11. Dezember 2025
Mirze Edis ist ausgebildeter Stahlbauschlosser, erfahrener Betriebsrat und industriepolitischer Sprecher der Linksfraktion. Im Interview spricht er darüber, was er gegen die Deindustrialisierung unternehmen würde und woran er AfD-Wähler im Betrieb erkennt.

Mirze Edis will die Interessen der Industriearbeiter vertreten – wie als Betriebsrat, so auch als Bundestagsabgeordneter.
Über 5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland hängen an der Stahlindustrie, und viele von ihnen sind aktuell bedroht. Laut Institut der deutschen Wirtschaft könnten über 600.000 davon in den nächsten Jahren wegfallen, sollte die jetzige Krise in der Branche sich weiter verschärfen. Doch was die Ursache dieser Krise ist und wie sie zu lösen wäre, bleibt heiß umkämpft. Laut vielen Industrievertretern und der aktuellen Bundesregierung liegt sie vor allem an unfairer Konkurrenz aus China, die den europäischen und nordamerikanischen Markt mit stark subventioniertem »Billigstahl« flutet.
Unabhängig davon, wie man die Ursachen der Krise bewertet, ist klar, dass sie real ist und die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen in der Bundesrepublik akut bedroht. Weniger klar ist, ob und wie die Industrie noch zukunftsfähig gemacht werden kann. Einer, der Antworten darauf liefern will, ist Mirze Edis, industriepolitischer Sprecher der Linken im Bundestag und Betriebsrat bei den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann in Duisburg.
Als im Herbst die Bundesregierung zum »Stahlgipfel« einlud, organisierte Mirze zusammen mit anderen Abgeordneten eine eigene Stahlkonferenz, auf der sich Gewerkschafter und Wissenschaftler zur Lage der Industrie und zu Möglichkeiten der Industriepolitik austauschten. Im Nachgang der Konferenz sprach er mit Jacobin darüber, warum manche Arbeiter die AfD wählen, ob Die Linke eine Arbeiterpartei ist und warum er schmunzeln muss, wenn bestimmte Politiker über Industriearbeitsplätze sprechen.
Mirze, Du bist industriepolitischer Sprecher der Linksfraktion. Du bist aber auch Betriebsrat bei den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann und ausgebildeter Stahlbauschlosser. Wie bist Du zum Stahlbau gekommen, und wie hat sich die Arbeit in den letzten dreißig Jahren verändert?
Wenn Du in Duisburg groß wirst, dann träumst Du von der Stahlindustrie. Damals war das so. Jeder wollte irgendwie dort eine Beschäftigung, sei es Schlosser, Dreher, Schweißer, Elektroniker. Du wolltest unbedingt in der Stahlindustrie arbeiten. Das war für alle Jugendlichen der Traum. Mein Onkel hat in einem Stahlwerk gearbeitet, die älteren Brüder haben im Stahlwerk gearbeitet. Mein Vater hat in der Industrie gearbeitet, im gleichen Unternehmen wie ich.
Mein Vorteil bei dieser ganzen Geschichte ist, dass ich noch die Zeit der Gastarbeiter erleben durfte, die nach Deutschland gekommen sind. Ich habe die erste Generation noch miterlebt, von Italienern, Griechen, Spaniern und Türken, Marokkanern und teilweise auch Koreanern. Das waren für mich die interessantesten Begegnungen. Ich bin ja mit ziemlich jungen Jahren in den Betriebsrat reingekommen. Ich war da 22, und weil ich auch damals eine große Schnauze hatte, haben die mir gesagt: »Du musst in den Betriebsrat rein.« Und so hatte ich dann Kontakt mit all den Menschen und auch mit deren Geschichten.
Von daher kommt auch diese emotionale Aufregung bei mir, immer wenn die AfD irgendetwas von sich gibt und rumschreit von wegen »Migration«. Ich weiß, in welchen Bereichen die Menschen gearbeitet haben. Das waren gerade die Arbeitsplätze, die die Deutschen nicht besetzen wollten. Sei es in der Stahlindustrie, sei es bei der Müllabfuhr. Die Müllabfuhr bestand damals in Duisburg hauptsächlich aus Marokkanern, Italienern und Türken, weil die Deutschen sich zu schade waren, den Müll von anderen Menschen wegzuräumen. Deshalb sage ich immer: Das Land gehört mir! Nicht irgendwelchen Scheiß-AfDlern, sondern es ist mein Land. Und ich lasse nicht zu, dass die unsere Demokratie kaputt machen, und alles, was wir hier hart erarbeitet und erkämpft haben, auch im Bereich Tarif und Mitbestimmung.
»Im Stahlwerk wechseln Menschen dreimal, viermal, fünfmal am Tag ihre Hemden, weil sie klitschnass werden durch die Hitze.«
Aber damals war es eben auch noch so, dass die Gewerkschaften sehr stark waren, die Betriebsräte sehr stark waren. Allein wegen der Anzahl der Mitarbeiter. In den Zeiten, als mein Vater gearbeitet hat, waren es ungefähr 15.000 Menschen in diesem Werk. Dementsprechend gab es auch die großen Betriebsratsgremien mit 39 oder 40 Betriebsräten. Heute sind es ungefähr 3.000 Beschäftigte mit 23 Betriebsräten. Gott sei Dank sind wir noch in der Montan-Mitbestimmung, aber wenn man unter 2.500 fällt, ist das auch fraglich.
Du bist als ausgebildeter Stahlbauschlosser im Bundestag eher die Ausnahme. Es wird oft gesagt, die Politik habe den Kontakt zu arbeitenden Menschen verloren. Erlebst Du das so auch hier in Berlin?
Ich muss schon immer schmunzeln, wenn bestimmte Leute sich über die Arbeitsplätze unterhalten und nicht die Realität in den Betrieben sehen. Wenn Merz zum Beispiel sagt, man kann doch dreizehn Stunden arbeiten, oder man kann ja wohl auch bis siebzig arbeiten. Der ist ja gerade siebzig geworden – den will ich mal im Stahlwerk sehen, wie lange der dort durchhält. Da sind Menschen, die wechseln dreimal, viermal, fünfmal am Tag ihre Hemden, weil sie klitschnass werden durch die Hitze. Es ist staubig, es ist dunkel.
Das sind dumme Sprüche, was die Leute von sich geben. Das sind populistische Schwätzer. Und das ist eben nicht nur die AfD – die CDU macht das mittlerweile genauso. Ich glaube, ein Norbert Blüm, wenn der das sehen könnte, was die jetzige CDU da so von sich gibt, der würde sich 30-mal im Grabe umdrehen, auferstehen und denen auf die Schnauze geben.
Also Du merkst natürlich, dass die Leute hier über 80 Prozent Akademiker sind. Aber bei uns bei den Linken gibt es tatsächlich sehr viele Leute, die aus dem Gewerkschaftsbereich kommen, auch vom Krankenhaus oder aus der Automobilindustrie. Ich glaube, ich werde in meiner Fraktion besser verstanden als in jeder anderen Fraktion.
Würdest Du sagen, die Linke ist eine Arbeiterpartei?
Ja, definitiv. Ich weiß nicht, wie das in den vergangenen Jahren war, ob das tatsächlich die Priorität hatte, die es jetzt hat. Aber ich kann für jetzt sprechen und sagen: Ja, das hat eine sehr große Bedeutung für die Fraktion. Und meine Aufgabe ist, dass das so bleibt. Dass das genauso wichtig ist wie Mietendeckel, Bürgergeld, Rente und Friedenspolitik. Das muss eine der Säulen unserer Fraktion werden. Man kann vielleicht sagen, dass andere Themen jetzt gerade noch ein bisschen mehr Priorität haben als die Industriearbeitsplätze. Aber man sieht und spürt, dass das Thema mittlerweile sehr gut angekommen ist und auch das Interesse an unserer Stahlkonferenz groß war.
Und zwar nicht nur von der gewerkschaftlichen Seite – mittlerweile ist auch die Arbeitgeberseite interessiert an unserer Wirtschaftspolitik. Wir hatten gestern mit der Wirtschaftsvereinigung Stahl ein Treffen und hoffen auf eine vertrauensvolle, gute Zusammenarbeit. Weil wir sagen: Wir stecken jetzt gerade erst mal im gleichen Boot und wir dürfen es nicht sinken lassen. Und alle anderen Probleme, Kleinigkeiten, Auseinandersetzungen, die wir haben, können wir im Nachhinein austragen, wenn wir die Arbeitsplätze gerettet haben.
Also sind sich von Merz bis zur Linkspartei, vom Arbeitgeberverband bis zur Gewerkschaft alle einig?
Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Alle tun so, als ob jetzt die Stahlindustrie gerettet wird. Ich kann jetzt nur von ThyssenKrupp sagen: Die wollen weiter ihre 5.000 oder 6.000 Arbeitsplätze abbauen. Allein bei uns bei Krupp-Mannesmann wird die Hälfte der Belegschaft in der nächsten Zeit abgebaut.
Die Bundesregierung darf nicht nur Lippenbekenntnisse abgeben, dass sie die Stahlindustrie retten will, sondern sie muss sehr hart und ehrgeizig daran arbeiten. Aber sie hat überhaupt keinen business case. Also mir ist das nicht klar. Was wollen die mit der Industrie? Wollen sie dieses Thatcher-Modell für Deutschland: Weg von der Industrie, nur noch irgendwie Dienstleistungen, Bankensektor, Versicherungssektor? Aber wir sind nicht Großbritannien. Wir haben kein Commonwealth, das uns aus der Patsche hilft.
Alleine, was die Automobilindustrie an Personalabbau angekündigt hat, was die Chemieindustrie angekündigt hat – bei diesem Tempo hast Du in drei Jahren in Deutschland gar keine Industrie mehr. Es gibt so viele Patente in Deutschland, so viel Potenzial. Grüne, erneuerbare Energie, Wasserstoff-Technologien, aber auch Anlagenbau und all solche Geschichten. Damit kannst Du auch richtig Geld verdienen und als Deutschland noch mal Weltklasse werden.
»Jetzt muss die Regierung sagen: Ich möchte mit in den Aufsichtsrat. Und ich möchte auch mal mein Veto einlegen, wenn Du beschließt, alle zwei Jahre Deinen Aktionären Geld hinterherzuwerfen als Dividende, obwohl kein Geld da ist.«
Was sind denn Kernpunkte, an denen sich Eure Politik unterscheidet von dem, was die Bundesregierung jetzt vorschlägt?
Wir reden zum Beispiel bei unserer Stahlkonferenz viel mehr über Staatsbeteiligung. Wenn wir Gelder geben, dann müssen diese Gelder auch mit Forderungen verknüpft sein: Standortsicherung, kein Arbeitsplatzabbau oder Ersatzarbeitsplätze. Mit der Transformation werden wir einige Routen nicht mehr haben. Kokerei, Hochofenroute, Hafenroute. Das sind Arbeitsplätze, die abgebaut werden und abgebaut werden müssen.
Unsere Position ist, dass die Bundesregierung die Länder dabei unterstützen sollte. Auch die Länder haben ja ein großes Interesse daran, dass diese Stahlwerke nicht zu machen. Zum Beispiel Bremen, mit Arcelor-Mittal. Aber auch bei Thyssen-Krupp und Hüttenwerke Krupp-Mannesmann. Wir sehen, dass die Salzgitter AG und Saarstahl vergleichsweise die wenigsten Probleme haben, weil sie andere Modelle haben und nicht für ihre Aktionäre arbeiten.
Also bei den Hüttenwerken mit Landesbeteiligung sieht die Sache besser aus?
Da funktioniert das wesentlich besser als bei uns bei Thyssen, ja. Wenn ich alleine sehe, dass die jetzt mit dieser Jindal-Group irgendwelche Geschäfte machen wollen. Das ist ein Weltkonzern, der die Welt im Auge hat, und der wird natürlich nur dort produzieren, wo er am günstigsten seinen Stahl produzieren kann. Da ist diese Verantwortung gegenüber einer Region gar nicht so gegeben wie etwa bei der Salzgitter AG.
Es kann ja nicht angehen, dass wir dann irgendwie nur noch Dienstleistungstätigkeiten in Duisburg, im Ruhrgebiet bekommen. Und das wird sicherlich nicht dazu beitragen, dass Duisburg eine Zukunft hat. Letztendlich wird alles auch umgewälzt auf die Bürgerinnen und Bürger, die in Duisburg leben. Je weniger Steuereinnahmen ich in einer Stadt habe, desto höher sind halt die Kosten für Müllabfuhr, Straßenreinigung, Kindergarten. Und das führt letztendlich dazu, dass die Menschen abwandern und sagen: Ich kann mir das alles gar nicht mehr leisten.
Die Familie Jindal hat wohl kein großes Interesse daran, was jetzt aus dem Ruhrgebiet wird. Und dass die nicht großartig was mit Gewerkschaften und Mitbestimmungsrechten am Hut haben, ist wohl auch offensichtlich. Deshalb ist es fatal, so einem Konzern zu sagen: Okay, komm, übernimm mal die Mehrheit. Die Landesregierung muss in so einem Fall sagen: 25 Prozent übernehme ich.
Das sagt auch die IG Metall mittlerweile. Selbst die Wirtschaftsvereinigung sagt, dass man damit gar kein Problem hätte. Die einzigen, die damit noch ein Problem haben, sind die Regierungen. Da gibt es noch am meisten dieses kapitalistische Denken, dass sie sagen: Staatsbeteiligung ist sozialistischer, kommunistischer Dreck. Wenn das so kommunistisch wäre, würde das nicht im Artikel 15 im Grundgesetz drinstehen. Also, wenn das eine Schlüsselfunktion hat, enteignen.
Und die Regierungen haben da mehr Berührungsängste als die Arbeitgeberverbände?
Ja, den Eindruck haben wir jetzt. VW hat auch eine Landesbeteiligung mit 20 Prozent, die stört das auch nicht. Aber denen geht es ja noch vergleichsweise gut. Bei ThyssenKrupp sieht es tatsächlich sehr schlecht aus. Die müssen vom Staat, vom Land noch weiter unterstützt werden. Nicht um Thyssen zu retten, sondern um die Belegschaft zu retten, um die Arbeitsplätze zu retten. Jetzt muss die Regierung sagen: Du machst mir zu viel Blödsinn. Ich möchte mit in den Aufsichtsrat. Ich möchte sehen, was Du da machst. Und ich möchte auch mal mein Veto einlegen, wenn Du beschließt, alle zwei Jahre Deinen Aktionären Geld hinterherzuwerfen als Dividende, obwohl kein Geld da ist.
Haben Länder wie China mit starker staatlicher Steuerung darin dann einfach einen Vorteil? Das sind staatliche Stahlunternehmen, die planen auf Dauer und haben die Regierung hinter sich.
China musst Du anders betrachten. Man kann das gut finden oder schlecht. Aber China sagt: Wenn Du diese Tasse für 10 Euro produzierst, dann zahle ich Dir 50 Prozent davon. Du verkaufst das für die Hälfte und schmeißt das auf den Markt. Lass uns erstmal alle platt machen, und dann können wir nicht mehr 5, sondern 50 Euro fordern für die Tasse. Das ist Chinas Politik jetzt gerade. Und sie haben das Geld dafür. Und die Rohstoffe.
Die Minen, die ThyssenKrupp, Mannesmann und Salzgitter AG hatten, die hat man alle verkauft, weil man gesagt hat: Das ist nicht Kerngeschäft. Wir kriegen das auch auf dem Markt immer ziemlich günstig. Der Russe beliefert uns mit Gas, und das ist auch sehr günstig. Warum müssen wir das selber haben? Du konntest von Thyssen Gas kaufen, konntest von Thyssen Kohle kaufen. Mein Vater hat seine Kohle bei Mannesmann gekauft, um die Wohnung zu heizen. Aber die haben sich alle von allem getrennt. Die haben das alles irgendwie verkauft. Und die Chinesen haben das aufgekauft. Die haben jetzt so viele Minen in Südafrika, Brasilien und sonstwo. Deshalb sind sie auch so günstig und günstiger als die Europäer.
»Das sind die Kollegen, die sich vor Schichtbeginn an der Tankstelle zwei Flachmänner und die Bildzeitung holen, sich dann während der Arbeit irgendwie diese zwei Flachmänner reinschmeißen, die Bildzeitung lesen und am Ende dann die AfD wählen.«
Die Veränderungen, die Du angesprochen hast, das Ende von Hochofenroute und Kokerei, das bezieht sich ja auf die Umstellung auf Grünen Stahl. Beim Stahlgipfel von Merz war davon wenig zu hören. Aber ihr als Linkspartei steht auf jeden Fall zur Umstellung auf Grünen Stahl?
Das ist die Hauptforderung. Das sagt nicht nur Die Linke, sondern auch die Gewerkschaften. Die sagen selber: Wir müssen jetzt gucken, dass wir von dieser Umweltverschmutzung wegkommen, dass wir zum Grünen Stahl kommen. Klar gibt es da Zwischenstationen. Aber wir müssen jetzt mal anfangen mit der Transformation.
Ich meine, wenn man so hinter geschlossenen Türen mit den Leuten redet, sei es der Arbeitgeberverband, seien es die Gewerkschaften, die sagen: Wir haben jetzt erst mal eine Strompreisregelung für drei Jahre. Aber was passiert nach drei Jahren? Das ist ja auch keine Planungssicherheit. Wie soll man da einen Kredit bekommen? Die brauchen ja nicht nur ein paar Millionen. So eine Anlage kostet 300 Milliarden Euro. Die Bank fragt natürlich: Was ist Dein Zehnjahresplan?
Und die Umstellung auf Wasserstoff? Klar wollen die alle. Aber die Sache ist: Zu welchem Preis kriege ich das? Wie viel kriege ich? Und woher? Und es ist ja nicht ein Kilometer Pipeline gebaut worden! Man hofft darauf, dass man durch die Gaspipelines Wasserstoff transportieren kann. Wann fangen wir denn damit an? Also, wer trägt die ganzen Kosten? Wer wird demnächst der Besitzer der ganzen Leitungen? Ist das in öffentlicher Hand? Ist das in privater Hand? Das sind so viele Sachen, die noch nicht geklärt sind.
Wie ist denn Euer Kontakt zu den Gewerkschaften als Linkspartei? DGB und IG Metall sind ja sehr sozialdemokratisch geprägt.
Mega gut. Ich bin ja seit 31 Jahren dabei. Ich war sehr lange Zeit der Vorsitzende des Migrationsausschusses NRW. Auch daher kenne ich viele aus der IG Metall. Und ich glaube, die haben alle gemerkt, dass sie zu allen demokratischen Parteien gute Kontakte pflegen müssen und nicht nur zur SPD, sondern auch zu den Grünen beispielsweise. Denn es gibt auf der Landesebene ja auch andere Konstellationen. In NRW haben wir Schwarz-Grün. Auf der Bundesebene haben wir Schwarz-Rot. Und von daher denke ich, dass sie bereit sind, mit allen demokratischen Parteien zu arbeiten.
Wo sie natürlich berechtigterweise ein Problem haben, ist mit der AfD. Aber die AfD will ja auch keine Transformation. Die AfD will wieder zurück in die 1960er, 70er Jahre. Wenn es nach denen gehen würde, müssten wir noch mal die Bergwerke aufmachen und die Kohle noch mal aus der Erde rausholen, um Energie zu produzieren.
Aber die Inszenierung der AfD als Arbeiterpartei kommt ja an, wenn man den Wahlumfragen glaubt. Wie nimmst Du das bei Dir im Betrieb wahr?
Ich kenne die Leute ja, ich kenne diese dummen Wähler. Es gibt leider Gottes zu viele dumme Menschen, die diese dumme Partei auch wählen. Also es ist auch kein Klischee, wenn ich sage: Das sind die Kollegen, die sich vor Schichtbeginn an der Tankstelle zwei Flachmänner und die Bildzeitung holen, sich dann während der Arbeit irgendwie diese zwei Flachmänner reinschmeißen, die Bildzeitung lesen und am Ende dann die AfD wählen. Das sind genau die Typen, die kenne ich. Aber früher haben die sich noch dafür geschämt, dass sie AfD-Anhänger sind. Heute geben Sie das offen zu. Und ich brauche solche Typen bei mir nicht. Aber das sind halt Arbeitskollegen, klar.
Unter den Arbeitnehmern hast Du mehr, die die AfD wählen, als im Schnitt bei der Bundestagswahl. Das hat bei den Arbeitern tatsächlich damit zu tun, dass sie eine Perspektive haben wollen. Und die Perspektivlosigkeit führt letztendlich dazu, dass sie die AfD wählen.
»Wenn ich gesagt habe: Ich bin Betriebsrat, ich bin deutscher Staatsbürger, und der Arbeitgeber macht das und das, das ist schlecht. Dann gab es tatsächlich Leute, die gesagt haben: Ja, wenn das so furchtbar ist bei uns, dann geh doch zurück in Dein eigenes Land.«
Also wenn ich so schaue: Die letzten 15, 20, 25 Jahre hat man doch nur gegen die Menschen gearbeitet. Man hat das Rentenniveau gesenkt. Man hat Hartz IV eingeführt. Wo Du früher zwei Jahre lang Arbeitslosengeld bekommen hast, ist es plötzlich auf ein Jahr gesenkt worden. Du zahlst Dein Leben lang ein, dann wirst Du arbeitslos und muss dann doch irgendwie mit Hartz IV leben. Also damals Hartz IV, jetzt Bürgergeld – und jetzt soll sich das ja noch mal ändern. Dann kriegst Du auch erst noch Geld, wenn Du Dein ganzes Erspartes ausgegeben hast. Es ist doch nur gegen die normale arbeitende Bevölkerung Politik gemacht worden. Und die SPD wundert sich jetzt, warum sie von 40 Prozent runter gefallen ist auf 14 Prozent. Mit der Politik kannst Du auch die Arbeiter nicht mehr auf Deiner Seite haben.
Aber Du glaubst, Deine Partei kann das?
Ja, weil wir zum Beispiel auch sagen: Wir brauchen eine Reichensteuer. Die AfD hat die meisten Spenden von Unternehmen bekommen. Über 6 Millionen Euro haben sie bekommen von irgendwelchen Großkonzernen. Die können doch nicht im Interesse des kleinen Mannes handeln, das ist doch absurd. Das ist doch bekannt.
Aber wir müssen die Leute erreichen, klar. Wir müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreichen. Ich hoffe, ich kann das mit meinem Profil machen. Du hast natürlich auch manche AfD-Wähler, die die nicht nur aus Perspektivlosigkeit wählen, sondern weil sie tatsächlich Arschlöcher sind, weil sie tatsächlich Rechtsradikale sind. Ich könnte mit meinem Mund einen Vogel fangen und wäre denen nicht gut genug. Da ist Dein Aussehen dann schon Grund genug, dass sie Dich blöd finden.
Das hatte ich aber früher auch schon. Wenn ich gesagt habe: Ich bin Betriebsrat, ich bin deutscher Staatsbürger, und der Arbeitgeber macht das und das, das ist schlecht. Dann gab es tatsächlich Leute, die gesagt haben: Ja, wenn das so furchtbar ist bei uns, dann geh doch zurück in Dein eigenes Land. Du kämpfst für seine Rechte! Und das sagt er Dir. Weißt Du, dann lass Dich doch noch mehr von Deinem Arbeitgeber ausnehmen.
Mirze Edis ist industriepolitischer Sprecher der Linken im Bundestag. Zuvor hat er als Stahlbauschlosser und als Betriebsrat bei den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann in Duisburg gearbeitet.