16. Oktober 2023
Im Tesla-Werk in Grünheide beginnen sich die Beschäftigten gegen die schlechten Arbeitsbedingungen zu wehren. Wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter weiter zusammenstehen, können sie echte Veränderungen erreichen.
Arbeitende bei Tesla klagen über gesundheitliche Probleme.
Teslas Model Y ist für Regen, Schnee, Schlamm und Gelände geeignet. Es überzeugt durch zwei äußerst reaktionsschnelle, unabhängige Elektromotoren, die das Drehmoment digital steuern. Das Auto ist schon ab unter 50.000 Euro erhältlich und könnte 2023 zum meistverkauften Fahrzeug der Welt aufsteigen. Die Produktionsarbeiterin Lyn baut das Model Y und würde sich keinen Tesla kaufen.
Lyn verbringt Samstagabende gerne mit ihrer Familie, doch heute steht sie rauchend vor einem großen Funktionsbau in der Nähe des Berliner Ostbahnhofs. In zwei Tagen ist »Tag X« und sie zeigt ihrem Chef im Teslawerk, dass sie Mitglied der IG Metall ist. In zwei Tagen macht sie laut Plan eintausendvierhundertvierzigmal dieselbe Bewegung, um Maschinenteile in eine Maschine zu legen. Diesen Plan nimmt sie nicht mehr hin.
»Die ersten Monate waren für mich Horror. Ich bin immer an der gleichen Position gestanden. Ich bin nachts wach geworden, weil mir die Hände so geschmerzt haben, ich konnte nicht mehr greifen. Mein Kopf ist während der Arbeit komplett leer. Wenn ich einen Fehler mache, dann merke ich das erst, wenn die Maschine stoppt. Oder wenn mein Chef mir sagt, dass ich einen Fehler gemacht habe.«
Seit April planen Arbeiterinnen und Arbeiter zusammen mit der IG Metall den Tag X. Auf gewerkschaftliche Aktivitäten von einzelnen Angestellten habe das Management teilweise mit Repressionen reagiert, erzählt Jannes Bojert. Er ist Gewerkschaftssekretär und führt das Team der IG Metall an, das sich um das Teslawerk in Grünheide kümmert. »Da wurde klar: Es braucht einen Tag des gemeinsamen Bekenntnisses. Je größer der Schutz der Massen, desto kleiner die Möglichkeiten des Managements, zu sanktionieren.«
Rund zweihundert IG Metall-Mitglieder aus dem Teslawerk sind an diesem Samstagabend in den Funktionsbau gegangen, um zu besprechen, wie sie es Montag am besten angehen. Sie wollen sich große Sticker auf die Brust kleben, »gemeinsam für sichere und gerechte Arbeit bei Tesla« steht darauf. Darunter das Logo der IG Metall. Es wäre das erste Mal, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter zeigen, wie viele sich inzwischen gewerkschaftlich organisieren. Die Nachtschicht wird in der Schichtpause um halb drei mit der Aktion beginnen. Die dafür benötigten Sticker müssen also schon zu Schichtbeginn am Vorabend ins Werk gebracht werden. Das Management darf bis dahin nichts von der Aktion erfahren.
»Die Ziele und die Themen bestimmen die aktiven Kolleginnen und Kollegen im Werk«, erklärt Jannes Bojert in seinem Büro, keine fünf Meter von den Gleisen des Bahnhofs Fangschleuse entfernt. Hier kommen die Züge mit den Tesla-Angestellten an. »Wir unterstützen dann bei der Strategie und bei der systematischen Kampagnenarbeit. Im Prinzip ist unsere Aufgabe als Gewerkschaft aber, die Selbstorganisation der Kolleginnen und Kollegen zu ermöglichen.« Das Ziel zurzeit: die Arbeitsbedingungen verbessern.
»Waffengleichheit gibt es nicht im Kapitalismus, man muss es über die Organisierung versuchen.«
Die Arbeitsbedingungen bei Tesla stehen nicht erst seit einer ausführlichen Stern-Recherche Ende September in der Kritik. Wir berichteten im Frühjahr über amerikanische Zustände, von extremer Arbeitsbelastung, hohen Krankheitsständen und häufigen Arbeitsunfälle. Tesla weist die Vorwürfe zum Arbeitsschutz zurück. Als sich die rund zweihundert IG Metall-Mitglieder vor dem Funktionsbau voneinander verabschieden, trägt ein junger Mann einen Verband um die Hand. Einige Tage zuvor habe er einen Arbeitsunfall gehabt, erzählt er. Als der zuständige Tesla-Arzt gekommen sei, wurde ihm davon abgeraten, einen Krankenwagen zu rufen, obwohl die Wunde hätte genäht werden müssen, sagt er.
»Manche Arbeiterinnen und Arbeiter berichten davon, mit Angst auf die Arbeit zu gehen, weil sie ständig Krankenwagen, Helikopter und Alarmsirenen hören«, berichtet Jannes Bojert. »Wir als IG Metall haben ein Interesse daran, dass es im Werk läuft. Zurzeit sind die Arbeitsbedingungen so schlecht, dass viele gut Qualifizierte wieder kündigen. Das ist für Tesla ein Problem, auch für uns.«
Montag, halb drei. Die Pause der Nachtschicht beginnt, und mit ihr Tag X. Haben alle dicht gehalten? Oder gab es einen Maulwurf? Sticker werden verteilt. Doch dann kommt die Ansage vom Management: Alle Mitarbeiter sollen sich während der Pause im größten Gebäude des Werks versammeln, die Aktion wurde selbst gestört. Dort redet dann das Management. Es gibt kostenloses Essen und ein T-Shirt.
Nicht immer sind Unternehmen gewerkschaftsfeindlich, denn funktionierende Gewerkschaften steigern oftmals die Produktivität einer Fabrik. Doch wenn ein Großteil der konkurrierenden Betriebe tariflich gebunden ist, dann entsteht dem ungebundenen Betrieb ein taktischer Vorteil: Er kann seine Position im Wettbewerb durch eine Absenkung der Arbeitsbedingungen beeinflussen.
»Das war 'ne geplante Störaktion« meint Lyn nach Schichtende. »Aber schon deshalb hat die Aktion was gebracht. Die oberen Chefs sind sehr nervös.« Auch ihr Kollege Ben hat sich einen Sticker auf die Brust geheftet. »Die Schicht war beschissen« erzählt er in seinem Auto mit Verbrennermotor. »Der Manager hat zu meinem Supervisor gesagt, als er mich gesehen hat: Raus mit sowas.« In seiner Abteilung haben nicht so viele mitgemacht, wie erhofft. So ging es auch Ulli. Der möchte um sieben Uhr am Bahnhof Fangschleuse nicht mit der Presse gesehen werden. »Hier gibt es Spione«, raunt er. Er ist enttäuscht.
»Das, was wir machen, ist zu einem großen Teil Beziehungsarbeit«, sagt Jannes Bojert. »Viele Menschen haben noch nie die Erfahrung gemacht, dass sie gemeinsam etwas durchsetzen können, das ihnen nicht freiwillig gegeben wird. Eine Bewegung wird nur stark, wenn sie auf dem Weg immer wieder kollektive Erfolgserlebnisse sammelt.« Der Gewerkschaftssekretär nennt sich lieber Organizer, und das Büro einen Treffpunkt. Tatsächlich ähnelt das Häuschen mehr einem Imbiss als einer Geschäftsstelle.
Bald wird im Teslawerk ein neuer Betriebsrat gewählt. Der derzeitige Betriebsrat entstand, als rund 2.300 Personen stimmberechtigt waren. Seitdem wurden fast 10.000 Arbeiterinnen und Arbeiter, überwiegend in der Produktion, eingestellt, die im Frühjahr den neuen Betriebsrat wählen. Betriebsräte haben Mitbestimmungsrechte, und ihre Wahl ist ein Stimmungsbarometer.
Die Stimmung auf dem Bahnsteig ändert sich beim Schichtwechsel von Früh- auf Spätschicht. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter der Frühschicht tragen den Sticker, und die Spätschicht hat schon aus den Medien und Telegramgruppen von der Aktion erfahren. Hassan erzählt lautstark, ihm sei beim Bewerbungsgespräch versprochen worden, während der Schicht rauchen zu dürfen. Das darf er nun doch nicht, und seine Pause reiche durch die langen Wege grade mal für eine Zigarette. Sichtbar sind nun auch die rund siebzig IG Metall-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus ganz Deutschland, die nach Brandenburg gekommen sind. Eine Woche werden sie vor jedem Eingang zum Teslawerk mit den Arbeiterinnen und Arbeitern Zigaretten rauchen. Am Bahnhof Fangschleuse verteilen sie auch Kaffee, T-Shirts und Essen haben sie jedoch nicht dabei. Waffengleichheit gibt es nicht im Kapitalismus, man muss es über die Organisierung versuchen. Die hat bei Tesla gerade erst begonnen.
Nico van Capelle ist freier Journalist und interessiert sich für Arbeitskämpfe.