18. Februar 2025
Am 10. Februar verstarb der Diplomat Wolfgang Sporrer. Er erspähte Chancen, wo andere nur blutige Sackgasse sehen. Mit ihm verlieren wir eine der scharfsinnigsten Stimmen für ein friedliches Europa.
»Wolfgang war überzeugt, dass Frieden immer möglich ist, wenn man die Sache mit der Einstellung eines erfahrenen Verhandlers angeht«, erinnert sich seine Wegbegleiterin Almut Rochowanski.
Am 12. Februar verkündete Präsident Trump, dass er mit Putin über ein Friedensabkommen für die Ukraine gesprochen hatte und sein Verteidigungsminister Pete Hegseth stellte klar, was so ein Abkommen nicht enthalten würde: Mitgliedschaft in der NATO, Schutz durch die USA, Rückgabe der besetzten Gebiete. Ukrainer waren entsetzt, fühlten sich betrogen und übergangen, während europäischen Politikern der Schock über diese Abkanzelung anzusehen war. Ich dachte mir, jetzt ist endlich der richtige Moment einen Artikel über inklusive, menschenzentrierte Friedensverhandlungen zu schreiben, gemeinsam mit Wolfgang Sporrer, mit dem wir das lange abgemacht hatten.
Am nächsten Morgen sah ich die unbegreifliche Nachricht, dass Wolfgang gestorben war, in seiner (und meiner) Heimatstadt Wien. Die Todesursache – er starb schon am 10. Februar - wurde nicht bekanntgegeben. Soweit ich wusste, war er vielleicht Mitte fünfzig. Noch Tage davor hatte er Fotos von seiner letzten Dienstreise in den Nahen Osten geteilt, ebenso wie seine üblichen pointierten Kommentare zu Fragen von Krieg und Frieden.
In Europa, verglichen etwa mit den USA, wird man schnell gecancelt, wenn man sich für einen Verhandlungsfrieden zwischen Russland und der Ukraine einsetzt, und es haben sich daher nur einige wenige furchtlose Stimmen vorgewagt. Unter ihnen war Wolfgang der mit Abstand am besten Informierte, weil er an Verhandlungen unter dem Minsker Abkommen dabei war, die Überwachung der Front vor 2022 im Donbas durch die OSZE durchführte und Konfliktmanagement, Mediation und Verhandlungsführung an der Hertie School in Berlin lehrte. Er war auch ein Optimist und ausgesprochen konstruktiv, überzeugt davon, dass Frieden immer möglich ist, wenn man die Sache mit der fachlichen Ausrüstung und der Einstellung eines erfahrenen Verhandlers angeht. Sein letzter Artikel trug den Titel »Kein Krieg muss sein«.
Wolfgang kontaktierte mich erstmals im Sommer 2022 auf der Plattform, die damals noch Twitter hieß. Später ist mir aufgefallen, dass es in unseren Leben kuriose Parallelen gab. Wir sind nicht nur beide aus Wien, sondern unsere Wohnungen sind nur ein paar Ecken voneinander entfernt im Wiener 7. Bezirk. Wir studierten beide Rechtswissenschaften an der Universität Wien und an der Universität Louvain-la-Neuve in Belgien und dann internationale Beziehungen in den Vereinigten Staaten. Wolfgang leitete die Abteilung »Menschliche Dimension« der OSZE Special Monitoring Mission in der Ukraine und arbeitete danach in der EU Delegation in Moskau. Beiderorts hätte ich ihm leicht über den Weg laufen können, als ich vorbeischaute, um auf die Menschenrechts- und Friedensangelegenheiten aufmerksam zu machen, die ich in meiner Arbeit mit Aktivisten in entlegenen Gebieten gesehen hatte. Aber es kam nie dazu. Ich hätte mich sicher an einen Österreicher erinnert, mit einer unleugbaren Präsenz, Schmäh und einem unerschöpflichen Vorrat an schlauen Anekdoten und tiefsinnigen Überlegungen über die Friedensarbeit, erzählt in schönstem, altmodischen Wienerisch.
»Wolfgang zeichnete sich dadurch aus, dass er Frieden prinzipiell aus dem Standpunkt der Menschen betrachtete: wie bewaffneter Konflikt sich auf sie auswirkt, wie er ihr Leben gefährdet, und wie wir Schutz und Sicherheit für sie wiederherstellen können.«
Was wir von vom Krieg betroffenen Menschen gelernt hatten – er, als leitender OSZE-Diplomat, ich mit Aktivistinnen in der Provinz - brachte uns zusammen. Wolfgang nahm den Frieden sehr ernst, als ein unabdingbares Ziel das unserer großen Strategie zugrundeliegen muss, als grundsätzliche Voraussetzung für ein gutes Leben und also als kompetente, angewandte Praxis.
Wolfgang liebte sein Handwerk. Er zeichnete sich dadurch aus, dass er Frieden prinzipiell aus dem Standpunkt der Durchschnittsmenschen betrachtete: wie bewaffneter Konflikt sich auf diese auswirkt, wie er ihr Leben gefährdet, und wie wir Schutz und Sicherheit für sie wiederherstellen können. Er begann und endete jedes Gespräch über Krieg mit den normalen Menschen, den Zivilisten, wie auch den Soldaten.
Wenn Wolfgang zu seinen Vorschlägen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine gefragt wurde, lehnt er ab, einen konkreten Friedensplan zu skizzieren und konzentrierte sich vor allem auf Prozessuelles. Er betrachtete die Lage wie ein Mediator: wie bringen wir die Seiten dazu, sich an einen Tisch zu setzen? Das wäre nämlich schon ein erfolgreicher erster Schritt. Er erinnerte immer wieder daran, dass die Ukraine und Russland ohnehin bereits jeden Tag miteinander redeten, in der Zentrale des Schwarzmeer-Getreideabkommens in Istanbul. Wolfgang war jemand, für den das Glas immer halb voll war. Er erspähte Chancen und Auswege, wo andere nur eine blutige Sackgasse sehen konnten.
Letztes Jahr schlug er vor, mit mir gemeinsam einen Artikel über inklusive, menschenzentrierte Friedensarbeit zu schreiben. Wir beide fanden, dass diese Methode seltsamerweise nie erwähnt wurde, wenn es um die Beendigung des Krieges in der Ukraine ging, obwohl sie schon längst als Standard für Friedensverhandlungen akzeptiert ist, von vielen Regierungen, der UNO und Experten. Inklusive Friedensverhandlungen sind nicht nur besser im Beenden von bewaffneten Konflikten – derartige Friedensabkommen halten länger und brechen seltener zusammen –, sondern schaffen auch einen besseren Frieden, nämlich einen, der einen rascheren Wiederaufbau ermöglicht, in dem Menschen und Gemeinden florieren und ein höheres Niveau von Sicherheit und Versöhnung genießen. Zu den Beispielen derartiger robuster Friedensabkommen gehören etwa Nordirland in 1998 und Kolumbien in 2016.
»In Zeiten wie diesen, in denen Europas regierende Eliten mit Schrecken auf die Nachricht vom Ausbrechen des Friedens reagieren und Ukrainer sich verraten und ausgeliefert fühlen, hätte Wolfgang Chancen gesucht, es richtig zu machen.«
Wie schaffen inklusive Friedensverhandlungen (auch inklusive Diplomatie genannt) das alles? Indem sie die individuelle Sicherheit der Menschen in von Konflikt betroffenen Gebieten, ihr Wohlergehen und ihre Rechte in das Zentrum der kriegsbeendenden Diplomatie stellen. Der Friede muss den Menschen, die im Krieg gelitten haben, ganz konkret etwas bringen. Das erreichen wir, wenn wir die Menschen direkt in den Friedensprozess involvieren, sie an den Verhandlungstisch bringen. Dort können sie ihre Anliegen vorbringen, sicherstellen, dass diese angegangen werden und kreative Lösungen für komplexe Probleme ausarbeiten. Das führt dazu, dass Communities, die gerade einen Krieg durchgemacht haben, weniger von den typischen Problemen der Nachkriegszeit – nichts funktioniert, Elend und Unrecht herrschen – betroffen sind, die ansonsten zu Unmut und erneutem Konflikt führen. Wenn Mitglieder der Zivilgesellschaft am Verhandlungstisch sitzen und die Belange des täglichen Lebens auf der Agenda stehen, dann ist die Atmosphäre insgesamt ruhiger und konstruktiver.
Da Männer ohnehin immer automatisch am Verhandlungstisch sitzen, bedeutet inklusive Diplomatie, dass Frauen gezielt eingebunden werden: Vergleichende Daten aus 40 Konflikten aus aller Welt zeigen, dass die Chancen auf ein Abkommen höher sind, dieses Abkommen eher umgesetzt wird, und mit um 35 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit mindestens 15 Jahre hält, wenn Frauen an Friedensprozessen teilnehmen. Diese Zahlen sind so bemerkenswert, dass niemand, der ernsthaft Frieden machen will, sie ignorieren kann.
Während Regierungen im Westen scheinbar alles vergessen haben, was sie vor gar nicht allzu langer Zeit über inklusive Diplomatie und die menschenzentrierte Friedensarbeit wussten, erinnerte sich der globale Süden. Eine Reihe von Regierungen vermittelte Gefangenenaustausche zwischen Russland und der Ukraine. Letzten Sommer war Qatar bereits dabei, einen Teilwaffenstillstand zu moderieren, der Angriffe auf die Energieinfrastruktur auf beiden Seiten eingestellt hätte, zum Schutz der Zivilbevölkerung während des nächsten Winters. Der Versuch scheiterte allerdings, als die Ukraine die Kursk-Region in Russland angriff. Als China und Brasilien im September letzten Jahres andere Staaten einluden, sich ihrem Friedensplan anzuschliessen, wurde dieser um den Begriff »inklusive Diplomatie« erweitert.
Vor einem Monat sprach Oleksiy Arestovych, einstiger Berater Zelenskys und nun einer seiner schärfsten Kritiker, in einem seiner ausgesprochen populären Gespräche auf YouTube darüber, dass jeder Waffenstillstand oder jedes Friedensabkommen die tagtäglichen Probleme angehen müsse, die Krieg, Besetzung und Flucht verursacht haben: der freie Verkehr von Personen, Gütern und Dienstleistungen zwischen den von Russland besetzten und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten, gegenseitige Anerkennung von Personenstandsurkunden und Zeugnissen, die junge Leute auf dieser oder jener Seite erworben haben, Schutz der Rechte und Interessen derer, die gezwungen waren, ihre Wohnungen zurückzulassen oder die verlassene Wohnungen gekauft haben. Ganz der Präsidentschaftskandidat, der er derzeit ist, meinte er, der Staat müsse für die Menschen existieren, nicht umgekehrt.
Wolfgang und ich konnten unseren gemeinsamen Artikel über inklusive, menschenzentrierte Friedensverhandlungen nicht mehr schreiben. In Zeiten wie diesen, in denen Europas regierende Eliten mit Schrecken auf die Nachricht vom Ausbrechen des Friedens reagieren und Ukrainer sich verraten und ausgeliefert fühlen, hätte Wolfgang Chancen gesucht, es richtig zu machen, einen guten Frieden zu schaffen. Er war furchtlos, scharfsinnig und originell, warmherzig und hilfsbereit, und eine der überzeugendsten Stimmen für Frieden und Diplomatie in Europa. Ruhe in Frieden, Wolfgang.
Almut Rochowanski ist Aktivistin und hat sich auf die Mobilisierung von Ressourcen für die Zivilgesellschaft in der ehemaligen Sowjetunion, darunter in Georgien und Russland, spezialisiert. Ihre anderen Publikationen zu diesem Thema sind auf Discomfort Zone nachzulesen.