27. Juli 2021
Klimapolitisch kaum effektiv und sozial unverträglich: Die Bilanz des CO2-Preises ist bislang ernüchternd. Das liegt jedoch nicht am Emissionshandel an sich, sondern an seiner politischen Ausgestaltung.
Kategorisch ausschließen sollte man den Emissionshandel nicht. Doch er muss lückenloser und sozialer werden.
Am 14. Juli hat Ursula von der Leyen (CDU) das umfassendste Paket klimapolitischer Gesetzesvorschläge in der europäischen Geschichte vorgestellt: das Fit-for-55-Programm. Bis zum Jahr 2030 sollen in der Europäischen Union 55 Prozent weniger Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen werden als noch im Jahr 1990. Bis 2050 soll dann die vollständige Klimaneutralität erreicht sein. Von der Leyen schwärmte von dem Paket bereits als Europas »Mann-auf-dem-Mond-Moment« und betonte zuversichtlich: »Über die Ziele und die Richtung sind wir uns einig.«
Das Kernstück des Pakets bildet eine Reform des CO2-Emissionshandels. Dieser gilt in der EU seit 2005 und sieht vor, dass Unternehmen für jede Tonne Kohlenstoffdioxid, die sie in die Atmosphäre blasen, ein CO2-Zertifikat benötigen. Für einige der besonders CO2-intensiven Industrien wurde eine begrenzte Menge dieser Zertifikate festgelegt, alle übrigen können sie über den Emissionshandel erwerben. Dieses System soll treibhausgasintensive Produktion auf Dauer unrentabel machen und Marktanreize für Investitionen in erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien schaffen. Obwohl die meisten Ökonominnen und Ökonomen der Idee des Emissionshandels eine hohe Wirksamkeit bestätigen, ist die konkrete Umsetzung jedoch vonseiten der politischen Linken und der Klimabewegung immer wieder kritisiert worden. Denn die EU hat sich auf Druck von mächtigen Lobbyinteressen zu einem Kompromiss hinreißen lassen, der zur Folge hat, dass zu viele Zertifikate ausgestellt werden und deren Preis entsprechend niedrig ausfällt.
Für Unternehmen gibt es daher kaum einen Anreiz, die Industrie klimapolitisch umzugestalten. Gleichzeitig geben die Unternehmen die Preise für die erhöhten Produktionskosten direkt an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiter. Sozialpolitische Maßnahmen, die gerade die Lohnabhängigen und einkommensschwachen Bevölkerungsschichten vor solchen Auswirkungen schützen, existieren bis dato nicht.
Mit dem Fit-for-55-Programm soll sich daran nun einiges ändern: Der Emissionshandel soll nun auch auf den Gebäudesektor, die Schifffahrt, sowie die Treib- und Brennstoffversorgung ausgeweitet werden. In anderen treibhausgasintensiven Sektoren wie der Luftfahrt sollen die Auflagen deutlich verschärft werden. Vor allem ist jedoch geplant, in den kommenden Jahren deutlich weniger Zertifikate auszustellen. Dadurch dürfte der Preis für eine Tonne CO2 von aktuell etwa 55 Euro auf über 80 Euro ansteigen.
Auch wenn das Programm von Ursula von der Leyen und einigen politischen Kommentatoren als großer Erfolg gefeiert wird, herrscht keinesfalls europäische Einigkeit über dieses Vorhaben. Selbst in der Europäischen Kommission gingen der Veröffentlichung monatelange Konflikte voraus. Nicht wenige europäische Politikerinnen und Politiker befürchten, dass es aufgrund der nun absehbaren Erhöhung der Benzinpreise zu Protesten wie denen der Gelbwesten kommen wird, die um den Jahreswechsel 2018/2019 die Regentschaft des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ernsthaft ins Wanken brachten und Teile des Landes für Monate lahmlegten.
Dass gerade die Benzinpreise ein heißes Eisen sind, musste auch Annalena Baerbock feststellen. Als sie vor wenigen Wochen eine Erhöhung der Benzinpreise um 16 Cent vorschlug, war der mediale Wirbel groß. Ausgerechnet die Unionsparteien, denen die Interessen der Lohnabhängigen naturgemäß eher fremd sind, wurden nicht müde, den Grünen vorzuwerfen, mit dieser Forderung ganze Bevölkerungsschichten verarmen zu wollen. Auch Saskia Esken, Vorsitzende des CDU/CSU-Koalitionspartners SPD, griff Baerbock in dieser Frage öffentlich an. Dass die von der SPD mitgetragene CO2-Bepreisung der Großen Koalition selbst bereits zu einem signifikanten Anstieg des Benzinpreises geführt hat, verschwieg sie geschickt.
Die ganze Debatte wirkt allerdings deshalb einigermaßen absurd, weil sich die beteiligten Parteien in den wesentlichen klimapolitischen Fragen ohnehin mehrheitlich einig sind: Emissionshandel, Marktanreize und Investitionen in die Elektromobilität gelten beinahe allen Beteiligten als probate Mittel, um Deutschland grüner und Europa auf dem hart umkämpften Markt neuer Technologien mit den USA und China konkurrenzfähiger zu machen. Schließlich drängt nicht nur die reale Klimakatastrophe zu einem ökologischen Umbau der Wirtschaft. Bereits seit einigen Jahren gelten die »grünen Zukunftsmärkte« und die damit verbundenen großzügigen staatlichen Fördergelder als attraktivste Perspektive für große Konzerne, um auf eine neue Epoche profitträchtiger Kapitalakkumulation zuzusteuern.
Uneinigkeit herrscht lediglich in der Frage, wie engmaschig das Transformationsprojekt gestrickt sein soll und welche Mechanismen eingesetzt werden, um einkommensschwache Haushalte dabei zu entlasten. Allerdings warten auch hier weder die Grünen noch die SPD mit Forderungen auf, die potenziellen Koalitionspartnern rechts der Mitte viele schlaflose Nächte bereiten dürften.
Nicht mehr zu leugnen ist allerdings, dass die Verknüpfung von Klimapolitik mit Fragen der gesellschaftlichen Reichtumsverteilung in der öffentlichen Debatte an Bedeutung gewonnen hat. Den meisten Lohnabhängigen und Prekären ist vollkommen bewusst, dass der ökologische Umbau für sie zur sozialen Belastungsprobe werden wird, wenn sich die politischen Rahmenbedingungen nicht grundsätzlich ändern.
Für die Partei DIE LINKE bietet sich hier eigentlich eine gute Chance. Erst kürzlich hat sie das ambitionierteste klimapolitische Programm aller Parteien vorgelegt und sich damit deutlich von ihren Konkurrenten abgesetzt. Ziele wie der Kohleausstieg bis 2030 und vollständige Klimaneutralität bis 2035 orientieren sich augenscheinlich an den Forderungen von Klimabewegungen wie Fridays for Future. Gleichzeitig setzt DIE LINKE auf sozialpolitische Forderungen, um ihre Klimapolitik sozial gerecht zu gestalten: Ein umfassendes Investitionsprogramm in neue klimaneutrale Arbeitsplätze, kostenloser Nahverkehr bei gleichzeitigem Ausbau von Bus und Bahn, eine Mobilitätsgarantie im ländlichen Raum sowie höhere Mobilitätspauschalen und niedrigere Strom- und Heizkosten würden Gering- und Normalverdienende deutlich stärker entlasten als alles, was SPD oder Grüne vorsehen.
Doch die Partei hat es versäumt, den Schulterschluss mit den Klimabewegungen zu vollziehen, deren Bindung an die Grünen zunehmend mit Konflikten belastet ist. Damit hat die Partei eine wesentliche Chance vertan, denn Umfragen belegen zwar regelmäßig, dass DIE LINKE mit ihren Forderungen gerade bei jüngeren Menschen weit vorne liegt. Dieses Potenzial übersetzt sich aber bisher nicht in signifikante Zugewinne bei den Wählerstimmen. Dies liegt auch daran, dass sich die Partei immer noch vor einer der wichtigsten Kernforderungen von Fridays for Future sträubt: Einem sozial ausgestalteten Emissionshandel, den sie als marktwirtschaftliches Instrument nach wie vor kategorisch ausschlägt.
Die Ablehnung dieser Forderung trifft insofern einen wahren Kern, als dass die ökologische Krise selbstverständlich nicht allein mit marktwirtschaftlichen Instrumenten zu lösen ist. Das liegt aber weniger an den Instrumenten selbst als vielmehr an deren Ausgestaltung. Konzepte zur Eindämmung der Treibhausgasemissionen gibt es in der Umweltökonomik schon seit Jahrzehnten. Die Erkenntnis, dass an Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels kein Weg vorbei führt, ist jedoch erst in den letzten Jahren vollständig bis ins bürgerliche Lager durchgedrungen.
In der Vergangenheit sind dringend notwendige klimapolitische Vorhaben häufig am Widerstand konservativer und liberaler Kräfte gescheitert. Dabei ist gerade der aktuell von fast allen Parteien geforderte Emissionshandel ein alter Hut und hat theoretisch durchaus überzeugende Vorteile gegenüber ordnungsrechtlichen Eingriffen, wie sie von der LINKEN in ihrem Wahlprogramm gefordert werden. Ein wasserdicht ausgestalteter Emissionshandel könnte tatsächlich sicherstellen, dass das CO2-Budget, das einzuhalten wäre, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, nicht überschritten würde. Voraussetzung dafür wäre eine auf eben dieses Restbudget begrenzte Menge ausgegebener Emissionszertifikate. In diesem Fall wäre der Preis für eine Tonne CO2 allerdings deutlich höher als Grüne, SPD, FDP und Union zu fordern bereit sind.
Es ist also nicht der Emissionshandel an sich, sondern dessen politische Ausgestaltung, die bislang unzureichend ausfällt. Das lässt sich auch an dem 2005 EU-weit eingeführten Emissionshandelssystem beobachten, mit dessen CO2-Zertifikaten nicht einmal die Reduktionsvorgaben des Kyoto Protokolls eingehalten werden konnten und bei dem die EU-Kommission deshalb nun deutlich nachjustieren muss. Durch Lobbying und fehlenden politischen Willen wurden jahrelang zu viele Emissionszertifikate ausgegeben und zu viele Schlupflöcher für emittierende Konzerne gelassen. Die Bilanz des Emissionshandels fällt daher in der Praxis ernüchternd aus.
An diesem Problem werden voraussichtlich auch die Vorschläge des Fit-For-55-Programms nichts ändern. Diese wollen den Emissionshandel zwar ausweiten und die Menge der ausgegebenen Zertifikate stärker begrenzen, wurden allerdings von Fridays for Future dafür kritisiert, immer noch zu aufgeweicht zu sein, und daher keine realistische Perspektive für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels zu eröffnen.
Da die Kosten des Emissionshandels außerdem an einen hohen und volatilen CO2-Preis gebunden sind, kann dieser in seiner jetzigen Ausgestaltung zu sozial ungerechten Ergebnissen führen. Dies ließe sich allerdings leicht über Umverteilungsmaßnahmen auffangen, die einen sozialen Ausgleich gewährleisten. Dies wiederum setzt jedoch andere politische Kräfteverhältnisse zugunsten der Arbeiterklasse und der Klimabewegungen voraus. Diese zu schaffen, wäre eine Kernaufgabe der LINKEN.
Mit Blick auf die bisherige politische Umsetzung ist es also zwar nachvollziehbar, weshalb DIE LINKE den Emissionshandel als »Leitinstrument im Klimaschutz« ablehnt. Andererseits macht es sich die Partei auch zu einfach, wenn sie sich bei den entscheidenden klimapolitischen Fragen hinter ihrer Standardforderung nach »ordnungsrechtlichen Eingriffen« versteckt.
Denn mit der pauschalen Ablehnung marktorientierter Instrumente verschließt sie sich gegen die Vielfältigkeit klimapolitischer Forderungen, die Klimawissenschaftler, Umweltökonominnen und Aktivisten regelmäßig vorbringen. Gerade aus diesem Lager wird ein sorgfältig und lückenlos ausgestalteter Emissionshandel, der sich am 1,5-Grad-Ziel orientiert, berechtigterweise als eines der wirksamsten Instrumente zur Eindämmung der Klimakrise erachtet.
DIE LINKE hätte die Chance gehabt, als einzig politisch relevante Partei für einen konsequenten Emmissionshandel einzutreten und diesen mit ihren radikalen Umverteilungsforderungen zu verbinden. Dies hätte der Partei nicht nur eine stärkere Anbindungen an jene Teile der jungen Klimabewegungen ermöglicht, die selbst lieber das Bündnis mit den Lohnabhängigen suchen würden als mit der auf ökologische Achtsamkeit bedachten großstädtischen Lastenrad-Bourgeoisie, sondern auch mit den Gewerkschaften. Der DGB hat sich bereits vor Jahren zu einem zukunftssicheren Emissionshandel bekannt.
An dieser Stelle tut sich für DIE LINKE die Chance auf, zwischen diesen Akteuren zu vermitteln und glaubhaft für sozialistische Positionen in der Klimabewegung zu streiten, wie auch für eine klimapolitische Perspektive in der Arbeiterbewegung. Dazu wäre es aber notwendig, sich auch auf die realen Forderungen dieser naheliegenden Bündnispartner einzulassen.
Unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen wird der mittlerweile unumgängliche Umbau der Wirtschaft vollständig auf Kosten der Lohnabhängigen vollzogen. Das betrifft diejenigen, deren Jobs ersatzlos gestrichen werden als auch jene, deren Steuergelder die großangelegten staatlichen Investitionen mitfinanzieren. Letztere subventionieren zwar die Profite der Konzerne gemäß des neuen grünen Akkumulationsregimes, nicht jedoch eine sozial gerechte Perspektive, die darüber hinausweist.
Ein grundlegender sozialistischer Richtungswechsel, der den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft an die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, die Schaffung alternativer Arbeitsplätze und letztlich die Eigentumsfrage koppelt, hängt aber nicht nur vom guten Willen einiger Parlamentarier oder Regierungsbeamtinnen ab. Er wäre nur durch ein breites gesellschaftliches Bündnis der Lohnabhängigen und der Klimabewegung vorstellbar.
Auf solche Allianzen wird auch DIE LINKE angewiesen sein, wenn sie im Alltag der Lohnabhängigen mit authentischen Perspektiven präsent sein und stärker werden will. Schon jetzt ist sie die einzige Partei, die zum Schmieden solcher Bündnisse überhaupt in der Lage wäre. Ob sie dieses Potenzial in Zukunft auch ausschöpfen kann, bleibt abzuwarten.
Jonas Becker ist Volkswirt und promoviert an der Humboldt Universität zu Berlin. Außerdem moderiert er den Podcast Die Abweichler.
Sascha Döring lebt in Berlin und arbeitet für die Linksfraktion im Bundestag.
Sascha Döring lebt in Berlin und arbeitet im Bereich politische Kommunikation.
Jonas Becker ist Volkswirt und promoviert an der Humboldt Universität zu Berlin.