08. März 2021
Um die Wohnungskrise zu lösen, müssen wir zurück in die Zukunft reisen.
Anstatt den öffentlichen Raum zu unterteilen, einzuzäunen und mit Kameras überwachen zu lassen, wie es beim Bau von Gated Communities geschieht, werden im Fall der Seestadt Aspern in Wien Plätze, Parks und Straßen aneinander gegliedert und dadurch intime wie kollektive Räume geschaffen.
»Baut mehr verdammte Häuser« – das ist der wohl am häufigsten genannte Lösungsansatz für die Wohnungskrise. Sicher, keine sozialistische Herangehensweise an dieses bewusst vom Neoliberalismus geschaffene Problem wird ohne den Bau von mehr verdammten Häusern auskommen. Aber abgesehen davon, warum Bauunternehmer nicht mehr verdammte Häuser bauen (nämlich weil es häufig viel profitabler ist, es sein zu lassen), wären da noch ein paar andere Fragen, die wir uns stellen müssen: Welche Art von Häusern wollen wir? Wo sollen sie stehen? Und wie wollen wir in ihnen leben?
Das meiste, was die Bauindustrie im Angebot hat, ist auf die Maximierung der Profite für die Grundeigentümerinnen und Bauträger ausgelegt, und der Großteil der architektonischen Typologien – von Entwicklungsprojekten entlang innerstädtischer Flußufer über Luxusvillen in den Vorstädten bis hin zu den Wolkenkratzern in den Zentren – zeugt von unternehmerischer Profitgier und lässt eine Vielzahl baulicher und gestalterischer Möglichkeiten außen vor. Wenn uns diese Optionen also alle nicht zufrieden stellen, wie könnte eine Alternative aussehen?
Hier lohnt sich ein Blick auf das Erbe der Wohnungsbauprogramme der sozialdemokratischen und staatssozialistischen Systeme im Europa des 20. Jahrhunderts. In beiden Fällen handelte es sich um ernsthafte Versuche, Architektur und Planung aus dem Griff des privaten Grundeigentums zu befreien – und der Wohnraum, der dabei entstand, war fast immer besser als das, was Arbeiterinnen und Arbeitern auf dem privaten Wohnungsmarkt geboten wurde.
Man setzte damals enormes Vertrauen in die Technologie, die wirtschaftliche und soziale Probleme vermeintlich ganz von selbst lösen würde. Vor allem aber wollte man möglichst schnell möglichst viele Häuser hochziehen. Aber während die Sowjetunion, die DDR, Schottland und Frankreich ihre Wohnraumprobleme nur durch die Schaffung riesiger vorfabrizierter Wohnblöcke in den Griff bekamen, haben andere Beispiele sozialdemokratischen und staatssozialistischen Wohnungsbaus erfolgreicher überdauert.
In diese Kategorie gehört das atemberaubende architektonische Erbe von Wien, wo der Wohnungsbau dreimal revolutioniert wurde: in den 1920er Jahren mit den Bauprojekten des Roten Wien, in den 1970er Jahren mit der luxuriösen kommunalen Daseinsvorsorge in Wohnsiedlungen wie Alt-Erlaa mit ihren hängenden Gärten und Dachschwimmbädern, und in den 1990er Jahren in der explizit feministischen Sozialplanung der Frauen-Werk-Stadt. Auch das »Millionenprogramm«, das im Schweden der 1960er Jahre umgesetzt wurde, zählt dazu und liefert mit seinen idyllischen Siedlungen in Verbindung mit Wald- und Parklandschaften ein seltenes Beispiel dafür, dass Massenproduktion zu humanen Ergebnissen führen kann; hinzu kommt die Kombination von Sublimem und Intimem in den brutalistischen Wohnkomplexen Jugoslawiens, wie im Fall von Neu-Belgrad und Split 3; und die Kommunen und Arbeiterclubs aus dem ersten Jahrzehnt der Sowjetunion, zum Beispiel das Narkomfin-Kommunehaus.
Viel schwieriger zu beantworten ist die Frage nach zeitgenössischen Vorbildern. Gibt es irgendetwas, das im letzten Jahrzehnt gebaut wurde, das einen Hinweis darauf gibt, wie ein Revival des sozialistischen Wohnens aussehen könnte? Es gibt nicht viel, aber doch ein paar Beispiele.
In Großbritannien war der meistgefeiertste Architekt von Wohnhäusern in den letzten Jahren Peter Barber, der seit Anfang der 2000er Jahre vor allem Gebäude für Housing Associations entwirft – jene gemeinnützigen Einrichtungen, die seit den 1980er Jahren den größten Teil des sozialen Wohnungsbaus in Großbritannien zur Verfügung gestellt haben. Diese gehen auf Wohltätigkeitsorganisationen aus dem viktorianischen Zeitalter zurück, die sich nach dem Motto »Adel verpflichtet« der Bedürftigen annahmen. Der Peabody Trust zum Beispiel – Londons größte Housing Association – wurde buchstäblich aus dem Grund ins Leben gerufen, weil der Banker George Peabody nach dem Tod nicht in der Hölle landen wollte. (Dass diese Angst in unserer Zeit nicht mehr so verbreitet ist, könnte den mangelnden Enthusiasmus der heutigen Eliten für die Bereitstellung von Sozialwohnungen erklären.)
Housing Associations arbeiten regelmäßig mit großen privaten Bauträgern zusammen, sodass diese unter dem Feigenblatt des »bezahlbaren« Wohnraums dort ihre Prestigeobjekte errichten können, wo vorher Sozialwohnungen standen. Die Wohnungen der Housing Associations stellen also in vielen Fällen nur notwendiges Beiwerk dar, das am hintersten Ende an die Bauprojekte drangeklatscht wird – doch innerhalb dieses begrenzten Rahmens ist Barbers Arbeit zweifellos human und innovativ.
Im Vorbeigehen wirken Barbers Siedlungen ziemlich retro – wie eine Hommage an das goldene Zeitalter des sozialen Designs. Das Donnybrook-Quartier erinnert mit seinen niedrigen Häusern und der Verkleidung aus zuckergussartigem weißem Putz an die De-Stijl-Siedlungen im Rotterdam der 1920er Jahre. Worland Gardens im Osten Londons und Pegasus Court im Norden der Stadt haben mit ihren großen Kolonnaden und Torbögen etwas von den monumentalen Proportionen des Roten Wien. Bei eingehenderer Betrachtung springen jedoch zwei wesentliche Unterschiede ins Auge: Der eine ist die Vielfalt der Wohnungsgrundrisse, die sich nicht mehr auf das typische Kleinfamilienmodul beschränken, sondern die vielen verschiedenen Größen und Bedürfnisse von Familien widerspiegeln, was sich auch in den komplexen Grundrissen der Häuserblöcke und Terrassen niederschlägt. Der andere Unterschied ist der Vorrang, den er der Straße einräumt, während im sozialen Wohnungsbau normalerweise halböffentliche Höfe und Grünflächen dominieren. Vom marxistischen Urbanisten Marshall Berman beeinflusst, versucht Barber auf diese Weise, die Abstraktion des modernistischen Designs mit dem populären Theater der Straße zu verbinden.
Auch in Wien – einer der wenigen europäischen Hauptstädte, die ihr Erbe des nicht-kapitalistischen Bauens noch nicht vollends in den Wind geschossen haben – wurde ein Großteil der neuen Sozialwohnungen durch Wohnungsbaugesellschaften errichtet. Ein Beispiel ist das Wohnzimmer Sonnwendviertel, ein 2014 nahe des neuen Wiener Hauptbahnhofs fertiggestellter Gebäudekomplex inklusive Kinosaal, Bücherei und Schwimmbad, dessen einzelne Blöcke über einen gemeinsamen öffentlichen Garten verfügen und durch Brücken miteinander verbunden sind.
Solche sozialen Einrichtungen und liebevolle Details wie die ebenmäßig gegossenen Betontreppen sind normalerweise Luxuswohnkomplexen vorbehalten. »Ein Drittel der Wohnungen wurde direkt über die Stadt Wien vergeben«, erzählt mir Lina Streeruwitz vom verantwortlichen Architekturbüro Studio Vlay. »Dort kann man sich für das jeweilige Projekt bewerben und bekommt nach einer Weile über ein Internetportal bis zu drei Wohnungen angeboten. Da sehr viele Leute auf der Liste stehen, hat das etwas von einer Lotterie. Der Rest der Wohnungen wird über die Wohnungsbaugesellschaft, in persönlichen Gesprächen und über Wartelisten nach dem Prinzip ›wer zuerst kommt, mahlt zuerst‹ vergeben – wobei dieser Prozess nicht besonders transparent ist.« Aber im Gegensatz zu den meisten undurchsichtigen bürokratischen Systemen, die im Interesse des Kapitals umgekrempelt wurden und die letzten Überreste des Sozialstaates verwalten, schafft es die Stadt Wien immer noch, ihre sozialen Leistungen auszubauen, anstatt sie einzuschränken.
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Owen Hatherley ist Culture Editor bei »Tribune« und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt ist von ihm »Red Metropolis: Socialism and the Government of London« bei Repeater erschienen.