der Produktionsausweitung von Unternehmen hemmen würde, da die Steuer deren Gewinn verringere. Da die Übergewinnsteuer allerdings nur für eine überschaubare Zeit erhoben werden würde, ist kaum damit zu rechnen, dass sich Lindners Warnungen bewahrheiten würden. Hinzu kommt, dass Unternehmen auch dann noch investieren, wenn es nur normale Gewinnerwartungen gibt. Sinkende Investitionen sind letztlich auch deswegen nicht zu befürchten, da diese nur zu sehr geringem Anteil aus Gewinnen finanziert werden.
Die Grünen hatten sich schon im Wahlkampf für eine generelle Übergewinnsteuer ausgesprochen und die Linksfraktion hatte bereits im Juni 2021 einen Antrag im Bundestag eingebracht, um die coronabedingten Übergewinne abzuschöpfen. Laut Koalitionsvertrag soll es jedoch keine neuen Steuern geben. Auch Scholz ist dagegen und argumentiert, eine Übergewinnsteuer sei nicht notwendig, da die Gewinne ja bereits besteuert würden. Das ist ungefähr so, als würde man die Erhöhung der Erbschaftssteuer für überflüssig erklären, weil das Vermögen ja schonmal beim Einkommen versteuert wurde. Doch Unternehmensgewinne, die zu hoch sind, schaden der Wirtschaft und der Gesellschaft – und genau da setzt die Übergewinnsteuer an.
Wirtschaftsliberale Ökonomen behaupten immer wieder, dass die zu besteuernden Gewinne kaum feststellbar seien. So sagte der Chef des neoliberalen Ifo-Instituts Clemen Fuest gegenüber der FAZ: »Für Zwecke der Besteuerung ist schlicht nicht feststellbar, ob einzelne Unternehmen ›übergebührlich‹ von einer Krisensituation profitieren«. Es stimmt zwar, dass der Staat an den Gewinnen nicht erkennen kann, wie genau sie entstanden sind. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch: Wenn ein etablierter Großkonzern eklatante Gewinnsprünge erzielt, dann liegt der Schluss nahe, dass diese »übergebührlich« sind. Der kausale Zusammenhang lässt sich also sehr wohl eingrenzen.
Italien macht indessen schon einmal vor, wie sich eine Übergewinnsteuer umsetzen lässt. Diese bezieht sich auf Energieunternehmen und einen Zeitraum von Oktober 2021 bis März 2022. Um kleine Energieunternehmen auszuschließen und den Gewinnzuwachs zu erfassen, werden nur die Gewinne mit 25 Prozent zusätzlich besteuert, die den Gewinn aus dem Vorjahreszeitraum um mindestens 5 Millionen Euro übersteigen. Zusätzliche Gewinne machen Unternehmen also auch mit der Steuer – nur eben etwas weniger Zusatzgewinne.
Es gibt aber auch noch andere Modelle der Übergewinnsteuer. So schlug zum Beispiel der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher vor, dass der Staat »zeitweise eine Steuer von 50 Prozent auf die Marge zwischen Rohölpreis und Großhandelspreis von Benzin und Diesel legen« solle. Auch aus anderen Ländern gibt es Beispiele. So hat das Parlament in Rumänien beschlossen, dass 80 Prozent aller Einnahmen von Stromerzeugern besteuert werden, die einen Preis von 91 Euro pro MWh übertreffen. In Bulgarien wiederum werden gezielt Atomkraftwerke besteuert. Auch die Europäische Kommission empfahl ihren Mitgliedsstaaten die Besteuerung von Übergewinnen. Nicht zuletzt gibt es historische Beispiele einer Übergewinnsteuer. So wurden 1941 in den USA Renditen über 8 Prozent mit 90 Prozent besteuert und in Großbritannien wurden ab 1915 Gewinne, die jene des Vorjahres überstiegen, mit 80 Prozent besteuert.
Um zu verhindern, dass Unternehmen die Preise einfach erhöhen, um Gewinnverluste nach der Steuer zu vermeiden, müsste man neben einer Übergewinnsteuer auch die Preise festschreiben. Ansonsten dürfte der Anreiz zur Preiserhöhung oder auch zur Gewinnerhöhung erst abnehmen, wenn der Steuersatz bei hohen zweistelligen Werten läge. Unternehmen können jedoch auch versuchen, die Kosten zu senken, indem sie Leute entlassen oder den Gewinn durch die Erhöhung von Aufwendungen und Abschreibungen verringern. Denkbar wäre auch, dass Konzerne auf Finanzderivate zurückgreifen, die dabei helfen, Gewinne in die Zukunft zu verschieben. In jedem Fall muss vor allem die Marktmacht der Unternehmen reduziert werden. So könnten zum Beispiel russische Energieunternehmen enteignet, die staatliche Produktion aufgebaut und die Kartellkontrolle verschärft werden.
Die Energieunternehmen und die Rüstungsindustrie sind nicht die einzigen, die profitiert haben. Während der Pandemie haben die Gewinne von vielen Megakonzernen, vor allem in der Digitalbranche, Rekordhöhen erreicht. Da wäre es nur konsequent, die Übergewinne aller Krisenprofiteure zu besteuern.
Auch hier liegen konkrete Konzepte auf dem Tisch. So schlug Bernie Sanders kürzlich in den USA den Ending Corporate Greed Act vor. Unternehmen mit mehr als 500 Millionen Dollar Umsatz sollen demgemäß einen Steuersatz von 95 Prozent auf Gewinne bezahlen, die den inflationsbereinigten Durchschnittsgewinn von 2015–2019 überschreiten. Dies soll für die Jahre 2022, 2023 und 2024 gelten und darf 75 Prozent der Einnahmen nicht überschreiten. Allein die dreißig größten Unternehmen müssten rund 400 Milliarden Dollar zahlen. Solch eine Steuer würde die Krisengewinner aus allen Branchen treffen. Auch prominente Ökonomen wie die Berkeley-Professoren Gabriel Zucman und Emmanuel Saez unterstützen den Vorschlag.
Die Gegenargumente des ökonomischen Mainstreams stehen auf wackligen Füßen. Sie behaupten etwa eine Übergewinnsteuer würde den Wettbewerb verzerren. Tatsächlich verzerren jedoch die im Zuge der Krise entstandenen Gewinne, die einige Unternehmen noch mächtiger gemacht haben, den Wettbewerb massiv. Denn durch ihre immense Marktmacht, können sie ihre Konkurrenz entweder im Preiswettbewerb unterbieten oder schlichtweg aufkaufen. Dadurch werden nicht nur die Konzerne noch mächtiger, da ihr Unternehmenswert und auch die erwarteten Gewinne steigen, auch die Superreichen werden reicher. Von den Übergewinnen profitieren also auch Jeff Bezos und Mark Zuckerberg.
Die Übergewinnsteuer ist also nicht nur gut für die Wirtschaft, sondern würde auch die Macht der Megakonzerne einschränken. Nur wenn diese gebrochen wird, kann eine sozialistische Marktwirtschaft entstehen – samt Wachstum, Vollbeschäftigung und Innovation.
Lukas Scholle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag für Finanzpolitik und betreibt den Podcast Wirtschaftsfragen.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.