17. Juli 2025
Die Debatte um die Stromsteuer zeigt vor allem eins: Merz’ Loyalität gilt der deutschen Exportindustrie und internationalen Investoren. Diese Kapitalfraktionen werden gestärkt – das wirtschaftliche Wachstum aber nicht.
Unternehmenssteuern runter, Wirtschaftswachstum rauf? Diese Rechnung von Merz wird nicht aufgehen.
Seit der Aussetzung der von der Bundesregierung angekündigten Stromsteuersenkung hagelt es Kritik. Die AfD krakeelt, es handele sich um »Wahlbetrug«, zahlreiche Lobbyisten-Vereinigungen laufen Sturm gegen die kleine GroKo, und auch sozialdemokratisch ausgerichtete Sozialverbände stimmen in den Chor der Anklage ein, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Einzig die Wirtschaftsvertreter, die im Entlastungspaket inbegriffen sind, zeigen sich durch ihr Schweigen zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung.
Im Grunde handelt es sich bei der öffentlichen Debatte um einen Konflikt zwischen zwei Kapitalfraktionen, die sich vor allem in ihrer Branche und Beziehung zum Ausland unterscheiden. Dabei sind es in erster Linie die privaten Haushalte, die fest mit Entlastungen gerechnet hatten, die unter der Entscheidung leiden. Rationalisiert wird dies von Seiten der Bundesregierung mit den typischen Sparnarrativen und dem neoliberalen Wunschtraum des Trickle-Down-Effekts.
Natürlich sind diese Diskurse lange überholt. Zusätzlich täuschen sie jedoch über den Fakt hinweg, dass es auch außerhalb von Schulden und Steuersenkungen Mittel und Wege gibt, die Strompreise nachhaltig zu senken – zum Beispiel mit öffentlichen Investitionen. Hier steht vor allem das internationale Kapital im Weg, das mit Friedrich Merz einen treuen Verbündeten im Kanzleramt hat.
Nicht alle Wirtschaftsverbände äußern sich kritisch zur Stromsteuer. Besonders unzufrieden sind die Vertreter des Handelsverbands Deutschland und des Groß- und Außenhandels. Sie verfassten einen »Brandbrief« an Friedrich Merz, in dem dem Kanzler »Wortbruch« vorgeworfen wird. Das überrascht nicht, repräsentieren sie doch die von den Entlastungen ausgeschlossenen Unternehmen. Die Entlastungen sind in der derzeitigen Fassung auf die Landwirtschaft und das produzierende Gewerbe begrenzt, welche besonders exportorientiert wirtschaften. Dementsprechend üben sich sowohl der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Verband der Automobilindustrie, der Verband der Chemischen Industrie sowie auch der Deutsche Bauernverband im pflichtbewussten Schweigen. Ihre Interessen sehen sie in der aktuellen Gestaltung der Stromsteuerreform erfüllt.
Da die Exportindustrie sowohl mit der CDU als auch der SPD eng verflochten ist, kann dieser Sektor seine Interessen in der aktuellen Bundesregierung bestens durchsetzen. Dass die Union diese jahrzehntealte Beziehung hegt und pflegt, überrascht kaum. Doch zahlreiche Unternehmen der produzierenden Exportbranchen sind durch ihre Beziehungen mit großen Gewerkschaften wie der IG Metall beinahe ebenso eng verbunden mit der SPD. SPD-Finanzminister Lars Klingbeil etwa, der die Entscheidung zur selektiven Absenkung der Stromsteuer maßgeblich mitgetragen hat, hat seinen Wahlkreis in nächster Nähe zu Standorten von Unternehmen wie Rheinmetall und ist eng in die Lobby-Netzwerke eben jener Rüstungsunternehmen eingebunden.
»Dass die AfD sich auf die Seite dieser Unternehmen schlägt, ist wenig verwunderlich. Innerhalb der Verbände sind zahlreiche Unternehmen, die von der nationalistischen, Wirtschaftspolitik der AfD profitieren könnten.«
Jene Unternehmensverbände hingegen, die derzeit auf die Barrikaden gehen, erhalten dafür lautstarke parlamentarische Unterstützung, insbesondere von Rechtsaußen. Dass die AfD sich auf die Seite dieser Unternehmen schlägt, ist auch wenig verwunderlich. Innerhalb der Verbände sind zahlreiche Unternehmen und Branchen, die von der nationalistischen, euroskeptischen Wirtschaftspolitik der AfD potenziell profitieren könnten. Dabei handelt es sich vor allem um Unternehmen im Einzelhandel und Dienstleister, die nicht von Exporten abhängig sind und auf die Nachfrage in Deutschland hoffen.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla erwähnt zwar in seiner Kritik pflichtschuldig auch die privaten Haushalte. Doch vor allem gibt sich die AfD empört darüber, dass die Kapitalfraktionen, denen sie materiell und ideell verbunden sind – oder von denen sie sich Unterstützung erhoffen – dieses Mal leer ausgehen. Das verweist auf die langfristige Strategie der AfD. Bisher hat sich die Partei trotz ihrer in weiten Teilen libertär-nationalistischen Wirtschaftspolitik nicht die (öffentliche) Unterstützung großer Wirtschaftsverbände sichern können – nicht, dass sie es nicht versucht hätte. Das soll sich, wenn es nach der AfD geht, aber Stück für Stück ändern.
Kritik an der Änderung der Stromsteuerpläne gab es auch aus dem progressiven Lager. Die Sozialverbände bemängeln, dass die privaten Haushalte nicht entlastet werden und fordern, dass zur Freisetzung finanzieller Mittel klimaschädliche Subventionen gestrichen werden sollten. Und tatsächlich, private Haushalte zahlen einen immer höheren Anteil ihres verfügbaren Monatseinkommens für stetig steigende Stromrechnungen. Von dieser schleichenden Umverteilung sind die Ärmsten am stärksten betroffen.
Die Bundesregierung spielt zu ihrer Rechtfertigung die alte neoliberale Kassette, für die Entlastung der Haushalte sei einfach kein Geld da, und verkauft das Paket mit dem lang widerlegten Trickle-Down-Effekt. Man arbeite, so die Erzählung, mit einem begrenzten Budget, und die Vernunft siehe vor, zuerst die deutsche Exportindustrie wieder wettbewerbsfähig für den Weltmarkt zu machen. Dadurch würde man mehr Investitionen an Land ziehen und der deutschen Wirtschaft zu mehr Wachstum verhelfen, und letztendlich würden auch die Mehrheit davon profitieren. Auch die vermeintlich »radikale« Kritik der AfD folgt im Grunde dieser Fantasie, allerdings mit einem deutlich nationalistischen Einschlag.
»Jede kleine Entlastung der unteren Klassen würde für mehr Wirtschaftswachstum sorgen als die Steuergeschenke für ausgewählte Unternehmen.«
Die Begründung der Geldknappheit wirkt wie ein Schlag ins Gesicht der privaten Haushalte. Mussten sie doch zusehen wie besonders die Strompreis-bezogenen Versprechungen von Entlastungen für die arbeitende Klasse, zuerst in Form des Klimageldes, und jetzt die Stromsteuer, Stück für Stück gebrochen wurden. Zeitgleich war es scheinbar kein Problem, Milliarden für Militär und Motivationshilfen für Unternehmen locker zu machen.
Abgesehen davon ist die Erzählung auch schlichtweg falsch: Wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, haben deutsche Unternehmen in den letzten Jahren verhältnismäßig große Gewinne erzielt und trotzdem weniger investiert. Das liegt vor allem daran, dass die Gewinne zunehmend auf den internationalen Finanzmärkten angelegt werden. Durch alle Entlastungen und neu geschaffenen finanziellen Spielräume der Unternehmen sind in den letzten Jahren nie mehr Investitionen entstanden, denn dafür mangelt es in erster Linie an der Nachfrage. Diese ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten allgemein eingebrochen, und besonders Energie- und Strompreise sind hier als einzelne Faktoren zu nennen. Jede kleine Entlastung der unteren Klassen in diesem Bereich würde für mehr Wirtschaftswachstum sorgen als die Steuergeschenke für ausgewählte Unternehmen.
Eine flächendeckende Entlastung von privaten Haushalten und Unternehmen könnte das Wachstum tatsächlich befördern und so der wachsenden Prekarität der privaten Haushalte in Deutschland entgegenwirken. Allerdings ist die Senkung der Steuer nur eine von vielen Möglichkeiten, wie Strompreise reduziert werden könnten – und womöglich nicht einmal die nachhaltigste.
Wie der Ökonom Tom Krebs im Interview mit dem Freitag erläutert, setzt sich der Strompreis zu etwa einem Drittel aus den Netzentgelten zusammen, welche von den Netzbetreibern erhoben werden. Netzbetreiber sind profitorientierte Unternehmen, die durch den Besitz der Infrastruktur, über die Strom verteilt wird, massive Gewinne einfahren. Durch ihr »reguliertes Monopol« samt damit einhergehender Renditeerwartung ihrer Investoren herrscht jedoch ein enormer Druck zur Erhöhung der Preise durch die Netzbetreiber.
»Die öffentliche Strominfrastruktur ist zu einem wachsenden Anteil abhängig von Investitionen internationaler Finanzkonzerne, allen voran den großen Vermögensverwaltern wie BlackRock.«
Die Privatisierung der Netzinfrastruktur sorgt weiterhin für große Schwankungen in den Strompreisen. die dank jahrzehntelanger Sparpolitik ausbleibenden Investitionen in den Ausbau und die Renovierung des Stromnetzes. Alledem könnte, so Krebs, mit öffentlich-öffentlichen Partnerschaften entgegengewirkt werden: eine langfristige Alternative wäre, die Netze mit öffentlichen Mitteln zu erneuern und somit dem Renditezwang der privaten Investoren zu entreißen. Dabei handele es sich nicht um Konsumausgaben, sondern um den Aufbau öffentlicher Vermögenswerte, was uns zusätzlich die mühselige Diskussionen über den Haushalt und die Schuldenbremse ersparen würde.
Der gegenwärtige Trend läuft dem jedoch zuwider: Die öffentliche Strominfrastruktur ist zu einem wachsenden Anteil abhängig von Investitionen internationaler Finanzkonzerne, allen voran den großen Vermögensverwaltern wie BlackRock. Dieser kauft in den vergangenen Jahren Infrastruktur auf der ganzen Welt auf. Mit BlackRock-Kanzler Merz, der dem Konzern aufgrund der mehrjährigen Aufsichtsratsposition zu viel Dank verpflichtet ist, stehen die Aussichten auf eine solche Neuerung jedoch denkbar schlecht.
BlackRock steht hier zudem sinnbildlich für die Entwicklung, dass wachsende Anteile der globalen Infrastruktur von profitorientierten Konzernen gekauft werden. Ihre Aufgabe der Versorgung der Öffentlichkeit mit lebensnotwendigen Gütern wie Strom, Wasser oder Gas wird so zweitrangig. Sie wird den Renditeerwartungen ihrer Investoren und dem Profitzwang unterworfen. Das gefährdet die Lebensgrundlage unzähliger Menschen, vor allem der unteren Klassen. Der Fall des Energienetzes in Deutschland verdeutlicht dies beispielhaft: Die Profite der privaten Konzerne und der damit einhergehende Strompreis treiben zahlreiche Menschen in die (Energie-) Armut.
Dass die AfD lautstark poltern und versuchen würde, größere Teile des deutschen Kapitals mit veralteten national-libertären Ideen für ihren politischen Kampf zu gewinnen, war erwartbar. Ihre wirtschaftlichen Forderungen beschränken sich im Grunde nur auf ein radikaleres Weiter-so der Bundesregierung. Hingegen ist die Kritik der Sozialverbände zwar gut gemeint, verfehlt am Ende jedoch die systemische Frage und bleibt in ihren Lösungsvorschlägen im Dogma der Schuldenbremse gefangen.
Selbst das arbeitgebernahe Ifo-Institut betont, dass mit der ausbleibenden Entlastung für arbeitende Menschen mehr Schaden angerichtet als behoben wird. Um dem entgegenzuwirken, gäbe es gleich mehrere Vorschläge zur langfristigen Senkung der Stromausgaben. Die eine ist die Aussetzung der Schuldenbremse für die öffentliche Daseinsvorsorge, prinzipiell machbar, aber unter neoliberalen Hardlinern wie Merz unwahrscheinlich. Die andere wären öffentliche Investitionen, die nicht unter die Schuldenbremse fallen. Auch hier gibt es einen Interessenkonflikt, denn damit würde Merz seinen Kontakten in den internationalen Finanzinstituten in den Rücken fallen.
Die Debatte offenbart sowohl die zutiefst ideologische Verbohrtheit, mit der die Bundesregierung jedes Problem angeht, als auch Merz’ Treue zu zwei Kapitalfraktionen, zur deutschen Exportindustrie und den internationalen Investoren, die die naheliegendsten Lösungen nahezu verunmöglichen. Der Umgang mit der Stromsteuer zeigt Merz’ Rat- und Hilflosigkeit, auch nur den Hauch einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage herbeizuführen.
Robin Jaspert ist Politökonom und promoviert an der Goethe-Universität in Frankfurt. Er forscht zu Staatsfinanzen, Süd-Nord-Beziehungen, Fiskal- und Geldpolitik.