24. November 2025
Vor 35 Jahren starb mit dem britischen Politiker Richard Acland ein konsequenter Verfechter der Freiheit. Vom Liberalen wandelte er sich zu einem Sozialisten, der die freie Entfaltung aller Menschen durch demokratische Gemeinwirtschaft ermöglichen wollte.

Faschisten und Neoliberalen war er ein Dorn im Auge: der liberale Sozialist Richard Acland.
Joseph Goebbels’ Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 ist vor allem deshalb berüchtigt, weil der Nazi-Propagandaminister die Deutschen darin zum »totalen Krieg« peitschte. Wenig beachtet ist hingegen der Umstand, dass Hitlers Chefhetzer in derselben Rede warnte, dass »die bolschewistische Gefahr auch in England gegeben« sei. Bei einer Nachwahl zum Unterhaus hätten »die Rechtsparteien […] die Hälfte aller Wählerstimmen an die Kommunisten verloren«.
Gemeint war die neugegründete Common Wealth Party, die im schottischen Wahlkreis Midlothian and Peebles Northern tatsächlich ein ehemaliges Mitglied der Communist Party of Great Britain ins Rennen geschickt hatte. Doch die von Goebbels als anglobolschewistisch gezeichnete Partei war in Wahrheit keineswegs am sowjetischen Sozialismusmodell orientiert und rekrutierte sich auch nicht nur aus Kommunisten. Zu ihren Gründern und Führungsfiguren zählte auch ein prominenter liberaler Politiker: Richard Acland.
Acland gehört sicherlich zu den interessantesten politischen Figuren des 20. Jahrhunderts in Großbritannien. Anders als es das verbreitete Klischee will, wonach jugendliche Sozialisten später abgebrühte Liberale werden, fand er als Liberaler zum Sozialismus. Das geschah allerdings nicht in der Weise, dass er von seinem Freiheitsideal abgelassen hätte. Vielmehr führte ihn gerade die konsequente Verfolgung des liberalen Gedankens zur Idee der Gemeinwirtschaft. Auf der Grundlage einer Verbindung von liberalem Motiv und sozialistischen Zielsetzungen wollte er eine Gesellschaft errichten, die den Faschismus unmöglich machen würde.
»Acland war mit einem Glauben an den ›automatischen, von alleine laufenden Laissez-faire-Liberalismus‹ aufgewachsen, der jedoch unter dem Eindruck der kapitalistischen Krise der 1930er Jahre Risse bekam.«
Als Baronet von Columb John entstammte Richard Acland dem niederen englischen Adel. 1935 wurde er erstmals als Vertreter der Liberal Party ins britische Unterhaus gewählt. Zeitweise saß er dort gemeinsam mit seinem Vater, der dem Parlament bereits seit 1906, dem Geburtsjahr seines Sohnes, angehörte.
Laut Selbstauskunft war Acland mit einem Glauben an den »automatischen, von alleine laufenden Laissez-faire-Liberalismus« aufgewachsen, der jedoch unter dem Eindruck der kapitalistischen Krise der 1930er Jahre sowie nach seiner Lektüre von John Maynard Keynes Risse bekam. In weit verbreiteten politischen Interventionsschriften erläuterte er öffentlichkeitswirksam seine sich hiervon stetig entfernenden Vorstellungen. Von George Orwell als »Kleinkindsprache« verspottet und im Unterhaus von seinen Abgeordnetenkollegen mitunter verlacht, war der Stil von Aclands Interventionen einfach und allgemeinverständlich gehalten. Sie fanden auch deswegen populären Nachhall.
Sein 1937 publiziertes Erstlingswerk Only One Battle wurde von der antifaschistisch-demokratischen Buchgemeinschaft Left Book Club vertrieben. Darin zeigte er sich als Vertreter des Liberalismus, der diesen zwar näher am Sozialismus als am Konservatismus situierte, sich aber trotzdem noch in klassisch-liberaler Manier gegen die Vergesellschaftung von Industriezweigen aussprach.
Angesichts dessen, dass die äußerste Rechte auf dem Kontinent erstarkte, avancierte Acland zum Befürworter einer breiten Volksfront in Großbritannien. Als Vorbild hierfür sah er den Abwehrkampf der spanischen Republik gegen den faschistischen Putsch im Jahr 1936: »Liberale, Radikale, Sozialisten, Kommunisten und Trotzkisten sterben Seite an Seite bei der Verteidigung Madrids. Der prinzipielle Unterschied zwischen Madrid und London ist, dass noch keine echten Bomben auf London fallen.«
In der Begegnung mit Sozialdemokraten und Kommunisten wandte sich Acland wirtschaftsdemokratischen Vorstellungen zu. Obwohl er den Marxismus weiterhin kritisierte, erachtete er ihn inzwischen als einen »Appell an die Vernunft«.
Die 1942 aus der Taufe gehobene Common Wealth Party plädierte unter der Parole »Gemeineigentum« nicht nur für eine Verstaatlichung der Schlüsselindustrien, wie sie 1945 von der ersten Labour-Mehrheitsregierung tatsächlich in Angriff genommen werden sollte. Sie trat darüber hinaus auch für die von dieser Regierung später unterlassene demokratische Kontrolle der zu vergesellschaftenden Betriebe ein. Zu den jungen britischen Sozialisten, die sich bei ihrer Gründung von Aclands Common Wealth Party angezogen fühlten, gehörte zum Beispiel Tony Benn, die spätere Galionsfigur des linken Flügels der Labour Party und Mentor Jeremy Corbyns.
Obwohl die Ideenwelt von Acland und seiner Partei zu einem Gutteil eher ethisch motiviert und religiös fundiert waren, überzeugten sie den Kommunisten und Interbrigadisten Tom Wintringham vom gemeinsamen Engagement – es war sein Achtungserfolg in Midlothian and Peebles Northern, auf den Goebbels in alarmistischer Weise in seiner Sportpalastrede verwies.
»Da der Faschismus laut Acland alle erdenklichen anti-egalitären Konzepte der Geschichte in sich verkörperte und radikalisierte, konnte seine Bezwingung nur im Zeichen des Aufbaus einer egalitären Gesellschaft gelingen.«
Ein weiteres ehemaliges KP-Mitglied, Tom Driberg, der später den linken Labour-Flügel verstärken sollte, zeigte sich begeistert von Aclands organisatorischen und rhetorischen Qualitäten: »Acland ist kein naiver Träumer: Ich kenne niemanden, der in den Taktiken und Techniken des modernen Wahlkampfes versierter wäre – und er könnte wichtige Mitarbeitende und Helfende über ihre Aufgaben instruieren und sie zugleich mit einer Begeisterung für diese infizieren.«
Trotz dieser Zugänge aus einem kämpferisch-sozialistischen Lager mieden die Partei und insbesondere Acland selbst den Begriff des Sozialismus zunächst. Sie hoben die Zielstellung des Gemeineigentums hervor, ohne der angestrebten Gesellschaftsordnung schon einen Namen zu geben. Dies war Ausdruck sowohl einer noch nicht abgeschlossenen Phase der Selbstverständigung als auch des Anspruchs, mit dem Schlagwort »Gemeineigentum« einen spezifisch britischen Weg in eine postkapitalistische Gesellschaft zu gehen. Aber auch ohne den Begriff im Munde zu führen, verbreitete die Partei eine Atmosphäre des freiheitlichen Sozialismus.
Bereits 1940 – inzwischen fielen deutsche Bomben auf London – hatte Acland in einer publizistischen Auseinandersetzung mit dem Faschismus seinen endgültigen Bruch mit dem herkömmlichen liberalen Denken vollzogen. Hierfür stand das vom renommierten Penguin-Verlag veröffentlichte Taschenbuch Unser Kampf – Our Struggle. Sein deutsch-englischer Doppeltitel, mit der unverkennbaren Referenz auf Adolf Hitlers Mein Kampf, versprach bereits eine unmissverständliche Antithese zum Faschismus sowie eine bewusste »soziale Antwort auf den elitären Individualismus« Hitlers. Von dem Werk wurden insgesamt fünf Auflagen gedruckt und über 150.000 Exemplare verkauft.
Der Sieg über die Achsenmächte sollte nach Aclands Dafürhalten nicht nur ein militärischer, sondern auch ein politischer sein. Da der »unter den Bedingungen des Privateigentums, hauptsächlich durch die Unterstützung der größten Privateigentümer« erstarkte Faschismus laut Acland alle erdenklichen anti-egalitären Konzepte der Geschichte in sich verkörperte und radikalisierte, konnte seine Bezwingung nur im Zeichen des Aufbaus einer egalitären Gesellschaft gelingen.
Noch vor der Wende von Stalingrad erschien 1942 Aclands Vision für die Nachkriegszeit unter dem Titel What it will be like in the New Britain, gleichfalls vom Left Book Club vertrieben. Auch wenn Acland die damaligen Zustände in der Sowjetunion sicherlich zu optimistisch bewertete, formulierte er in dem Buch einen dialektischen Gedanken, der den Mangel an Demokratie in der britischen Gesellschaft klar hervortreten ließ: »Was auch immer unqualifizierte Bewunderer oder Kritiker Sowjetrusslands sagen mögen, ich denke, dass wir in den letzten 20 Jahren in Russland eine wirtschaftliche Demokratie gesehen haben, die unter einer politischen Diktatur wirkt. Was auch immer unqualifizierte Bewunderer oder Kritiker unseres eigenen Landes sagen mögen, ich denke, dass wir in diesem Land eine politische Demokratie gesehen haben, die unter einer wirtschaftlichen Diktatur wirkt.«
»Die freie Verfügung über das Privateigentum an Produktionsmitteln musste weichen, um den freien Entfaltungsmöglichkeiten der Mehrheit der Gesellschaft Platz zu machen.«
Vor diesem Hintergrund entwarf Acland für die Nachkriegszeit ein Projekt des wechselseitigen Lernens und der demokratischen Konvergenz im Zeichen des Antifaschismus: »Es scheint beinahe unvorstellbar, dass die Russen in der Stunde des Sieges zum Privateigentum an den ökonomischen Ressourcen ihres Landes zurückkehren werden. Es ist gleichermaßen unvorstellbar, dass wir die politische Demokratie aufgeben werden. Es scheint weitaus wahrscheinlicher, dass sie von uns lernen, dass politische Demokratie die logische Schlussfolgerung des Gemeineigentums ist, und dass wir von ihnen lernen, dass Gemeineigentum die logische Schlussfolgerung der politischen Demokratie ist. Zusammen dürfen wir hoffen, dass unser Beispiel die Menschheit als Ganzes zu der Überzeugung führt, dass politische Demokratie und Gemeineigentum die zwei Säulen einer stabilen und harmonischen Gesellschaft sind.«
Damit bezweckte Acland allerdings nicht nur soziale Stabilität und Harmonie, sondern auch ökonomische und individuelle Freiheit. Hiermit blieb er seinen liberalen Wurzeln treu – und wuchs zugleich über diese hinaus: »[F]ür jeden, der [die] Freiheit verliert, mit seinem Eigentum zu machen, was ihm gefallt, wird eine große Zahl von Menschen die Freiheit gewinnen, mit ihrem Leben zu tun, was ihnen gefällt.« Pointierter ausgedrückt war tatsächliche »[w]irtschaftliche Freiheit« für ihn »das Recht zu tun, was wir möchten«. Die freie Verfügung über das Privateigentum an Produktionsmitteln musste weichen, um den freien Entfaltungsmöglichkeiten der Mehrheit der Gesellschaft Platz zu machen.
Vor 35 Jahren, am 24. November 1990 verstarb Richard Acland kurz vor seinem 84. Geburtstag. Aus der vorderen Reihe der Politik hatte er sich zu diesem Zeitpunkt schon lange zurückgezogen.
Im Übergang zur Nachkriegszeit waren die Wählerbasis und das personelle Potenzial der Common Wealth Party größtenteils Labour zugeflossen, darunter auch Acland selbst. Mit Labours Wahlsieg 1945, der den britischen Sozialdemokraten erstmalig eine absolute Mehrheit im Unterhaus bescherte, sah Acland den Moment für die Common Wealth Party gekommen, um als linke pressure group innerhalb der neuen Regierungspartei Einfluss auf die Neugestaltung des Landes zu nehmen. Hierin folgte ihm ein Gutteil seiner Parteifreunde.
Der Einfluss der Common Wealthers auf Labours Generallinie sollte jedoch vergleichsweise gering bleiben. Folgerichtig kehrte Acland der Labour Party wiederum 1955 den Rücken, als deren Parteiführung sich weigerte, Stellung gegen die Wasserstoffbombe zu beziehen. Sodann beteiligte er sich aktiv an der Friedensbewegung und rief die Kampagne für nukleare Abrüstung (CND) mit ins Leben.
Auch ohne Parteibuch blieb er einem – christlich inspirierten – Sozialismus treu, der von einer menschlichen »Gemeinschaft auf dem Raumschiff Erde« ausging beziehungsweise diese anstrebte. Allerdings ging Acland zusehends über den bloß ethischen Sozialismus hinaus. Dies zeigt auch die Tatsache, dass er trotz Parteilosigkeit die Klausel IV der Satzung der Labour Party in ihrer ursprünglichen Fassung weiterhin als seinen politischen Kompass betrachtete. Dort gelobte die Partei bis zur Ära Blair, »[d]en Hand- und Kopfarbeitern die vollen Früchte ihres Fleißes und deren gerechteste Verteilung, wie sie auf der Basis des gemeinsamen Eigentums an den Produktions-, Distributions- und Handelsmitteln möglich ist, und das bestmögliche System der Verwaltung und Kontrolle jeder Industrie oder jedes Dienstes durch das Volk zu sichern«.
»Hayek bezeichnete das Programm Aclands vollen Ernstes als die ›totalitärste Form des englischen Sozialismus‹.«
Mit Vergesellschaftung und gerechter Verteilung hatte Acland zu Lebzeiten bei sich selbst angefangen: 1944 übereignete er die südenglischen Anwesen seiner Familie in Devon und Somerset an den National Trust und bescherte damit der wichtigsten britischen Institution für Denkmalpflege und Naturschutz eine der umfangreichsten Zuwendungen in ihrer Geschichte. Dass die Philanthropie und die Freigiebigkeit einzelner Wohlhabender freilich noch lange keinen Sozialismus machen, war auch Acland klar.
Seit dem Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus ist der Liberalismus in mehrere, darunter offen antidemokratische Linien zerfallen. Diese Spielarten des Liberalismus hinter sich lassend, wandte Acland sich einem Projekt der Befreiung zu, das nach den gesellschaftlichen Realisierungsbedingungen von Freiheit für die größtmögliche Zahl von Menschen fragte. Für ihn hieß das in einer Formulierung aus dem Jahr 1942, dass »die kleine Gruppe der selbsterwählten Treuhänder des großen Eigentums, die das wirtschaftliche Leben dieses Landes in den Jahren zwischen den Kriegen kontrollierten, kapitulieren muss oder ihrer Macht, zu kontrollieren, beraubt werden muss«.
Ein Hauptvertreter einer der antidemokratischen Zerfallslinien des Liberalismus war von Aclands Leistungen und Vorstellungen überhaupt nicht begeistert. In seinem Weg zur Knechtschaft bezeichnete Friedrich August Hayek das Programm Aclands vollen Ernstes als die »totalitärste […] Form des englischen Sozialismus«. Dass sich der Chefideologe des Neoliberalismus und der eingangs zitierte Chefhetzer des Nazi-Regimes unter unterschiedlichen Vorzeichen gleichermaßen gegen das Projekt Aclands wandten, ist nicht überraschend. Als Vertretern der ökonomischen beziehungsweise der politischen Diktatur musste ihnen Aclands Vision einer ökonomischen wie politischen Demokratie fremd bleiben.
Phillip Becher ist Sozialwissenschaftler. Bei PapyRossa erschien seine Studie Faschismusforschung von rechts sowie der Basiswissen-Band zum Thema Rechtspopulismus.
Katrin Becker arbeitet als Literaturwissenschaftlerin. Sie forscht zu Literatur- und Kulturtheorie an der Schnittstelle von Form und Politik sowie zu literarischen Repräsentationen sozio-ökonomischer Ungleichheit.