07. Januar 2025
Die deutsche Autoindustrie steckt in der Krise – und die Beschäftigten zahlen den Preis. Wolfgang Schaumberg, Mitbegründer der Gruppe oppositioneller Gewerkschafter bei Opel in Bochum, spricht darüber, wie klassenkämpferische Betriebspolitik gelingen kann.
Mitarbeiter des Opelwerks in Bochum protestieren gegen den geplanten Stellenabbau und blockieren die Werkseinfahrt, 15. Oktober 2004.
Die Lage der europäischen Autoindustrie ist bedrohlich. In Wolfsburg wird das Schicksal zehntausender Arbeiterinnen und Arbeiter zum Spielball der Profitinteressen des VW-Konzerns. Die Manager scheinen sich verkalkuliert zu haben und stehen im internationalen Konkurrenzkampf vermehrt unter Druck. Die Kosten dafür sollen wiederum die Beschäftigten tragen. Im benachbarten Belgien schließt Audi eine der modernsten Autofabriken Europas, weil angeblich zu hohe Energiepreise den Autobau unprofitabel machen.
Gerade in Zeiten, wo wirtschaftliche Ängste das politische Klima dominieren und Millionen sich um ihren Job sorgen, haben Gewerkschaften es oft schwer, Angriffe des Managements abzuwehren, geschweige denn, in die Offensive zu gehen. Viele Beschäftigte fühlen sich ihrem Standort und bisweilen auch ihrem Arbeitgeber verpflichtet. Doch es gibt in der neueren Geschichte auch Beispiele von gewerkschaftlichen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich dem defensiven Kurs widersetzt haben. Einer davon ist Wolfgang Schaumberg, der 1972 zusammen mit einer Handvoll Kollegen die Gruppe oppositioneller Gewerkschafter (GoG) bei Opel in Bochum gründete.
Die GoG, deren Aktivitäten im Film Luft zum Atmen dokumentiert wurden, setzte im größten Produktionswerk von General Motors in Europa auf eine klassenkämpferische, marxistisch orientierte Betriebspolitik und sorgte 2004 schließlich für einen der bedeutendsten wilden Streiks der Nachkriegsgeschichte. Über eine Woche wurde das Werk eigenständig besetzt. Durch das Fehlen der Bochumer Teile wurden weitere Fabriken von General Motors in ganz Europa zum Stillstand gezwungen. Dass die Fabrik, nach der Intervention des vermeintlich diplomatischen Vermittlungsversuches der IG Metall, letztlich dennoch geschlossen wurde, minimiert den immensen Erfolg der GoG im lokalen Werk in Bochum nicht.
Brauchen die Gewerkschaften heute wieder solchen Mut? Wolfgang Schaumberg sprach mit Patrick Lempges für JACOBIN über seine Zeit als betrieblicher Aktivist und darüber, was die Kollegen bei VW davon lernen könnten.
Dein Werdegang begann an der Uni mit einem Studium der Germanistik und evangelischen Theologie. Begann Deine politische Sozialisation an der Uni oder bist Du erst als Arbeiter zum Genossen geworden, sozusagen?
Meine politische Entwicklung hat die lebensentscheidende Wendung durch die 68er-Bewegung bekommen. Ich gehörte in Bochum zum SDS und war nicht der Einzige, der sich zu der Zeit damit beschäftigt hat, dass zur Bekämpfung des Kapitalismus die Menschen gewonnen werden müssen, die durch ihre tägliche Arbeit das Kapital immer wieder stark machen und durch die Verwertung ihrer Arbeitskraft die Kapitalistenklasse an der Macht halten. Meine Antwort darauf, und die vieler anderer auch, war es, in den Betrieb zu gehen – und da bin ich dreißig Jahre lang geblieben.
»Wir haben von Anfang an versucht, nicht stellvertretend für die Leute zu handeln, sondern zu gucken, was wir gemeinsam machen können.«
Andere haben das auch gemacht, sind aber mehr oder weniger alleine geblieben. Doch ich hatte das Glück, sehr früh Kollegen zu finden, die offen waren für eine klassenkämpferische, kapitalismuskritische Debatte. Unsere Gruppe wurde von außen von Sympathisantinnen und Sympathisanten aus der Tradition, aus der wir kommen, unterstützt. Wir haben jedoch Wert daraufgelegt, dass die Unterstützerinnen und Unterstützer nicht die Mehrheit am Tisch hatten.
Hast Du Dich aus politischen Gründen dazu entschieden, im Betrieb zu bleiben?
Natürlich bin ich aus politischen Gründen geblieben, aber entscheidend war für mich, dass ich nicht alleine war. Es gibt Leute, die alleine geblieben sind und nach ein paar Jahren aufgegeben haben. Ich aber hatte das Glück auf Kollegen zu treffen, die ein großes Interesse hatten an dem, was damals an Studierenden und Jugendbewegungen und globalem Aufruhr sichtbar wurde. Es gab Bewegungen in Italien, Frankreich, Südamerika, in den USA, in der Bundesrepublik – überall – und es waren nicht nur Studierende an den Unis, es waren auch viele Jugendliche, damals Lehrlinge genannt, Arbeitende und so weiter. Es gab also einerseits Interesse an unseren Ideen und andererseits traf ich auch auf ältere Kollegen, die selbst von Haus aus schon marxistisch, antikapitalistisch oder kommunistisch waren.
Was für Siege habt Ihr errungen?
Auf der Ebene eines einzelnen Betriebes, in einer einzelnen Belegschaft jetzt von Siegen zu reden, fällt mir etwas schwer. Dennoch hatten wir einen Verbund von Beschäftigten aus der Automobilindustrie, die sich über Jahre regelmäßig trafen – die sogenannte Auto-Koordination. Wir wurden Betriebsratsmitglieder und standen in Verbindung mit anderen Linken außerhalb.
Wir haben von Anfang an versucht, nicht stellvertretend für die Leute zu handeln, sondern zu gucken, was wir gemeinsam machen können. Schon bei kleinen Beschwerden und Alltagskonflikten ging es darum, die Leute mitzunehmen und in den Auseinandersetzungen deutlich zu machen, was wir hier alles erleiden, worüber wir uns berechtigterweise beschweren und wie hart die Arbeit an den Fließbändern ist. Wir haben die Kollegen darüber aufgeklärt, dass das ein Ausdruck von Machtverhältnissen, von Klassenverhältnissen ist und der Unternehmer das so machen muss im Krieg gegen seine Konkurrenten.
»Wenn man über VW redet, muss man darüber reden, dass VW zu den mächtigsten Kapitalgruppen der Bundesrepublik gehört und über 680.000 Menschen in aller Welt beschäftigt.«
Da konnten wir tagtäglich hören: »Unsereiner kann ja nichts machen, die da oben machen eh, was sie wollen!« Das haben wir versucht, im Kleinen zu durchbrechen. Ende 2000 und 2004 war die Opel-Belegschaft in Bochum die einzige, die den normalen Verzichtskurs und den Weg der Wettbewerbssicherung ablehnten. Wir haben es geschafft, »Nein!« zu sagen. Dann hat die Belegschaft letztlich dennoch die Brocken hingeschmissen. Doch der Weg bis dahin hat sehr lange gedauert. Wir haben dafür gesorgt, dass Belegschaftsversammlungen nicht nur zwei Stunden dauerten, sondern genug Raum boten für hitzige Auseinandersetzungen über unsere Lage.
Die VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo hat berichtet, der Vorstand plane Zehntausende Stellen zu streichen; drei VW-Werke sollen geschlossen werden, zusammen mit ganzen Abteilungen und Bereichen, so auch in der Forschung und Innovation. Die, die bleiben, sollen 10 Prozent weniger Monatslohn bekommen. 2025 und 2026 soll es Nullrunden geben und alle Zulagen und Boni sollen gestrichen werden. Der Vertrag zur Beschäftigungssicherung und der Haustarifvertrag sind beide bereits gekündigt. VW und Gewerkschaft verhandeln jetzt über neue Tarifverträge. Die Begründung seitens der Arbeitgeber ist, dass die Autoabsätze in Europa deutlich gesunken seien. Wie ist es dazu gekommen?
Dass jetzt bestimmte Konzerne gewonnen und andere verloren haben und dass man im Zuge der Profitentwicklung glaubte, man könne mit SUVs und Benzinern viel Geld verdienen, ist typisch. Die Manager dieser Konzerne haben die Aufgabe, für die Aktionäre Gewinne zu erwirtschaften, und das hat sehr lange gut geklappt. Aufgrund der technologischen Entwicklung des E-Autos klappt das in einzelnen Konzernen jetzt nicht so gut wie in anderen. Aber wenn man jetzt sagt: »Tja, da hat das VW-Management verschlafen«, dann finde ich das sehr oberflächlich. Da brauchen wir uns nicht zu freuen, wenn der eine gewinnt und der andere verliert. Die Hoffnung, »Hauptsache mein Betrieb überlebt«, führt in die Irre.
Wenn man über VW redet, muss man darüber reden, dass VW zu den mächtigsten Kapitalgruppen der Bundesrepublik gehört und über 680.000 Menschen in aller Welt beschäftigt, allein in China hat VW 39 Fabriken und in über sieben europäischen Ländern weitere Fabriken. Und wenn man das Ganze vor Augen hat, wird einem auch leider die Schwierigkeit der Auseinandersetzung mit solchem Kapital bewusst. Dennoch müssen wir uns ihm stellen. Wir müssen unsere Hoffnung daran binden, dass wir die Schläge, die uns angedroht werden, nicht einfach hinnehmen werden, sondern dass wir zeigen: »Das lassen wir uns nicht gefallen!« So haben wir schlussendlich bei Opel reagiert.
Wäre die Lösung also eine schnellere Technologisierung des Werks und der schnellere Weg zum E-Auto gewesen?
Wenn die Roboter im Rohbau nicht gekommen wären, hätten wir jetzt noch alte Technologien, die mit fürchterlicher Arbeit verbunden sind. Das kann man nicht wollen. Insofern würde ich sagen, man darf keine Hoffnung in alte Technologien legen, aber eben auch keine Hoffnung auf eine neue Technologie. Dann müssten Leute in der Rüstungsindustrie auf Kriege hoffen. Das hat keine Zukunft.
Du meintest eben, man darf sich nicht alles gefallen lassen. Hättet Ihr Euch das gefallen lassen? 10 Prozent weniger Gehalt? Zwei Nullrunden? Das Ende aller Zulagen und Boni? Bis zu 30.000 Leute werden entlassen?
Dass die Belegschaft bei Opel zu dem Punkt gekommen ist, mit dem Verzicht zu brechen und zu sagen: »Jetzt machen wir die Fabrik dicht hier! Und jetzt wird das auch für euch teuer«, war ein langer Prozess. Die Belegschaft bei Opel hat sich ganz viel über Jahre gefallen lassen. Verzichtsverträge mit der Perspektive, dass der Verzicht dazu beiträgt, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben, waren verbunden mit Selbstbetrug. So sagte man sich etwa: »Die Löhne sind ja noch irgendwie ok.«
»Die Arbeiter sollen selbst bestimmen, was sie produzieren. Aber das erfordert eine gesellschaftliche Bewegung, deren Ausmaß noch gar nicht angesprochen wird.«
Dann haben wir als Gruppe durchgesetzt, dass in der Fabrik nicht der Betriebsrat entscheiden konnte, ob verzichtet wird oder nicht, sondern vorher die Belegschaft zu befragen war. Und wenn die Belegschaft dann gesagt hätte: »Jaja, ihr Linken, wir nehmen das hin«, dann konnten wir darauf entgegnen: »Jetzt habt ihr mehrheitlich zugestimmt, jetzt schiebt es nicht auf Betriebsrat und Gewerkschaft.« Diese Debatten haben sich in den 1990ern ständig wiederholt, bis es zum Knall gekommen ist.
Manche Linke reden gerne von Spontanität. Es war nicht spontan, dass eine ganze Belegschaft mit 10.000 Leuten sich einig wird und sich entschließt, ein Signal zu setzen und zu sagen: »Nein! Wir sind nicht bereit, das zu schlucken!« Das jetzige Angebot, das hätte in Bochum wieder geknallt. Aber es ist so, dass bei VW die aktiven Kerne in der Belegschaft fehlen, die sowas mit nach vorn bringen könnten.
Wer könnte der Keim von einer solchen Organisierung bei VW sein? Siehst Du potenzielle Akteure?
Leider haben wir nur Kontakt zu einzelnen Kolleginnen oder Kollegen aus VW-Werken und die fühlen sich auch mit ihrer Kritik an dem jetzt sichtbaren Weg der faulen Kompromisse und des Verzichts, den die Gewerkschaft offiziell geht, alleine. Ich finde es immer gut, wenn jemand den Mund aufmacht und sagt: »Das finden wir alles fürchterlich.« Einen organisierten Kern hat es vielleicht irgendwann mal gegeben. Bei Audi in Brüssel hat man die Arbeit niedergelegt und Protestaktionen gemacht, aber auch das ist nicht aus dem Himmel gefallen.
Nehmen wir mal an, Kollegen von VW lesen dieses Interview und sind begeistert von der Geschichte der GoG und wünschen sich das in ihrem Betrieb. Was würdest Du ihnen sagen?
Unsere Erfahrung zwingt uns darauf hinzuweisen, dass die Herausbildung einer solchen Gruppe einfach Zeit braucht. Die Leute, die jetzt in Erscheinung treten, haben gar nicht die Zeit, das zu tun. Aber es hilft alles nichts. In den Fabriken müssen sich solche Kerne herausbilden. Da können auch Linke, die einen Begriff von kapitalistischen Zwängen haben, das unterstützen, aber im Moment sehe ich das nicht.
Wir haben beispielsweise darauf hingewiesen, dass es während der Krisenphase von General Motors einen europäischen Aktionstag gab, wo es in ganz Europa vom europäischen Gewerkschaftsbund und den Betriebsräten gemeinsame Protestaktionen und Demonstrationen gab. Es kommt darauf an, ein Stück gemeinsamer Macht sichtbar zu machen. Sowas sehe ich seitens der IG Metall Führung für die Mitglieder in den VW-Werken nicht. Ein europaweiter Aktionstag gegen VW wird von der Führung der IG Metall, unter der auch SPD-Mitglieder sind, nicht gewünscht. Man darf nicht einfach nur lokal verhandeln, sondern muss vereinigt verhandeln.
»Es gibt zum Glück überall kleine Gruppen, auch in der Öko-Bewegung, die nach der Verbindung mit den arbeitenden Leuten in den Großbetrieben suchen. Denen kann man nur Mut machen.«
Man ist nicht klar genug in der Kritik des offiziellen Gewerkschaftskurses. Man hält es nicht für möglich, die Menschen zum selbstständigen Handeln zu animieren. Wir brauchen europaweite Aktionen gegen den VW-Angriff. Der Angriff startet ja auch bei Mercedes, BMW und anderen Automobilkonzernen. Er startet auch in Italien und anderen Ländern, nicht nur bei VW in Deutschland, auch bei Zulieferbetrieben.
Im Kleinen kommt es jetzt auch darauf an, dass Kolleginnen und Kollegen bezüglich der Überstunden in dieser Zeit und Samstagsschichten den Betriebsräten sagen: »Tickt ihr eigentlich nicht richtig? Warum machen wir das? Warum helfen wir dem Unternehmen jetzt auch noch?« Dann werden sie die Begründung hören: »Wir wollen ja die Wettbewerbsfähigkeit von VW ja nicht behindern.« Und an diesem Punkt muss man deutlich machen, unter welchen Zwängen die Manager arbeiten und dass wir denen auch unterliegen.
Die Akzeptanz der Verzichtslogik ist also bereits eine Schwächung der eigenen Position und keine Rettung?
Grundsätzlich muss man das genauso sagen. Uns wird dann Kompromisslosigkeit vorgeworfen, aber Kompromisse gibt es am Ende eines Kampfes, nicht am Anfang. Das jetzt ist ein Scheinkampf! »Verlasst euch auf eure Gewerkschaftsführung und Betriebsratsführung! Und ihr selbst dürft euch ein rotes IG-Metall-Teil anziehen und mal mit Mütze und Pfeife demonstrieren.« Das reicht aber nicht, wenn wir uns wehren wollen. Ein Kompromiss am Ende eines Kampfes hat einen anderen Stellenwert und ist mit anderen Erfahrungen verbunden, als wenn man brav den gewohnten Weg geht. Besonders, wenn die Gewerkschaftsführung sagt, sie wolle die deutsche Automobilindustrie retten.
Wie steht es mit der Hilfe von außen?
Da haben ja Leute am VW-Werk eine gute Aktion gemacht und die ist auch recht bekannt geworden. Die Botschaft war, dass in der jetzigen Krise die Kollegen auch was Anderes als Autos produzieren könnten. Kurzum, die guten Aktionen und die Debatte vor Ort zeigten, dass die Kollegen sagten: »Im Grunde ist uns egal, was wir produzieren. Wir kommen hier nicht rein, um an einem Auto zu schrauben, sondern um Geld zu verdienen.« Bei Lohnabhängigkeit ist das, was man in der Fabrik produziert, sekundär. Das Entscheidende ist, dass man für sich und seine Familie den Lebensunterhalt erarbeitet.
Das perfekte Beispiel der entfremdeten Arbeit.
Genau, man baut nie ein ganzes Auto. Man hat immer dieselben Handgriffe. Generell muss ich auch sagen, dass Linke lernen müssen, mit den Kollegen zu sprechen. Man muss verstehen, dass man froh ist, wenn man bei VW am Fließband 30 Euro pro Stunde bekommt. Man kämpft, um das Einkommen zu erhalten, und nicht um Autos oder SUVs herzustellen.
»Man muss die kleinen Siege erringen, weil es zeigt, dass man eben nicht ohnmächtig ist.«
Ich möchte den Punkt der Hilfe von außen gerne weiterführen. Denn am Anfang warst Du ja genau das – die Hilfe von außen. Du warst Mitglied vom SDS, quasi die Avantgarde, die zu den Arbeitern ging und selbst zum Arbeiter wurde. Wäre das eine Strategie für die Krise bei VW?
Ich kann das schlecht jemandem aufdrücken. Allerdings wäre ich froh, wenn die Aktiven von außen nicht nur eine Zeit lang mit Diskussionsanregungen am Tor auftreten. Es wäre besser, wenn da auch Informationen verteilt würden, wo man den Leuten nicht sagt, ihr müsst dies oder jenes tun, sondern wo man darüber eine Debatte entfacht, was denn eigentlich falsch an dem ist, was man ihnen erzählt und was diese Krise bedeutet. Ob die jetzt selber reingehen in den Laden und da arbeiten, ist so eine Sache. Zu meiner Zeit war das eine ganze Bewegung, die Tausende dazu gebracht hat, solche Schritte zu machen. Das ist heute nicht der Fall.
Siehst Du spezifische Akteure, Gruppen oder Parteien, denen Du empfehlen würdest in die Betriebe zu gehen?
Es gibt zum Glück überall kleine Gruppen, auch in der Öko-Bewegung, die nach der Verbindung mit den arbeitenden Leuten in den Großbetrieben suchen. Denen kann man nur Mut machen. Das ist etwas Anderes, als wenn man als Linker im Wahlkampf auf Stimmenfang geht. Es geht darum zu überlegen, wie man die Lohnabhängigen dabei unterstützen kann, eigene Macht zu gewinnen und sich nicht als ohnmächtig anzusehen. Mir liegt sehr am Herzen, dass was von links in die Debatte gebracht wird, etwa mit Blick auf die Transformation hin zur Herstellung sinnvoller Produkte. Leider stützt man sich oft nur auf die Satzung der IG Metall, in der es heißt, dass Schlüsselindustrien in Gemeineigentum geführt werden sollen.
Die Forderung der Vergesellschaftung und der Enteignung der Fabrikbesitzenden und der Aktionäre wird in die Debatte gebracht. Das finde ich wunderbar, aber da wird leider oft die Größe und internationale Reichweite des Problems nicht gesehen. Das sind oft gute Ideen. Die Arbeiter sollen selbst bestimmen, was sie produzieren. Aber das erfordert eine gesellschaftliche Bewegung, deren Ausmaß noch gar nicht angesprochen wird. Die aktuelle Forderung, an der man festhalten muss, ist: Arbeitszeitverkürzung, runter auf 6-Stunden-Tag, 30-Stunden-Woche. Aber auch das hat wieder eine Dimension. Das muss man sich mal vorstellen. Die Debatte der Arbeitszeitverkürzung darf nicht mit Verzicht verknüpft werden. Die Technologie gibt das doch her.
»Wir brauchen zum Leben keine Aktionäre.«
Wer jetzt Enteignung fordert, der muss sich die Frage stellen, wie das dann aussehen könnte. Wie würde man eine Mehrheit bei uns organisieren, wer würde darüber entscheiden, was wo produziert und wie es verteilt wird? Da sind Überlegungen nötig, bei denen man historische Erfahrungen, auch Niederlagen, aufgreifen muss. Wenn jetzt einzelne Belegschaften, wie in Norditalien bei GKM, einfach eigenständig produzieren, hat das eine wunderbare Signalwirkung.
Gerade ist es ein Abwehrkampf, aber der Kampf an sich würde über die stetige Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeitenden geführt. Wenn wir diesen jetzigen Abwehrkampf nicht verewigen wollen, müssen wir nach anderen Lösungen fragen. Und eine der Grundbedingungen ist, dass die Fabriken nicht mehr in Privatbesitz sind. Die Aktionäre wollen Gewinne sehen und beschäftigen dazu Manager. Das ist ein System, das keine Zukunft für uns und unsere Kinder hat.
Man muss die kleinen Siege erringen, weil es zeigt, dass man eben nicht ohnmächtig ist. Die Reichen in diesem Land haben Angst, wenn wir massenhaft in Erscheinung treten. Deswegen kommen sie mit komischen Versprechungen und wollen uns irgendwie in ihrem System festhalten. Bloß keine Überlegungen und massenhafte Debatten. Wir brauchen zum Leben keine Aktionäre.
Wolfgang Schaumberg ist ehemaliges Mitglied des SDS, Gründungsmitglied der Gruppe oppositioneller Gewerkschafter und ehemaliger Betriebsrat bei Opel in Bochum. Auch heute engagiert er sich im Themenfeld des Arbeitskampfs und der Automobilindustrie.