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15. Juli 2025

CDU und SPD blockieren die Ver­ge­sellschaftung

Vor fast vier Jahren stimmten die Menschen Berlins für die Enteignung großer Immobilienkonzerne. Jetzt zieht die schwarz-rote Landesregierung mit ihrem »Rahmengesetz« den Rahmen so eng, dass eine Vergesellschaftung praktisch unmöglich wird.

Raed Saleh (SPD) und Dirk Stettner (CDU) sind sich einig: Hauptsache nicht enteignen. Berlin, 22. Juni 2025.

Raed Saleh (SPD) und Dirk Stettner (CDU) sind sich einig: Hauptsache nicht enteignen. Berlin, 22. Juni 2025.

IMAGO / Funke Foto Services

Anfang Juli meldeten die Medien einen vermeintlichen Durchbruch: Die schwarz-rote Berliner Landesregierung hätte sich nach zwei Jahren Untätigkeit auf ein Eckpunktepapier für ein Rahmengesetz zur Vergesellschaftung geeinigt. Das Eckpunktepapier jedoch zielt vor allem darauf, dass Enteignungen und Vergesellschaftung verhindert werden sollen, indem es Indikatoren wie Gesetzesverstöße, Renditeentzug und Klimazielverfehlung als zusätzliche Voraussetzungen für eine Vergesellschaftung einführt. Wenige Wochen später legte die SPD statt einem Vergesellschaftungsgesetz einen Gesetzentwurf vor, der einen neuen Anlauf für einen Mietendeckel als Vergesellschaftung zu verkaufen versucht. Die Frage der Enteignung großer Immobilienkapitale und der Vergesellschaftung von Wohnraum sitzen CDU und SPD weiterhin aus.

Nach jahrelanger Vorbereitung durch die Kampagne Deutsche Wohnen und Co Enteignen stimmten die Berlinerinnen und Berliner am 26. September 2021 dem Volksentscheid zur Enteignung der großen Immobilienkonzerne zu. Das amtliche Endergebnis wies 57,6 Prozent der Stimmen für den Volksentscheid aus. Ein großartiger Erfolg für die Mietenbewegung und ein deutliches Votum für die Begrenzung der Macht des Immobilienkapitals. Doch da es sich nicht um einen Gesetzesvolksentscheid handelte, war das Ergebnis nicht bindend. Dazu hätte die Initiative ein konkretes Gesetz zur Vergesellschaftung zur Abstimmung vorlegen müssen.

Politische Blockade

Statt diesen Auftrag anzunehmen, versuchte die Rot-Grün-Rote Koalition aus SPD, Grünen und Linke ihre unterschiedlichen Positionen in der Frage der Vergesellschaftung durch die Einsetzung einer Expertinnenkommission zu überbrücken, die zunächst prüfen sollte, ob und wie eine Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände verfassungskonform möglich wäre. Nach der Wiederholungswahl für das Berliner Abgeordnetenhaus 2023 vereinbarten die neue Koalition aus CDU und SPD, dass die Koalition ein »Vergesellschaftungsrahmengesetz« erarbeiten wolle, sofern die Kommission »eine verfassungskonforme Vergesellschaftungsempfehlung« abgibt. Einen erfolgreichen Volksentscheid konnte man nicht vollkommen ignorieren, doch hatten weder die SPD-Führung noch die CDU ein Interesse an der Umsetzung. Im Gegenteil, der Regierende Bürgermeister Kai Wegener betont wie zuvor seine Amtsvorgängerin und jetzige Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey von der SPD immer wieder, dass es mit der CDU keine Vergesellschaftung geben wird.

»Ein ›Rahmen‹ muss gar nicht neu erarbeitet werden, denn Artikel 15 des Grundgesetzes gibt bereits einen Rahmen für die Vergesellschaftung vor: Sie muss politisch gewollt sein.«

Entgegen der Hoffnungen der Parteiführungen von SPD und CDU kam die Expertinnenkommission bereits im Juni 2023 mehrheitlich zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass die in der Verfassung vorgesehene Möglichkeit zur Vergesellschaftung verfassungskonform und in der konkreten Frage der Vergesellschaftung von Wohnungen auch verhältnismäßig ist – inklusive einer Entschädigung weit unter dem Marktwert. Dass jetzt erst ein Eckpunktepapier beschlossen wurde, ist als eine Weiterführung der Verzögerungstaktik zu werten. Offenbar spekuliert die Koalition darauf, dass sich niemand mehr an die Inhalte des Berichtes der Expertinnenkommission erinnern kann. Dass es zwei Jahre gedauert haben soll, die knapp 1.400 Zeichen aufzuschreiben, um die »Eckpunkte« zu definieren, die die Ergebnisse der Kommission ignorieren, kann jedenfalls kaum der Grund gewesen sein.

In dem halbseitigen Papier wird nochmals deutlich, dass das bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte »Rahmengesetz« vor allen Dingen dazu da ist, die Vergesellschaftung, auch für andere Daseinsbereiche wie Wasser und Energie, praktisch zu verunmöglichen. Ein »Rahmen« muss indes auch gar nicht neu erarbeitet werden, denn Artikel 15 des Grundgesetzes gibt bereits einen Rahmen für die Vergesellschaftung vor: Sie muss politisch gewollt sein. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen kritisierte daher den Entwurf, da er keine einzige Wohnung vergesellschafte und dies auch nicht beabsichtige.

Politisches Handeln simulieren

Das Eckpunktepapier jedoch zielt vor allem darauf, dass Enteignungen und Vergesellschaftung verhindert werden sollen, indem es Indikatoren wie Gesetzesverstöße, Renditeentzug und Klimazielverfehlung als zusätzliche Voraussetzungen für eine Vergesellschaftung einführt. In der Konsequenz bedeutet das, dass im Einzelfall geprüft werden soll, ob ein Unternehmen vergesellschaftet werden kann oder nicht, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Vergesellschaftet werden kann nach dieser Logik, wenn der Konzern Gesetze bricht, Klimaziele verfehlt oder übermäßig Rendite abschöpft, ohne angemessen in die Instandhaltung der Wohnungen zu investieren. Dies widerspricht unmittelbar dem Zweck des erfolgreichen Volksentscheides, der die Vergesellschaftung aller Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen vorsieht, mit dem politischen Ziel, die Marktmacht der großen Immobilienkonzerne zu brechen und die entsprechenden Wohnungen einer Anstalt des Öffentlichen Rechts zu unterstellen.

Zudem soll laut dem Eckpunktepapier darüber hinaus das jeweils »mildeste geeignete Mittel« vorgezogen werden, bevor Vergesellschaftung zum Zuge kommt. Beispielhaft nennt das Papier dabei vor allen Formen der Marktregulation wie Preisregulation oder »anderweitige marktorientierte Eigentumsnutzung«. Der Fraktionsvorsitzende der Berliner CDU-Fraktion, Dirk Stettner, machte bei der Vorstellung dementsprechend klar, dass man »nicht von Enteignungen« sprechen würde. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh sprach von einem »regulierenden Charakter« des Vorhabens.

»Das Eckpunktepapier legt die Marktorientierung als Leitprinzip fest und verkehrt damit den Zweck eines Vergesellschaftungsgesetzes.«

Das Eckpunktepapier legt die Marktorientierung als Leitprinzip fest und verkehrt damit den Zweck eines Vergesellschaftungsgesetzes. Auch in der Frage der Entschädigung fällt das Eckpunktepapier hinter den Kommissionsbericht zurück und spricht von »angemessener Entschädigung«, anstatt sich nach dem Ergebnis der Expertinnenkommission zu richten, die eine Entschädigung weit unter dem Marktwert für möglich erachtete.

Dass die Berliner SPD sich nun als Anwalt der Mieterinnen und Mieter verkaufen will, indem sie einen neuen Anlauf für einen Mietendeckel als ein »Vergesellschaftungsgesetz« verkauft, ist unglaubwürdig. Unter der Rot-Grün-Roten Regierung ist im Jahr 2021 der erste Anlauf für einen solchen bereits vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, und zwar rein formal an der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundeslandes. Der Bund wäre hier zuständig, urteilte das Gericht. Warum die SPD glaubt, dass sich seitdem etwas an der Rechtslage geändert haben soll, bleibt rätselhaft.

Überhaupt sieht ihr Entwurf die Deckelung nur für fünf Jahre vor und nicht dauerhaft wie bei dem ursprünglichen Projekt der Rot-Grün-Roten Regierung. Auch dieses Gesetz soll scheinbar nur die geschäftige Umsetzung des Mehrheitswillens der Berliner Bevölkerung simulieren. Verbunden mit der ebenfalls im Eckpunktepapier vorgesehenen Zweijahresfrist bis zum Inkrafttreten des »Rahmengesetzes« verschiebt die SPD damit die Lösung der Mietenproblematik in Berlin auf den Sankt-Nimmerleins-Tag – selbst wenn die CDU zustimmen würde. Diese lehnte die Idee der SPD erwartungsgemäß ohnehin ab.

Jetzt kommt es auf die Linke an

Der erfolgreiche Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co. enteignen leidet weiterhin unter einem grundlegenden Problem: Da er rechtlich nicht bindend war, kann er sanktionslos ignoriert werden. Dieses Scheitern des ersten Anlaufs zur Vergesellschaftung ist eine schwere Hypothek für jeden weiteren Anlauf. Die regierende CDU-SPD-Koalition lehnt die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne nach wie vor grundsätzlich ab.

Die Linke ist im Abgeordnetenhaus nach wie vor die einzige Partei, die sich zur Umsetzung des Entscheids bekennt. Auf dem vergangenen Parteitag wurde die Vergesellschaftung von Wohnraum zur »Chefinnensache« erklärt. »Nur, wer die Vergesellschaftung […] umsetzen möchte«, könne ein »Partner« der Linken sein. Die Linke hat beschlossen, dass, wenn sie »in die Regierung geht«, der Volksentscheid umgesetzt wird.

»Es bleibt zu hoffen, dass die Linke an der roten Linie festhält, auch wenn sich die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung eröffnet.«

Jedoch hätte auch direkt nach dem Referendum die Möglichkeit bestanden, diese Grenze in den Koalitionsverhandlungen im Jahr 2021 zu ziehen. Das Lager rund um den inzwischen aus der Linken ausgetretenen Reformer und ehemaligen Kultursenator Klaus Lederer setzte sich jedoch mit einer pragmatischen Kompromisslinie mit SPD und Grünen innerparteilich durch und hat damit sowohl der Umsetzung des Volksentscheides als auch der Partei die Linke und ihrer Glaubwürdigkeit massiv geschadet. Inzwischen hat der Reformerinnenflügel der Partei im Berliner Verband jedoch Einfluss verloren. Hier bleibt zu hoffen, dass die Partei an der auf dem Parteitag beschlossenen roten Linie festhält, auch wenn sich die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung eröffnet.

Auch die Grünen haben sich inzwischen rhetorisch an diese Position angenähert und fordern, »dass dem Willen der Mehrheit der Berliner*innen Rechnung getragen und der Volksentscheid zur Vergesellschaftung umgesetzt wird«. Doch ihre Aussagen dazu bleiben ambivalent, auch sie sprechen von Prüfaufträgen und Unklarheiten und verweisen immer wieder auf Alternativen zur Enteignung des Immobilienkapitals. Auch hier wird es darum gehen, wo die Grünen tatsächlich stehen, wenn es konkret um die Umsetzung des Volksentscheids gehen wird. Doch selbst dann hätten Grüne und Linke nach derzeitigen Umfragen immer noch keine Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus.

Der von der Initiative nach wie vor geplante Gesetzesvolksentscheid ist damit nicht nur juristisch notwendig, sondern auch politisch der einzig realistische Weg, den Volksentscheid in geltendes Recht zu übersetzen. Die Initiative arbeitet weiter am Entwurf des Gesetzes. Um ihn herum müssen sich politische Konstellationen und Mobilisierungen der Berlinerinnen und Berliner bilden, um sich gegen die derzeitigen parlamentarischen Mehrheiten durchzusetzen. Auf die Mitte-links-Parteien kann dabei nicht gesetzt werden – auf die Linke hingegen hoffentlich schon.

Fabian Nehring ist Politikwissenschaftler und aktives Mitglied bei der Linken in Berlin.