20. Januar 2021
Mit der Amtseinführung von Joe Biden stabilisieren sich die Machtverhältnisse in den USA. Den gesellschaftlichen Zerfall wird er jedoch nicht aufhalten.
Die letzten Vorbereitungen für die Amtseinführung Joe Bidens.
Man kann vieles über die Präsidentschaft von Donald Trump sagen, aber eins war sie sicherlich nicht: langweilig. Seine letzten Tage im Amt lieferten ein besonders groteskes Spektakel, als sein hoffnungsloses Unterfangen, die Wahlergebnisse vom vergangenen November für ungültig zu erklären, in chaotischen und teils verstörenden Szenen um und innerhalb des Kapitols in Washington gipfelte. Trump wollte starke Bilder für die Kameras haben – und seine Anhänger lieferten sie. Tausende – wütend, ohne Mund-und-Nasen-Schutz, manchmal bewaffnet – drängten sich an dem überforderten Sicherheitspersonal vorbei und stürmten, wie ein verzweifelter Polizist zu erklären versuchte, den »heiligsten Ort« des Landes.
Tragischerweise sind mehrere Menschen am 6. Januar gestorben, und manche Abgeordnete berichten, dass sie bei der Erstürmung um ihr Leben fürchteten. Das sollte man nicht herunterspielen. Dennoch lässt sich festhalten, dass die Mehrheit der zornigen weißen Typen zwar nicht friedlich, aber immerhin zahm blieb. Damit waren sie ihrem Idol Donald Trump irgendwie auch sehr ähnlich: Sie randalierten ein wenig, klauten Papier und Stifte aus Abgeordnetenbüros, aber vor allem wirkten sie – genau wie auch ihr Anführer selbst – völlig überfordert. Für die Machtergreifung, die manche sich vielleicht erträumten, genügte es eben nicht, planlos das Kapitol zu überrennen. Und so blieb es dann auch dabei.
Bis zum Abend waren die meisten wieder zu Hause oder in ihren Hotelzimmern, wo sie auf ihre heldenhaften Taten anstießen und sich auf die Schulter klopften. In der Nacht setzten die Abgeordneten ihre Sitzung fort und bestätigten die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl ohne großen Protest. Der »Sturm aufs Kapitol« entlarvte sich als eine letzte, hilflose Machtdemonstration und ein verzweifelter Versuch, Trumps Gesicht zu wahren.
Der Schuss ging nach hinten los. Denn die Ereignisse des Tages haben eine institutionelle Kettenreaktion ausgelöst, die vielleicht zu seiner endgültigen Verbannung aus der Öffentlichkeit führen wird. Seine Verbündeten aus der Partei haben mit ihm gebrochen. Seine Twitter- und Facebook-Profile, auf denen er händereibend seine Anhänger anstachelte und ins Feld schickte, wurden gesperrt oder gelöscht. Sollte es den Demokraten noch gelingen, ihn rückwirkend des Amtes zu entheben, wird er nie wieder ein politisches Amt bekleiden dürfen. Ein passenderes Ende für den Berlusconi vom Broadway hätte man sich kaum ausdenken können.
Im Januar 2017 twitterte der linke Provokateur des Podcasts Chapo Trap House, Matt Christman, zur Amtseinführung des 45. Präsidenten: »Dies ist der dümmste Tag in der amerikanischen Geschichte, ein Rekord, der von jedem folgenden Tag in der amerikanischen Geschichte gebrochen werden wird.« Und so war es auch. Jeden Tag.
Was Donald Trump als Politiker so brisant machte, waren weniger seine Positionen, die vage und teilweise widersprüchlich blieben, sondern die Art und Weise, wie er sie inszenierte. Trump hatte weder große Ideen noch große Erzählungen. Als Unterhaltungskünstler und unerträglicher Angeber basierte seine politische Macht vielmehr auf gezielten Provokationen und Grenzüberschreitungen. Er verhöhnte gnadenlos seine Gegner, beleidigte Journalisten und besudelte die Etikette des politischen Washingtons wie es kein anderer jemals gewagt hatte. Dafür liebten ihn seine Anhänger so sehr wie ihn seine Kontrahenten verachteten.
Trumps Auftreten mag demagogisch wirken, seine politische Agenda war jedoch verblüffend konventionell. Seine größten »Erfolge« – die Ernennung von drei erzkonservativen Verfassungsrichtern und seine regressiven Steuersenkungen – waren allesamt abscheulich, sind jedoch vollkommen auf Linie der Partei. Wäre anstelle Trumps ein Republikaner wie Mike Pence oder Ted Cruz ins Weiße Haus eingezogen, hätten sie eine ähnliche Politik verfolgt. Weder konnte er sein berühmtes Versprechen einlösen, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko zu errichten (sofern er es jemals vorhatte), noch konnte er die Gesundheitsreform seines Vorgängers abschaffen. So schrecklich die Szenen der Familientrennungen entlang der Grenze auch waren, blieben sie letztendlich im Rahmen der bestehenden US-Migrationspolitik. Neu war lediglich, wie unverblümt Trump dieses grauenhafte Vorgehen abfeierte.
Daran gemessen war also das, was Trump in der US-Politik bewirkte, keine Faschisierung im engeren Sinne. Vor allem trieb er die mediale Inszenierung des politischen Alltags auf die Spitze. Die öffentlichkeitswirksame Stilisierung des Präsidenten ist indes auch keine Eigenheit Trumps, die gab es schon mit Obama – wenn auch in anderer Qualität. Während die Politik immer mehr zu einem entleerten Medien-Theater wird, bleibt das System dahinter überwiegend unberührt. Jede Phase von Trumps Regierung wurde begleitet von neuen Provokationen und empörten Reaktionen von der Gegenseite. Jeder Fehltritt wurde schnell vergessen, weil schon der nächste folgte. Hinter dem Vorhang machten die Republikaner weiter wie in den Jahren zuvor, begünstigt durch eine Demokratische Opposition, die oft viel zu fügsam Kürzungen und erhöhte Rüstungsausgaben abnickte.
Doch unabhängig davon, ob Trump selber ein richtiger Faschist sei, werfen Kritiker ein, er würde den politischen Diskurs des Landes weiter vergiften und noch dunklere politische Geister hervorrufen – darin bestünde die echte Gefahr. Und das tat er sicherlich auch – man denke nur an die Proud Boys oder die wirren Anhänger von QAnon, die keinen unbedeutenden Teil von Trumps Koalition ausmachen – aber auch hier fällt im Nachhinein vor allem auf, wie sehr sie auf symbolische Mobilisierungen beschränkt blieben.
Der berüchtigte »Unite the Right«-Aufmarsch in Charlottesville im August 2017, wo ein paar Hundert Neo-Nazis mit Tiki-Fackeln durch die Nacht marschierten und auf Tausende Gegendemonstranten trafen, markierte weniger den Auftakt von einer rechtsextremen Mobilisierung als deren Abgang. Die Rädelsführer wurden im Nachgang öffentlich in Verruf gebracht und fielen schnell in Ungnade, auch unter den eigenen Anhängern. Wäre nicht ein gewaltbereiter Neo-Nazi mit seinem Auto in die Gegendemonstration gefahren, was eine Person das Leben kostete, wäre die Veranstaltung vermutlich längst in Vergessenheit geraten.
Andere Rechtsextreme und Neo-Nazi-Gruppen, die in Trumps Windschatten an die Öffentlichkeit gelangten, ereilte ein ähnliches Schicksal. In den letzten vier Jahren waren sie zwar so sichtbar wie schon lange nicht mehr, doch heute sind sie fragmentiert, zerstritten und desorientiert. Keine dieser Gruppierungen scheint über eine nennenswerte organisierte Basis zu verfügen.
Wie das Fest der Verirrten am 6. Januar nochmal vor Augen führte, hat sich hinter Trump weniger ein straff organisierter rechter Mob versammelt, sondern eher eine höchst widersprüchliche, von Angst und Ressentiments getriebene Masse, die ihn warum auch immer als ihren Erlöser betrachtet, aber offenbar nicht in der Lage ist, aus ihren Ressentiments und Waffenarsenalen eine politische Vision oder gar eine Strategie zu entwickeln.
Für die Zukunft bedeutet dies, dass die Marke Trump als Projektionsfläche wahrscheinlich essenziell bleiben wird, um diese schwindende Bewegung zusammenzuhalten, während Trump wiederum diese Bewegung brauchen wird, um seine Marke zu behaupten. Und somit wird die Verdummung des öffentlichen Lebens, die zu seinen größten Errungenschaften zählt, sicherlich nicht verschwinden, auch wenn die institutionellen Turbulenzen bald behoben werden.
Dem ausscheidenden Präsidenten weint sicherlich niemand eine Träne nach, aber sein Nachfolger verspricht, dass die US-Politik in naher Zukunft nicht weniger dumm wird, wenn auch auf eine andere Art. Joe Biden lässt sich unter dem Motto »America United« in das Amt führen. Seine ersten Monate als Präsident werden geprägt sein von Trumps möglicher Amtsenthebung und den Anstrengungen von großen Teilen der etablierten Politik und der Medien, ihn als Landesverräter und Demokratiefeind zu brandmarken. Das neue Kabinett wird mit Schlagworten wie »Anstand« und »nationale Versöhnung« um sich werfen und gleichzeitig die teils existierende Gefahr eines rechten Terrorismus beschwören, um für Geschlossenheit in den eigenen Reihen zu sorgen.
Das ist alles andere als überraschend. Bidens Sieg war vor allem ein Resultat der völligen Erschöpfung der Bevölkerung unter der Pandemie sowie der Unfähigkeit der politischen Klasse, dauerhafte Lösungen für die gravierende soziale Ungleichheit und Krisenhaftigkeit des Landes zu finden. Während Trumps Sieg für eine diffuse Ablehnung der Regierungspolitik stand, steht Bidens Sieg für die nüchterne Realisierung, dass es auch noch schlimmer gehen kann – eine resignierte Kapitulation vor dem Status quo.
Die Politik, die von ihm zu erwarten sein wird, lässt sich bereits an seinem Kabinett ablesen. Viele Minister dienten schon unter Obama, manche wie Landwirtschaftsminister Tom Vilsack kriegen sogar ihren alten Job zurück. Man kann nur hoffen, dass Biden, wie versprochen, die schlimmsten Exzesse der Trump-Ära rückgängig machen wird. Aber im Kern kommt in den USA die gleiche Regierung an die Macht, die schon Hillary Clinton 2017 installieren wollte.
Die neue Administration wird sicherlich von dem linken Flügel ihrer Partei mehr Druck verspüren als noch Obama, aber der desolate Zustand der republikanischen Koalition nach Trump bedeutet, dass sie anfangs keiner ernsthaften Bedrohung von rechts ausgesetzt sein wird und die eigene Partei ziemlich geschlossen hinter ihr steht. Dass Bernie Sanders, der kürzlich ernannte Vorsitzende des Finanzausschusses im Senat, die parlamentarische Tagesordnung etwas beeinflussen und in Haushaltsfragen die knappe Demokratische Mehrheit stärken wird, erweitert immerhin seinen taktischen Spielraum. Das ist nicht unwichtig. Insgesamt ist aber das Regierungsprogramm von Biden klar absehbar, und es gibt bisher keinerlei Anzeichen, dass er davon abrücken wird.
Warum sollte er auch? Trotz zwei beeindruckender Kampagnen von Bernie Sanders und der Wahl einer Reihe von linken Demokraten ins Abgeordnetenhaus, sind die Kräfteverhältnisse in der Partei ernüchternd. Der Bernie-Moment ist erloschen. Ehemalige Sanders-Anhänger waren zwar ausschlaggebend für Bidens Wahlsieg, aber Biden weiß genau, dass sie ihn mehr brauchen als er sie. Die angebliche Gefahr von rechts und der verständliche Wunsch, irgendwie konstruktiv mit der neuen Administration zusammenzuarbeiten, drohen die neuen linken Abgeordneten zu beschwichtigen.
Jenseits des Parlaments ist die Linke in den USA deutlich größer und sichtbarer geworden, aber viele, die in den letzten Jahren mobilisiert und gekämpft haben, sind nach Sanders’ Niederlage, der Pandemie und der Rezession schlichtweg ausgebrannt. Sie wollen sich erstmal ausruhen und schauen, was die Zukunft bringt, bevor sie sich direkt in die nächste Kampagne stürzen.
Die letzten vier Jahre waren weniger ein Konflikt zwischen zwei unversöhnlichen Hälften eines gespaltenen Landes, als eine brachial ausgetragene Auseinandersetzung zwischen zwei Fraktionen einer ehemals homogenen politischen Elite, und den Teilen der Mittelschicht, die sich mit ihnen identifizieren. Weit über die Hälfte der Bevölkerung hat sich vermutlich kaum dafür interessiert und war eher genervt.
Was liberale Kritiker besorgt als »politische Polarisierung« bezeichnen, ist in Wahrheit nur das Anzeichen einer viel tieferen strukturellen Krise, die dazu führt, dass die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung zunehmend ein Dasein an der Schwelle zur Armut fristet, während die oberen 20 Prozent in ihrer eigenen Welt leben – sowohl räumlich als auch kulturell. Die Lebensrealität der übrigen 80 Prozent war in den letzten Jahren nicht hauptsächlich durch »die Verrohrung des Diskurses« gezeichnet, sondern vor allem durch den anhaltenden Verfall des US-amerikanischen Lebensmodells. Und das wird sicherlich auch in den kommenden Jahren noch so bleiben. Darüber wird in der Öffentlichkeit wenig gesprochen, und in der Politik erst recht nicht.
Seitdem sich die politischen Parteien in den 1980er Jahren zu zersetzen begannen, wird die US-Politik immer mehr von charismatischen, unternehmerischen Politikern dominiert, die eine massive Kampagnen-Infrastruktur um sich herum aufbauen und diese nutzen, um ihren Einfluss zu untermauern. Obama war in vielerlei Hinsicht der Pionier dieser Transformation, und er tat dies auf eine viel kompetentere und effektivere Weise als Trump. Ob »rechts« oder »links«, solche Figuren sind – mehr noch als die Parteibosse vergangener Generationen – in erster Linie ihren Finanziers und Machtnetzwerken verpflichtet, für die eine andere Verteilungs- oder Sozialpolitik nicht in Frage kommt.
Während die eigentlichen parlamentarischen Spielräume immer enger werden und die aktive Parteibasis schwindet, fechten Politiker zunehmend Kulturkämpfe aus, um sich von ihren Gegnern abzugrenzen und ihre Basis zu mobilisieren. Die Republikaner fingen unter Ronald Reagan damit an, und seine Nachfolger in den 1990er Jahren perfektionierten es – in den Wahlen entschied man sich nicht mehr nur zwischen Mitte-rechts oder Mitte-links. Es ging nun auch darum, ob man auf der Seite der freien Bürger oder der gottlosen Bürokraten stand, die der Bevölkerung die Waffen und Religionsfreiheit wegnehmen würden. Trump hat diesen Politikstil konsequent weiter geführt, nachdem es ihm die Tea Party einige Jahre früher vormachte.
Von Demokratischer Seite sieht der Kulturkampf etwas anders aus. Als Partei, die ihre Basis zunehmend in der gebildeten, urbanen Mittelschicht sieht, kultiviert sie einen »progressiven Neoliberalismus«, wie es Nancy Fraser nennt, der eine »progressive Politik der Anerkennung« mit einem ökonomischen Programm kombiniert, das sich nur in geringem Maße von den Republikanern unterscheidet. Sie verwenden zwar die Sprache vergangener sozialen Bewegungen, um sich damit zu schmücken, sehen ihren Auftrag aber vor allem darin, den amerikanischen Kapitalismus kulturell zu modernisieren, nicht etwa zu renovieren.
Solange die US-Politik weiterhin von sklerotischen, rechten Kulturkämpfern auf der einen Seite und progressiven Neoliberalen auf der anderen bestimmt ist, wird es für die Linke schwierig sein, aus ihren teilweise populären Forderungen wirksame Politik zu machen. Man darf nicht vergessen, dass in den letzten vier Jahren zwei der größten politischen Mobilisierungen der neueren Geschichte stattfanden: der Women’s March gegen Trump 2017 und die Black-Lives-Matter-Proteste im vergangenen Jahr. Beide produzierten inspirierende Bilder und feuerten Debatten an, blieben aber realpolitisch überwiegend folgenlos.
Die unbekannte Variable in dieser düsteren Bilanz bleibt die Rückkehr des Klassenkampfes. Damit ist das Erstarken einer gesellschaftlichen Linken in den Betrieben, in den Gemeinden und an den Wahlurnen gemeint. Die Niederlage von Bernie Sanders hat Hoffnungen auf eine solche Entwicklung gedämpft, aber nicht zerschossen. Die Democratic Socialists of America sind mit ihren 85.000 Mitglieder wesentlich größer und einflussreicher als die größten rechtsradikalen Gruppierungen. Um sie herum reihen sich andere Gruppen und Organisationen, die in den letzten Jahren angewachsen sind. Es wird darauf ankommen, ob es ihnen gelingt, aus den entstandenen Netzwerken und Kampagnen stabile Institutionen zu schaffen, die immer breitere Kreise von Menschen ansprechen, und neue soziale Mehrheiten organisieren. Denn die USA sind weder »great« noch »united«, sie sind zutiefst gespalten, aber bisher noch entlang kultureller Bruchlinien, die es zu überwinden gilt.
Ein Wiederaufleben des Klassenkampfes, so unwahrscheinlich es auch erscheinen mag, ist das Einzige, was die institutionelle Dysfunktion und die ideologische Ausweglosigkeit, die die Vereinigten Staaten derzeit plagen, durchbrechen könnte. Ansonsten scheint ein langsamer, schmerzhafter Niedergang, gekennzeichnet durch periodische Ausbrüche flammender Proteste, unvermeidlich.
Loren Balhorn ist Editor-in-Chief von JACOBIN.