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18. Oktober 2025

Über die Mietenpartei zur Klassenpartei

Die Linke legt mit ihrer Mietenkampagne den Fokus auf ein Thema, bei dem Klassenfragen besonders spürbar werden. Jetzt kommt es darauf an, die Menschen zu aktivieren, die am stärksten unter hohen Mieten leiden, aber den Glauben an Politik verloren haben.

Linke-MdB Caren Lay spricht auf der »großen Mietenrallye« der Linken in Berlin, 2. Oktober 2025.

Linke-MdB Caren Lay spricht auf der »großen Mietenrallye« der Linken in Berlin, 2. Oktober 2025.

Flickr / Die Linke / Martin Heinlein

Im Rahmen der letzten Bundestagswahl gab die Partei Die Linke ihren Wählerinnen und Wählern ein Versprechen: Die Hoffnung ist links. Politik solle wieder im Leben der Menschen ankommen und nicht nur auf dem Papier stehen. Diese Botschaft hat offenbar verfangen: Fast doppelt so viele Menschen wie 2021 haben die Partei gewählt, während ihre Mitgliederzahl sich beinahe verdoppelt hat.

Sieben Monate später stellt sich die Frage, wie genau dieses Versprechen eingelöst werden soll. An der Oberfläche läuft sicherlich vieles besser als früher: Die Öffentlichkeitsarbeit ist professioneller geworden, die Bundestagsfraktion tritt – meistens – geschlossen auf und die Partei ist wieder ein relevanter Faktor in der deutschen Politik geworden. All das macht aber noch lange keine »Proletarisierung der Partei« aus, wie die Parteivorsitzende Ines Schwerdtner sie kürzlich im Interview mit Jacobin anvisiert hat.

Um dieses Vorhaben anzugehen, möchte die Partei jetzt ihre Aktivitäten auf ein Thema fokussieren, das die Klassenfrage gegenwärtig besonders sichtbar macht: Mieten und Wohnen. Und die Chancen, dass sie hiermit Erfolg haben könnte, stehen gar nicht mal schlecht.

Deutschland in der Mietenkrise

Dass die Mietenfrage für eine sozialistische Partei in Deutschland momentan ein Heimspiel darstellt, liegt auf der Hand. In Städten liegt die Durchschnittsmiete inzwischen bei rund 13 Euro pro Quadratmeter – und das, obwohl die Löhne in den letzten Jahren kaum gestiegen sind. Für viele Menschen heißt das: arbeiten, nur um wohnen zu können, und dennoch Angst haben, dass man sich die Wohnung bald nicht mehr leisten kann.

In großen Städten wie Hamburg, Berlin oder München liegt der Durchschnitt sogar bei 18 bis 22 Euro. Rechnete man früher circa ein Drittel des Monatsgehalts für Miete, Neben- und Heizkosten, geben Menschen heute häufig bis zu 45Prozent ihres Einkommens für Wohnkosten aus – in Großstädten deutlich mehr. Wohnraum ist ein Armutsfaktor geworden.

»Angesichts der Popularität der AfD, die nie gekannte Höhen erreicht, ist die Entwicklung einer solchen Kampagne wichtiger denn je.« 

In Berlin hat die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE) gezeigt, welches Mobilisierungspotenzial in der Mietenfrage steckt. Über eine Million Menschen stimmten 2021 für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne – ein klares Zeichen, dass Mehrheiten für eine linke Politik offen sind, zumindest in den Großstädten. Doch die Verzögerung des Volksentscheids durch die Berliner Politik machte deutlich, wie schnell institutionelle Blockaden die Energie sozialer Bewegungen ausbremsen können.

Nun legt DWE jedoch nach. Nach zwei Jahren Arbeit hat die Initiative ein vollständiges Vergesellschaftungsgesetz vorgelegt – juristisch und wissenschaftlich fundiert. Etwa 220.000 Wohnungen sollen damit in eine öffentliche Anstalt überführt werden und ein erneuter Volksentscheid ist in Vorbereitung. Es kommt also wieder Bewegung in die Sache.

Für Die Linke ist das ein wichtiger Bezugspunkt: Sie will die Initiative politisch begleiten, ihre Erfahrungen bündeln und daraus eine Dynamik entwickeln, die sich auf viele Städte ausweiten lässt. Um zu verhindern, dass kommende Bürgerentscheide im Sande verlaufen, setzt die aktuelle Strategie auf die Vernetzung lokaler Initiativen und relevanter Bündnisse sowie einen deutschlandweiten »Masterplan«.

Auf Dauer ist das Ziel, einen Mietendeckel einzuführen und großen Immobilienkonzernen wie Deutsche Wohnen den unbegrenzten Zugriff auf Kapital, Wohnraum und Profite zu entziehen. Die Linke möchte im Bundestag die Stimme sein, die dieses Thema konsequent nach vorne bringt – und gleichzeitig sicherstellen, dass die politische Energie bei den Menschen zu Hause ankommt.

Dafür setzt sie auf lokale Organisierung und Selbstbefähigung: Zehntausende Mieterinnen, Mieter und Aktive sollen sich vor Ort zusammenschließen, gegenseitig stärken und den politischen Druck von unten aufbauen. Der Einwohnerantrag mit entsprechenden Forderungen ist hierfür ein Mittel der Wahl. Als organisierende Klassenpartei der Mietenden liegt der Fokus darauf, gemeinsam mit Aktiven in ganz Deutschland den Konflikt mit den Immobilienkonzernen weiter zuzuspitzen.

Vom bundesweiten Plan zur lokalen Strategie

Nach Monaten der Planung und Vorbereitung fand vom 3. bis 5. Oktober in Berlin der Auftaktkongress der bundesweiten Mietenkampagne statt. Schon am Vorabend gibt es eine Mietenrally mit Reden unter anderem von den Parteivorsitzenden Jan van Aken und Ines Schwerdtner. Dabei beeindruckt vor allem die Aktivistin Angelika aus einem Wohnviertel in Berlin, die selbst seit Jahren gegen die Machenschaften von Vonovia und Deutsche Wohnen ankämpft:»Zuerst war ich nicht sicher, ob man als Einzelperson überhaupt etwas tun kann – doch nach zahlreichen Auseinandersetzungen mit Vonovia und Co. und dem Vernetzen mit meiner Nachbarschaft ist mir klar geworden: Wir müssen sie nur genug nerven und dürfen sie nicht einfach mit allem durchkommen lassen!«

»Einfache« Menschen, die ihre eigene Kraft im Kampf gegen Unterdrückung und gefühlte Hilflosigkeit entdecken, geben jedem theoretischen Parteiprogramm einen neuen Schub und machen deutlich, worin es im Kern geht: um die Ermächtigung der arbeitenden Klasse.

Am ersten offiziellen Tag des Kongresses liefern Schwerdtner und van Aken sowohl leicht verständliche theoretische Betrachtungen und datenbasierte Strategien als auch die Energie, nach der sich die Angereisten aus den alten und neuen Bundesländern an diesem Tag der Einheit sehnen. Eine auf Jahre geplante und bundesweit ausgerollte Kampagne bedeutet, dass es weniger um differenzierte Einzelanalysen gehen kann, sondern mehr um die einheitliche, geschlossene Umsetzung der in Berlin entwickelten Strategie. Wenn die Linke sich als Partei der Arbeitenden neu definieren will, braucht es Herz und Verstand – emotionale Ansprache und Analysen – um jene zurückzugewinnen, die ihr Vertrauen in die Politik verloren haben.

Angesichts der Popularität der AfD, die nie gekannte Höhen erreicht, ist die Entwicklung einer solchen Kampagne wichtiger denn je. Denn dort, wo soziale Ungleichheit wächst und Mieten und Lebenshaltungskosten steigen, wenden sich viele Menschen dem Rechtspopulismus zu. Doch die AfD hat keine Lösungen für die Mietenkrise – in Wirklichkeit vertritt sie eine Wohnungspolitik, die von jener der CDU kaum zu unterscheiden ist. Genau hier muss die Kampagne der Linken ansetzen, um sie langfristig zu entlarven.

»Die entscheidende Frage lautet: Wie lässt sich die gesellschaftliche Macht der Arbeitenden und Mietenden systematisch vergrößern – und die der Superreichen verkleinern?«

Der zweite Tag des Auftakts hebt das Arbeitstempo auf ein neues Level. In kleinen Workshops geht es darum, lokale Probleme und Chancen zu identifizieren und erste Strategien zu entwickeln, wie das Thema von der Bundesebene heruntergebrochen werden und in jeder einzelnen Kommune und jedem Kreisverband ankommen kann. Das Grundgerüst der Kampagne lässt sich gut mit einem Mehrfamilienhaus vergleichen: Hat die Kampagne ein gemeinsames Dach – den Mietendeckel – so sind die lokalen Zugänge zur Thematik unterschiedlich, die Eingänge ins Haus also vielfältig. Diese Eingänge auszumachen und erste Handlungsstrategien zu entwickeln, ist der Auftrag vor Ort. Überall wird diskutiert, debattiert und geplant. Zwischen Flipcharts, Beamern und Handouts wird der kollektive Tatendrang spürbar.

Dennoch treten auch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Organisationsgrade deutlicher hervor. Während große und gut organisierte Kreisverbände wie Berlin oder München bereits thematisches Vorwissen und geebnete Strukturen vorzuweisen haben und schnell in einen Workflow kommen, werden gerade für den ländlichen Raum oder in weniger vernetzten Kreisverbänden Schwierigkeiten sichtbar. In ländlichen Regionen fehlt es häufig noch an einer stabilen und aktiven Mitgliederbasis oder an Räumen, um Versammlungen mit Mieterinnen und Mietern durchführen zu können.

In manchen Kreisverbänden mangelt es an professioneller Öffentlichkeitsarbeit – was die Umsetzung bundesweiter Vorlagen erschwert. Andere wiederum kämpfen mit kommunalen Hürden: wenn zum Beispiel Stadtverwaltungen Anträge verzögern oder Immobilienfirmen eng mit lokalen Entscheidungsträgerinnen und -trägern verflochten sind.Klar ist, dass die Strategien für Großstädte nicht eins zu eins auf kleinere Städte und Gemeinden zu übertragen sind. So ist zum Beispiel zu prüfen, welche Quoren für Einwohneranträge und Bürgerentscheide gelten und welche Umsetzung für die einzelnen Kreisverbände und ihre Kapazitäten realistisch ist. Denn die Aktion erfordert viele personelle Ressourcen.

Wichtig ist nun, sich an denen zu orientieren, die bereits Erfolge in Bezug auf Einwohneranträge und Bürgerentscheide vorzuweisen haben, um dann gezielt agieren zu können – und auch, um Widerstände, die es in kleinteiliger, analytischer Arbeit zu identifizieren gilt – auszuräumen. Durch verschiedene Instrumente zur Selbsteinschätzung und Aufteilung nach Regionen und Bundesländern erhalten Aktive zwar Unterstützung, die entscheidenden Umsetzungsfragen werden sich jedoch erst mit der Zeit beantworten lassen.

Die größte Herausforderung

Doch hinter den organisatorischen Fragen steht die eigentliche Herausforderung: Viele Menschen sind vereinzelt, kaum noch organisiert und dadurch weniger in der Lage, an realen Machtverhältnissen etwas zu verändern. Viele haben zwar den Eindruck, sie seien politisch beteiligt – etwa über Petitionen oder Social Media, doch selten ändert sich dadurch wirklich etwas. Echte Veränderung entsteht eben nicht digital, sondern vor Ort, wo Menschen sich zusammenschließen, miteinander reden und schließlich handeln. Genau hier setzt die Mietenkampagne an: bei der Rückgewinnung kollektiver Handlungsfähigkeit.

Das starke Wahlergebnis im Februar dieses Jahres und vor allem die Verdopplung der Mitgliederzahlen macht Die Linke gegenwärtig zu dem mit Abstand spannendsten Ort für Sozialistinnen und Sozialisten in Deutschland. Doch die Gefahr, dass ihr jetziges Momentum schnell wieder verpufft, ist real. Wo sich hoch motivierte lokale Aktivistinnen und Aktivisten erst durch träge Vorstandsstrukturen, fehlende Räume und Überlastung kämpfen müssen, ehe sie die geplante Agenda überhaupt umsetzen können, fehlt es an konsequent gefordertem und gefördertem Wandel an der Basis. Genau hier entscheidet sich, ob aus einer geplanten Kampagne eine landesweite Bewegung wird.

Die entscheidende Frage lautet: Wie lässt sich die gesellschaftliche Macht der Arbeitenden und Mietenden systematisch vergrößern – und die der Superreichen verkleinern? Es braucht nicht nur parlamentarische Einflussnahme, sondern auch eine handlungsfähige Machtbasis: Gewerkschaften, Mieterverbände, lokale Bündnisse und solidarische Hausgemeinschaften.

»120.000 Mitglieder – das ist eine starke Basis. Entscheidend ist, diese Mitglieder stärker einzubinden und zu befähigen, Verantwortung zu übernehmen, damit die eigenen Ziele auch erreicht werden.«

Damit dieses Ziel nicht abstrakt bleibt, muss Die Linke ihre Rolle als organisierende Partei einlösen und Räume schaffen, in denen sich gesellschaftliche Kämpfe verbinden lassen. Vor allem müssen Gewerkschaften gestärkt werden, denn steigende Mieten und stagnierende Löhne gehen Hand in Hand – so lassen sich Menschen, die in Krankenhäusern, Kitas und der Pflege arbeiten, ebenso für die Mietenkampagne gewinnen wie die Mieterinnen und Mieter von nebenan. Viele dieser prekär Beschäftigten sind zudem bisher nicht gewerkschaftlich organisiert. Über die Mietenkampagne lassen sie sich politisch aktivieren und niedrigschwellig an Gewerkschaften heranführen, was ein erster Schritt hin zu dauerhafter Organisierung und gemeinsamer Interessenvertretung der arbeitenden Klasse ist.

Gewerkschaftshäuser können außerdem Räume sein, in denen sich mit Mietberatungen, Stadtteilversammlungen und Bündnistreffen Kämpfe um faire Löhne und bezahlbares Wohnen überschneiden. Sie legen so den Grundstein für kollektive Selbstermächtigung über den Betrieb hinaus.

Gelingt es, das Mietenthema zu nutzen, um Gewerkschaften zu stärken, verschiebt sich die gesellschaftliche Kräftebalance: Gewerkschaften gewinnen an Gewicht, weil sie nicht mehr nur Tarifverhandlungen führen, sondern Teil einer breiten sozialen Bewegung werden. Die Linke kann sich in dieser Bewegung als verbindende Kraft positionieren, nicht nur als Stellvertreterin, sondern als politischer Arm real geführter Kämpfe. So schärft sie ihr Profil als sozialistische Klassenpartei und ebnet den Weg für echte Solidarität zwischen Menschen, die längst denselben Kampf führen – nur noch nicht gemeinsam.

Nicht nur für, sondern mit den Menschen

Um derart organisierend wirken zu können, muss Die Linke zuerst selbst in Bewegung kommen. 120.000 Mitglieder – das ist eine starke Basis. Entscheidend ist, diese Mitglieder stärker einzubinden und zu befähigen, Verantwortung zu übernehmen, damit die eigenen Ziele auch erreicht werden.

Sie muss dafür sorgen, dass die Erfahrungen aus der Basis in politische Arbeit übersetzt werden, ohne den Menschen die Stimme zu nehmen. Wo es um Selbstermächtigung geht, geht es immer auch darum, dass Menschen für sich selbst sprechen. Die Linke kann zwar die Rahmenbedingungen hierfür schaffen und resilient und unnachgiebig an Strukturaufbau, Vernetzung und politischer Gegenmacht arbeiten. Doch den Kampf tragen die selbst Menschen auf die Straße.

Eine Proletarisierung der Partei bedeutet genau das: dass die Partei nicht mehr nur für, sondern mit denjenigen Politik macht, die sie vertreten möchte. Sie wird so wieder zu einer Partei, die nicht von außen organisiert, sondern in der arbeitenden Klasse selbst verankert ist. Weniger akademisch, mehr praxisbezogen – und auch die soziale Zusammensetzung wird sich nachhaltig verändern, wenn Menschen über Initiativen für bezahlbares Wohnen oder gewerkschaftliche Kämpfe in Kontakt mit der Partei kommen.

Es liegt nun an der Linken, ob sie die freigewordene Energie in konkrete Strukturen und langfristige Organisierung übersetzen kann oder sie wieder versickern lässt. Gelingt der Aufbau von Gegenmacht, kann die Mietenkampagne der entscheidende Schritt sein, der die Linke als fähige Kraft im Parlament und in der Bevölkerung wieder sichtbar macht und beweist, dass eine Politik für die Vielen – und mit ihnen – möglich ist.

Jana Lemke arbeitet als Lehrerin an einer beruflichen Schule und engagiert sich in der Linken Kiel.