24. Januar 2025
Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol ist nach seinem Putschversuch inzwischen in Haft. Seine rechtsradikalen Anhänger machen aber weiter aggressiv mobil, fabulieren von Wahlbetrug und hoffen, dass Donald Trump ihrem Idol zur Seite springt.
Anhänger des angeklagten südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol protestieren vor dem Sitz des Korruptionsermittlungsbüros in Gwacheon nahe Seoul, 15. Januar 2025.
Am 15. Januar haben Polizeibeamte den abgesetzten Präsidenten Südkoreas, Yoon Suk-yeol, endlich festgenommen. Ihm wird im Zuge seines Vorhabens, Ende vergangenen Jahres das Kriegsrecht zu verhängen, ein versuchter Putsch vorgeworfen. Zwölf Tage vor der Festnahme war die staatliche Antikorruptionsbehörde bei einem ersten Versuch, Yoon dingfest zu machen, auf peinliche Weise gescheitert. Er hatte sich mehrere Wochen lang in seiner Präsidentenresidenz im Süden Seouls verschanzt.
Die nun erfolgte Verhaftung, die live auf YouTube übertragen wurde, war spektakulär: Mehr als 1.200 Elite-Polizisten, die in Kampfsport und der Niederschlagung von Gefängnisaufständen ausgebildet sind, stürmten die Residenz kurz vor Tagesanbruch. Diesmal entschieden sich Soldaten und viele Mitglieder von Yoons Sicherheitspersonal dafür, in ihren Kasernen zu bleiben, anstatt sich erneut als menschliche Schutzschilde zur Verfügung zu stellen, wie sie es beim ersten Verhaftungsversuch getan hatten.
Nach südkoreanischem Recht durfte das Korruptionsermittlungsbüro (CIO) Yoon 48 Stunden lang festhalten, bis ein Haftbefehl erwirkt wurde. Dieser liegt nun vor. Angesichts der Schwere seines Verbrechens – das mit lebenslanger Haft oder sogar mit dem Tod bestraft werden kann – und der strengen Kautionsregelungen des Landes wird der Ex-Präsident und mutmaßliche Putschist wohl bis zu seiner Verurteilung hinter Gittern bleiben.
Yoon zeigte sich in den vergangenen Wochen widerständig und gerierte sich auch noch als starker Mann, als er seine befestigte Residenz verließ, von der aus er seine Basis aufgewiegelt und die parlamentarische Opposition offenbar erfolgreich geschwächt hatte: In der jüngsten Umfrage von Gallup Korea unter 1.004 Erwachsenen ab 18 Jahren sprachen sich lediglich 64 Prozent für die Amtsenthebung von Yoon aus. Das sind elf Prozentpunkte weniger als in einer früheren Umfrage, die vor der Abstimmung der Nationalversammlung über seine Amtsenthebung durchgeführt wurde. Yoons Partei, die konservative Gungminui-him, konnte derweil auf 34 Prozent zulegen und ist damit fast gleichauf mit der Demokratischen Partei Koreas (Deobureo-minju-Partei, DMP) mit 36 Prozent. Die liberale DMP stellt aktuell die meisten Abgeordneten in der südkoreanischen Nationalversammlung.
Ein Faktor für Yoons anhaltende Beliebtheit könnte sein, dass die Bevölkerung angesichts weiterhin steigender Lebenshaltungskosten und politischer Instabilität im Land enttäuscht und ermüdet ist. Die Irrungen und Wirrungen nach dem Putsch wirken gegen den vorherigen Optimismus, die südkoreanische Gesellschaft werde den wohl härtesten Stresstest für ihre Demokratie seit den späten 1980er Jahren, als sie sich von der Militärdiktatur befreite, erfolgreich bestehen. Die letzten anderthalb Monate haben gezeigt, dass der Putsch möglicherweise keine herausragende Anomalie in der jungen, aber resilienten Demokratie des Landes war, sondern vielmehr das Ergebnis tiefgreifender Widersprüche und Schwächen, die seit Langem in diesem System verankert sind.
»Die letzten anderthalb Monate haben gezeigt, dass der Putsch möglicherweise keine herausragende Anomalie in der jungen, aber resilienten Demokratie des Landes war, sondern vielmehr das Ergebnis tiefgreifender Widersprüche und Schwächen, die seit Langem in diesem System verankert sind.«
Das Land wird aktuell von Choi Sang-mok als Interimspräsident regiert. Er ist somit gleichzeitig amtierender Präsident und amtierender Premierminister. In letzterer Position ersetzte er Han Duck-soo. Der war zuvor von der Nationalversammlung aus seinem Amt gewählt worden, nachdem er auf einen parteiübergreifenden Kompromiss über Kandidaten zur Besetzung von drei freien Stellen am neunköpfigen Verfassungsgericht bestanden hatte. Dieses höchste Justizorgan des Landes wird auch über die Amtsenthebung von Yoon entscheiden. Choi hat inzwischen zwei der drei von der DMP-dominierten Nationalversammlung unterstützten Kandidaten für das Gericht ernannt. Für die rechtliche Bestätigung des Amtsenthebungsverfahrens sind die Stimmen von mindestens sechs Richtern des Verfassungsgerichts notwendig.
Dass Yoon sich mehr als einen Monat lang in seiner Residenz auf einem Hügel mit Blick auf Seoul verbarrikadieren konnte, lag nicht nur daran, dass er von mehr als 200 Sicherheitskräften bewacht wurde, die zunächst loyal seinen Befehlen folgten (sich dann aber den Anweisungen ihrer Vorgesetzten widersetzten und ihre »Stellungen« aufgaben). Es lag vielmehr auch daran, dass der vormalige Generalstaatsanwalt die Gültigkeit des Haftbefehls gegen Yoon anfechten konnte: Er verwies auf die mangelnde Befugnis des CIO-Amts. Dieses sei nicht in der rechtlichen Position, in mutmaßlichen Fällen von Staatsstreich/Rebellion zu ermitteln.
Das CIO wurde erst vor vier Jahren gegründet , um die übermäßig starke Machtausübung der Staatsanwaltschaft einzudämmen. Sein Mandat ist jedoch lückenhaft und für einen so schwerwiegenden Fall wie einen gescheiterten Putsch schlecht gerüstet. Die DMP drängt darauf, dass die Nationalversammlung nun einen entsprechenden Sonderstaatsanwalt ernennt. Bis dahin bleibt dem CIO kaum eine andere Wahl, als die Polizei und die Staatsanwaltschaft – Yoons Ex-Verbündete und sein Rückhalt – mit den Ermittlungen zu beauftragen. Somit ergibt sich eine institutionelle Schwachstelle, die Yoon wohl auszunutzen versuchen wird. Er hofft vermutlich, sich mit Verweisen auf Form- oder Verfahrensfehler aus der Affäre ziehen zu können.
Es liegt eine 83-seitige, offiziell unter Verschluss gehaltene Anklageschrift gegen Kim Yong-hyun vor, den Verteidigungsminister von Yoon, der sich derzeit ebenfalls in Haft befindet. Über einen Parlamentsabgeordneten konnte ich eine Kopie einsehen. Der Anklageschrift zufolge begann sich der Putschplan im August 2024 herauszubilden, als Yoon seinen Sicherheitschef Kim in einer seltenen Personalrochade zum Verteidigungsminister beförderte.
Kim plante den Putsch zusammen mit den Kommandeuren zweier militärischer Geheimdienste. Sie stellten offenbar eine Elitetruppe von etwa 1.500 Soldaten dieser Geheimdienste sowie aus Spezialeinheiten und einem speziellen Korps, das mit der Bewachung Seouls beauftragt ist, zusammen. Yoon plante, die Nationalversammlung aufzulösen und durch ein eigenes, ihm höriges Gesetzgebungsorgan zu ersetzen, heißt es in der Anklageschrift.
Dieser Versuch, die demokratische Grundordnung zu untergraben, scheiterte jedoch schnell. Tausende Bürgerinnen und Bürger versammelten sich umgehend vor der Nationalversammlung, um die Soldaten daran zu hindern, sie zu besetzen. Letztere waren im Vorfeld ohne genauere Informationen über ihre Mission mobilisiert worden und weigerten sich angesichts der Situation, die Befehle auszuführen.
Yoon wurde ungeduldig, rief den befehlshabenden Offizier vor Ort zweimal an und befahl ihm, die Türen der Versammlungssäle aufzusprengen und die Abgeordneten herauszuholen, bevor sie die Verhängung des Kriegsrechts rückgängig machen könnten. Als sich die Situation weiter verschärfte, drängte Yoon den Offizier verzweifelt, zumindest drei führende Abgeordnete zu verhaften, darunter den Vorsitzenden seiner eigenen Partei Gungminui-him (und seine ehemalige rechte Hand), anstatt der ursprünglich anvisierten 14.
Der Putschversuch hat eine weitere interessante Note angesichts der Beteiligung von Noh Sang-won. Dieser hatte sich 2017 als Wahrsager neu erfunden, nachdem er unehrenhaft aus dem militärischen Dienst entlassen worden war, weil er eine Offizierin sexuell belästigt hatte. Noh wurde von Yoon als Leiter einer Taskforce eingesetzt, die Ermittlungen gegen die Nationale Wahlkommission durchführen sollte. Yoon soll geglaubt haben, dass Agenten Nordkoreas und/oder Chinas die Server der Wahlkommission gehackt hatten, um das Endergebnis der Parlamentswahlen 2024 zu manipulieren und der sozialliberalen DMP eine solide Mehrheit zu sichern.
»Im Vorlauf zu Yoons Festnahme konnte die radikale Rechte einen spürbaren Zulauf junger Männer verzeichnen, die sich ihren Kundgebungen anschlossen. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Pro-Amtsenthebung-Protesten, die überwiegend von Frauen in ihren Zwanzigern und Dreißigern getragen wurden.«
In der Nacht des Putsches versuchten Agenten des Militärgeheimdienstes, leitende Angestellte der Kommission zu verhaften und die Server zu beschlagnahmen, bevor das Kriegsrecht von der Nationalversammlung aufgehoben wurde. Laut Anklageschrift waren sie tatsächlich kurz davor, Beamte der Wahlkommission in einen unterirdischen Bunker an einem geheimen Ort zu verschleppen, wo Noh und seine Handlanger sie per Folter zu Geständnissen zwingen sollten.
In Wirklichkeit kommt eine Wahlmanipulation durch Server-Hacking übrigens nicht infrage, da in Südkorea die Stimmen nach wie vor manuell ausgezählt werden – und zwar zweimal. Die Ergebnisse werden schriftlich auf Papier festgehalten. Im Laufe der Jahre hat das Land sein Wahlsystem nahezu fälschungssicher gemacht. Damit will man auch mit der autoritären Vergangenheit brechen, in der Diktatoren das System regelmäßig manipulierten, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten.
Diese Fakten hielten rechtsextreme Verschwörungsfans jedoch nicht davon ab, per Social Media Gerüchte über Wahlbetrug zu verbreiten. Es ist unklar, inwieweit Yoon wirklich von derartigen Verschwörungserzählungen überzeugt war. Auf jeden Fall rechtfertigte er damit aber den Versuch, die südkoreanische Demokratie zu stürzen und Folter einzusetzen.
Im Zuge seines Widerstands gegen seine Verhaftung hat Yoon wiederholt die These von einer »Wahlverschwörung« verbreitet, um seine Anhänger zu mobilisieren. Diese veranstalteten tatsächlich tägliche Anti-Amtsenthebung-Proteste vor seinem Wohnsitz und trotzten dabei Kälte und Schneestürmen. Dabei kamen sie zeitweise in Bezug auf Größe und Intensität sogar den Anti-Yoon-Demonstrationen nahe – ein ungewöhnliches Gefühl für die radikale Rechte.
Der Aufstieg der radikalen Rechten hat die konservative Gungminui-him dazu veranlasst, weiter nach rechts zu rücken: Eine neue, stramm rechte Parteileitung hat das vorherige, moderatere Führungsteam ersetzt. Die neue Führung fordert nun Gungminui-him-Abgeordnete, die für ein Amtsenthebungsverfahren eintreten, auf, die Partei zu verlassen. Dies wiederum bestärkt die Rechtsextremen auf der Straße: Einige haben Bürgerwehren gebildet, die sich an den sogenannten White Skull Squads orientieren. Diese brutalen Verhaftungstruppen aus der Zeit der Diktatur, die nach ihren weißen Helmen benannt wurden, griffen damals Protestmärsche an, verprügelten und verhafteten demonstrierende Menschen.
Im Vorlauf zu Yoons Festnahme konnte die radikale Rechte einen spürbaren Zulauf junger Männer verzeichnen, die sich ihren Kundgebungen anschlossen. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Pro-Amtsenthebung-Protesten, die überwiegend von Frauen in ihren Zwanzigern und Dreißigern getragen wurden. Yoon nahm diese Entwicklung in einer Erklärung vor seiner Festnahme ebenfalls zur Kenntnis: »Unsere Jugend ist sich der Bedeutung der liberalen Demokratie wieder bewusst geworden und hat ihre Leidenschaft dafür gezeigt«, meinte er.
Schon vor drei Jahren war die Unterstützung junger Männer das Zünglein an der Waage gewesen, dank dessen Yoon mit einem hauchdünnen Vorsprung von 0,73 Prozent zum Präsidenten gekürt wurde. Yoon hatte auf eine explizit frauenfeindliche Botschaft gebaut und die Frustrationen junger Männer genutzt, die glauben, auf dem notorisch hart umkämpften koreanischen Arbeitsmarkt ungerechterweise gegenüber ihren Konkurrentinnen benachteiligt zu werden. Diese Wahrnehmung deckt sich allerdings nicht mit der Realität: Stand 2023 weist Südkorea den größten Gender Pay Gap aller OECD-Länder auf; Südkoreanerinnen verdienen rund 69 Prozent des Durchschnittslohns südkoreanischer Männer.
»Die linken Parteien Südkoreas haben noch kein überzeugendes politisches Konzept oder eine Kampagne vorgestellt, die in der Lage wäre, sowohl geschlechts- als auch klassenspezifische Fragen effektiv anzugehen.«
Was stimmt, ist, dass Frauen von der südkoreanischen Politik für mehr Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion profitiert haben; und nicht selten mögen Männer deswegen einen Statusverlust wahrgenommen haben. Die Wehrpflicht ist ein gutes Beispiel: Alle wehrfähigen Männer in ihren Zwanzigern werden für achtzehn Monate zum Militär eingezogen – allerdings ohne spätere Vorteile auf dem Arbeitsmarkt, die Wehrpflichtigen in anderen Ländern gewährt werden (wobei darüber hinaus in einigen Ländern auch Frauen zum Militärdienst verpflichtet werden). Das eigentliche Problem liegt jedoch in der extrem harten Ausprägung des Kapitalismus in Südkorea. Die Ausbeutung sowohl von Männern als auch Frauen wird hier auf die Spitze getrieben. Ein Effekt dieses harschen Kampfes ist die stetig sinkende Geburtenrate von derzeit 0,72 Kindern pro Frau – der niedrigste Wert weltweit.
Junge Männer fühlen sich von der radikalen Rechten angezogen, weil sie das Gefühl haben, sowohl die Liberalen als auch die Linke hätten sie im Stich gelassen. Tatsächlich sehen Männer und Frauen die sozialliberale DMP oftmals als eine Gruppe von Heuchlern, die sowohl in Bezug auf Geschlechterfragen als auch auf Arbeit und Soziales wenig zu bieten hat. Während der Hochzeit der globalen MeToo-Bewegung nahm sich einer der beiden Präsidentschaftskandidaten der DMP das Leben, nachdem er der sexuellen Belästigung beschuldigt worden war; der andere wurde wegen Sexualdelikten inhaftiert. Dies wiederum ebnete den Weg für den Aufstieg des derzeitigen Präsidentschaftskandidaten der Partei, Lee Jae-myung, der seinerseits in eine Reihe von Finanz- und Wahlskandalen verwickelt zu sein scheint.
Unterdessen haben die linken Parteien Südkoreas noch kein überzeugendes politisches Konzept oder eine Kampagne vorgestellt, die in der Lage wäre, sowohl geschlechts- als auch klassenspezifische Fragen effektiv anzugehen.
Der MAGA-Slogan »Stop the Steal« ist zu einem festen Bestandteil rechtsextremer Kundgebungen in Südkorea geworden. Viele Rechte hoffen, dass Donald Trump Yoon zu Hilfe eilen wird. Schließlich sei der neue US-Präsident vor gut vier Jahren ebenfalls Opfer von »Wahlbetrug« geworden.
Die radikale Rechte Südkoreas pflegt schon seit Langem enge Kontakte zu ihren Pendants in den USA. Diese Verbindungen wurden ursprünglich über evangelikale Kirchen und militärische Kontakte geknüpft, aber 2019 mit der Gründung der Korean Conservative Political Action Conference (KCPAC) als offiziellen Partner der US-amerikanischen CPAC weiter gefestigt. Seitdem hat die KCPAC diverse MAGA-Anleihen in die koreanische radikale Rechte eingebracht. Matt Schlapp, Vorsitzender der American Conservative Union sowie prominenter MAGA-Aktivist und enger Freund der KCPAC-Gründerin Annie Chan, war der erste (und bisher einzige) Amerikaner, der sich seit Yoons Amtsenthebung mit ihm getroffen hat.
Derartige Manöver sollten die DMP und ihren Anführer Lee Jae-myung beunruhigen. Paradoxerweise hatten aber diverse Liberale – und sogar einige Linksnationalisten – ihre Hoffnungen auf einen Sieg Trumps gesetzt in der Hoffnung, dass er die direkten Gespräche mit Nordkoreas Führer Kim Jong-un für eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel wieder aufnehmen würde. Es ist eine überaus ignorante Annahme, dass der Frieden in Korea auf Kosten der demokratischen Rechte in den USA erreicht werden könnte. Vielmehr dürfte außerdem gelten: Sollten solche Gespräche wieder stattfinden, würden sowohl die USA als auch Nordkorea den Süden wohl außen vor lassen. Denn keine der beiden Seiten braucht einen Dritten oder einen Vermittler bei solchen Verhandlungen.
Die Trump-Regierung dürfte ihrerseits einen rechtsradikalen Präsidenten als Nachfolger von Yoon bevorzugen. Ein solcher würde Trumps strategischer Haltung gegenüber China eher entsprechen als ein Liberaler, der versuchen könnte, den schwierigen Balanceakt zwischen den USA und China zu meistern. Anklänge an diese US-amerikanische Denkweise finden sich in einem Bericht, der nach dem Putschversuch in Südkorea vom US Congressional Research Service veröffentlicht wurde. In dem Bericht wird festgestellt, dass Yoon »stärker als frühere [südkoreanische] Staats- und Regierungschefs bereit ist, Chinas Vorgehen öffentlich zu kritisieren«. Im Gegensatz dazu stehe der DMP-Führer Lee, »der diesen Ansatz infrage stellt«.
»Yoon dürfte in näherer Zukunft wohl nicht mehr auf der politischen Bühne in Erscheinung treten, aber das System, das ihn hervorgebracht hat, besteht nach wie vor.«
Die konservativen Kräfte Südkoreas sind gegenüber den USA fügsam, während es den Liberalen an Klarheit und Entschlossenheit mangelt. Der Versuch der DMP, den Einfluss der USA etwas auszutarieren, wird scheitern, wenn sie nicht eine grundlegend radikale Haltung einnimmt. Dabei hat man in Südkorea gewisse Hebel: Das Land beherbergt mit Camp Humphreys die größte US-Basis im Ausland, die darüber hinaus strategisch günstiger gelegen ist als Taipeh, sprich: näher an Shanghai oder Peking.
China hat derweil (meist sehr ungelenk) versucht, das geopolitisch wichtige Südkorea von seiner proamerikanischen Ausrichtung abzubringen. Im Juni 2023 zog der chinesische Botschafter in Seoul, Xing Haiming, während eines Treffens mit dem DMP-Vorsitzenden Lee abrupt einen Zettel aus der Tasche und kritisierte Südkorea offen dafür, dass es »auf den Sieg der USA und die Niederlage Chinas setze«. Lee quittierte diesen undiplomatischen Ausbruch Xings mit Schweigen.
Darüber hinaus gab es nach dem Putschversuch in Südkorea Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierungsvertretern aus Washington und Peking. Grund waren die zwei Versionen des Amtsenthebungsantrags gegen Yoon. In der ersten Version, die aufgrund eines Boykotts der Gungminui-him keine ausreichende Mehrheit in der Nationalversammlung erreichte, wurde Yoon beschuldigt, den Frieden auf der Halbinsel durch sein trilaterales Bündnis mit den USA und Japan (gegen Nordkorea, China und Russland) zu gefährden.
Die USA protestierten gegen diesen Antrag und argumentierten, die Dreierallianz werde darin zu Unrecht kritisiert. Die zweite Version, in der diese Kritik am Abkommen ausgelassen wurde, konnte dann mit Unterstützung von zwölf Gungminui-him-Stimmen angenommen werden. Die ausgelassene Kritik löste wiederum Proteste vonseiten Chinas aus.
Seit dem Putsch kommt es praktisch wöchentlich zu dramatischen Entwicklungen in Südkorea. Nur wenige hatten mit einem Wiederaufleben der radikalen Rechten und einer möglichen Rückkehr der Gungminui-him gerechnet. Die Enttäuschung war groß, als der KCTU, der größte Gewerkschaftsbund des Landes, einen landesweiten Streik abbrach. Dennoch keimt diesbezüglich Hoffnung auf, da die organisierte Arbeiterschaft eine größere Rolle spielt als noch vor acht Jahren während einer ähnlichen Protestwelle, die zur Amtsenthebung von Präsidentin Park Geun-hye führte. Damals war es Gewerkschaftsführern auf den von der DMP kontrollierten Kundgebungen oft nicht erlaubt, von der Bühne aus zu sprechen (wobei einzelne Gewerkschaftsmitglieder dennoch entscheidend dazu beitrugen, die Bewegung am Laufen zu halten). Dieses Mal hat sich die Lage verändert: Viele Gewerkschaften nahmen mit eigenen Gruppen an den Kundgebungen teil und unterstützten einzelne Gruppen von Demonstranten.
Die 190.000 Mitglieder starke Metallarbeitergewerkschaft bekundete beispielsweise Solidarität mit LGBTQ-Menschen auf den Demonstrationen, indem sie eine Regenbogen-Gewerkschaftsfahne hisste (auch die Tarifverträge der Gewerkschaft enthalten spezifische Schutzmaßnahmen für LGBTQ). Dank solcher Aktionen wächst das Interesse junger Menschen, von denen viele zum ersten Mal an politischen Kundgebungen teilnehmen, an der organisierten Arbeiterschaft.
Yoon dürfte in näherer Zukunft wohl nicht mehr auf der politischen Bühne in Erscheinung treten, aber das System, das ihn hervorgebracht hat, besteht nach wie vor. Die unmittelbare Zukunft des Landes hängt davon ab, wie die organisierte Arbeiterschaft und die Linke die neue Generation von Demonstrantinnen und Demonstranten in ihre eigene Programmatik einbinden können.
Sie müssen eine breite Bewegung aufbauen, die in der Lage ist, sich entschieden gegen die antidemokratischen Kräfte im Land und ihre internationalen Verbündeten, die sich das alte Regime zurückwünschen, zu stellen.
Kap Seol ist ein koreanischer Autor und Forscher und lebt in New York. Seine Artikel sind in unter anderem bei »Labor Notes«, »In These Times« und im »Business Insider« erschienen.