22. Februar 2024
Neoliberale Klimapolitik ist unbeliebt und ineffektiv. Was wir stattdessen brauchen, ist eine populäre Klimapolitik, die gemeinsam mit den Beschäftigten gestaltet wird und ihren Lebensstandard anhebt.
Die Transformation ist da, und sie kam mit einem Knall. Die Situation bei VW ist exemplarisch für das, was uns in den nächsten Jahren erwartet, wenn wir die Klima- und Transformationspolitik nicht radikal verändern. Noch im letzten Jahr beteuerten Beschäftigte eines VW-Werks mir gegenüber, dass ihre Jobs sicher seien. Seitdem hat sich viel verändert. Die aktuelle Situation zeigt erneut, dass in diesem Wirtschaftssystem nichts sicher ist – selbst dann nicht, wenn die stärkste Gewerkschaft der Welt eine Beschäftigungssicherung bis 2029 und solide Tarifverträge ausgehandelt hatte.
VW hatte bereits Monate vor der Kündigung des Haustarifvertrags mit der IG Metall angekündigt, bis 2026 10 Milliarden Euro an Kosten einsparen zu wollen, um die Gewinnmarge auf 6,5 Prozent zu erhöhen. Seitdem hat das Unternehmen in Deutschland die Schließung von drei Werken und eine Lohnkürzung von 10 Prozent angekündigt. All das soll VW in eine bessere Wettbewerbslage versetzen, da der Absatz von Elektroautos im derzeit wichtigsten Markt, China, hinter den Erwartungen zurückbleibt.
Doch die neoliberale Klimapolitik und die Austeritätspolitik der Schuldenbremse hindern uns daran, den Weg zur Dekarbonisierung zu gehen und gleichzeitig die Menschen in diesem Land mitzunehmen. Eine solche Klimapolitik widerspricht den Interessen der Beschäftigten. Eine linke, industriepolitische Klimapolitik muss daher gemeinsam mit den Beschäftigten entwickelt und umgesetzt werden. Genau dieser Ansatz sollte ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zu anderen Parteien und Bewegungen sein.
Damit die Beschäftigten in diesem Land nicht diejenigen sind, die die Kosten der Transformation tragen, brauchen wir eine linke Industriepolitik, in der der Staat in neue Technologien, Infrastruktur, Gesundheitswesen und Bildung investiert. Die Gewerkschaften sollten gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen und wir gleichzeitig die Frage des Eigentums an kritischer Infrastruktur wie der Stromversorgung und -erzeugung stellen.
Auch wenn wir uns als Sozialistinnen und Sozialisten eine öko-sozialistische Zukunft wünschen, müssen wir eingestehen, dass wir (noch) nicht in der Lage sind, dies umzusetzen. Wir müssen das Ende der neoliberalen Klimapolitik jetzt erkämpfen, indem wir die Interessen der Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen und gleichzeitig unsere Emissionsziele erreichen. Der Staat wird in diesem Prozess eine zentrale Rolle spielen.
Seit den internationalen Klimaverhandlungen der 1990er Jahre haben sich die beteiligten Länder entschieden, die Lösung der Klimakrise dem Privatsektor zu überlassen – ein Ansatz, der in Abkommen wie dem Kyoto-Protokoll oder den UN-Millennium-Entwicklungszielen verankert ist. Emissionen wurden als Externalitäten konzipiert, die man lediglich bepreisen müsse, um sie zu reduzieren. Mechanismen wie das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) sind ein typisches Beispiel dafür. Emissionsintensive Technologien, so die Annahme, sollen durch steigende Kosten unattraktiv werden, wodurch Unternehmen dazu motiviert werden sollen, in »saubere« Technologien zu investieren. Ein weiteres Beispiel ist die CO2-Besteuerung, die in Deutschland jüngst wieder Aufsehen erregte, als die Regierung den Preis pro Tonne CO2 erneut erhöhte. Auch hier wird davon ausgegangen, dass höhere Preise die Nachfrage nach CO2-intensiven Produkten dämpfen.
»Im Hype um erneuerbare Energien wurde immer wieder betont, wie günstig diese Energiequellen sind – doch genau das macht sie unattraktiv für private Investitionen.«
Um private Investitionen in erneuerbare Energien anzukurbeln, greift der Staat ebenfalls ein, indem er etwa die Risiken solcher Investitionen übernimmt, und den Unternehmen damit ihre Gewinne sichert. Das ist notwendig, da die Vorabkosten erneuerbarer Energien hoch sind, während die laufenden Kosten niedrig bleiben – ein Modell, das jedoch für Unternehmen, die auf maximale Profite ausgerichtet sind, oft unattraktiv ist. Wie der Geograph Brett Christophers in The Price Is Wrong argumentiert, bringen erneuerbare Energien schlicht nicht genügend Profite ein. Im Hype um Erneuerbare wurde, auch von Linken, immer wieder betont, wie günstig diese Energiequellen sind – doch genau das macht sie unattraktiv für private Investitionen. Das führt wiederum dazu, dass fossile Energien profitabler bleiben und Staaten gezwungen sind, erneuerbare Energien dauerhaft zu subventionieren.
Die Energiekrise, die durch die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und den Krieg in der Ukraine ausgelöst wurde, hat die Schwächen der neoliberalen Klimapolitik offengelegt. Ohne weitere Gasquellen und infolge des unzureichenden Ausbaus erneuerbarer Energien schossen die Preise in die Höhe. Während Frankreich mit seinem staatlichen Stromkonzern EDF, der hauptsächlich Atomenergie betreibt, Preise regulierte, mussten deutsche Unternehmen mit volatilen und steigenden Strompreisen umgehen – obwohl sie durch staatliche Maßnahmen wie den Wegfall der EEG-Umlage bislang entlastet worden waren. Da Dekarbonisierung eine massive Elektrifizierung voraussetzt – von Transport und industrieller Produktion bis hin zur Beheizung –, muss davon ausgegangen werden, dass Strompreise und Energieversorgung in der Zukunft zentrale Herausforderungen bleiben.
Einen Umfrage der Industrie- und Handelskammer unter 3.300 Unternehmen ergab, dass die Hälfte der befragten Industriebetriebe eine Produktionseinschränkung oder sogar eine Abwanderung ins Ausland erwägt. Dies zeigt, dass unsichere Strompreise auch die Planbarkeit von Unternehmen erheblich gefährden. Doch nicht nur die Industrie ist unzufrieden mit der Energiepolitik. Die Strompreise für private Haushalte sind pro Kilowattstunde höher als für die Industrie. Dies liegt vor allem daran, dass die Last der Energiewende überwiegend auf private Haushalte abgewälzt wird. Laut einer neuen Studie der Hans-Böckler-Stiftung stimmen zwar 59 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Notwendigkeit der Energiewende zu – ein positives Signal. Doch die beiden größten Sorgen sind eine zuverlässige Energieversorgung und bezahlbare Strompreise.
»Eine unpopuläre Energiepolitik, die die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher in die Höhe treibt, spielt der AfD in die Hände.«
Laut derselben Studie sind unter AfD-Wählerinnen und -Wählern die Ängste vor steigenden Preisen und Jobverlusten in Bezug auf die Energiewende besonders ausgeprägt. Das zeigt, dass eine unpopuläre Energiepolitik, die die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher in die Höhe treibt, der AfD in die Hände spielt. Auch wenn Ex-Finanzminister Lindner dies bezweifelt, belegen zahlreiche Studien, dass Abstiegsängste – etwa ausgelöst durch steigende Preise – sowie Austeritätspolitik extreme und unsoziale Parteien wie die AfD stärken können. Das zeigt zum Beispiel eine Studie zum Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Polarisierung und Austerität. Eine europaweite Untersuchung zum Wahlverhalten während Haushaltskonsoliderungen kommt zu einem ähnliche Schluss und auch eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat aufgezeigt, wie Abstiegsängste und ein empfundener Kontrollverlust zur Wahl AfD beitragen können.
Die aktuelle Klimapolitik scheitert nicht nur an der Zustimmung innerhalb der Bevölkerung, da sie beispielsweise Abstiegsängste verstärkt, sondern auch an der Erreichung der Klimaziele. Dies hat bereits der Expertenrat angedeutet. Die Profitlogik verhindert einen massiven Ausbau von emissionsfreier Energieformen – selbst mit staatlichen Subventionen.
In den USA hat die Biden-Regierung mit dem Inflation Reduction Act (IRA) den Versuch unternommen, nationale Industrien zu sichern. Der Standortwettbewerb hat durch Maßnahmen wie die sogenannten Local-Content-Klauseln, die Produktionssteuervergünstigungen für emissionsfreie Technologien und Verbrauchersubventionen für Elektroautos bieten, stark zugenommen. Diese Klauseln sind komplexe Vorschriften, die sicherstellen, dass Vergünstigungen davon abhängen, ob Teile der Produktion auch in den USA stattfinden. Damit soll die Produktion im Land erhalten und die Ansiedlung neuer Produktionsstätten gefördert werden. Wie bereits erwähnt, drohen Industrien in Deutschland ins Ausland abzuwandern, auch wegen industriepolitischer Maßnahmen wie dem Inflation Reduction Act. Antworten der EU wie Anpassungen der EU-Vorschriften für staatliche Beihilfen oder der Green Deal Industrial Plan sind bisher unzureichend. Bürokratische Hürden, das Fehlen eines gemeinsamen Fonds und natürlich auch das Festhalten der EU an Austerität erweisen sich als problematisch, da sie Investitionen verlangsamen und verteuern.
In Deutschland stellt zudem die Schuldenbremse ein erhebliches Hindernis dar, um die dringend benötigten Investitionen in die Transformation und andere essenzielle Ausgaben zu tätigen. Eine aktuelle Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) schätzt den zusätzlichen Investitionsbedarf der öffentlichen Hand für die nächsten zehn Jahre auf etwa 600 Milliarden Euro.
»Wenn erneuerbare Energien ohnehin von staatlicher Hilfe abhängig sind, warum sollten sie dann nicht in die öffentliche Hand übertragen werden?«
Mittlerweile scheint sich unter Ökonominnen und Ökonomen zunehmend der Konsens durchzusetzen, dass die Schuldenbremse eher eine Wohlstandsbremse ist. Der anhaltende Bedarf an öffentlichen Investitionen, um die Transformation voranzutreiben und Industrien zu subventionieren – wie etwa durch die von VW geforderte neue Kaufprämie –, eröffnet die Chance, industriepolitische Strategien zu entwickeln, die in enger Zusammenarbeit mit Gewerkschaften entstehen müssen. Dabei dürfen diese Subventionen keinesfalls als bedingungslose Geschenke an Großunternehmen verstanden werden.
Es darf keinen massiven Transfer öffentlicher Gelder geben, der Haushalte belastet und ausschließlich privaten Interessen dient, ohne dass Unternehmen im Gegenzug substanzielle Zugeständnisse machen. Wenn etwa die Forschung und Entwicklung neuer grüner Technologien mit öffentlichen Geldern gefördert wird, sollte garantiert werden, dass diese Technologien auch im Inland produziert werden. Weitere zentrale Anforderungen sind Tarifverträge, Beschäftigungsgarantien und die Schaffung von Ausbildungsplätzen.
Gleichzeitig sind Subventionen allein keine Lösung. Wenn erneuerbare Energien ohnehin von staatlicher Hilfe abhängig sind, warum sollten sie dann nicht in die öffentliche Hand übertragen werden? In der Logik der neoliberalen Klimapolitik ist so ein Gedanke natürlich häretisch. Wir müssen uns aber von der Idee lösen, dass eine Privatisierung problemlos möglich und erlaubt ist, während das Gegenteil – eine Vergesellschaftung – plötzlich kompliziert und unmöglich erscheint.
Wenn wir Strom und Wasser als öffentliches Gut betrachten und wir sowieso wissen, dass die Profitlogik den notwendigen Ausbau erneuerbarer Energien behindert, können wir beginnen, unser Energiesystem anders zu gestalten. Mit einer öffentlichen Stromversorgung könnten wir der Industrie mehr Planungssicherheit verschaffen und der Bevölkerung ihre finanziellen Ängste nehmen. Die Profitlogik wäre für Investitionen nicht mehr bestimmend und wir könnten demokratische Kontrolle über unser Energiesystem erlangen.
Beispiele für so eine Infrastruktur gibt es etwa in den USA. Die Tennessee Valley Authority hat mit einem Organisationsgrad von 60 Prozent einen für amerikanische Verhältnisse hohen Anteil an gewerkschaftlich organisierten Arbeitern und produziert etwa 5 Prozent des Stroms, vor allem aus Atomenergie, Wasserkraft und Gas. Ein weiteres Beispiel ist der kürzlich verabschiedete Build Public Renewables Act im Bundesstaat New York. Dieses Gesetz gibt dem staatlichen Stromversorger New York Power Authority (NYPA) erstmals die Möglichkeit, erneuerbare Energien selbst zu produzieren, was zuvor nicht erlaubt war. Selbst in den USA, wo die Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen vorherrscht, ist und war es möglich, die demokratische Kontrolle über kritische Infrastruktur auszuweiten.
Kritische Infrastruktur in die öffentliche Hand zu bringen, wäre zweifellos eine Mammutaufgabe, aber keineswegs unmöglich. Dafür bedarf es eines klaren politischen Willens, wie das Beispiel der Verstaatlichung der ehemaligen Gazprom Germania und Uniper vor einigen Jahren gezeigt hat. Auch wenn hierbei primär geopolitische Gründe und die Rettung vor der Insolvenz ausschlaggebend waren, zeigt dies dennoch, dass solche Maßnahmen realisierbar sind.
Ein industriepolitischer Plan für die Transformation bedeutet, dass wir Fälle wie VW nicht isoliert betrachten dürfen. Das wäre, als würden wir ein einzelnes Schlagloch füllen, obwohl die gesamte Straße neu geteert werden muss. Stattdessen muss die Transformation die gesamte Gesellschaft in den Blick nehmen. Soziale Sicherheitsnetze müssen gestärkt, Infrastruktur ausgebaut und verbessert, und arbeitspolitische Forderungen nicht nur auf die Industrie, sondern auch auf den Dienstleistungssektor ausgeweitet werden. Die Arbeitsbedingungen im öffentlichen und privaten Dienstleistungssektor sind unzumutbar und erfordern Investitionen sowie flächendeckende Tarifverträge.
»Die Transformation muss darauf abzielen, den Lebensstandard der gesamten Bevölkerung anzuheben – durch gute Arbeitsbedingungen und einen starken Sozialstaat.«
Schlechte Arbeitsbedingungen im Dienstleistungssektor allein verlangen bereits politisches Handeln. Doch angesichts der strukturellen Veränderungen in der Industrie gewinnt dieser Sektor zusätzlich an Bedeutung. Sollte es in der Industrie zu Beschäftigungseinbußen kommen, müssen betroffene Beschäftigte auch in anderen Sektoren ein würdiges Arbeitsumfeld vorfinden, gestützt durch ein verlässliches soziales Sicherheitsnetz. Die Transformation muss darauf abzielen, den Lebensstandard der gesamten Bevölkerung anzuheben – durch gute Arbeitsbedingungen und einen starken Sozialstaat. Nur so kann die notwendige sozial-ökologische Transformation breite Zustimmung finden.
Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir massiv in emissionsfreie Energien investieren. Um dies sozial gerecht zu gestalten, wird der Staat eine größere Rolle übernehmen müssen als bisher. Dazu ist es notwendig, die Schuldenbremse abzuschaffen und die Gewerkschaften in die Gestaltung des Strukturwandels einzubinden. Die gute Nachricht ist, dass die Kapitalseite offensichtlich Plansicherheit und staatliche Unterstützung benötigt, was zu einer größeren Kompromissbereitschaft führen könnte.
Letztlich muss Die Linke das Thema Klimawandel nicht länger als Bewegungsthema angehen, sondern als arbeits- und industriepolitisches Thema, bei dem die Beziehungen und die Zusammenarbeit mit allen Gewerkschaften gestärkt werden muss. Das ist eine langwierige Arbeit, um die man aber nicht herumkommen wird. Soziale Klimapolitik gelingt nicht, wenn wir nur Klimaaktivistinnen und -aktivisten an unserer Seite haben. Dafür braucht es die breite Unterstützung der Gesellschaft. Nur so kann die Partei auch wachsen und gestärkt die Forderungen und Interessen der Beschäftigten angesichts der Transformation in das Parlament tragen. Auf der anderen Seite müssen Gewerkschaften eine offensivere Haltung einnehmen und ihren politischen Einfluss nutzen, um die Mainstream-Parteien unter Druck zu setzen, und etwa in Hinblick auf die Energiewende die Vergesellschaftung kritischer Infrastrukturen einzufordern. Wenn das nicht gelingt, und die Gewerkschaften sich nur auf eine defensive Sicherstellung ihrer eigenen Mitglieder konzentrieren, werden wir am Ende mehr verlieren als gewinnen.
Nicole Kleinheisterkamp-González ist Geographin und promoviert zum Thema Gewerkschaften und Transformation in der Automobilindustrie und im rheinischen Kohlerevier an der Syracuse University in USA.