13. August 2025
Die Schweiz war ein bewährter Handelspartner der USA. Doch mit Strafzöllen in Höhe von 39 Prozent wurde kein Industrieland von Trumps Zollhammer härter getroffen. Um Massenentlassungen zu verhindern, braucht es jetzt einen Schutzschirm für die breite Mehrheit.
Trump stört sich am Handelsdefizit zwischen der Schweiz und den USA.
Trumps Zollhammer zerschmettert den Mythos des Schweizer Sonderfalls an deren Nationalfeiertag – für die patriotisch gestimmten Schweizerinnen und Schweizer eine doppelte Schmach. So gabs am diesjährigen 1. August statt Feuerwerk vor allem lange Gesichter. Die wochenlang demonstrierte Zuversicht des Bundesrats wich stiller Ratlosigkeit.
Die politische Führung der Schweiz und Teile ihrer Wirtschaft sind nicht nur strategisch, sondern auch in ihrem Selbstverständnis getroffen. Es war die Überschätzung der eigenen Rolle auf dem internationalen Parkett, die Mystifizierung des Landes als ewigen Sonderfall, die fernab der tatsächlichen Kräfteverhältnisse die Hoffnung auf einen vorteilhaften Deal genährt hatten.
Doch daraus wurde nichts. Nach nur zwei Tagen kehrten Finanzministerin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin aus den USA zurück. Die beiden waren unmittelbar nach dem 1. August abgereist, um das Schlimmste abzuwenden – aber Trump ließ sich nicht einmal zu einem persönlichen Treffen bewegen. So bleibt es vorerst bei einem Zollsatz von 39 Prozent auf Schweizer Exporte in die USA.
Pharmaprodukte und Gold waren vorerst ausgenommen, inzwischen ist bekannt geworden, dass die Zölle auch für Ein-Kilo-Goldbarren gelten sollen – das gängige Format für den Handel an der New Yorker Börse Comex, dem global wichtigsten Handelsplatz für Gold-Termingeschäfte. Ein weiterer harter Schlag: Die Schweizer Industrie verarbeitet 30 bis 40 Prozent des weltweit zirkulierenden Goldes. In den vergangenen zwölf Monaten exportierte sie Gold im Wert von rund 61,5 Milliarden Dollar in die USA.
Unter den Schlägen des Zollhammers überboten sich Politik, Unternehmen und Verbände mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. Den einen war der Auftritt des Bundesrats zu forsch, den andern zu lasch. Für die SVP handelte es sich um die Quittung für eine »verantwortungslose und arrogante Haltung von Mitte-links«, die SP wiederum warf der SVP vor, sich bei Trump »anzubiedern« und Europa zu verraten. Die einen vermuten »Euroturbos« als Saboteure der Verhandlungen, andere sehen die Schweiz »in Geiselhaft der Pharmaindustrie«.
Selten hat man Schweizer Kapital und die politischen Führungsspitzen des Landes so aufgescheucht gesehen – und auch die Medien kannten kein Halten mehr. Die Boulevard-Presse installierte einen Live-Ticker, damit die Leserinnen und Lesern die beiden Bundesräte in die USA begleiten konnten. Währenddessen wurde Zuhause die Katastrophe vermessen: Von der »grössten Niederlage seit Marignano« sprach die Boulevardzeitung Blick, von einem »Angriff auf die Schweiz« Swissmem-Chef Stefan Brupbacher.
Rund 15 Prozent der Exporte aus der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie gehen in die USA. Obwohl die Verbände aus den exportorientierten Branchen wie Swissmem oder Swissmechanic bereits nach dem »Liberation Day« Alarm geschlagen hatten, blieb der Bundesrat sichtlich gelassen. Im Gegensatz zu den Führungsspitzen anderer Staaten verzichtete er auf ein direktes Treffen mit dem US-Präsidenten. Karin Keller-Sutter versicherte nach einem 25-minütigen Telefonat, sie hätte einen guten Draht zu Trump gefunden.
Dieser hingegen meinte wenige Tage später, Keller-Sutter habe ihm nicht zuhören wollen. Ihr Angebot, einem Zollsatz von 10 Prozent zuzustimmen und 150 Milliarden Dollar an Investitionen in den USA zuzusagen, überzeugten ihn nicht zu überzeugen. Hat sich die politische Führung Schweiz überschätzt?
Das kurz zuvor geschlossene Abkommen zwischen den USA und der EU hätte man als Warnsignal deuten können. Zwar schlug sich der Deal zwischen den USA und der EU an der Schweizer Börse unmittelbar positiv nieder – doch um mehr als eine kurzfristige Erleichterung dürfte es sich dabei kaum gehandelt haben.
»Das Signal, das Trump aussendet, ist eindeutig: Für Ausnahmeregelungen gibt es in der Wirtschaftsordnung, die er gerade errichtet, keinen Platz.«
Etwas mehr als die Hälfte der Schweizer Exportgüter landen in der EU, jede protektionistische Einschränkung Europas wirkt sich auf die Auftragsbücher hiesiger Unternehmen aus. Entsprechend sprach der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse von einem »Abkommen der Schadensbegrenzung«. Dass die EU als wichtigste Handelspartnerin zumindest eine gewisse Rechtssicherheit gewonnen habe, sei »grundsätzlich eine gute Nachricht« für die Schweiz.
Vor allem aber hatte der Deal die herrschenden Kräfteverhältnisse verdeutlicht. Es war ein Deal nach Trumps Geschmack, eine Machtdemonstration im Golfresort: 15 Prozent US-Zölle auf EU-Exporte, für Stahl und Aluminium gar 50 Prozent. Der Deal zeigte auch, dass es so was wie Gewissheiten und Planungssicherheit nicht gibt. Nur wenige Tage danach später geriet Trump in Wut wegen der 600 Milliarden Dollar, welche die EU den USA an Investition versprochen hatte. Er könne über dieses Geld verfügen, wie er wolle – sollte dies nicht der Fall sein, werde er die Zölle für die EU auf 35 Prozent anheben.
Jahrelang meinten Industrie und Politik, die Schweiz exportiere Maschinen, Pharmazeutika und Luxusprodukte, die so hochwertig und spezifisch seien, dass sie auf dem Weltmarkt unverzichtbar wären. Strafzölle könnten der Schweiz nur wenig anhaben, weil deren Produkte so gefragt sind, dass sich Abnehmerländer mit Strafzöllen vor allem selbst schaden würden – mag sein, ist Trump aber egal.
Unvergessen auch die etwas unmotivierte Charme-Offensive Ende April, als Keller-Sutter und Parmelin mit Pralinen und Uhren im Gepäck zur Frühlingstagung von IWF und Weltbank in die USA reisten. Stolz verkündete Keller-Sutter, man gehöre zur Gruppe von fünfzehn Ländern, die mit den USA »privilegierte Verhandlungen führen« dürfen – und erntete Beifall aus den bürgerlichen Reihen: Der Bundesrat habe es geschafft, Trump von der wirtschaftlichen Relevanz der Schweiz zu überzeugen, meinte SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Auch FDP-Präsident Thierry Burkhart zeigte sich beeindruckt und lobte das Schweizer Verhandlungsgeschick.
In dieser Euphorie und über der absurden Frage, ob Keller-Sutter so durchsetzungsfähig sei, da sie mit drei größeren Brüdern aufgewachsen war, ging vergessen, worum es Trump eigentlich geht: Er stört sich am US-Handelsdefizit. Bei Gütern (also Dienstleistungen ausgenommen) erzielt die Schweiz gegenüber den USA einen gewaltigen Handels-Überschuss. Auf der Liste jener Staaten, mit denen die USA ein Handelsdefizit erzielt, liegt die Schweiz mit knapp 40 Milliarden US-Dollar jährlich auf Platz 13 – obwohl sie nur 0.1 Prozent der Weltbevölkerung stellt. Damit beläuft sich das US-Güterdefizit pro Schweizer Kopf auf fast 4.500 Dollar – ein überdurchschnittlich hoher Wert.
Rund zwei Drittel der betreffenden Schweizer Ausfuhren stammen aus der Pharmaindustrie. Weil höhere Pharma-Zölle die Medikamentenpreise weiter erhöhen würden, sind sie vorerst von den neuen Zöllen ausgenommen. Die beiden Schweizer Pharmariesen Novartis und Roche gehörten jedoch zu den Unternehmen, die kürzlich Briefe von Trump erhielten, in denen sie aufgefordert wurden, ihre Preise zu senken und Milliardeninvestitionen in den USA zu tätigen – obwohl letzteres bereits geplant ist: Die beiden Pharma-Riesen haben im April bekanntgegeben, massiv in den Bau neuer Produktionsstätten in den USA zu investieren – Roche mit 50 Milliarden Dollar, Novartis mit 23 Milliarden Dollar.
Das Signal, das Trump damit aussendet, ist eindeutig: Für Ausnahmeregelungen gibt es in der Wirtschaftsordnung, die er gerade errichtet, keinen Platz. Für die Schweiz, deren vorteilhafte Stellung in der globalisierten Welt wesentlich auf Ausnahmen beruht, ist das eine unbequeme Wahrheit.
Zum Beispiel schützt kaum ein Land seine heimische Landwirtschaft stärker mit Zöllen als die Schweiz. Den Import von Rindfleisch, einem wichtigen Exportprodukt der USA, kontingentierte die Schweiz im vergangenen Jahr bei rund 5.850 Tonnen. Für jede Lieferung, die über dieses Kontingent hinausging, wurde ein Zoll von bis zu 26 Dollar pro Kilogramm erhoben.
»Die SP predigt eine Kultur der Stärke und des Mutes, hat aber politisch nichts weiter zu bieten als die Flucht ins altbekannte neoliberale Gefüge.«
Weiter nutzt die Schweiz ihre Neutralität, um sich weltweit ein dichtes Netz von Freihandelsabkommen, bilateralen Verträgen und selektiven Sektorabkommen zu schaffen. Die Gegenleistungen in Form von Finanzbeiträgen, Marktöffnungen oder Rechtsübernahmen bleiben im Vergleich zu vollwertigen Mitgliedschaften begrenzt, weshalb der Schweiz immer wieder »Rosinenpickerei« vorgeworfen wird.
Zu nennen wären auch das – zwar aufgeweichte, aber nicht abgeschaffte – Bankgeheimnis, Steueranreize und kantonaler Steuerwettbewerb zugunsten internationaler Großkonzerne oder eine vergleichsweise offensive Devisenmarkt-Politik der Schweizerischen Nationalbank zur Beeinflussung des Wechselkurses des Schweizer Frankens. Letzteres ist den USA schon länger ein Dorn im Auge: 2020 stand die Schweiz kurzzeitig auf der US-amerikanischen Liste der Währungsmanipulatoren.
Weil die US-Hegemonie vom aufsteigenden China abgelöst zu werden droht, verengt Trump mit seiner protektionistischen Wende die Spielräume für außen- und wirtschaftspolitisches Handeln. Die SVP prescht vor und sieht den Zollhammer als Chance: Nicht jammern, sondern anpacken, Produktionsstätten in die USA verschieben, neue Märkte erschließen, auf politischer Ebene die nationalen Rahmenbedingungen fürs Kapital verbessern.
Zumindest der letzten Forderung haben sich die übrigen bürgerlichen Kräfte des Landes bereits angeschlossen. Es brauche »dringend ein Massnahmenpaket zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Schweiz«, meint der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, die Schweizer Wirtschaft benötige ein »Fitnessprogramm«, schreibt die FDP – gemeint sind »vor allem niedrige Produktions- und Standortkosten«. Andernfalls seien »Zehntausende Stellen in der Tech-Industrie und in anderen Exportbranchen« in Gefahr, warnte Stefan Brupbacher. Sollte die maximal mögliche Bezugsdauer von Kurzarbeitsentschädigung nicht verlängert werden, »folgen Massenentlassungen«.
Derweil beschäftigt die Tatsache, dass die Folgen der Zölle auf die Arbeiterinnen und Arbeitern abgewälzt werden sollen, die Sozialdemokratie nur am Rande. Die hat es sich stattdessen zur Aufgabe gemacht, den Neoliberalismus zu retten. SP-Nationalrat Fabian Molina möchte gerne die USA über die WTO verklagen und schließt sich damit der Mitte-Partei an.
Passend dazu bekräftigt die SP ihre Forderung nach einer engeren Anbindung an das neoliberale Projekt der EU. So bezeichnet die SP die 39-Prozent-Zölle als »direkte Folge einer kurzsichtigen und isolierten Aussenwirtschaftspolitik« und fordert, die bilateralen Verhandlungen mit Brüssel rasch voranzutreiben, um »wirtschaftliche Stabilität und sozialen Zusammenhalt« zu sichern.
Dabei erweist die SP sich als unfähig, hinter Trumps Politik Kalküle zu entdecken. Dieser wolle, dass die Welt sich »seinem Machtwahn« beuge. Wer ihm nicht »bedingungslos ergeben« sei, werde »verspottet, bedroht – und jüngst mit horrenden Strafzöllen belegt«. Strecke man »einem Autokraten wie Trump den kleinen Finger hin«, nehme »er sich die ganze Hand«.
Entsprechend predigt die SP eine Kultur der Stärke und des Mutes, hat aber politisch nichts weiter zu bieten als die Flucht ins altbekannte neoliberale Gefüge. Sie klammert sich an das Ideal offener Märkte und bietet damit keine Antwort auf die realen Verschiebungen der Weltwirtschaft – sondern lediglich küchenpsychologische Argumentationen und eine nostalgische Verklärung der Zeit vor Trumps Protektionismus. Stattdessen wären die heutigen Umbrüche als direktes Ergebnis dieser Zeit zu begreifen. Freihandel und Protektionismus, Liberalismus und Autoritarismus sind nur scheinbare Gegenstücke ein und derselben gesellschaftlichen Ordnung, die die Spielräume bald weiter, bald enger macht.
Wer Stärke predigt, muss sie auch organisieren: in den Betrieben, in Lohnverhandlungen, auf der Straße. Statt sich an autoritären Krisenfiguren aufzureiben, müssten stattdessen konkrete Machtfragen gestellt und Schutzschirme für Arbeiterinnen und Arbeiter durchgesetzt werden: Jede Abwälzung der Zölle auf Löhne und Lebensstandard gilt es zurückzuweisen, Entlassungen zu verhindern, Kurzarbeit nur bei voller Lohnfortzahlung zu akzeptieren und der abgehobenen Landesführung, die fernab der allgemeinen Lebensrealitäten herumeiert, eine klare Absage zu erteilen.
Dominic Iten studierte Geschichte und Soziologie in Bern. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehören die Geschichte und die politische Ökonomie der Schweiz.