23. Juli 2021
Die Olympiade der Arbeiterklasse
Die Arbeiterolympiade von 1931 in Wien war ein inspirierender Gegenentwurf zum kommerzialisierten Profisport. Diese Aufnahmen zeigen, wie die Arbeiterbewegung jenseits der Werktore ihre eigene Sportkultur und Klassenidentität zelebrierte.

Vor dem Start zu einem der Radrennen. Drei britische Arbeitersportler in der ersten Reihe.
(ASKÖ).Von Gabriel Kuhn und Georg Spitaler
Wenn in Tokio die Olympischen Spiele beginnen, ist es genau 90 Jahre her, dass eine alternative linke Sportkultur einen ihrer Höhepunkte erlebte. Von 19. bis 26. Juli 1931 fand in Wien die 2. Arbeiterolympiade der Sozialistischen Arbeiter-Sport-Internationale (SASI) statt. Tausende Athletinnen und Athleten aus achtzehn Nationen nahmen an den Wettkämpfen und Vorführungen in Disziplinen wie Leichtathletik, Fußball, Wehrsport oder Schach teil. Die Massenturnübungen, Paraden und sonstigen Veranstaltungen versammelten insgesamt rund 80.000 Mitwirkende. Die Arbeiterolympiade bildete mit dem anschließenden 4. Internationalen Sozialistenkongress einen Höhepunkt der Selbstrepräsentation des Roten Wiens.
Die Arbeiterolympiade in Wien war die größte der drei von der SASI organisierten Olympiaden. Die erste fand 1925 in Frankfurt statt, die dritte 1937 in Antwerpen. Letztere stand unter einem schlechten Stern. In Deutschland und Österreich, den Zentren der Arbeitersportbewegung, waren die Arbeitersportverbände von den faschistischen Regimes bereits verboten worden. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs löste sich die SASI auf.
Die Arbeiterolympiaden verbanden kollektive Sport- und Feierelemente. In Wien gab es unter anderem ein Massenfestspiel mit 4.000 Aktiven im Wiener Praterstadion, das die Heldengeschichte des Proletariats erzählte. Das kurz vor den Spielen fertiggestellte modernistische Stadion wurde zum stilbildenden Vorbild für andere Stadionbauten auf dem Kontinent. Mittlerweile in Ernst-Happel-Stadion umbenannt, dient es bis heute als Nationalstadion Österreichs.
Die Arbeitersportbewegung stand für ein pädagogisches Gegenmodell zum bürgerlichen beziehungsweise kapitalistisch organisierten Sport – sowohl der Spiele des Internationalen Olympischen Komitees, als auch des Profisports, etwa dem Fußball. Der Schädigung und Einschränkung der Arbeiterklasse aufgrund von schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen sollte durch individuelle körperliche Entfaltung und die kollektive Formierung einer selbstbewussten Klassenidentität begegnet werden.
Gabriel Kuhn, geboren in Innsbruck, lebt als Autor, Übersetzer und Gewerkschaftsaktivist in Schweden. Er schrieb über das Rote Wien und die Arbeiterolympiade in »Antifascism, Sports, Sobriety: Forging a Militant Working-Class Culture« (2017). Gabriel betreibt den Blog lefttwothree.org.
Georg Spitaler forscht am Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung (VGA). Co-Kurator von »Das Rote Wien 1919-1934« und Mitherausgeber von »Das Rote Wien. Schlüsseltexte der Zweiten Wiener Moderne«.