01. April 2021
Mit weniger Wachstum das Klima retten? Humangeograph Matt T. Huber hält diese Forderung für verfehlt. Warum uns nur die Demokratisierung der Wirtschaft vor dem Kollaps retten kann und weshalb Debatten um Flugscham und kritischen Konsum hinderlich sind, erklärt er im Interview.
Ohne Kupfer keine Windkraftanlagen. Ein Arbeiter einer Kupfermine in Zambia.
Neue Krise, neue Probleme, neue Akteure, neue Kräfteverhältnisse – die Klimafrage verändert alles. Daher braucht es ganz neue Konzepte, um sie zu verstehen. So lautet zumindest der Konsens. Stimmt alles nicht, argumentiert Matt T. Huber. Um die Klimakrise zu bewältigen, plädiert er für die Wiederbelebung einer althergebrachten marxistischen Forderung: die radikale Demokratisierung der Produktion.
Er ist Humangeograph, forscht an der Syracuse University, New York, zu den Zusammenhängen von Klima, Energie und Kapitalismus und schreibt gerade an einem Buch, dass die Klimakrise als Klassenkonflikt begreift (Arbeitstitel: Climate Change as Class War: Building Socialism on a Warming Planet, Verso Books).
Für JACOBIN haben Alexander Brentler und Astrid Zimmermann mit ihm darüber gesprochen, warum Arbeitskampf und Klimakampf zusammengehören, wieso die Appelle des Degrowth in die Irre führen und wie eine sozialistische Alternative dazu aussehen könnte.
Du hast vor kurzem eine Kritik gegen, dieses hartnäckige Narrativ formuliert, das Klimaschutz als eine Frage von geteilter Verantwortung darstellt. Du vertrittst hingegen die Position, dass die Klimakrise ein Klassenkonflikt ist. Eine effektive Umweltpolitik muss daher Deiner Meinung nach an der Produktion ansetzen. Was bedeutet das konkret und welche Implikationen hat das für eine linke politische Strategie?
Ich stelle gerade mein Buch über Klassen- und Klimapolitik fertig. Ursprünglich wollte ich dabei nur zu den Grundlagen einer marxistischen Klassenpolitik zurück, die auch das Verhältnis zu den Produktionsmitteln miteinbezieht. Aber je mehr ich mich damit beschäftigte, desto stärker wurde mir klar, dass dieser Fokus auf die Produktionsverhältnisse in gewisser Weise inhärent ökologisch ist. Die Frage, wie wir unsere Existenz als Gesellschaft produzieren, ist eine ökologische Frage – das ist ganz klassischer historischer Materialismus. Wenn man die Klimakrise so betrachtet, wird einem als erstes klar, dass die kapitalistische Klasse die Produktionsmittel besitzt und kontrolliert. Auf dieser Grundlagen kann man dann über ihre Verantwortung für die Klimakrise nachdenken.
Aber anstatt das zu thematisieren, hat es sich in den Diskurs eingebrannt, Emissionen in Form von konsumbasierten Fußabdrücken zu verhandeln. Wenn man etwa eine Flugreise unternimmt, dann werden die Emissionen, für die man dann dadurch verantwortlich ist, problematisiert. Was dabei außen vor bleibt, sind die Akteure, die ganze Industrien wie die Luftfahrtindustrie kontrollieren und von ihnen profitieren. Sogar progressive Analysen, wie zum Beispiel von Oxfam, sprechen von »Kohlenstoff-Ungleichheit«. Selbst wenn wir uns nur auf den CO2-Fußabdruck der Superreichen fokussieren, und darauf hinweisen, dass die reichsten 10 Prozent für über 50 Prozent der Emissionen verantwortlich sind, thematisieren wir immer noch nur deren Konsumgewohnheiten und deren Lebensstil.
»Unser Ziel sollte sein, demokratische Macht über die Produktion zu erlangen, damit wir unsere Beziehung zur Natur neu zu gestalten können.«
Die entscheidende Frage ist doch: Wer befriedigt die Konsumnachfrage der reichen Leute? Wer profitiert daran? Und was machen diese reichen Leute überhaupt, um das Geld zu verdienen, das ihnen erlaubt, so zu exzessiv zu konsumieren? Vielleicht arbeiten sie für eine Bank, vielleicht arbeiten sie für ein multinationales Chemieunternehmen. Welchen Einfluss haben diese Tätigkeit auf das Klima und warum unterliegen sie keiner politischen Verantwortung? Diese Aspekte sind bedeutender als die Frage nach dem Lebensstil oder den Konsumentscheidung der Reichen. Denn jedes Mal, wenn Emissionen gemacht werden, sind diese eingebettet in ein Netzwerk von Akteuren, die diese Emissionen erst möglich gemacht haben.
Die Art und Weise, wie wir den Konsum der Menschen moralisieren, ist nicht hilfreich. In vielen Fällen erfüllen Menschen einfach nur ihre Bedürfnisse. Sicher, manche Leute haben ein verzerrtes Bedürfnisempfinden. Hier in den USA haben einige das »Bedürfnis«, ein Auto wie einen Hummer zu fahren. Aber im Vergleich zu der Art und Weise, wie Kapitalisten vorgehen, um Profite zu machen, und das weiterhin ungehindert tun dürfen, fällt das kaum ins Gewicht. Dabei liegt genau darin die Pathologie, die den Kern der Klimakrise ausmacht: Das Agieren derjenigen, die vom System profitieren, insbesondere von CO2-intensiven Produktionsformen – dazu gehört nicht nur die Produktion fossiler Brennstoffe, sondern auch viele andere kohlenstoffintensive Produktionsformen wie Zement, Stahl, Chemikalien und vor allem Elektrizität.
Ein Fokus auf die Produktion bringt uns auch dazu, anders über die Rolle der Arbeiterklasse in der Klimafrage nachzudenken. Aus marxistischer Perspektive, ist die arbeitende Klasse eine Klasse von Menschen, die von den Produktionsmitteln getrennt ist. Im ökologischen Sinn bedeutet das, dass es eine Klasse von Menschen ist, die nicht in der Lage ist, in direkter Beziehung zur Produktion zu überleben, weil ihnen dazu die Mittel fehlen – allen voran eines der wichtigsten Produktionsmittel, nämlich Land. Deshalb sind sie gezwungen, ihre Arbeitskraft auf dem Markt für einen Lohn zu verkaufen. Für die Arbeiterklasse ist die ökologische Frage also eine des Überlebens.
Grundlegend betrachtet ist der Proletarier laut Marx eine Person, die vom Land getrennt ist, getrennt von den ökologischen Bedingungen des Lebens selbst. Wenn wir diesen Aspekt als Teil einer Politik für die Arbeiterklasse formulieren, hat das zwei Konsequenzen: Erstens, muss es darum gehen, der Arbeiterklasse mehr materielle Sicherheit in Bezug auf die Grundbedürfnisse des Lebens zu geben – Nahrung, Energie, Gesundheitsversorgung und mehr. Zweitens sollten wir der Arbeiterklasse, die von der Kontrolle über die Ökoysteme abgekoppelt wurde, demokratische Kontrolle über unser gesellschaftliches Verhältnis zur Umwelt geben. Denn das ist das grundlegende Problem: Wir haben keine Macht über das, was mit unseren Stoffwechselbeziehungen zur Natur geschieht. Wir sind dem Fortschreiten des Klimawandels machtlos ausgeliefert. Das grundlegende Ziel sollte daher sein, demokratische Macht über die Produktion zu erlangen, damit wir anfangen können, unsere Beziehung zur Natur neu zu gestalten. Nur so können wir die Krise stoppen, die gerade außer Kontrolle gerät.
Du hast auch auf eine Renaissance des ökologischen Marxismus in den letzten Jahrzehnten hingewiesen. Dieser Diskurs neigt dazu, die ökologische Krise außerhalb der Produktion zu verorten. Du argumentierst, dass diese Theorien eher verschleiern, inwiefern die Klimakrise letztendlich ein Klassenkonflikt ist. Ironischerweise wurde diese Spielart des Marxismus in einer Zeit populär, in der der Neoliberalismus global triumphiert hat – eine Zeit, in der sich also unsere Gesellschaft unter dezidiert klassenpolitischen Parametern umstrukturiert hat. Gleichzeitig entfernt sich der Marxismus in der Theorie von der Klassenpolitik. Woher kommt diese Dissonanz?
Ich zitiere oft Warren Buffett, einen der reichsten Menschen in unserem Land, der 2006 sagte: »Natürlich gibt es einen Klassenkampf, und es ist meine Klasse, die ihn führt, und wir sind die Gewinner.« Er fasste damit im Grunde drei Jahrzehnte einer immensen Konsolidierung der Macht der Kapitalistenklasse über die Arbeiterklasse zusammen, die seit den 1970er Jahren stattgefunden hatte. Du hast es treffend ausgedrückt: Zur gleichen Zeit gab es in der akademischen Welt diesen Fokus auf die sogenannten neuen sozialen Bewegungen, und das aus gutem Grund. Sie lieferten eine Kritik der Gesellschaft entlang ökologischer, feministischer und antirassistischer Linien. Aber besonders in der akademischen Welt wurde beinahe reflexartig argumentiert: Diese Kämpfe sind anders als die altmodische sozialistische Politik, die sich auf Klassenfragen konzentrierte.
Zur ökologischen Frage hat zum Beispiel Ted Benton argumentiert, dass dieser Konflikt grundlegend anders gelagert ist als die Kämpfe, die an der Produktionsstätte stattfinden. Diese würden sich nur auf die Fabrikarbeiter beschränken, wohingegen eine ökologische Politik die breitere Reproduktion des Lebens außerhalb der Fabrik in den Blick nimmt. Bis zu einem gewissen Grad ist da etwas dran, denn auf einer fundamentalen Ebene sind ökologische Systeme das, worauf die kapitalistische Produktion beruht. Marx hat argumentiert, dass diese als kostenlose »Geschenke« der Natur in die kapitalistische Produktion einfließen. Wenn man für die Produktion etwa einen Baum fällen will, muss man sich auf hydrologische Systeme, Bodenmikroben und vieles andere außerhalb der Warenform verlassen. Diese Aspekte sind trotzdem ein integraler Bestandteil des Produktionsprozesses dieser Ware. Diese »Geschenke« der Natur, diese ökologischen Systeme, sind also für die Produktion entscheidend, und sie werden vom Kapitalismus systematisch zerstört.
Wenn man aber die Ökologie extern zur Produktion verortet, verliert man aus den Augen, wer für die Zerstörung dieser externen Systeme verantwortlich ist – nämlich diejenigen, die die Produktion kontrollieren. Und wenn man darauf den Blick lenkt, stößt man auch auf die Arbeitenden, die an diesem Punkt der Produktion beteiligt sind, und die aufgrund ihrer Arbeit strukturelle Macht und Einfluss haben – denn sie können die Arbeit verweigern oder sie bestreiken und so Druck auf die Eliten ausüben.
Dieser sehr akademische Wunsch, etwas Neues zu sagen, kann leider dazu führen, die Dinge zu verschleiern und zu verunklaren.
Du erwähntest gerade die strukturelle Macht der Arbeiterklasse. Eine Forschungsgruppe hat kürzlich eine empirische Analyse von Protestbewegungen des 20. und 21. Jahrhunderts durchgeführt und fand heraus, dass die Beteiligung der industriellen Arbeiterklasse eine entscheidende Variable für den Erfolg sozialer Bewegungen war. Ich nehme also an, dass Dich das nicht überrascht hat?
Ja, das habe ich gesehen und es überrascht mich überhaupt nicht. Gleichzeitig stellt uns diese Erkenntnis aber auch vor ein Problem, denn ein großer Teil der industriellen Arbeiterklasse ist ausgehöhlt, zumindest in den Ländern, die historisch am stärksten für den Klimawandel verantwortlich sind. Es braucht also wieder eine internationale Solidarität unter den Arbeiterinnen und Arbeitern. Wenn man sich anschaut, was Marx die »verborgne Stätte der Produktion« genannt hat, dann befindet sich ein großer Teil davon nicht mehr im Globalen Norden, sondern in vielen südostasiatischen Ländern und in Lateinamerika.
Die Klimakrise ist eine Konsequenz unserer Produktionsweise. In letzter Zeit habe ich mich viel mit der Idee beschäftigt, wie der Kern der Klimakrise durch das Stromsystem gelöst werden kann und wie eine Transformation des gesamten Energiesystem angestoßen werden könnte. Man nennt das die »Electrify Everything«-Strategie: Die Produktion von Elektrizität soll so umweltfreundlich wie nur irgendwie möglich gemacht werden, und gleichzeitig sollen Sektoren der Wirtschaft elektrifiziert werden, die bislang noch auf andere Energieträger bauen. Die Arbeitenden im Elektrosektor und in den Versorgungsbetrieben haben einen immensen Einfluss und sind direkt am Produktionsort des Systems präsent. Noch wichtiger ist, dass in den Vereinigten Staaten – und das gilt vermutlich auch für die meisten Länder – der Stromsektor bereits einer der am stärksten gewerkschaftlich organisierten Wirtschaftszweige ist. Es gibt hier also eine bestehende Basis struktureller und institutioneller Macht, mit der sich die Klimabewegung stärker auseinandersetzen muss.
Wenn wir uns diesen Übergang zu sauberer Energie vorstellen, wird auch klar, dass es bestimmte Sektoren gibt, in denen es zu Arbeitsplatzverlusten kommen wird. Momentan sind es leider vor allem die Rechten, die Klimapolitik als Klassenfrage formulieren, und zwar immer dann wenn sie mit der Sicherung von Arbeitsplätzen in umweltschädlichen Branchen Wahlkampf machen. Die beste Perspektive von links, um diesen scheinbaren Gegensatz zwischen Klimapolitik und Beschäftigungssicherheit zu durchbrechen, ist ein Green New Deal mit einer Jobgarantie. Ich halte das auch für vielversprechend, aber frage mich auch, wie man das vermittelt bekommt. Gerade die industriellen Arbeiterinnen und Arbeiter haben schon einmal einen großen Strukturwandel erlebt, nämlich die Deindustrialisierung. Da wurde dann auch versprochen, dass die Arbeitsplätze nicht verloren gehen und die Leute umgeschult werden und sie nichts zu befürchten hätten. Dann ist es anders gekommen. Gibt es eine berechtigte Skepsis? Denn der Vorschlag klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Alle bekommen einen gut bezahlten, gewerkschaftlich organisierten, sinnstiftenden Job und eine attraktivere Perspektive.
Manchmal habe ich das das Gefühl, man glaubt, man müsse bloß »Just Transition« [etwa »faire Energiewende«] sagen und erwartet dann, dass die Leute denken: »Puh, dann muss ich mir ja keine Sorgen machen, denn die Öko-Wende wird gerecht ablaufen«. Dabei stammt das Konzept von Tony Mazzocchi, einem berühmten Gewerkschafter der Öl-, Chemie- und Atomarbeitergewerkschaft. Er war einer der ersten, der Umweltpolitik und Gewerkschaftspolitik miteinander verband. Er stand dem Modell der »Umschulung« sehr kritisch gegenüber und hat stattdessen viele Jahre lang volle Einkommens- und Leistungsunterstützung für entlassene Arbeiter gefordert.
Es stimmt, das ist insgesamt die Herausforderung sehr groß ist. Wenn wir uns Sorgen um das Klima machen, gibt es meiner Meinung nach bestimmte Dinge, die nicht verhandelbar sind. Wir müssen aufhören, fossile Brennstoffe zu fördern, aber noch wichtiger ist, dass wir Kohlekraftwerke abschalten.
»Wenn wir die Debarkonisierung einfach dem Markt überlassen, werden wir sie erstens nicht in dem Ausmaß erreichen, das nötig ist, und zweitens wird sich die Situation für die Gewerkschaften weiter verschlechtern.«
Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass es nur eine Chance gibt, mit den Gewerkschaften in diesem Sektor zusammenzuarbeiten und die besteht darin, dass wir ihnen vermitteln, dass auch wir die Kernkraftwerke offen lassen wollen. Die Mitglieder dieser Gewerkschaften sind in Kohlekraftwerken tätig, aber auch in Atomkraftwerken – zumindest in den USA. Wenn man die großen Gewerkschaften des Stromsektors, die International Brotherhood of Electrical Workers und die Utility Workers of America, zu ihrer Position zum Klima befragt, dann sagen sie einem zuerst, dass sie sich auch Sorgen um das Klima machen. Ich höre dann immer wieder: »Wir glauben an die Wissenschaft. Wir glauben auch an die Kernenergie, weil sie saubere Energie ist und unseren Mitgliedern ausgezeichnete, gut bezahlte gewerkschaftliche Arbeitsplätze verschafft.« Wenn man anbietet, die Arbeitsplätze in der Kernkraft für ihre Mitglieder auszubauen, trifft man sich in der Mitte. Gleichzeitig müssen wir natürlich andere Formen der Energieerzeugung massiv ausbauen, wie die erneuerbaren Energien.
Hier in den USA ist der Ausbau der erneuerbaren Energien beträchtlich, er steigt sogar sprunghaft an. Das Problem ist, dass die erneuerbaren Energien vom Kleinkapital getragen werden, das dezentralisiert auftritt. Viele träumen noch von dieser dezentralisierten erneuerbaren Energiewirtschaft. Tatsächlich können wir ihr gerade beim Entstehen zu sehen, aber sie wird von dieser kleinbürgerlichen Klasse von Kapitalisten angetrieben. Diese Industrien sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Im Gegenteil, sie sind extrem gewerkschaftsfeindlich und die Arbeitsplätze in diesem Sektor sind nicht besonders gut bezahlt.
Was Du schilderst gilt auch hier. Die IG Metall hat eine Analyse der Arbeitsbedingungen im Bereich der erneuerbaren Energien durchgeführt. Insgesamt sind die sie viel schlechter, mit geringerer Bezahlung und Arbeitszufriedenheit. Es ist also kein großes Geheimnis, warum die Leute von diesen Jobs nicht begeistert sind.
Ich denke, wenn wir die Gewerkschaften für uns gewinnen wollen, müssen wir versuchen, die Investitionen des öffentlichen Sektors zu erhöhen und ein öffentliches Programm für den Ausbau grüner Energie mit einer Jobgarantie auflegen. Wir brauchen aber auch eine Garantie darauf, dass diese öffentlichen Projekte Gewerkschaftsmitglieder einstellen, die beim Aufbau dieses sauberen Energiesystems beschäftigt werden. Denn wenn wir es einfach dem Markt überlassen, werden wir erstens die Dekarbonisierung nicht in der Geschwindigkeit oder dem Ausmaß erreichen, das nötig ist, und zweitens wird sich die Situation für die Gewerkschaften weiter verschlechtern.
Zu viele Umweltschützerinnen und Umweltschützer haben diese warmen und flauschigen Gefühlen gegenüber Solarzellen und Windparks. Sie gehen davon aus, dass die nur Vorteile haben und bedenken die sozialen Produktionsverhältnisse zu wenig: Wer wird diese erneuerbaren Energieressourcen kontrollieren, wie werden die Investitionen gelenkt werden? Können wir die öffentliche Kontrolle über diese Investitionen auf eine Art und Weise übernehmen, die die Gewerkschaften einbezieht? Nur wenn wir das tun, können wir eine größere Basis für diese Art von Energietranformation schaffen.
Aber im Moment wird es einfach auf diese kleinkapitalistische Art und Weise betrieben, mit einem hohen Maß an Marktvolatilität, aber auch in Abhängigkeit von öffentlichen Subventionen und Steuergutschriften für die Entwicklung erneuerbarer Energien. Die Basis ist über diese Art von chaotischer, dezentralisierter Entwicklung natürlich nicht besonders begeistert und gerade in den ländlichen Gebieten ist der Widerstand immens.
Wenn wir hier in Deutschland oder in den USA die Energiewende vollziehen, ist es auch klar, dass diese auf die Gewinnung bestimmter natürlicher Ressourcen angewiesen sein wird. Die meisten davon liegen im Globalen Süden. Die Länder, die sehr reich an diesen Ressourcen sind, profitieren innerhalb unserer derzeitigen Wirtschaftsordnung kaum davon. In der Regel drängt es sie eher in ausbeuterische Handelsbeziehungen mit dem Globalen Norden. Selbst wenn sie versuchen, sich ihre Ressourcen zu sichern, wie etwa in Bolivien, haben wir gesehen, dass es ihnen so schwer wie möglich gemacht wurde. Wie würde sich der Übergang zu erneuerbaren Energien also auf unsere globale Ordnung auswirken? Müssen wir das stärker international betrachten, um eine Vertiefung der bereits bestehenden globalen Ungleichheiten zu vermeiden?
Auf jeden Fall. Meine Genossin bei den Democratic Socialists of America, Thea Riofrancos, die viel über die Lithiumgewinnung in Chile publiziert hat, betont den Aspekt der internationalen Solidarität entlang der Lieferketten. Es ist mag manche vielleicht langsam etwas überstrapazieren, aber immer wenn ich anfange, über die Klimakrise nachzudenken, stoße ich auf sehr grundlegende, fast langweilige Forderungen des sozialistischen Denkens der alten Schule. Und diese führen mich zu einigen sehr offensichtlichen Schlussfolgerungen. Im Sozialismus ging es darum, dass sich die Arbeiterinnen und Arbeiter der Welt vereinigen. Es ging um internationale Solidarität. Und das ist auch heute noch entscheidend, weil es entlang dieser Lieferketten Arbeiterinnen und Arbeiter gibt, die stärker ausgebeutet werden als andere.
Es mag für einige Arbeiter im Globalen Norden einfach sein, bessere Bedingungen auf dem Rücken der ausbeuterischen Rohstoffgewinnung im Globalen Süden zu erkämpfen. Aber das ist eher nebensächlich, wenn global betrachtet die Klassenstrategie des Kapitals weiterhin darin besteht, einen globalen Rahmen von internationalen Handelssystemen und internationalen Investitionsregeln zu konstruieren, die es ihnen erlauben, frei und ungebunden zu sein und Investitionen über Grenzen hinweg zu tätigen. Die Kapitalseite ist global wirklich gut organisiert. Und deshalb ist es für sie ein Leichtes, diese Bodenschätze zu finden und abzubauen, und daraus enorme Renditen und Profiten zu erzielen, und vor Ort Verwüstung und Zerstörung zu hinterlassen. Sie haben zu viel Macht am Markt und benutzen sie, um marginalisierte ländlichen Gebiete im Globalen Süden auszubeuten.
»Wir müssen nicht nur die Arbeiter in der Solarmodul-Fabrik organisieren, sondern auch die Arbeiter in den Minen, die die Seltenen Erden abbauen, die in den Aufbau der Solar-Infrastruktur fließen.«
In meinem Forschungsgebiet untersuchen wir oft, welche Auswirkungen dieser Bergbauprojekte auf die lokalen Gemeinschaft und die Dörfer in der Umgebung, haben. Meistens sind sie entsetzlich, weil diese Projekte mit Landnahme und Vertreibung einhergehen. Aber auch die Arbeitsbedingungen am Ort der Produktion sind extrem schlecht. Aber diese Arbeiter haben Macht, und wir müssen anfangen darüber nachzudenken, wie wir nicht nur die Arbeiter in der Solarmodul-Fabrik organisieren, sondern auch die Arbeiter in der Mine, die das Lithium oder die andere Seltenen Erden abbauen, die in den Aufbau der Solar-Infrastruktur fließen. Solange die Arbeiterklasse global besiegt ist, wird sie nicht die Art von Gegenmacht haben, die wir brauchen, um der unkontrollierten Macht des Kapitals auf der ganzen Welt entgegenzutreten. An der Notwendigkeit, die Arbeiterklasse zu organisieren, führt kein Weg vorbei.
Manche halten den notwendigen Ressourcenabbau selbst für ein Argument gegen eine Transformation der Wirtschaft. Zeugt das von einer verarmten Vorstellungskraft? Die Leute können sich nicht einmal vorstellen, wie man den Welthandel oder die ökonomischen Beziehungen der Extraktion so strukturieren könnte, dass sie nicht so ausbeuterisch und zerstörerisch für die Orte sind, an denen sie stattfinden.
Ja, Leigh Phillips hat darauf hingewiesen, dass es den Gewerkschaften in Kanada gelungen ist, den Bergbau für die Arbeiter und die Umwelt besser zu machen. Es ist immer noch nicht perfekt, aber die Arbeitsbedingungen haben sich verbessert, die Löhne sind gestiegen und die Gewerkschaften haben mehr Macht und damit auch mehr Einfluß, um mitzuentscheiden, wie die Prozesse in den Minen gestaltet sind. Aktuell verschärft sich die Lage aber leider aufgrund der globalen Ungleichheit. Während viele Gewerkschaften im Globalen Norden in der Lage waren, dies zu tun, ist es im Globalen Süden eher nicht gelungen.
Du hast vor kurzem einen Artikel veröffentlicht, in dem Du eine Alternative zu Degrowth-Perspektiven vorstellst, nämlich einen sozialistischen Modernismus. Das Schlagwort »Extraktivismus« taucht immer wieder auf, wenn wir über negatives Wachstum oder Degrowth sprechen. Wenn wir im lateinamerikanischen Kontext bleiben und nach Ecuador schauen, dann scheint sich die Linke dort an der Frage des Extraktivismus gespalten zu haben. Auf der einen Seite wurden unter der Regierung Correas große Teile der Bevölkerung aus der Armut geholt. Es gab viel Wachstum, das durch die Industrialisierung des Landes und den Ausbau der Infrastruktur begünstigt wurde. Aber auf der anderen Seite erforderte all das eine Steigerung des Ressourcenabbaus mit all den negativen Folgen, die das für die Menschen vor Ort hat. Ist das ein beispielhafter Fall, bei dem Umweltbelange auf der einen Seite und Wirtschaftswachstum auf der anderen Seite im Widerspruch zueinander stehen?
Eines der Hauptprobleme ist ja, dass sie nicht nur Rohstoffe extrahieren, um die Infrastruktur für Ecuador aufzubauen, sondern sie exportieren auch eine Menge davon nach China und in die ganze Welt, was ihnen die Erträge zusichert, die dann in die Infrastruktur fließen können. Generell teile ich die Perspektive, dass die Linke einen Weg finden muss, um Macht aufzubauen. Anders werden wir nicht in der Lage sein, eine alternative politische Ökonomie aufzubauen. Ich habe also Sympathie für die Projekte der »Pink Tide«. Es gelang ihnen, an die Macht zu kommen und sie haben eine Menge beeindruckender Erfolge verzeichnet, unter anderem, wie Du sagtest, die Armut verringert.
Leider wurde diese Macht in vielen Fällen durch die Förderung von Öl und Gas und Mineralien untermauert. Und wo diese Rohstoffe gefördert werden, gibt es oft Gemeinden, die im Weg stehen und die vertrieben werden oder gesundheitliche Schäden davontragen. Für mich stellt sich die Frage, ob es der Linken gelingt, Institutionen aufzubauen, die lokale Gemeinschaften besser in demokratische Systeme einbinden, sodass sie ein tatsächliches Mitspracherecht haben und im Zweifel auch ihr Veto einlegen können.
Im Kapitalismus haben diese Communities natürlich kein Mitspracherecht. Denn der Kapitalismus ist keine Demokratie. Die Konzerne machen dieses ganze Greenwashing, wo vorgetäuscht wird, dass sie die Communities einbinden. Aber das hat mit einer wirklich demokratischen Gestaltung der Produktion nichts zu tun. Letztlich wird jeder Sozialist und jede Sozialistin das Ziel haben, so viele Menschen wie möglich in die Entscheidungen über den Ablauf der Produktion einzubeziehen. Als Geograph könnte ich mir auch vorstellen, dass Anwohnerinnen und Anwohner der Gemeinden, die von der Rohstoffförderung betroffen sind, mehr Mitspracherecht zugeteilt werden sollte, als den Menschen, die in den Städten wohnen. Aber um dahin zu kommen, müssen wir zuerst wirklich demokratische Institutionen schaffen.
Tut man den Degrowth-Befürwortern unrecht, wenn man sie pauschal als entwicklungsfeindlich abtut? Oft entgegen sie ja in Debatten, es würde gar nicht darum gehen das BIP zu senken, sondern dass sie lediglich die Industrien schrumpfen wollen, die schädlich sind, und den Energieverbrauch im Globalen Norden begrenzen, der als exzessiv angesehen wird. Gleichzeitig wolle man eigentlich das Wachstum im Globalen Süden fördern und dort die Infrastruktur ausbauen. Ist es am Ende alles nur eine semantische Verwirrung oder würdest Du im Gegenteil sagen, dass hinter Degrowth und dem sozialistischen Modernismus, den Du propagierst, ganz andere politische Perspektiven stehen?
Vorab kann ich sagen, dass mich an Degrowth eine Sache besonders frustriert. Da wird oft gesagt: »Was wir eigentlich wollen, ist, den Konsum des Globalen Nordens reduzieren und ihn für den Globalen Süden erhöhen.« Aber für mich ist der Klassenkonflikt nicht in dieser Weise territorial eingrenzbar. Es ist nicht so, dass es im Globalen Norden allen gut geht und sie nur den Globalen Süden ausbeuten. Es gibt eine unglaubliche Ungleichheit innerhalb des Globalen Nordens. Wenn man also die globale Situation als einen Konflikt zwischen dem Kapital und der Arbeiterklasse betrachtet, dann gibt es eine Menge Leute, denen es nicht gut geht.
Etwa 70 Prozent der US-Amerikaner haben gerade einmal 1000 Dollar auf der Bank, Menschen sterben aufgrund von Insulinmangel, fehlender medizinischer Grundversorgung, und Millionen von Menschen hungern jetzt während dieser Pandemie. Im Zuge des Neoliberalismus hat die Mehrheit der Menschen wirtschaftlich so sehr zu kämpfen, dass es unsinnig ist zu fordern, wir müssten einfach den Konsum im Globalen Norden reduzieren. Was ist mit all den Menschen im Globalen Norden, die von Armut betroffen sind? Das ist also eines meiner großen Probleme mit Degrowth.
»Es geht nicht um mehr oder weniger, es geht um weniger für die Wenigen und mehr für die Vielen.«
Wie Du sagst, hängt es manchmal nur an der Semantik. Wollen wir wirklich »weniger« zu unserer Kernbotschaft machen? Wenn der Slogan »De-growth« ist und wenn wir uns vergegenwärtigen, was das Präfix »de-« bedeutet, dann heißt es Reduktion. Es bedeutet »weniger«. Wenn wir den Leuten mit Reduktion kommen, in einer Zeit, in der bereits verheerende Sparmaßnahmen durchgedrückt wurden, wie will man dann die notwendige Massenbegeisterung unter der Bevölkerung auslösen, die die Degrowth-Fraktion für ihr Programm bräuchte?
Wenn man mit den Befürwortern von Degrowth spricht, erzählen sie einem immer: »Nein, wir wollen mehr von vielen guten Dingen, zum Beispiel wollen wir eine kürzere Arbeitswoche, damit wir mehr Zeit haben.« Es gibt Dinge, die sie tatsächlich erhöhen wollen, und dem würde ich zustimmen. Jason Hickel spricht von der Dekommodifizierung der Grundversorgung und der Ausweitung der Grundversorgung durch den öffentlichen Sektor, und damit bin ich ganz und gar einverstanden. Nur: all das ist eine Ausweitung der wirtschaftlichen Aktivität. Es bietet der Arbeiterklasse mehr, aber bei Degrowth denkt man zunächst einfach an Reduktion. Es ist eine Politik des Weniger.
Ich denke auch, dass sie selbst in die Falle des BIP tappen, einem Indikator, der Gesellschaften auf der Aggregatebene bewertet. Wir sagen einfach, das BIP ist um 3 Prozent gestiegen. Das muss bedeuten, dass es der ganzen Gesellschaft gut geht. Aber diese aggregierte Statistik erfasst die unglaubliche Ungleichheit innerhalb einer Nation oder einer Gesellschaft überhaupt nicht. Und während es einigen Menschen in unserer Gesellschaft fantastisch geht, geht es der großen Mehrheit alles andere als gut. Es geht nicht um mehr oder weniger, es geht um weniger für die Wenigen und mehr für die Vielen. Wir müssen zu einer Klassenanalyse zurückkehren, die besagt: Nein, es ist die winzige Minderheit der Kapitalisten, die schrumpfen muss. Wir müssen sie stärker besteuern, wir müssen ihre Macht über den Reichtum aushöhlen und wir müssen mehr für die Masse der Menschen schaffen, die leiden.
Man sollte außerdem beachten: Es gibt in unserer Gesellschaft eine Mittelschicht oder auch Expertinnenklasse, die materiell einigermaßen abgesichert ist – obwohl dies auch immer weniger zutrifft, vor allem in meinem Bereich, der Hochschulbildung. Die Situation wird für bestimmte Teile der sogenannten »professional-managerial class« langsam brenzlig, sie wird massenhaft proletarisiet. Aber die Leute, die das Glück haben, ein gewisses Maß an materieller Sicherheit in der professionellen Klasse zu haben, entwickeln oft Schuldgefühle über ihren Wohlstand, über ihren als übermäßigen empfundenen Konsum. Und siehe da, aus dieser Klassenlage kommen die meisten der prominentesten Degrowth-Theoretikerinnen und -Denker.
Ich meine, seien wir mal ehrlich, die sind wie ich. Sie sind alle Akademikerinnen und Akademiker, und eines kann ich Euch sagen, wir sind sehr gut darin, uns wegen unseres Konsums schlecht zu fühlen. Manche kanalisieren dann diese Schuldgefühle in eine Art Theorie des Reduzierens. Das spricht sie ungemein an. Aber ein Programm mit Appeal für die breite Masse ist das nicht. Deren Problem ist nicht exzessiver Konsum, eher das Gegenteil. Wenn Du den meisten Leuten erzählst, dass sie ihren ausufernden Lebensstandard reduzieren müssen, werden sie antworten: »Wovon redest Du überhaupt?«
Glaubst Du, dass es zwischen der Klassenverortung der Umweltbewegung und der Tatsache, dass man nicht auf die Produktion und auf spezifische technologische Details achtet, einen Zusammenhang gibt? Verlieren wir in der Energiewende praktisches, in der Arbeiterklasse vorhandenes Wissen, wenn wir dabei die Klassenpolitik nicht in den Mittelpunkt stellen?
Ja, das ist ein wirklich guter Punkt. Vielleicht funktioniert es nicht, aber ich bin begeistert von der Idee, die Gewerkschaften im Stromsektor ins Zentrum zu stellen, da sie für den Übergang zur Dekarbonisierung so wichtig sein werden.
Viele dieser Arbeiter würde man eigentlich eher als Fachkräfte einstufen, weil sie einen Abschluss haben, sie sind oft Ingenieurinnen oder anderes technisches Fachpersonal. Sie haben ein enormes Wissen über die Produktionsstätten und -prozesse. Einige der Gewerkschaften vertreten auch die eher handwerklichen Arbeiter, wie die Wartungsarbeiter, die die härtere Arbeit in diesen Versorgungssystemen verrichten, und auch die Monteure für Stromleitungen, die tatsächlich sehr gefährliche Arbeit leisten. Aber es gibt dort ein unglaubliches Wissen. Und das wiederum geht auf eine sehr alte sozialistische marxistische These zurück, die besagt, dass es die Arbeiterinnen und Arbeiter sind, die das System am besten kennen. Sie sind diejenigen, die es am Laufen halten. Sie sind diejenigen, die es instand halten, und wenn sie es eines Tages tatsächlich leiten könnten, würden sich die Dinge verbessern.
»Wir müssen zeigen, dass Wirtschaftsdemokratie inhärent ökologisch ist.«
Aber für die professionelle Klasse, also Menschen, die geistige Arbeit in der sogenannten Wissensökonomie verrichten, ist die Erfahrung der Produktion erst einmal, dass diese Sphäre nicht in ihre ist. Die Produktion ist eher ein Objekt des Studiums. Die Leute in meinem Bereich machen am liebsten so genannte Lebenszyklusanalysen, bei denen sie wirklich alle Material- und Energieströme in einem System verstehen wollen. Aber typischerweise lautet ihre Schlussfolgerung: »Seht euch die ganze Zerstörung an, die darin steckt, seht euch an, wie schlimm das alles ist«, anstatt sich damit zu befassen, wie man die Produktionsprozesse verbessern könnte. Die professionelle Klasse ist in gewisser Weise von der Produktion getrennt, sie kann sich zurücklehnen und sie aus der Ferne kritisieren und darlegen wie erschütternd alles ist, ohne zu verstehen, wie sehr ihr Leben und unser aller Leben wirklich davon abhängt, dass diese Systeme funktionieren. Wir müssen tatsächlich darüber nachdenken, sie zu transformieren, anstatt sie einfach zu verteufeln.
Ist das auch der Grund, warum die Umweltbewegungen manchmal bestimmte Technologien fast als Selbstzweck behandeln, so als sei es etwa erstrebenswert, erneuerbare Energien nur um ihrer selbst willen zu haben, anstatt sie nur als Mittel zum Zweck zu betrachten?
Wie Du angedeutest, sind einige Umweltschützer manchmal einfach nicht bereit, sich mit einigen echten technologischen Hürden für erneuerbare Energien auseinanderzusetzen. Sie funktionieren eben nur, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Batterien sind nützlich und man kann Energie bis zu einem gewissen Grad speichern, aber das bedeutet eine ganze Menge zusätzlicher Energie und Ressourcenextraktion. In der politischen Linken und in den Umweltbewegungen brauchen wir tatsächlich mehr Menschen mit MINT-Hintergrund, wie Wissenschaftlerinnen und Ingenieure. Denn sie haben das Wissen darüber, wie das Energiesystem funktioniert und wie es umgebaut werden kann. Denn, wie wir kürzlich im Februar in Texas gesehen haben, können wir keine Stromausfälle hinnehmen. Wir können kein Energiesystem haben, das so variabel ist, dass es die Hälfte der Zeit an und aus ist. Um eines klar zu sagen: Die Stromausfälle in Texas waren hauptsächlich ein Versagen des fossilen Energiesystems. Aber es hat gezeigt, wie wichtig eine zuverlässige Stromversorgung für eine lebenswerte Gesellschaft ist.
Wir behandeln die Klimakrise oft als eine Frage des Wissens. Entweder man akzeptiert die wissenschaftlichen Erkenntnisse oder man leugnet dieses Wissen. Die Annahme ist, man müsse bloß begreifen, was der Klimawandel ist, und wird dann dadurch automatisch politisiert. Aber wir haben gesehen, dass das nicht stimmt, und dass dieser Fokus auf das Wissen eher den Klassenstandort derjenigen widerspiegelt, die diesen Diskurs vorantreiben. Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus?
Offensichtlich ist Wissenschaft in der Klimafrage wichtig. Wenn man für eine Art sozialistischen Modernismus eintritt, wie ich es tue, sollte man wirklich innehalten und sich fragen: »Ist es nicht erstaunlich, dass unsere Spezies Systeme wie das Klima überhaupt versteht; dass wir überhaupt wissen, dass wir uns in diesem Ausmaß einer Krise befinden, wie wir es tun? Dass wir die Art und Weise kennen, wie verschiedene Gase mit der Atmosphäre interagieren, so dass sie zu diesen Effekten führen?« Die wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema selbst ist wirklich beeindruckend.
Aber, wie Du sagtest, wenn man Klimapolitik auf die Frage reduziert, ob man an die Wissenschaft glaubt oder nicht, entfremdet man nur eine Menge Leute, die die Wissenschaft vielleicht nicht verstehen oder sich nicht mit komplexen biogeochemischen Prozessen auseinandersetzen wollen. Und es führt auch zu einem großen Problem unter den liberalen Wissenschaftsgläubigen. Denn es verleitet dazu, auf die Masse der Menschen herabzuschauen und sich ziemlich selbstgefällig darüber zu echauffieren, wie dumm die anderen sind, die einfach nicht verstehen wollen, was wirklich wichtig ist. Und das ist einfach kontraproduktiv. Ein großer Teil der Wut, die Trump in den USA entfesselt hat, entsteht, weil diese Leute das Gefühl haben, dass die ganze Kultur sie hasst, und auf die abschätzig herab blickt.
Dieses Wissensnarrativ folgt außerdem einer sehr liberale Theorie des Wandels. Die geht davon aus, dass die Massen die Wissenschaft bloß verstehen müssen, um dann ihren Maßnahmen zu folgen – als ob dann alle ihre Kongressabgeordneten anrufen würden oder so. Diese Art der Analyse suggeriert, dass das Schlimmste an der fossilen Industrie die Verbreitung von Klimaleugnung sei – und nicht, dass sie unser Energiesystem materiell kontrolliert.
Ich denke, dass die Klimabewegung mit dem Green New Deal gerade eine bessere Artikulation dieser Politik findet. Wenn die Klimapolitik dazu führt, die materielle Existenz der Menschen zu verbessern, müssen wir ihnen den Treibhauseffekt nicht erklären, wir müssen sie nicht von der wissenschaftlichen Dringlichkeit der Emissionsminderung überzeugen. Wir müssen nur vermitteln, dass dieses Projekt, ihnen einen Job geben wird, ihren Strom dekommodifizieren wird und die sie gegen den Energieversorger stärkt, der sie abzockt und der ihre Strompreise erhöht.
Wenn wir die Bewegung einfach um direkte, sichtbare, verständliche, materielle Verbesserungen herum aufbauen, werden wir eine solide Unterstützungsbasis aufbauen. Denn aus der Geschichte wissen wir, dass das politisch funktioniert. Wir wissen, wenn man Programme einführt, die universell und für die Masse der Menschen vorteilhaft sind, werden sie durch die Bank weg immens populär. In den USA haben wir im Zuge der Pandemie alle paar Monate Konjunkturschecks an die Leute ausgegeben und diese Maßnahme wird jetzt als eines der beliebtesten Programme in der amerikanischen Geschichte angesehen.
Aber ich denke, dass wir uns letztendlich damit auseinandersetzen müssen, dass wir der Arbeiterklasse nicht einfach Sachen geben und sie sozusagen freikaufen können, um sie für Dekarbonisierung und eine ökologische Wende zu gewinnen. Ich denke, wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir die Arbeiterklasse für eine breitere Vision gewinnen, die die Klimakrise ernst nimmt. Und wenn wir das tun wollen, denke ich, dass wir die Idee der Demokratie über Produktion und Investitionen wiederbeleben müssen; es muss darum gehen, dass die Gesellschaft mitbestimmen und kontrollieren kann, wie wir die Dinge produzieren, die wir zum Leben brauchen. Wir müssen diese Verbindung herstellen und zeigen, dass Wirtschaftsdemokratie inhärent ökologisch ist. Die Menschen sollten das Gefühl haben, dass sie Teil eines größeren demokratischen Projekts sind, und dass wir diese Krise tatsächlich nur lösen können, indem wir unsere produktiven Ressourcen demokratisieren. Das muss auch Teil dieser Politik sein. Es sollte nicht nur darum gehen, den Leuten etwas zu geben, sondern sie zu Akteurinnen und Akteuren der Transformation des gesamten Systems zu machen. Und da die Arbeiterklasse die große Mehrheit jeder kapitalistischen Gesellschaft ist, muss sie den Kern jeder demokratischen Vision von Klimapolitik bilden.