21. Dezember 2024
Die neoliberale Politik, die die AfD stark gemacht hat, droht sich unter der kommenden Regierung noch zu verschärfen. Die antifaschistische Antwort wäre eine Wirtschaftspolitik, die die Menschen ermächtigt und ihnen die Hoffnung gibt, dass es auch wieder bergauf gehen kann.
Belegschaft und Azubis von Thyssen Krupp in Duisburg protestieren gegen den geplanten Stellenabbau, 12. Dezember 2024.
Die Ampel war die unbeliebteste deutsche Regierung der jüngeren Geschichte, deren zaghafte Fortschrittsambition wenig spürbaren Effekt hatte. Was die Bevölkerung spürt, ist vielmehr die Tatsache, dass unter der Ampel die Wirtschaft erst stagnierte und jetzt voll in der Rezession ist. Eine kürzliche Umfrage des Deutschland-Trends hat gezeigt, dass die Wählerschaft die schlechte wirtschaftliche Lage als das drängendste Problem erachtet. 50 Prozent gaben an, sie hätten Angst, ihre Rechnungen aufgrund der gestiegenen Preise nicht mehr bezahlen zu können. 47 Prozent haben Angst vor dem sozialen Abstieg. 37 Prozent befürchten, sich die eigene Wohnung nicht mehr leisten zu können. 21 Prozent haben Sorge, ihre Arbeit zu verlieren. Besonders ausgeprägt sind diese Ängste unter jungen Menschen mit niedrigem Einkommen. Nur 15 Prozent der Befragten glauben, dass sich die wirtschaftliche Lage im nächsten Jahr verbessern könnte.
Überraschenderweise gibt es eine besonders hohe Transformationsbereitschaft. Wandel scheint ausdrücklich erwünscht zu sein: Nur 3 Prozent der Befragten sagten, so wie es grade ist, sei es im Grunde gut. Eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zeichnet ein ähnliches Bild. 72 Prozent glauben, dass es wirtschaftlich bergab geht und ganze 62 Prozent würden es begrüßen, wenn der Staat stärker interveniert, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Die Mehrheit der Bevölkerung scheint sich also einen starken Staat und einen Bruch mit der Marktgläubigkeit der letzten Jahre und Jahrzehnte zu wünschen. Die einzigen, die von dieser Sehnsucht nach einem politischen Wandel gerade profitieren, stehen rechts. Der Ampel-Kollaps hat den Weg freigemacht für eine Merz-Kanzlerschaft, die AfD hat in den letzten Umfragen die SPD überholt.
Die größere Erzählung hinter diesen Zahlen lautet: Unsere Gesellschaft ist eine ungleiche und ungerechte, und der Pessimismus darüber, dass sich die Lage verbessern könnte, sitzt tief. Warum in einer Zeit, in der sich der Konflikt zwischen oben und unten zuspitzt, gerade die Rechten erstarken und nicht die Linken, dafür gibt es unterschiedliche Hypothesen. Es wird zu Recht immer wieder betont, dass gerade Menschen mit weniger Geld, die in strukturschwachen Regionen leben, unter der Politik der AfD massiv leiden würden. Trotzdem profitiert die Partei von der ökonomischen Krisenstimmung immens. Um zu verstehen, warum das so ist, wird die wirtschaftliche Lage interessanterweise aber oft ausgeblendet oder nur am Rande thematisiert.
Stattdessen wird häufiger gefragt, ob die Leute »dem Populismus« auf den Leim gegangen sind, ob die reaktionäre Konjunktur die Rache gekränkter Männer sein könnte, ob womöglich TikTok Schuld ist oder ob der Bevölkerungsanteil, der die AfD heute wählt, einfach schon immer so rechts war und vorher nur kein wählbares Parteiangebot gefunden hat, in dem er seinen Rassismus und Nationalismus repräsentiert sieht. Angesichts des rechten Dammbruchs und der Erkenntnis, dass die Wirtschaftspolitik in den kommenden Jahren die zentrale Frage bleiben wird, stellt sich der Linken eine entscheidende Herausforderung: Kann eine Politik, die die Menschen mitnimmt, statt sie zu belehren, die Grundlage für eine realistische Strategie gegen den Rechtsruck bieten?
Das letzte Mal, dass ein SPD-Kanzler die Vertrauensfrage stellte und verlor, war 2005 unter Gerhard Schröder. Auch damals kämpfte die Regierung mit einem schwächelnden Wirtschaftswachstum. Dieses wiederum versuchte man mit der Agenda 2010 anzukurbeln. Damals war Olaf Scholz Generalsekretär der SPD und setzte die Hartz-IV-Reformen um. Die waren zwar bei der Wirtschaft beliebt, aber unter der Bevölkerung und auch Parteilinken verhasst. Schröder verlor bekanntermaßen das Vertrauensvotum.
Die rot-grüne Regierung, die – ganz ähnlich wie die Ampel nach den Merkel-Jahren – ein »Reformprojekt« werden sollte, das nach den bleiernen Kohl-Jahren neue politische Weichen für eine zukunftsfähige Politik stellen wollte, endete mit einem Knall und machte den Weg frei für die Ära-Merkel, die wiederum keine zukunftsfähige Politik betrieb und uns letztlich in die jetzige Lage geführt hat. Als Olaf Scholz dann Jahre später Merkel ablösen sollte, gab sich der Agenda-Architekt geläutert und versprach »Respekt«, hat während seiner Kanzlerschaft aber eben keine sozialdemokratische Rückbesinnung vollzogen, sondern im Gegenteil den Rechtsdrift der SPD zementiert und wie vor ihm schon Gerhard Schröder einer CDU-geführten Regierung den Weg bereitet.
In der Frage, wie wir darauf reagieren und wie man verhindert, dass der Frust, die Abstiegsangst und der Unmut innerhalb der Bevölkerung den Rechten in die Hände spielen, spalten sich die Gemüter. Nach der Wiederwahl Trumps rief die Ökonomin Isabella Weber zu einer »antifaschistischen Wirtschaftspolitik« auf, da statistisch gesehen die Inflation für viele wahlentscheidend gewesen war. Wem es unter Trump wirtschaftlich besser ging, gab ihm seine Stimme. Sie betont, dass die US-Demokraten unterschätzt hätten, welche Rolle die Inflation für einkommensschwache Bevölkerungsschichten spielt. Preiskontrollen hätten gegen diese Preisschocks wirksam geholfen.
»Es geht erst einmal darum, sich zu fragen, wie man diese Ressentiments politisch so weit entwaffnet, dass sie nicht wahlentscheidend werden.«
Auch wenn das Konzept nicht klar umrissen ist, fordert es grundsätzlich erst einmal mehr soziale Absicherung gegen Krisenerfahrungen – einen ökonomischen Katastrophenschutz, wie Weber sagt. Denn Abstiegsangst ist der Motor der Rechten. Weber spricht sich daher für einen starken Staat aus, der Preisschocks mit Preisdeckeln begegnet, mit Steuerreformen gegen soziale Ungleichheit vorgeht und mit einer ambitionierten Industrie- und Sozialpolitik proaktiv auf Krisen reagiert. Die Stärke dieses Ansatzes liegt vor allem auch darin, dass er eine nicht nur rein defensive Verhinderungsstrategie gegen Rechts vorsieht, sondern auch proaktiv gestaltend agiert.
Auch hierzulande wurde die Formel aufgegriffen, etwa von der Linkspartei oder dem Institut für solidarische Moderne. Nun geistert das Konzept seit Wochen durch die Köpfe, bleibt aber nicht ohne Kritiker. An dieser Stelle sei gesagt, dass niemand davon ausgeht, dass durch höhere Löhne, geringere Lebenshaltungskosten, bessere Zukunftsperspektiven und weniger Ungleichheit ideologisch gefestigte Rechte zu Linken werden oder Nationalismus und Rassismus einfach verschwinden. Es geht erst einmal darum, sich zu fragen, wie man diese Ressentiments politisch so weit entwaffnet, dass sie nicht wahlentscheidend werden. Es geht um Protestwähler, die noch keine gefestigten Rechten sind, aber durchaus welche werden können, wenn wir jetzt einfach so weitermachen. Und es geht darum, den Rechten die Unterstützung dieser Menschen zu entziehen und damit den strukturellen Aufbau der AfD zu schwächen.
Kritikerinnen und Kritiker dieses Ansatzes wie etwa Sabine Nuss und Michael Heinrich vermuten in dieser Strategie aber einen verkappten Standortnationalismus. So betonen sie etwa, dass durch höhere Löhne auch die Nachfrage im Inland gesteigert wird, weshalb nicht bloß Beschäftigte, sondern auch deutsche Unternehmen davon profitieren würden. Damit würde die antifaschistische Wirtschaftspolitik am Ende in dieselbe Kerbe schlagen wie Konservative und Liberale, die von »unserer Wirtschaft« und »Deutschlands Wohlstand« sprechen, so als habe man hier eine homogene Gemeinschaft vor sich.
Natürlich stimmt es, dass Liberale und Rechte bewusst von »der Wirtschaft« sprechen, um zu verschleiern, dass sich in dieser Wirtschaft gegensätzliche Interessen gegenüberstehen. Doch man sollte eine Politik, die die Verhandlungsmacht arbeitender Menschen in diesem Land – ganz egal, was sie für einen Pass haben – erhöht, nicht mit einer wirtschaftsliberalen Politik verwechseln, die im Gegenteil die deutsche Privatwirtschaft stärkt und die Bevölkerung ihrem Gewinnstreben schutzlos ausliefert. Genau dazu ist Austerität schließlich da.
Gerade die großen Volkswirtschaften wie Deutschland, aber auch die USA, stecken in einer Krise, weil sich global gesehen die wirtschaftliche Konkurrenz verschärft hat. »Die Wirtschaft«, sprich: die nationalen Unternehmerinteressen, werden daher gegen »die Konkurrenz« aus dem Ausland in neuer Radikalität verteidigt. Das macht gerade keiner so aggressiv wie Donald Trump, der die Wettbewerber mit harten Strafzöllen in die Knie zu zwingen versucht.
Die Anrufung eines »nationalen Wirs« wird von denjenigen betrieben, die den Leuten erzählen, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen, damit sie dann wieder stolz sein können auf einen nationalen Wohlstand, den sie zwar erarbeiten sollen, aber an dem sie nicht gerecht beteiligt werden. Es sind Rechte und Liberale, die die Bevölkerung in ihren Standortnationalismus einspannen wollen, damit die Bevölkerung die ökonomischen Einschnitte akzeptiert, die notwendig sind, um die deutsche Wirtschaftskraft fit für den internationalen Wettbewerb zu machen. Eine antifaschistische Wirtschaftspolitik tut genau das Gegenteil. Sie arbeitet proaktiv gegen diese ökonomische Entmachtung der Mehrheit der Bevölkerung an, adressiert das Gefühl, den Mächtigen in Politik und Wirtschaft ausgeliefert zu sein, und stärkt damit die Handlungsfähigkeit im eigenen Leben.
»Die Anrufung eines ›nationalen Wirs‹ wird von denjenigen betrieben, die den Leuten erzählen, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen, damit sie wieder auf einen nationalen Wohlstand stolz sein können, den sie zwar erarbeiten sollen, an dem sie aber nicht gerecht beteiligt werden.«
Denn es ist gerade auch ein Gefühl des Kontrollverlustes, das die AfD auf einer psychosozialen Ebene gut zu bewirtschaften scheint. Das deckt sich auch mit den Einsichten aus einer Studie über Beschäftige in Ostdeutschland, die offenbarte, dass rechte Ressentiments dort am stärksten sind, wo das Gefühl der eigenen Ohnmacht und Fremdbestimmung am Arbeitsplatz am ausgeprägtesten ist. Andre Schmidt, Soziologe und Mitautor der Studie, berichtet: »Manche der Niedriglohnbeschäftigten schilderten uns, dass sie die AfD wählten, ohne sich davon irgendeine Verbesserung für ihr eigenes Leben zu erwarten. Es ist ein destruktiver Impuls, an den keinerlei Hoffnungen geknüpft sind.« Wenn das Leben fremdbestimmt zu sein scheint, von »denen da oben« – den Arbeitgebern, den politischen Entscheidungsträgerinnen – an die man sowieso nicht richtig rankommt, dann bietet die neoliberale Professorenpartei AfD mit ihrer Anti-Establishment-Inszenierung zumindest die Möglichkeit, ihnen Mal eins auszuwischen.
Die AfD verspricht nicht wirklich, dass es besser wird. Im Gegenteil, der Pessimismus und die Hoffnungslosigkeit scheinen den Rechten ihre Kraft zu geben, weshalb die AfD die Ängste auch bewusst schürt und Horrorszenarien des Untergangs an die Wand malt. Das Gefühl des Kontrollverlustes, das haben auch andere Studien gezeigt, ist unter der Wählerschaft der AfD – unabhängig von ihrem Einkommen – überdurchschnittlich stark ausgeprägt. Und aus diesem Gefühl macht die Partei ihre Politik.
Daher bringt es auch nichts, immer wieder vorzurechnen, dass die AfD nichts macht für bessere Renten, dass sie gegen die Erhöhung des Mindestlohns gestimmt hat, dass die Menschen, die sie wählen, von ihrer Politik finanziell nichts hätten. Die AfD wird nicht aus der Hoffnung heraus gewählt, dass es besser werden könnte. Sie verspricht nur denen, die Kontrollverlust erfahren, dass sie endlich auch mal das Ruder übernehmen dürfen, während wir weiter auf den Abgrund zusteuern.
Die große Mehrheit der Bevölkerung verbringt einen großen Anteil ihres Lebens am Arbeitsplatz. Die Tatsache, dass die Menschen genau dort Machtlosigkeit und Herabwürdigung erfahren, ist ein starker Hinweis darauf, genau hier anzusetzen, um dem rechten Aufstieg etwas entgegenzusetzen. Dasselbe gilt für wirtschaftspolitische Forderungen, die sie mehr an dem Wohlstand teilhaben lassen, den sie mit ihrer Arbeit erwirtschaften. Das sind alles Hebel, um Menschen in ihrem Leben mehr Mitbestimmung zu geben und den Begriff der demokratischen Teilhabe, den wir vor allem aus pathetischen politischen Ansprachen kennen, mit Substanz zu füllen.
Eine Politik im Interesse der arbeitenden Mehrheit – also gute Lohnpolitik, Preisdeckel für Wohnen, Energie und Lebensmittel, eine Abschaffung der Schuldenbremse und ein solider Sozialstaat – sind noch lange kein Sozialismus und erst recht nicht die Überwindung der Konkurrenz von Nationalstaaten im globalen Kapitalismus. Aber jede politische Errungenschaft, die die Macht der Kapitalseite einhegt und die Verhandlungsposition arbeitender Menschen verbessert, macht weitere Schritte dahin überhaupt erst plausibel.
Am Ende müssen wir uns fragen, wie wir den aktuellen Rechtsruck besser verstehen können, anstatt ihn zu mystifizieren. Dabei hilft es, den politischen und ökonomischen Kontext zu betrachten, in dem er sich vollzieht.
Mit den Rekordergebnissen bei den Landtagswahlen im Osten und dem Umfragehoch der AfD auf Bundesebene ist etwas gekippt, aber diese Entwicklung lässt sich in ganz Europa im Grunde seit den 2010ern Jahren beobachten: Der Dammbruch nach rechts begann im Nachgang der Weltfinanz- und Eurokrise, die die Finanzialisierung der Wirtschaft in eine Krise gestürzt haben, von der sich dieses Akkumulationsregime bis heute nicht erholt hat. Zuerst gewann 2010 Viktor Orbán in Ungarn die Wahl zum Ministerpräsidenten, es folgte der Aufstieg der rechtsnationalen PiS in Polen, von Marine Le Pen in Frankreich, der Wahlerfolg von Geert Wilders’ PVV in den Niederlanden und der Aufstieg der Schwedendemokraten, eine Partei mit Wurzeln in der Neonazi-Szene. In Italien regiert die Postfaschistin Giorgia Meloni.
Dass sich in einer Wirtschaft, die kaum Wachstum oder Produktivitätsgewinne generieren kann, die Verteilungskämpfe verschärfen und der Druck auf Menschen, die von ihrer Arbeit leben müssen, höher wird, ist eine kaum anzuzweifelnde Tatsache. Wenn das Stück vom Kuchen immer kleiner wird, bietet das eine geeignete Angriffsfläche für Rechte, die der Bevölkerung im Grunde nichts anderes versprechen müssen, als dass sie die immer knapper werdenden Mittel zumindest mit weniger Menschen teilen müssen, indem sie die Migration zur Mutter aller Probleme verschreien. Das festzustellen bedeutet nicht, es zu entschuldigen.
Man macht es sich zu einfach, wenn man jetzt verkündet, dass Leute, die eine Partei mit rechten, migrationsfeindlichen, sozialchauvinistischen Positionen wählen, das deswegen tun, weil sie eben rechte, migrationsfeindliche, sozialchauvinistische Menschen sind. Natürlich gibt es diese überzeugten Rechten, und ihr Anteil in der Bevölkerung ist in den letzten drei Jahren weiter gestiegen. Diese Menschen lassen sich nicht bekehren – man muss sie politisch isolieren. Doch es gibt auch AfD-Wähler, die ideologisch nicht gefestigt sind und die diese Partei aus einem revanchistischen Impuls heraus wählen. Es geht nicht darum, diese Wahlentscheidung zu trivialisieren, sondern darum sich zu fragen, wie wir diese Menschen überzeugen können, anstatt sie zu belehren. Indem wir ihnen einfach nur entgegenrufen, warum wir die AfD so sehr verachten, verstärken wir das Gefühl, von oben herab behandelt zu werden – und genau das treibt sie in die Arme der Rechten. In der Politik geht es nicht darum, Menschen nach moralischen Maßstäben zu bewerten, sondern sich zu fragen, wie man sie von der eigenen politischen Position überzeugen kann. Stuart Hall hat das sehr treffend einmal so formuliert: »Politik spiegelt Mehrheiten nicht wider, sie schafft Mehrheiten«. Wer nicht mehr daran glaubt, dass Menschen sich politisch bewegen können, kann es mit der Politik im Grunde auch bleiben lassen.
In der Forderung nach wirtschaftspolitischen Antworten auf den Rechtsruck steckt aber auch noch ein weiteres Potenzial. Es geht auch um die Frage, wie man um diejenigen kämpft, die sich von der Politik längst verabschiedet haben, weil sie darin ohnehin nicht vorkommen. Die Wahlenthaltung ist in strukturschwachen Regionen und in Stadtvierteln mit hohem Armutsanteil besonders hoch. Die Rechten profitieren von dieser politischen Demobilisierung, die das Ergebnis von Dekaden des Neoliberalismus ist, die Linke wiederum schwächt sie, und zwar massiv. Menschen, die resigniert haben, weil sie dafür gute Gründe haben – weil sie politisch nicht abgebildet werden, weil ihre Belange keine Rolle spielen, weil sie in ihrem täglichen Leben kaum Handlungsspielräume haben –, wieder davon zu überzeugen, dass die Politik etwas mit ihrem Alltag zu tun hat, ist keine leichte Aufgabe. Aber wir können uns mit dieser politischen Resignation nicht zufriedengeben. Wenn wir dem härteren Verteilungskonflikt mit Solidarität und nicht mit Ellbogen begegnen wollen, dann müssen wir uns fragen, wie wir die Institutionen, die eine solidarische Antwort auf diese Krisen ermöglichen, überhaupt handlungsfähig machen können.
»Es braucht die Brot-und-Butter-Politik, die die materiellen Interessen adressiert, aber es braucht auch einen affektiven Motor und ein Versprechen auf ein anderes Leben.«
Der wirtschaftliche Abschwung ist nicht einfach nur ein »Vibe«, den Leute spüren, denen es eigentlich ganz gut geht – das zeigen nicht zuletzt die geplanten Massenentlassungen in der Autoindustrie. Deutschland ist hier in gewisser Weise ein Nachzügler. Die Deindustrialisierung kommt hier erst verspätet an, da die Sozialpartnerschaft in der Autoindustrie, die mit der IG Metall immerhin die stärkste Gewerkschaft der Welt im Rücken hat, auch über die Strukturumbrüche während der Globalisierung gehalten hat, als in den USA und in UK ganze Regionen der Deindustrialisierung anheimfielen. Aber es war eine Stabilität auf Zeit. Wer nun die Sorge um diese Zehntausenden Beschäftigten, die ihre Sicherheit verlieren und die die Konsequenzen für Entscheidungen tragen sollen, die sie nicht gefällt haben, in die Nähe von nationaler Volkstümelei rückt, gießt Öl ins Feuer der politischen Verdrossenheit. Man sollte an dieser Stelle nicht vergessen, dass Donald Trump seinen ersten Wahlsieg 2016 mit dem Versprechen einfuhr, den Rust Belt – also die ehemaligen Industriehochburgen der USA, die in 1980er Jahren unter Ronald Reagan »verrosteten« – wiederzubeleben.
Gleichzeitig wäre es falsch, die reaktionäre Konjunktur auf einen verirrten Oben-Unten-Konflikt zu verkürzen. Das ist ein Teil der Wahrheit, aber eben auch nicht alles. Denn es verschleiert, dass die Basis der Rechten sozial heterogen ist. Der Aufstieg der AfD ist nicht einfach das Produkt einer Linken, die die Arbeiterklasse im Stich gelassen hat und die nun als ultimativer Renegat die Seiten gewechselt hat, aber sie ist eben auch nicht einfach nur eine nationalistische Wohlstandsverwahrlosung von Menschen, deren Abstiegsangst das Produkt einer TikTok-Halluzination ist. Was den Rechten mit ihrem Rassismus und Nationalismus offensichtlich gelingt, ist dem Bedürfnis nach Anerkennung einen – wie auch immer pervertierten – Ausdruck zu geben.
Dem verbreiteten Gefühl der Machtlosigkeit setzen sie ihre Vision von Kontrolle entgegen und versprechen den Menschen, endlich wieder jemand zu sein. Der Nationalismus bietet zumindest bedingungslose Anerkennung. Dagegen kommt man mit einem kühlen, leidenschaftslosen Narrativ über materielle Interessen allein nicht an. Es muss uns auch gelingen, unsere Forderungen in eine größere Erzählung von Gerechtigkeit einzuflechten, die – so kitschig es klingen mag – die Menschen nicht nur in ihren Köpfen, sondern auch in ihren Herzen erreicht. Die Gewerkschafterin Rose Schneidermann hat das mit ihrem Ausspruch, »Die Arbeiterin braucht Brot, aber sie braucht auch Rosen«, auf den Punkt gebracht. Es braucht die Brot-und-Butter-Politik, die die materiellen Interessen adressiert, aber es braucht auch einen affektiven Motor und ein Versprechen auf ein anderes Leben – ein Leben, in dem man handlungsfähig ist, in dem Würde und Anerkennung, gewährt, statt verwehrt werden.
Der Rechtsruck, den wir erleben, ist die hässliche und nihilistische Antwort auf eine Gegenwart, in der es abwärts geht. Wenn das Gefühl der Zukunftslosigkeit um sich greift, reicht es nicht nur »Löhne rauf« zu rufen, wir müssen auch artikulieren können, warum wir das überhaupt fordern. Die politischen Kräfteverhältnisse stehen gegen uns, und das Stimmungsbild bei den bevorstehenden Neuwahlen deutet darauf hin, dass die Politik der kommenden Jahre von rechts dominiert werden wird. CDU, FDP und AfD stimmen die Bevölkerung schon jetzt auf einen sozialen Kahlschlag ein, wenn sie behaupten, ihre Wahlversprechen finanzieren zu können, indem sie denjenigen, die ohnehin kaum etwas haben, noch mehr wegkürzen. Das ist nicht nur unmenschlich, sondern auch vollkommen illusorisch. Angesichts dieser Perspektive brauchen wir eine realistische Strategie, die nicht nur defensiv gegen die Rechten kämpft, sondern aktiv die Weichen für eine Zukunft stellt, auf die man wieder hoffen kann.
Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.