10. Oktober 2023
Das ernüchternde Ergebnis der Landtagswahlen in Hessen und Bayern zeigt: Die Ampel hat als gesellschaftliches Modernisierungsprojekt versagt. Doch anders als unter Rot-Grün wird das politische Vakuum ausschließlich von rechts gefüllt.
Hubert Aiwanger und die bayerische AfD-Oppositionsführerin Katrin Ebner-Steiner können sich als Gewinner der Landtagswahl fühlen.
Nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern offenbart sich ein deprimierendes Bild: Die Unionsparteien wurden in beiden Bundesländern für ihre rechte Stimmungsmache belohnt, ohne der AfD damit im Geringsten zu schaden, im Gegenteil. In Hessen wie in Bayern sind die Rechtsextremen künftig größte Oppositionspartei, die hessische AfD schaffte es mit über 18 Prozent sogar auf Platz zwei hinter der CDU. Die Ampelparteien wurden abgestraft, die SPD verlor überall deutlich, für die FDP reichte es sehr knapp für den Wiedereinzug in den Landtag in Wiesbaden.
Die bayerische SPD hat den Chef der Freien Wähler Hubert Aiwanger wegen der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus dessen Schulzeit hart angegangen. Doch in einer kulturkämpferischen Atmosphäre der Polarisierung zwischen linksliberaler Bundesregierung und konservativer Opposition zeigten sich viele Wählerinnen und Wähler gleichgültig gegenüber den Vorwürfen. Am Ende gewannen die Freien Wähler statt den Sozialdemokraten hinzu. Dass eine Bundesregierung, die schlechte Politik macht und sie schlecht verkauft, bei Landtagswahlen bluten muss, ist nichts Neues. Dass davon der rechte Rand so massiv profitiert, ist zumindest in Westdeutschland ein ziemlich neuartiges Phänomen.
Bitter war der Wahlabend auch für die Linkspartei: In Hessen mussten sie den letzten Landtag in einem westdeutschen Flächenland verlassen, in Bayern, wo sie bereits marginal war und ein Bündnis mit anderen linken Kleinparteien einging, ist sie mit unter zwei Prozent künftig bedeutungslos. Insbesondere die hessische Linkspartei hatte sich Hoffnungen gemacht, dass enttäuschte Wählerinnen und Wähler der Grünen ihr erneut den Einzug in den Landtag ermöglichen könnten.
Die Rechnung ging nicht auf. Die Grünen mussten zwar in beiden Bundesländern Verluste hinnehmen, konnten aber alles in allem für eine unbeliebte Regierungspartei auf Bundesebene bemerkenswert stabile Ergebnisse einfahren. In Hessen, wo sie ermöglichten, die NSU-Akten unter Verschluss zu halten und auch sonst als williger Juniorpartner der CDU agieren, blieben ihnen große Teile ihrer Anhängerschaft treu. Die Partei steht für einen staatstragenden, inkrementellen Progressivismus – »Bauchschmerzen« sind die Berufskrankheit des Grünen politischen Personals. Die Wählerinnenschaft der Partei, häufig beschäftigt im öffentlichen Sektor auf der freundlichen Seite des Staates, hat eine ähnliche Weltsicht. Für eine linke Opposition gegen die Ampel lässt sie sich auch dann nicht begeistern, wenn sich diese als Sammlungsbewegung gegen die konservative Hegemonie präsentiert und Klassenpolitik auf Sparflamme betreibt.
Dies ändert nichts daran, dass eine sichtbare linke Opposition gegen die Ampel notwendiger denn je wäre. Zur Mitte der Legislaturperiode zeigt sich: Das Konzept einer liberalen Modernisierungskoalition ist gescheitert und öffnet dem Durchmarsch der Rechten und Konservativen Tür und Tor. Dabei hätte die Bundesrepublik eine echte Erneuerungsbewegung dringend notwendig – und das nicht nur in gesellschaftspolitischen Fragen. Doch sie müsste genauso bereit sein, in die marode Infrastruktur zu investieren und den Sozialstaat wiederaufzubauen, um ein gesellschaftlich tragfähiges Bündnis hinter sich zu versammeln. Die Ampel macht Trippelschritte in manchen gesellschaftlichen Bereichen, während sie durch ihre Sparpolitik und fataler Knausrigkeit bei den Investitionen – nicht zuletzt in der Klimapolitik – die soziale Not verschärft und sich von der Rechten in anderen Fragen, wie der Asylpolitik, treiben lässt.
Als echte linke Opposition gegen Liberale, Konservative und Rechte gleichermaßen wird die Linke dringend gebraucht. Die übliche Erklärung aus Parteikreisen, warum sie diese Rolle derzeit nicht erfüllen kann, lässt sich in zwei Worten zusammenfassen: Sahra Wagenknecht. Nach der Wahlschlappe machte ein Aufruf von Parteimitgliedern die Runde, die ehemalige Spitzenpolitikerin unverzüglich aus der Partei auszuschließen.
»Sollte sich der Siegeszug der Konservativen und Rechten fortsetzen, steht Deutschland wohl in den nächsten Jahren eine schwarz-blaue Bundesregierung bevor.«
Keine Frage, Wagenknechts Verhalten in den letzten Jahren, etwa ihre medialen Alleingänge und ihr Keilen gegen den eigenen Laden, war extrem destruktiv. Keine Partei, schon gar keine sozialistische, könnte oder sollte ein solches Verhalten dauerhaft tolerieren. Der Impuls, Wagenknecht solle endlich auf Worte Taten folgen lassen und beweisen, dass ihr Konzept einer synkretistischen Protestpartei die Arbeiterklasse besser erreicht und repräsentiert, ist nachvollziehbar und richtig.
Erfahrungen aus ganz Europa – von Piratenparteien bis zur Fünfsternebewegung in Italien, zeigen jedoch, dass solche ideologischen Sammelbecken auf Dauer kaum zusammenzuhalten und über eine euphorische Anfangsphase hinaus kaum strategiefähig sind. Doch Wagenknecht die alleinige Schuld an der Misere der Linkspartei – und der gesellschaftlichen Linken – zuzuschieben, greift zu kurz. Es ist nicht offensichtlich, inwiefern sie die Partei in den letzten beiden Jahren daran gehindert hat, als Spitze einer sozialen Protestbewegung gegen die Ampel und als wirkliche antifaschistische Alternative zu agieren, die der AfD dort Terrain streitig macht, wo sich diese besonders gerne selbst verortet: Auf Seite der Hälfte der Gesellschaft, der materiell gerade der Boden unter den Füßen wegbricht und die im Parteiensystem kaum noch repräsentiert wird.
Sollte sich der Siegeszug der Konservativen und Rechten fortsetzen, steht Deutschland wohl in den nächsten Jahren eine schwarz-blaue Bundesregierung und damit ein in der Geschichte der Bundesrepublik beispielloser sozialer Kahlschlag und repressiver Backlash bevor. Die Linke im Land muss sich entscheiden: Will sie, nach zwei Jahrzehnten, in denen sie zu großen Teilen den gemeinsamen parlamentarischen Weg beschritt, wieder zur geschlossenen Subkultur werden, oder aber zu einem dritten politischen Pol, der es mit den Ampelparteien wie mit der Rechten gleichermaßen aufnehmen und diese Entwicklungen aufhalten kann?
Letzteres würde einen Ausbruch mit vielen destruktiven, sektiererischen Traditionen und aus dem eigenen Milieu voraussetzen. Es gibt wenig Anzeichen, dass innerhalb und außerhalb der Partei dazu im Moment viel Bereitschaft herrscht – und in der Tat widerspräche dies dem Selbst- und Politikverständnis vieler Linken in Deutschland – vor allem in Westdeutschland. Für die Zukunft des Landes stellt es dennoch die einzige Hoffnung dar.
Alexander Brentler ist Journalist und Übersetzer.