02. Februar 2024
2024 ist ein Superwahljahr in Österreich. Während die KPÖ auch in Salzburg den Bürgermeister stellen könnte, droht das restliche Land im rechtsextremen Sumpf zu versinken.
Kay-Michael Dankl, Bürgermeisterkandidat der KPÖ PLUS in Salzburg, beim Wahlkampfauftakt in der Südtiroler Siedlung, wo hunderten gemeinnützigen Wohneinheiten der Abriss droht.
Fast fünf Jahre sind vergangen, seit sich Österreichs Schwarz-Blaue Regierung von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache im Zuge der Ibiza-Affäre auflöste. Bei der anschließenden Nationalratswahl 2019 verlor die FPÖ knapp 10 Prozent, im Land hofften viele, dass es Jahre dauern würde, bis sich die Freiheitlichen von diesem Rückschlag erholen würden. Die Hoffnung war nicht unbegründet. Schließlich wurde die FPÖ erneut als korrupte Partei entlarvt, verlor mit Strache ihr Zugpferd, erntete nach ihrem Rausschmiss aus der Regierung Wahlschlappen bei diversen Landtagswahlen und hatte mit internen Streitigkeiten zu kämpfen.
Eine Pandemie und eine massive Teuerungswelle später ist von dieser Hoffnung wenig übrig. 2024 wird in Salzburg und Innsbruck ein neuer Gemeinderat gewählt, in der Steiermark und in Vorarlberg ein neuer Landtag, zudem ein neues EU-Parlament und schließlich auch der Nationalrat. Für die Rechten könnten die Prognosen, besonders mit Blick auf den Bund, kaum besser sein. Seit Monaten führt der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl mit mehr oder weniger großem Abstand alle Umfragen für die Nationalratswahl an. Seine Partei steht bei rund 30 Prozent, könnte im Herbst sogar den Kanzler stellen – und braucht dafür nicht einmal einen charismatischen Spitzenkandidaten, wie einst Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache.
Der linke Hoffnungsträger der SPÖ, Andreas Babler, stagniert seit seinem Amtsantritt und die Grünen haben in ihrer anbiedernden Koalition mit der Volkspartei viel Authentizität eingebüßt. Doch zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist die KPÖ eine wählbare Alternative. In der Steiermark rechnet man mit Zugewinnen, nach dem Wahlsieg von Elke Kahr in Graz vor knapp zwei Jahren hat nun ihr Parteigenosse Kay-Michael Dankl gute Chancen, Bürgermeister von Salzburg zu werden. Im Herbst ist sogar ein Einzug der KPÖ in den Nationalrat möglich.
Zuerst die guten Nachrichten: Die KPÖ profitiert 2024 davon, dass gerade in den Bundesländern gewählt wird, in denen sie in den vergangenen Jahren erfolgreich war. Dazu zählt zuallererst die Steiermark, wo die Partei schon seit 2005 im Landtag vertreten ist. Eine neue Umfrage prognostiziert den Kommunisten 14 Prozent. Im Vergleich zu 2019 wäre das mehr als eine Verdopplung. Auch wenn Umfragen keine Wahlergebnisse ersetzen: Es gibt guten Grund zur Annahme, dass der Partei große Zugewinne gelingen werden.
Die Regierungszeit der Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr verlief ohne Enttäuschungen. Im Gegenteil: Für das Jahr 2023 wurde sie als weltbeste Bürgermeisterin geehrt. In der Erklärung hieß es, sie werde »für ihren selbstlosen Einsatz für ihre Stadt und deren Bürger ausgezeichnet«.
Auch Versuche politischer Gegner, der KPÖ stattdessen anhand ihrer außenpolitischen Positionen zu schaden, liefen zumeist ins Leere. Weder die Tatsache, dass sich die KPÖ nicht – wie von den NEOS gefordert – zu den Russland-Sanktionen »bekennen« wollte, noch ihr Votum gegen das Hissen einer israelischen Fahne am Grazer Rathaus haben sich negativ ausgewirkt. Der Landtagsabgeordnete Werner Murgg, der der Partei fast im Alleingang negative Presse aufgrund seiner Reisen nach Donezk und Belarus bescherte, wird 2024 nicht mehr antreten.
»Wie schon im Landtagswahlkampf setzt Kay-Michael Dankl besonders auf das Thema Wohnen – in der zweitteuersten Stadt des Landes trifft er damit einen Nerv.«
Die KPÖ hat sich in ihren Hochburgen in den Bundesländern als wirksame Alternative gegen Politikverdrossenheit erwiesen. Wählerstromanalysen zeigen, dass die Partei bei den Bürgermeisterwahlen 2021 in Graz von allen Parteien dazugewann – doch besonders bei Nichtwählenden konnte Elke Kahr punkten.
Die Analyse der Landtagswahl in Salzburg kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Kay-Michael Dankl ist seit dem 11,7-Prozent-Wahlerfolg vom letzten Jahr sogar noch beliebter geworden. Im Dezember hatte er die mit Abstand besten Vertrauenswerte im Salzburger Landtag. Im Frühling wird Dankl als Bürgermeisterkandidat in Salzburg-Stadt antreten. Seine Chancen stehen gut. Wie schon im Landtagswahlkampf setzt er besonders auf das Thema Wohnen – in der zweitteuersten Stadt des Landes trifft er damit einen Nerv.
Außerdem geben KPÖ-Abgeordnete in Salzburg wie in der Steiermark einen Teil ihres Gehalts ab. Rund 2.400 Euro netto behalten sich die Salzburger Abgeordneten selbst, der Rest geht an Menschen in Notlagen. 2023 kamen so insgesamt 45.626,60 Euro zusammen. Die KPÖ Steiermark hat durch die Gehaltsabgaben seit 1998 3,2 Millionen Euro gesammelt und umverteilt. Dieses Rezept macht die Partei mit ihrem sozialen Programm dermaßen glaubwürdig, dass nach der zweitgrößten Stadt Österreichs, Graz, ab Frühling vielleicht auch die viertgrößte Stadt, Salzburg, kommunistisch regiert werden könnte.
Ein solcher Erfolg in Salzburg könnte auch Pia Tomedi, der KPÖ-Spitzenkandidatin in Innsbruck, Auftrieb geben. In Tirol steht die Partei noch am Anfang, aktuell werden Unterschriften gesammelt, um bei den Gemeinderatswahlen im April antreten zu können. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Rezept aus Graz und Salzburg auch hier anschlägt. Innsbruck ist die teuerste Wohn-Stadt Österreichs, die Sozialdemokratie ist im tiefschwarzen Bundesland traditionell schwach. Wie Dankl und Kahr setzt auch Tomedi besonders auf das Thema Wohnen. Und: In beiden Bundesländern begann der Erfolg der KPÖ ebenso mit dem Einzug in den Gemeinderat der jeweiligen Hauptstadt.
Diese Wahlen könnten der KPÖ den nötigen Rückenwind geben, um im Herbst in den Nationalrat einzuziehen. Das wäre eine Sensation – seit 1959 war die Partei dort nicht mehr vertreten. Das ist aber leider kein hinreichender Grund für linke Jubelstimmung. Denn in der Fläche wird der Erfolg der KPÖ von den überbordenden Prognosen für die FPÖ mehr als überschattet.
Österreich erwartet mit großer Wahrscheinlichkeit erneut eine Regierungsbeteiligung der FPÖ – getragen von der ÖVP. Diese versichert zwar von Kanzler Karl Nehammer abwärts, man werde nicht mit einer FPÖ unter Herbert Kickl koalieren, aber es gibt keinen Grund, diesem laxen Versprechen zu glauben. Davon abgesehen ist die FPÖ mit und ohne Kickl die gleiche rechtsextreme Partei. Viele trauen der ÖVP sogar zu, die FPÖ nicht nur zur Juniorpartnerin, sondern gleich zur Kanzlerpartei zu machen.
In Österreich ist die Zusammenarbeit mit Rechtsextremen anders als in Deutschland schon lange kein Tabubruch mehr. Das sogenannte Dritte Lager neben der ÖVP und der SPÖ ist ein fester Bestandteil der österreichischen Nachkriegsordnung. 1949 wurde die Vorgängerpartei der FPÖ, der Verband der Unabhängigen (VdU), gegründet. Alt-Nazis und Deutschnationale hatten damit schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Möglichkeit, sich in einer eigenen Partei neu zu organisieren. Ab den 1980ern verwandelte Jörg Haider die FPÖ in den Prototyp dessen, was heute in den meisten Medien als »rechtspopulistische Partei« bezeichnet wird. Zwanzig Jahre bevor die AfD überhaupt gegründet wurde, erreichte die FPÖ schon 22 Prozent bei Nationalratswahlen.
»Das letzte FPÖ-Wirtschaftsprogramm forderte, Wohlhabende und Unternehmende zu entlasten und bei Sozialleistungen zu sparen. Es ist kein Zufall, dass das nach ÖVP klingt.«
Jahrelang ist man in Österreich mit der FPÖ genauso umgegangen wie heute mit der AfD in Deutschland: Konservative wie Sozialdemokraten grenzten sich von ihr ab und versicherten vor Wahlen, eine Koalition mit der FPÖ werde es nicht geben. 1999 verkündete dann Wolfgang Schüssel von der ÖVP einen entscheidenden Dammbruch: eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene. Die »Brandmauer« gegen Rechtsextreme, an die sich heute viele Deutsche noch klammern, wurde in Österreich schon in den 1990ern eingerissen.
Unter Sebastian Kurz, der sich rhetorisch ohnehin kaum mehr von der FPÖ unterschied, wurde der Schulterschluss mit den Rechtsextremen vollends zementiert. Seither sind schwarz-blaue Koalitionen gerade in den Bundesländern neue Normalität. In Salzburg und Niederösterreich regiert die FPÖ nach massiven Wahlsiegen seit 2023 mit der ÖVP. In Oberösterreich läuft es schon seit 2015 harmonisch zwischen den beiden Parteien – vielleicht steht das Bundesland unter einem schlechten Stern: Hier wurden sowohl Adolf Hitler als auch Jörg Haider geboren.
Wenn die ÖVP nicht einmal in Niederösterreich, dem Bundesland mit der vielleicht rechtesten FPÖ-Landesgruppe, ein Problem mit einer Zusammenarbeit hat, warum sollte sie es dann im Bund haben? Zur Erinnerung: ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wurde von ihrem heutigen Koalitionspartner im Wahlkampf 2018 noch »Moslem-Mama Mikl« genannt. Ihr Stellvertreter Udo Landbauer war Vorsitzender einer Burschenschaft, die Lieder sang, in denen zur Fortführung des Holocausts aufgerufen wurde.
Besonders seit dem Rechtsruck unter Sebastian Kurz ist die ÖVP ideologisch weitaus näher an der FPÖ als an den Grünen oder der SPÖ. In der aktuellen Regierung mit den Grünen muss sich die Volkspartei immer wieder mit für sie lästigen Fragen auseinandersetzen. Dazu zählt etwa die langjährige grüne Forderung nach einem neuen Klimaschutzgesetz. Mit der FPÖ hingegen könnte sich die ÖVP in zentralen Punkten sehr schnell einigen: weniger Klimaschutz, noch rassistischere Migrationsgesetze und ein »schlanker Staat«.
Das letzte FPÖ-Wirtschaftsprogramm stammt aus dem Jahr 2017. Dort forderte die Partei, Wohlhabende und Unternehmende zu entlasten und bei Sozialleistungen zu sparen. Es ist kein Zufall, dass das nach ÖVP klingt – machen doch beide Parteien in erster Linie Politik für die Oberschicht.
Entgegen der verbreiteten Annahme haben Regierungsbeteiligungen der FPÖ im Bund ihr bisher nur kurzzeitig geschadet. Die Partei wurde nie »entzaubert«, die österreichische Bevölkerung war nicht plötzlich entsetzt von ihrem Rechtsextremismus. Genauso wenig haben andere Parteien ein wirksames Rezept gegen die Freiheitlichen gefunden. Es waren stets die korrupten Machenschaften der FPÖ oder ihre internen Streitigkeiten, die der Partei zum Verhängnis wurden. Jedes Mal kam sie danach wieder zurück – heute, fünf Jahre nach ihrer größten Korruptionsaffäre, ist sie stärker denn je.
Statt der FPÖ mit eigenen Erzählungen und konsequenter politischer Haltung zu begegnen, haben die österreichischen Parteien immer darauf gesetzt, die Positionen der FPÖ schrittweise zu übernehmen. Was Emmanuel Macron gegen die Rassemblement National in Frankreich oder Friedrich Merz gegen die AfD in Deutschland versucht, ist in Österreich seit Jahren – wenn nicht Jahrzehnten – Usus. Darum sind besonders im Bereich Asyl und Migration frühere FPÖ-Forderungen heute Mainstream. Nachhaltig davon profitiert hat niemand außer die FPÖ selbst.
SPÖ wie ÖVP haben sich lange nicht getraut, eigene Positionen zu diesen Fragen zu entwickeln. Dem zugrunde lag die Erzählung einer unumstößlichen »rechten Mehrheit« im Land. Die Österreicherinnen und Österreicher seien einfach gesellschaftlich rechts, so der Tenor. Mit linken Themen gebe es nichts zu gewinnen.
Es ist wahr, dass rechte Parteien in Österreich in den vergangenen Jahren fast durchgehend eine Mehrheit hatten. Aber das als unumkehrbare Realität anzunehmen, war gerade für die SPÖ ein großer Fehler. Niemand kommt als Rechter oder Faschistin zur Welt, nicht einmal in Österreich. Mehrheiten müssen erkämpft werden. Wieder und wieder erklärten Linke fast gebetsmühlenartig, dass es glaubhafte politische Angebote braucht – solche, die spürbar etwas im Alltag der Menschen verbessern.
»In den meisten Nationalratswahl-Umfragen liegt Andreas Babler aktuell auf Platz zwei. Um Herbert Kickl zu schlagen, muss er den Spirit aus dem SPÖ-Vorwahlkampf in den Bundeswahlkampf bringen.«
Andreas Babler, seit rund einem halben Jahr SPÖ-Chef, versucht dieses Credo innerhalb seiner Partei umzusetzen. Während des Richtungsstreits im internen SPÖ-Wahlkampf, der zwischen ihm und dem als rechts geltenden Hans Peter Doskozil im Frühling vergangenes Jahr stattfand, ist ihm das gelungen. Wochenlang sprachen österreichische Medien nicht über die von der FPÖ vorgegebenen Themen – Asyl und Migration –, sondern über Arbeitszeitverkürzung, Vermögenssteuern und gleiche Bezahlung für Frauen.
Doch seit Babler Parteichef ist, ist er in einer schwierigeren Position: Er muss jetzt seine Fans und Gegner gleichermaßen hinter sich vereinen. Unter Linken breitete sich die Sorge aus, er könne an den konservativen Strukturen seiner Partei und den Vorstellungen rechter Genossinnen und Genossen scheitern – so wie einige Jahre zuvor Jeremy Corbyn in der Labour Party.
In der Süddeutschen Zeitung erklärte Babler seinen zurückhaltenderen öffentlichen Auftritt zuletzt so: »Wir haben aus einer schwierigen Lage heraus gesehen, dass wir unsere Energien erst nach innen richten mussten, um die Partei zu einen.« In der nächsten Phase würde jetzt an einer »breiten Themenpalette« für den Außenauftritt gearbeitet. Es ist bitter nötig, dass Babler dieser Wechsel gelingt.
In den meisten Nationalratswahl-Umfragen liegt er aktuell auf Platz zwei. Um Kickl zu schlagen, muss er den Spirit aus dem SPÖ-Vorwahlkampf in den Bundeswahlkampf bringen. Er muss entschieden für seine Forderungen einstehen – unabhängig davon, ob ihm das interne Kritik von seinen Gegnerinnen und Gegnern in den Bundesländern einbringt. Er muss zeigen, dass er seine Partei im Griff hat und darf sich von Hans Peter Doskozils »Zwischenrufen« aus dem Burgenland oder Georg Dornauers nervtötenden Kommentaren aus Tirol nicht verunsichern lassen.
Ein Achtungserfolg der SPÖ und ein regionaler Aufschwung der KPÖ, wie sie sich derzeit abzeichnen, sind nicht genug, um in diesem Jahr den schlimmsten Fall einer FPÖ-Kanzlerschaft zu verhindern. Doch was in der Steiermark und in Salzburg geschieht, macht Hoffnung auf bessere Zeiten. Denn auf den linken »Inseln des Widerstands«, wie Elke Kahr es einmal nannte, wird bewiesen, dass eine Politik jenseits sozialer Kälte und rassistischer Hetze möglich ist.
Magdalena Berger ist Assistant Editor bei JACOBIN.