13. März 2024
Wenn Klimaaktivisten meinen, mit Sabotageaktionen gegen Tesla eine bessere Zukunft erreichen zu können, und Beschäftigte sich schützend vor ihre Arbeitsplätze stellen, dann haben erstere und nicht letztere ein »falsches Bewusstsein«.
Beschäftigte von Tesla protestierten am 8. März 2024 gegen den Sabotageakt der Vulkangruppe an der Stromversorgung des Werks.
Kürzlich sorgte ein Tweet des Rundfunks Berlin-Brandenburg über eine Versammlung der Tesla-Belegschaft in Grünheide in der Online-Linken für einigen Spott. Nachdem die »Vulkangruppe Tesla abschalten« einen Strommast in der Nähe in Brand gesteckt hatte, war die Fabrik mehrere Tage außer Betrieb und auch tausende Haushalte waren über Stunden ohne Strom. In Reaktion darauf kamen am vergangenen Freitag etwa 1.000 Beschäftigte vor den Werkstoren zusammen, um in den Worten des RBB »Solidarität mit ihrem Arbeitgeber zu demonstrieren«.
Die Beschäftigten bei Tesla hätten »Stockholm-Syndrom«, sie demonstrierten »für ihre eigene Ausbeutung« – so melden sich diverse Twitter-User zu Wort. Viele der Accounts sind klein und anonym, aber auch prominente linke Stimmen kritisieren in ähnlich hämischen Tönen, dass sich die Beschäftigten vermeintlich auf die Seite ihres Arbeitgebers stellen würden, und bekommen viel Zuspruch.
Besonders wenn der betreffende Arbeitgeber Elon Musk heißt, dessen Eskapaden weltweit berüchtigt sind, ist es verständlich, dass eine Wortwahl wie die des RBB zunächst einmal Augenrollen auslöst. Auch die Vermutung, dass diese Demonstration möglicherweise vom Management angestiftet wurde und die Sichtweisen der 1.000 Versammelten nicht zwangsläufig repräsentativ für die inzwischen mehr als 10.000 Beschäftigten in Grünheide sind, fallen nicht vom Himmel.
Menschen, die sich um die Zukunft ihres Arbeitsplatzes – und nach dem jüngsten Brandanschlag auch um ihre Sicherheit am Arbeitsplatz – sorgen, mangelndes Klassenbewusstsein oder Unterwürfigkeit zu unterstellen, ist jedoch einfach nur herablassend. Es verkennt, was arbeitende Menschen tatsächlich motiviert – und auch, wie man sie für ein sozialistisches Projekt gewinnen kann. Statt sich über die Arbeitenden des Tesla-Werks lustig zu machen, müsste eine seriöse Linke sich fragen, wie eine solche Identifikation entsteht und was sich dagegen unternehmen lässt.
Teslas »Gigafactory« steht schon lange in der Kritik. Umweltorganisationen äußern Bedenken über Landnutzung und Wasserverbrauch, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sorgen sich wegen Berichten über schlechte Arbeitsbedingungen, Rassismus und systematisches Union Busting an Teslas US-Standorten. Mit dem geplanten Ausbau der Fabrik nehmen die Proteste an Fahrt auf. Aktivistinnen und Aktivisten besetzen das Stück Wald, das dem Bauvorhaben weichen soll, und es kommt zu zunehmend militanten Konfrontationen mit der Polizei. Es sind diese Proteste, auf die die Beschäftigten bei Tesla reagieren.
Und diese Reaktion ist nicht, wie manche unterstellen, ein Fall von »falschem Bewusstsein«. In jedem Unternehmen gibt es einige Leute, die ihren Chef anbeten, und in Anbetracht des Personenkults um Elon Musk gibt es die mit Sicherheit vermehrt in Grünheide. Das ist aber nicht der Punkt. Die Reaktion auf die Umweltproteste ist keine irrationale Aneignung der Interessen des Arbeitgebers. Die Beschäftigten wissen einfach sehr genau, dass sie für ihr Auskommen darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft an einen Kapitalisten zu verkaufen.
Einen Job zu brauchen, um zu überleben, ist eine zutiefst prekäre Lage und Menschen, die einmal einen Job gefunden haben, werden gegebenenfalls versuchen, ihren Arbeitsplatz zu verteidigen – besonders, wenn es sich um einen vergleichsweise guten Job handelt. Und das ist ein Job bei Tesla in Grünheide, auch wenn er unter dem Industriestandard liegt.
»Abhängig Beschäftigte halten nicht die Füße still, weil sie blind sind, wie Lehnstuhl-Radikale gerne unterstellen, sondern weil ihnen die Klassenstruktur an jeder Ecke Steine in den Weg wirft, die Widerstand schwierig und riskant machen.«
Die lokalen Initiativen gegen die Fabrik und ihren geplanten Ausbau begründen ihre Position vor allem mit Bedenken über Wasserverschmutzung, Rodungen und Straßenlärm. Egal für wie (wenig) erfolgversprechend man die Umweltproteste halten mag, ihre Position gegenüber der Belegschaft ist klar: Diese Fabrik, und damit eure Arbeitsplätze, sollte es überhaupt nicht geben. Den Ausbau, der die Zukunft des Standorts sichern und noch mehr Jobs schaffen soll, die Kita-Plätze für eure Kinder und die neue Zuganbindung – all das könnt ihr euch abschminken. Erwarten wir allen Ernstes, dass die Beschäftigten in Grünheide dafür Sympathien entwickeln?
Hinzu kommt noch die Sorge vor der Deindustrialisierung, die für die Skepsis gegenüber Klima- und Umweltschutz mitunter eine noch größere Rolle spielt als die Angst vor dem Verlust des eigenen Jobs. Nach den historischen Erfahrungen der 1990er sitzt diese Sorge besonders im Osten tief. Arbeitsplatzabbau und die Angst davor haben weltweit eine große Rolle im historischen Rückzug der Arbeiterbewegung gespielt. Viele Menschen sind daher zutiefst misstrauisch gegenüber jeder Zukunftsvision, die auf Konsumeinschränkung und der Ablehnung industrieller Produktion aufzubauen scheint – ein Fakt, gegenüber dem sich besonders der akademisch geprägte Teil der Umweltbewegung weiterhin als beratungsresistent erweist.
Wenn man sich die Clips im Internet ansieht, in denen Tesla-Mitarbeitende sich zu den Protesten äußern, wird schnell klar, dass es um genau diese Dinge geht – um Arbeitsplätze, die wirtschaftliche Entwicklung der Region und auch den Beitrag, den die eigene Arbeit zum Klimaschutz leistet. Über den Umweltaktivismus vor Ort herrscht auch deshalb weitestgehend Unverständnis. Von der vermeintlichen Willfährigkeit und dem falschen Bewusstsein, die einige Linke süffisant herbeikommentieren, ist nichts zu sehen.
Wenn die Belegschaft in Grünheide also nicht kapitalistischer Propaganda auf den Leim gegangen ist und sehr gut über ihre materiellen Interessen Bescheid weiß, warum schließt sie dann die Reihen um den Konzern? Solche Begebenheiten sorgen bei Linken oft für Verwirrung, aber wie Vivek Chibber in seinem Buch The Class Matrix zeigt, sind sie aus der Perspektive einer marxistischen Klassentheorie eigentlich zu erwarten.
Dass das Verfolgen ihrer Interessen Arbeitende in offenen Konflikt mit ihrem Arbeitgeber bringt, ist historisch die absolute Ausnahme. Das Machtgefälle zwischen arbeitenden Menschen und ihren Chefs ist so groß und Collective-Action-Probleme stellen solche Hürden für offen antagonistische Strategien dar, dass es individuell durchaus rational sein kann, einen weniger konfrontativen Weg zu wählen. Abhängig Beschäftigte halten nicht die Füße still, weil sie blind sind, wie Lehnstuhl-Radikale gerne unterstellen, sondern weil ihnen die Klassenstruktur an jeder Ecke Steine in den Weg wirft, die Widerstand schwierig und riskant machen.
Man muss akzeptieren, dass es für arbeitende Menschen rational sein kann, sich auf Weisen zu verhalten, die nicht sozialistischen Präferenzen entsprechen. Dann hört man auf zu verspotten und fängt an zu fragen, wie man die Bedingungen für erfolgreichen Klassenkampf schaffen kann.
Ein erster Schritt dahin wäre in diesem Fall, kritischer mit den Umweltprotesten in Grünheide umzugehen. Mit Slogans wie »Umwelt vor Profit«, militanter Rhetorik gegen den Tesla-Konzern und Radical Chic lassen sich leicht linke Sympathien gewinnen, aber wenn man sich die Erklärungen der Aktivistinnen und Aktivisten ansieht, sucht man Einsatz für die Interessen der Beschäftigten vergeblich.
Und auch die Substanz hinter ihrem Kernanliegen des Umweltschutzes ist in diesem Fall vergleichsweise dünn. Das besetzte Stück Wald ist allem Anschein nach eine forstwirtschaftlich genutzte Monokultur. Der Ausbau würde einen Güterbahnhof mit sich bringen und so die CO₂-Emissionen und die Lärmbelastung des LKW-Verkehrs durch die Verlegung des Güterverkehrs auf die Schiene reduzieren. Die Gefährdung des Trinkwassers durch die Tesla-Fabrik ist real, aber vor allem durch Dinge wie auslaufenden Lack, falsch entsorgten Metallschrott und kleinere Brände begründet, nicht durch notwendige Bestandteile des Produktionsprozesses.
Tesla wird nicht freiwillig Geld ausgeben, um diese Probleme zu beheben, aber härtere Umweltauflagen und regelmäßige Inspektionen könnten den Konzern sehr wohl dazu bringen. Gewerkschaften sind solchen Anliegen gegenüber oft aufgeschlossen (nicht zuletzt, weil sie auch die Arbeitssicherheit betreffen) und haben sich in der Vergangenheit als wertvolle Verbündete erwiesen.
Grundsätzlich gehen Ressourcenverbrauch und ein gewisses Maß an Umweltzerstörung aber mit jeglicher industriellen Produktion einher. Jedes Gebäude versiegelt ein Stück Land. Jeder Produktionsprozess verwendet Rohstoffe. Menschliches Leben hinterlässt Spuren in der Natur und das ist erstmal nicht verwerflich. Naturschutz ist kein absoluter Selbstzweck. Er muss immer gegen andere Ziele abgewogen werden.
»Wer glaubt, ein VW-Konzern oder ein Audi-Vorstand wären Gewerkschaften intrinsisch wohlgesonnener als ein Elon Musk, sitzt sozialpartnerschaftlichen Mythen auf.«
Die lokale Opposition gegen den Ausbau der Fabrik kann man nicht einfach ignorieren und der Vorstoß der IG-Metall, mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu treten, ist begrüßenswert. Aber ob die Anwohnerinnen und Anwohner einer kleinen Gemeinde Vetorecht über Entscheidungen innehaben sollten, die Auswirkungen auf eine ganze Region haben, ist durchaus fragwürdig.
Andere Gegner der Fabrik und des Ausbaus begründen ihre Opposition mit dem gewerkschaftsfeindlichen Vorgehen des Unternehmens, der schlechten Bezahlung und den miserablen Arbeitsbedingungen. Diese Position ist nachvollziehbar – aber strategisch unsinnig. Union Busting ist keine beunruhigende, neuerliche Fehlentwicklung, sondern im Kapitalismus die Norm.
Kapitalistische Unternehmen, die ihren Profit maximieren, sind ausnahmslos feindselig gegenüber jeglicher gewerkschaftlicher Aktivität in ihrem Betrieb. Der einzige Grund, warum sie Betriebsräte, Tarifverträge und andere Eingriffe in ihre unternehmerischen Freiheiten akzeptieren, ist, dass die Organisationsmacht ihrer Belegschaft oder andere Errungenschaften der Arbeiterklasse wie Gesetze und Institutionen es kostspieliger machen, Widerstand zu leisten, als den Kompromiss zu suchen.
Wer glaubt, ein VW-Konzern oder ein Audi-Vorstand wären Gewerkschaften intrinsisch wohlgesonnener als ein Elon Musk, sitzt sozialpartnerschaftlichen Mythen auf. Am Widerstand des Arbeitgebers führt im Klassenkonflikt kein Weg vorbei. Und den Ausbau der Fabrik oder neue Tesla-Standorte abzulehnen, verschiebt weder die betrieblichen noch die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten arbeitender Menschen.
Anstatt sich mit den Umweltprotesten zu solidarisieren, sollten Linke in Berlin, Grünheide und Umgebung – besonders diejenigen, die in Parteien organisiert sind – zum Beispiel gemeinsam darüber nachdenken, selbst Jobs im Tesla-Werk zu bekommen, um sich wie Generationen von Sozialistinnen und Sozialisten vor ihnen in der Arbeiterklasse zu verankern und den Kampf direkt in den Betrieb zu tragen. In jedem Fall sollte man aber mit den Beschäftigten reden, ihnen zuhören und glaubhaft vermitteln, dass ihr bestes Interesse einem am Herzen liegt.
Mit Protesten gegen Arbeitsplätze und besonders mit Aktionsformen wie der Sabotage isoliert man sich von den Leuten, für die und mit denen man zu kämpfen meint. Internationale Konzerne wie Tesla und auch der Kapitalismus als System lassen sich nicht ohne die Arbeiterklasse besiegen. Es reicht nicht, diese Ziele nur symbolisch zu repräsentieren – wir müssen uns auch in konkreten Fällen wie diesem auf die Seite der Arbeiterinnen und Arbeiter stellen. Auch wenn die erstmal nicht so enthusiastisch auf revolutionäre Rhetorik reagieren, wie Menschen in aktivistischen Kreisen.
Um das notwendige Vertrauen für Arbeitskämpfe und sozialistische Politik in der Belegschaft aufzubauen, braucht es langfristiges Engagement. Dieses Vorgehen befriedigt das eigene Bedürfnis nach Revolutionsromantik vielleicht nicht, aber es liefert Resultate.
Unter der kämpferischen Führung von Shawn Fain hat die US-Autogewerkschaft UAW vor kurzem einen bahnbrechenden Sieg errungen. Auch junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die durch die Kampagnen von Bernie Sanders politisiert wurden und in den Democratic Socialists of America organisiert sind, waren daran maßgeblich beteiligt. Beschäftigte der Big Three – der drei größten US-Autohersteller General Motors, Ford und Stellantis – haben historische Lohnzuwächse gewonnen und nicht nur ihre Arbeitsplätze gesichert, sondern sogar zusätzliche Investitionen für neue Arbeitsplätze erkämpft – und das ganz ohne Lohnzurückhaltung und Anbiederung an den Arbeitgeber.
Eine Bewegung, die fest in der arbeitenden Klasse verwurzelt ist, kann weitreichende Forderungen durchsetzen, die nicht nur im Interesse der großen Mehrheit sind, sondern auch die notwendigen Investitionen in den Klimaschutz beinhalten.