09. Oktober 2020
Mehr als 300 Unternehmen und eine Reihe von Spitzenpolitikern setzen sich für eine neue Form des Eigentums ein. Klingt verführerisch, doch das Konzept hat seine Fallstricke.
Start-Ups und Gründerinnen bewerben eine neue Eigentumsform. Für eine nachhaltige Wirtschaft braucht es aber mehr.
Ein von Unternehmern und Wissenschaftlern hochgelobtes Projekt, eine aufwendige Veranstaltung mit Livestream, dutzende Artikel und Pressestatements und politische Rückendeckung aus der Mitte: Lars Klingbeil signalisiert ausdrückliche Zustimmung, Annegret Kramp-Karrenbauer bezeichnet das Konzept als faszinierend und auch Robert Habeck sieht darin einen Weg zu langfristiger Innovation und Kreativität. Dabei geht es lediglich um eine neue Rechtsform, die verhindern soll, dass Eigentümer den Unternehmen Gewinne entziehen.
Das Ganze nennt sich »Verantwortungseigentum« beziehungsweise Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Verantwortungseigentum (kurz: VE-GmbH) – oder in den Worten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Volkseigentum unter neuem Vorzeichen«. Dafür gibt es Unterstützung von über 500 Unternehmern und Wirtschaftswissenschaftlern wie Marcel Fratzscher. Doch den Plan haben sie ohne die Familienunternehmer – in der Regel Unternehmenserben – gemacht. Die fühlen sich provoziert, da aus ihrer Sicht auch ihre Unternehmen bereits »verantwortungsvoll« geführt werden.
Im Kern geht es darum, eine juristische Lücke zu schließen, indem man eine Gesellschaftsform schafft, in der klar ist, dass die Eigentümerinnen des Unternehmens keine Zugriffsrechte mehr auf die Gewinne haben und die Anteile nicht gewinnbringend verkauft werden können. Das ist momentan mit verschiedenen Stiftungsmodellen zwar rekonstruierbar, aber mit erheblichem bürokratischen und finanziellen Aufwand verbunden und daher für kleine und mittelständische Unternehmen nicht realisierbar.
Der unbestreitbar positive Aspekt des Verantwortungseigentums ist der sogenannte »Asset Lock«, der verhindert, dass Gewinne an Unternehmenseigentümerinnen ausgeschüttet werden. Somit wird eine langfristige Mehrwertabschöpfung durch kapitalistische Eigentümer unterbunden. Darüber hinaus schützen sich langfristig agierende Unternehmen selbst, indem Gewinne ins Eigenkapital wandern müssen und dem Unternehmen somit langfristig mehr Geld zur Verfügung steht und man damit Stabilität gewinnt. Das ist auch dahingehend förderlich, als dass es unter den Gesellschaftern keine unterschiedlichen Gewinnverwendungsansprüche und von Mitarbeitern keine unterschiedlichen Gewinnverwendungsvorschläge auftreten, da die Ausschüttung ausgeschlossen ist. Vielmehr steht die langfristig Stabilität und Wachstum im Vordergrund. Doch auch jetzt drängt sich schon die Frage in den Vordergrund: Wer entscheidet hier wohin es geht?
Darüber hinaus sieht das »Verantwortungseigentum« vor, dass Gesellschafter ihren Geschäftsanteil nicht einfach an Außenstehende gewinnbringend verkaufen können, sondern bei einem Ausstieg aus dem Unternehmen ihren eingezahlten Betrag zurückerhalten. Dies steht dem kurzfristigen Shareholder-Value-Prinzip entgegen, welches auf kurzfristige Gewinnmaximierung beim Verkauf der Anteile abzielt. Da ein Exit der Mehrheitsgesellschafterinnen auch immer die Gefahr einer potenziellen Zerschlagung in sich birgt, wird dadurch sichergestellt, dass neue Gesellschafter nur natürliche Personen oder VE-GmbHs sein können.
Für viele sozial-ökologische Firmengründungen kann das eine ansprechende Rechtsform sein, da sie einen Rahmen bildet, der den transformatorischen Anspruch des Gewinnauschütungsverbots institutionalisiert.
Hier liegt das größte Problem des Verantwortungseigentums. Weder der Gesetzentwurf noch die Initiatoren machen einen gemeinsamen Vorschlag für Vorgaben, die regeln, inwiefern Mitarbeiter an einem Unternehmen bei der Mitentscheidung beteiligt werden und somit ihre Interessen wahrnehmen können. Im schlechtesten Fall gibt es einen Alleineigentümer, der seinen Mitarbeiterinnen einen Ausbeutungslohn und schlechte Arbeitsbedingungen aufzwingt, selbst aber ein hohes Geschäftsführergehalt bezieht. Die Unternehmerin und Frontfrau des Verantwortungseigentums, Verena Pausder, schlägt außerdem eine »nachhaltige GmbH« vor, bei der kein Asset Lock vorliegt, dafür aber eine Mindestmitarbeiterkapitalbetiligung von 15 Prozent. In diesem Vorschlag zeigt sich ein fragwürdiges Verständnis von Mitentscheidung, wenn sich beispielsweise 50 Mitarbeiter 15 Prozent der Stimmrechte teilen sollen und der Eigentümer die restlichen 85 Prozent besitzt. Das wird insbesondere problematisch, wenn Beschäftigte im Gegenzug für die Anteile auf Einkommen verzichten (müssen) und außerdem noch das Ausfallrisiko tragen.
Im günstigsten Fall werden Gesellschaftsvermögen und die damit einhergehenden Stimmrechte (nahezu) gleichverteilt, wobei es natürlich auch legitim und mehrheitsfähig ist, dass die Gründerinnen etwas mehr Stimmrechte haben.
Die Vererbbarkeit der Anteile kann im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden – was wünschenswert wäre – , da sonst die Gefahr besteht, dass eine relativ unabsehbare Fremdbestimmung eintritt. Ebenso können die übrigen Gesellschafter der Vererbung in konkreten Fällen widersprechen. Dazu ist aber eine Beteiligung der Mitarbeiter notwendig, da dies in ihrem Interesse ist. Sonst könnte etwa ein Erbe, der einen ganz anderen Plan mit dem Unternehmen verfolgt, das Unternehmen übernehmen, wie etwa das Beispiel der Drogeriekette dm belegt, die das Verantwortungseigentum bereits über ein Stiftungsmodell abbildet. Das Manager-Magazin attestiert dem Stimmrechts-Erben das alleinige Durchregieren, wodurch die vorher relativ faire Arbeitsplatzgestaltung angreifbar wird.
Mit der Vererbbarkeit geht durch die Privilegierung von Betriebsvermögen auch das Problem der Erbschaftssteuerumgehung einher. Das wird zwar im Begleittext zum Gesetzentwurf zunächst problematisiert, dennoch bleiben die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen unangetastet.
Überdies verweisen Juristen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf das Problem der »toten Hand«, wodurch die Verfügungsgewalt über das unsterblich gebundene Kapital und dessen Weitergabe nicht unterbrochen wird.
Verdeckte Gewinnausschüttungen sind grundsätzlich auf mehreren Wegen denkbar, wie etwa über Fremdkapitalbeteiligungen der Eigentümer. Wenn diese dem Unternehmen z.B. ein Nachrangdarlehen geben und somit eine Kapitalrendite erzielen, würde dies als Unternehmensaufwand gelten und somit nicht unter das Gewinnausschüttungsverbot fallen.
Darüber hinaus sind die Gehälter der Gesellschafter auch anfällig für verdeckte Gewinnausschüttungen. In den Erläuterungen des Gesetzesentwurfs berufen sich die Initiatorinnen auf die bereits bestehende Angemessenheitsprüfung durch das Finanzamt, für die eine marktübliche Vergütung ein wichtiges Indiz ist. Das schließt also keinesfalls absurde Einkommenspannen zwischen Gehältern der unbeteiligten und beteiligten Gesellschaftern aus – insbesondere dann, wenn die Gesellschafterebene die Führungsrollen übernehmen. Als mögliche öffentliche Einschränkung wird im Begleittext des Gesetzentwurfs eine öffentliche und anonymisierte Bekanntgabe der oberen Gehälter erwähnt, die allerdings nach Aussage der Initiatoren negative Rückwirkung auf das Unternehmen habe und daher zu verwerfen sei. Dieses Problem ließe sich durch die Mitbestimmungsrechte der Mitarbeiter mindestens einschränken oder sogar konsensual lösen lassen, da Einkommensunterschiede durchaus mehrheitsfähig sind. Die Frage ist nur in welchem Verhältnis: 1:5, 1:20, 1:71 (wie durchschnittlich im DAX) oder gar 1:232 (wie im bei der Deutschen Post 2018)?
Eine weitere Lücke, die nicht geschlossen wurde, ist die unbürokratische Übertragbarkeit von Geschäftsanteilen – was auch bei Beteiligungen an normalen Gesellschaften mit beschränkter Haftung problematisch ist, da die Aufnahme neuer Gesellschafter immer eine notariellen Beglaubigung vorweisen muss.
Dadurch wird ein häufiger und/oder regelmäßiger Gesellschafterinennwechsel insbesondere bei kleinen Unternehmen unterbunden. Hierfür wäre wenigstens ein standardisiertes Verfahren zur Kostenminimierung wünschenswert, welches sich am Genossenschaftsrecht orientieren könnte.
Alles in allem ist mit dem Verantwortungseigentum nur ein scheinbar »verantwortungsvoller« Kapitalismus vorstellbar, wenn das Gewinnausschüttungsverbot nur oberflächlich greift und Lücken aufweist.
Ein freiwilliges Verantwortungseigentum könnte einen kleinen Beitrag zu einer gemeinwohlorientierten Transformation leisten. Aber ob es dafür von Spitzenpolitikern der Mainstream-Parteien so hochgejubelt werden muss, ist fraglich.
Der Gesetzentwurf weist Fallstricke auf, die den Ansatz erheblich limitieren. Wenn aber massenhaft Betriebe in Verantwortungseigentum überführt, spürbare Mitbestimmungsrechte eingeführt, die Übertragung von Anteilen entbürokratisiert und verdeckte Gewinnausschüttungen verhindert werden würden, dann könnte das zu einer Wirtschaftsdemokratie führen.
Keinesfalls dürfen wir uns jedoch von einem ordnungsgpolitischen Euphemismus blenden lassen und all unsere Hoffnungen auf eine selbstbestimmte Transformation setzen. Eine ordnungsgpolitische Rahmenänderung kann und muss Teil einer sozial-ökologischen Transformation sein. Einen Green New Deal und staatliche Vorschriften in Sachen Mitbestimmung, Mindestlohn und Klimaschutz kann sie jedoch nicht ersetzen.
Lukas Scholle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag für Finanzpolitik und betreibt den Podcast Wirtschaftsfragen.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.