16. September 2024
Nach der rasanten Ausbreitung des Mpox-Virus im Kongo werden nun endlich Impfdosen in das Land geliefert – allerdings viel zu wenige. Die Epidemie zeigt einmal mehr, wie gefährlich es ist, die Herstellung und Verteilung von Impfstoffen der Pharmaindustrie zu überlassen.
Impfdosen gegen Mpox des Herstellers Bavarian Nordic, 17. Januar 2023.
Ende vergangener Woche (und nach mehreren Verzögerungen) ist endlich eine erste Lieferung mit gespendeten Mpox-Impfstoffdosen in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) eingetroffen. Die Pharmaunternehmen und die westlichen Regierungen, die seit zwei Jahren auf diesen Impfstoffvorräten sitzen, dürften nun versuchen, dies als einen PR-Erfolg für sich zu verbuchen. Die Wahrheit ist aber, dass diese neue Krise den unfairen wie neokolonialen Charakter des globalen Gesundheitssystems offenbart.
Man könnte meinen, wir hätten unsere Lektionen aus der Coronavirus-Pandemie gelernt, gerade in Bezug auf die himmelschreienden Ungleichheiten bei Produktion und Bereitstellung von medizinischen Mitteln wie Impfstoffen. Dennoch sträuben sich diejenigen, die vom Status quo profitieren, nach wie vor gegen einen dringend notwendigen Wandel. Solange das derzeitige System bestehen bleibt, stellt es eine Gefahr für die Gesundheit der Menschen auf der ganzen Welt dar.
Paul Chaplin ist CEO von Bavarian Nordic. Das Unternehmen hat Jynneos, den bisher wirksamsten Impfstoff gegen Mpox, entwickelt. Er erklärte kürzlich, er sei stolz darauf, den Bedarf an medizinischen Produkten in der Demokratischen Republik Kongo nun decken zu können. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides zeigte sich ebenfalls erfreut. Die EU habe echte »Partnerschaft und globale Solidarität über Grenzen hinweg« gezeigt.
Mit knapp 100.000 Dosen war die erste Lieferung von Mpox-Impfstoffen in die Demokratische Republik Kongo jedoch überschaubar. Das Land benötigt nach eigenen Angaben rund drei Millionen Dosen. Erschwerend hinzu kommt, dass sich mehrere früher geplante Lieferungen aus den USA verzögert hatten. Das zentralafrikanische Land hatte vor satten achtzehn Monaten den Mpox-Ausbruch zur Epidemie erklärt. In diesem Zeitraum haben die Vereinigten Staaten einen riesigen Vorrat an Impfstoffen angehäuft. Laut Plänen sollten bis Mitte vergangenen Jahres bereits 7 Millionen Dosen bereitstehen. Umso erschreckender, dass erst jetzt eine Handvoll Dosen nach Afrika gespendet werden.
Es ist seit Längerem klar, dass dieses »Spendenmodell« zur Bereitstellung von Impfstoffen für Länder des Globalen Südens nicht funktioniert: In mehreren Gesundheitskrisen ließ sich beobachten, dass es zu katastrophalen Fehlentwicklungen kam. Ganz besonders galt das für die Corona-Pandemie, als Pharma-CEOs riesige Gewinne einstreichen konnten, indem sie fast ausschließlich an reiche Länder verkauften, die dann Unmengen an Impfstoffen horteten. So ergab sich die paradoxe Situation, dass einige Menschen in Großbritannien bereits ihre Booster-Impfungen verabreicht bekamen, während drei Viertel der Angestellten in allen afrikanischen Gesundheitssystemen noch immer keine Erstimpfung erhalten hatten. Mehr als 1 Million Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen verloren ihr Leben, weil diese Teile der Welt bei der Versorgung mit Impfstoffen schlichtweg keine Priorität waren. Diese gefährliche Dynamik spielt sich nun erneut ab: Denn erst jetzt, da Mpox auch eine Bedrohung für westliche Länder zu werden droht, werden (verspätete) Maßnahmen ergriffen.
Das Spendenmodell ermöglicht es Pharmaunternehmen, ihre Gewinne zu maximieren, da reiche Länder die Dosen oft zum Marktpreis kaufen, bevor sie in ärmere Staaten weitergeleitet werden. In unserer hektischen Nachrichtenwelt können sich diese Unternehmen und die impfstoffkaufenden Staaten sogar noch als Inkubatoren für fortschrittliche Wissenschaft zum Wohle der gesamten Welt aufspielen. Dabei verschleiern die vermeintlich wohltätigen »Impfstoffspenden« an den Globalen Süden den Bedarf an einer grundlegenden Veränderung des gesamten Systems.
»Diese Gesetze verhindern die Produktion von Impfstoffen im Globalen Süden und machen diese Staaten von Konzernen aus dem Globalen Norden abhängig.«
Bavarian Nordic gibt an, 40.000 Dosen des Mpox-Impfstoffs gespendet zu haben. Das Unternehmen machte aber auch deutlich, man erwarte, dass reichere Nationen und Institutionen nun einspringen, um die Nachfrage in Staaten wie der DRK zu decken. Berichten zufolge verlangt das Unternehmen 200 Dollar für die pro Patient erforderliche Doppeldosis – obwohl die Entwicklung des Impfstoffs massiv mit Steuergeldern gefördert wurde und ähnliche Impfstoffe für weniger als 3 Prozent dieses Preises zu haben sind.
Zweifellos sind aktuell mehr Spenden von Impfstoffdosen erforderlich. Das darf jedoch kein Vorwand sein, um die Forderungen der Menschen im Globalen Süden zu ignorieren, die sich seit Jahrzehnten gegen ungerechte globale Handelsgesetze einsetzen. Diese Gesetze verhindern die Produktion im Globalen Süden und machen diese Staaten weiterhin abhängig von Konzernen aus dem Globalen Norden.
Im Zentrum dieses gescheiterten Modells steht eine Reihe rigoroser Vorschriften zum geistigen Eigentum, die es Pharmaunternehmen ermöglichen, Monopole auf lebensrettende medizinische Produkte aufzubauen. Die Vorschriften im sogenannten TRIPS-Abkommen (der Vereinbarung zu »Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights«) gehen auf die Lobbyarbeit von US-Pharmaunternehmen zurück, die Konkurrenz durch die aufstrebende Arzneimittelindustrie in den unabhängig gewordenen Ex-Kolonien verhindern wollten.
Diese 1995 im Rahmen der Welthandelsorganisation eingeführten Regeln erschweren es anderen Ländern erheblich, eigene Industrien für die Herstellung von Medikamenten aufzubauen, und festigten die Marktdominanz der US-amerikanischen und europäischen Konzerne. Das hat katastrophale Folgen – von der Entscheidung der Pharmaunternehmen, den meisten Afrikanerinnen und Afrikanern den Zugang zu Anti-HIV-Behandlungen zu verwehren, bis hin zur Gewohnheit der Industrie, Krankheiten und Epidemien solange zu ignorieren, bis sie eine Bedrohung für den Globalen Norden darstellen könnten.
Das ist der aktuelle Status quo, gegen den die Staaten des Globalen Südens nun aufbegehren – während mächtige westliche Stakeholder darum kämpfen, ihn beizubehalten. Aktuell wird ein neues globales Pandemieabkommen verhandelt, das theoretisch eine Reaktion auf die Lehren aus der Corona-Pandemie und die katastrophalen globalen Ungleichheiten sein soll, die im Zuge dessen sichtbar wurden.
Ärmere Länder fordern Maßnahmen und Investitionen für einen Technologietransfer zur Herstellung von Medikamenten sowie ein Ende der Patentmonopole der westlichen Pharmaindustrie bei künftigen Krisen. Die Industrie und ihre Fürsprecher in den USA und Europa versuchen ihrerseits, Maßnahmen zu blockieren, die Big Pharma im Westen tatsächlich schaden könnten. Doch die Legitimität des Status quo erodiert allmählich.
»Es braucht erhebliche Investitionen und einen echten Technologietransfer aus den reichen Nationen in den Globalen Süden. Dafür ist starker politischer Druck erforderlich, auch im Globalen Norden.«
So nehmen viele Länder die Angelegenheit inzwischen selbst in die Hand: Dieses Jahr hat die linksgerichtete Regierung Kolumbiens eine Zwangslizenz eingeführt, um den Weg für billigere Generika von Dolutegravir, einem wichtigen HIV-Medikament, zu ebnen. Eine weitere »Gefahr« für das etablierte System geht von einem möglicherweise bahnbrechenden neuen Programm zur Entwicklung von mRNA-Impfstoffen aus: Mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation arbeiten ein südafrikanisches Biotechnologieunternehmen und eine staatliche wissenschaftliche Forschungseinrichtung aus Brasilien an der Entwicklung von Impfstoffen für Krankheiten, von denen vor allem Menschen im Globalen Süden betroffen sind. Anschließend sollen die Arbeitsergebnisse, inklusive der entsprechenden Patente, mit fünfzehn Ländern mit niedrigem und mittlerem BIP geteilt werden.
Initiativen wie diese sind bei der Pharmaindustrie nicht sonderlich gern gesehen. Die britischen Konzerne GSK und ViiV fechten die Zwangslizenz der kolumbianischen Regierung bereits vor Gericht an. Pharmalobbyisten empfahlen Investoren darüber hinaus, das südafrikanische mRNA-Programm zu ignorieren und die Herstellung von Impfstoffen für Afrika europäischen Unternehmen zu überlassen. Bisher haben sowohl die kolumbianische Regierung als auch das internationale mRNA-Impfstoffprogramm aber standgehalten.
Auch in Bezug auf Mpox preschen Hersteller im Globalen Süden voran. Nur wenige Wochen nachdem ein Vertreter von Bavarian Nordic andeutete, dass die Produktion seines Impfstoffs in Afrika »technisch einfach nicht machbar« sei, berichtete ein südafrikanisches Unternehmen, man habe Gespräche über die Herstellung von Impfstoffen gegen das Virus aufgenommen.
Damit diese Initiativen mehr als nur kleine Risse im System sind, braucht es erhebliche Investitionen und einen echten Technologietransfer aus den reichen Nationen in den Globalen Süden. Dafür ist starker politischer Druck erforderlich, sicherlich in den direkt betroffenen Ländern, aber auch im Globalen Norden.
Es muss Solidarität mit denjenigen geben, die am stärksten von der aktuellen Situation betroffen sind. Es sollte eigentlich nicht schwer sein, daran zu erinnern, dass wir ein gemeinsames Interesse daran haben, ein Pharma- und Gesundheitssystem zu bekämpfen, dessen Hauptakteure bisher nur ihren Aktionären gegenüber rechenschaftspflichtig sind und keinerlei Interesse an den Menschen zeigen, deren Leben von ihren Produkten abhängen kann.
Auch das war schon während der Coronavirus-Pandemie deutlich geworden, als die Produktionskontrolle durch Pharmaunternehmen sowie die nur sehr zögerlich erfolgende Bereitstellung von gespendeten Impfstoffen die Chancen für eine weitere Ausbreitung und Mutationen des Virus erhöhten. Dadurch wurde die globale Gesundheitskrise für alle verlängert und verschärft. Ein weiterer guter Grund, gegen das bestehende System aufzubegehren, ist die hohe finanzielle Belastung, die die Pharmamonopole für unsere gemeinsamen Staatshaushalte darstellen.
Regierungen und Großkonzerne mögen sich aktuell gegenseitig dafür auf die Schultern klopfen, dass sie einen kleinen Teil der Mpox-Impfstoffe geliefert haben, die zum Schutz der Menschen in der DRK und den Nachbarländern benötigt werden. Doch es ist klar, dass diese alten, neokolonialen Formen der »Wohltätigkeit« und des oberflächlichen Herumdokterns an irrelevanten Stellen des derzeitigen Systems einfach nicht ausreichend sind. Es braucht einen echten Wandel.
Aktivistinnen, Aktivisten und Gesundheitspersonal im Globalen Süden fordern richtigerweise viel mehr: eine Umwälzung dieses gesamten Systems, das im alleinigen Interesse von Big Pharma aufgebaut wurde. Wenn sie diesen Kampf gewinnen, gewinnen wir alle.
Tim Bierley ist Campaigner bei Global Justice Now.