30. November 2023
Die Wirtschaft hinkt der politischen Demokratie weit hinterher: Im Betrieb sind Beschäftigte nicht Bürger, sondern Untergebene. Doch engagierte Betriebsräte und demokratisch geführte Unternehmen zeigen, dass es nicht dabei bleiben muss.
Das ist kein Parlament, sondern der Deutsche Betriebsrätetag 2023. Aber warum sollte nicht mehr Demokratie in der Wirtschaft Einzug halten?
Arbeitende Menschen sind daran gewöhnt, dass im Berufsalltag über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Auch dann, wenn man Vorgaben für falsch hält, hat man als Arbeitnehmerin oft keine andere Wahl, als sie trotzdem zu befolgen. Heikel sind diese Machtasymmetrien besonders dann, wenn es zu Problemen mit den Vorgesetzten kommt. Gegen unfaires Verhalten der Arbeitgeberseite können sich Beschäftigte aktuell kaum wehren, sodass ihnen eigentlich nur ein Jobwechsel übrigbliebe. Doch auch bei einem anderen Arbeitgeber finden Beschäftigte in der Regel ähnliche Machtstrukturen vor.
Nach demokratischen Grundwerten wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit sucht man in der Wirtschaft vergeblich. Für eine Beschäftigte heißt das, einem täglichen Widerspruch ausgesetzt zu sein: Einerseits erlebt sie am Arbeitsplatz Fremdbestimmung und wirtschaftlichen Zwang, andererseits soll sie aber dem Ideal einer mündigen Bürgerin entsprechen, die sich aktiv ins politische Geschehen einbringt. Diese Verhältnisse aufzulösen, war von Anfang an ein Kernanliegen der Arbeiterbewegung, die im Sozialismus die Möglichkeit sieht, Demokratie in allen Bereichen der Gesellschaft zu verwirklichen.
Was wäre, wenn man wie in der Politik, so auch in der Wirtschaft Einfluss auf die Wahl von Vorgesetzten nehmen könnte? Wenn Unternehmen von denen geführt würden, die die Arbeit tatsächlich erledigen? Wenn Demokratie nicht nur im öffentlichen Leben, sondern auch in der Privatwirtschaft verwirklicht wäre? Natürlich sind Unternehmen nicht ohne Weiteres mit dem Staat vergleichbar. Aber es braucht gute Gründe, um Menschen grundlegende demokratische Rechte zu verwehren.
Auch die Tatsache, dass wirtschaftlicher Wohlstand zwar von Vielen erwirtschaftet, aber nur an Wenige verteilt wird, muss durch die Demokratisierung der Wirtschaft adressiert werden. Kein Unternehmen könnte ohne seine Beschäftigten funktionieren. Und doch werden sie nicht in die Entscheidungen einbezogen, was oder wie produziert wird, und bei der Verteilung von Profiten übergangen.
Die Forderung, demokratische Prinzipien auf die Ökonomie auszuweiten, ist nicht neu. Im Gegenteil hat die Arbeiterbewegung dafür in vielen erbitterten Auseinandersetzungen gekämpft und auch einige Verbesserungen erreicht. Dazu gehört mitunter die in Deutschland geltende Mitbestimmung in Unternehmen, etwa in Gestalt von Betriebsräten.
Eine Betriebsrätin ist eine auf Zeit gewählte Vertreterin, die als Sprachrohr für die Interessen der Belegschaft fungiert und sich gegenüber der Unternehmensleitung für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt. Aktuell kann ein Betriebsrat gegründet werden, wenn eine Firma mindestens fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. In der Theorie könnte die Mehrheit der deutschen Beschäftigten Zugang zu diesen Strukturen haben. In der Praxis sieht es jedoch anders aus.
»Lediglich ein Viertel der Beschäftigten gibt aktuell an, mit ihren Vorgesetzten zufrieden zu sein.«
Im Jahr 2021 wurden nur 38 Prozent der Beschäftigten durch einen Betriebsrat vertreten. 2010 betrug der Anteil noch 44 Prozent. Viele Arbeitnehmerrechte sind aber davon abhängig, dass Betriebsräte sie durchsetzen und daraufhin überwachen, dass sie auch eingehalten werden. Fehlen diese Strukturen, bedeutet das nicht nur mangelnde demokratische Teilhabe, sondern kann auch zum Schlupfloch für Unternehmen bei der Einhaltung von Tarifverträgen oder gesetzlichen Arbeitsstandards werden. Dass die Zahl der Betriebsräte zurückgeht, liegt nicht nur an sinkenden Mitgliederzahlen der Gewerkschaften oder veränderten Arbeitsmarktstrukturen, sondern auch am Widerstand der Arbeitgeberseite.
Schätzungen zufolge wird etwa jede sechste Neugründung eines Betriebsrats behindert. Dabei bedienen sich Unternehmen an Methoden wie Mobbing oder unrechtmäßigen Kündigungen, um Gewerkschafterinnen und Mitarbeiter einzuschüchtern. Dieses Vorgehen heißt Union Busting und ist ursprünglich aus den USA bekannt. Aber auch in Deutschland entstehen Anwaltskanzleien, die sich darauf spezialisieren, demokratische Strukturen wie Betriebsräte zu bekämpfen. Zudem kommen aktuell über dreihundert Unternehmen ihrer gesetzlichen Pflicht nicht nach, ihre Belegschaften wie vorgeschrieben am Aufsichtsrat zu beteiligen und verletzten so bestehende demokratische Mindeststandards.
Interessenvertretungen wie Betriebsräte genießen breite Unterstützung in der Bevölkerung und bilden einen wichtigen Pfeiler der gewerkschaftlichen Arbeit. Dennoch bleiben Beschäftigte trotz Mitbestimmung in Unternehmen strukturell unterlegen. Das wird durch die Entstehungsgeschichte von Betriebsräten in der BRD deutlich.
Als das Betriebsverfassungsgesetz, das die Rechte und Pflichten von Betriebsräten regelt, vor 71 Jahren unter dem Adenauer-Kabinett aus CDU/CSU und FDP in Kraft trat, galt es als herber Rückschlag für die Gewerkschaften, die sogar dagegen mobilisierten, weil ihnen das Gesetz nicht weit genug ging. Sie forderten die gleichen Mitbestimmungsrechte für alle Branchen, die ein Jahr zuvor in Form der Montan-Mitbestimmung für den Bergbau, die Eisen- und Stahlindustrie auf den Weg gebracht wurden. Im Gegensatz zu anderen Bereichen sind die Beschäftigten hier in den Aufsichtsräten in gleicher Zahl vertreten wie die Besitzenden und bestimmen gemeinsam die Person, die in Patts entscheidet.
Bis heute ist die Montan-Mitbestimmung aus dieser Zeit Vorreiterin. In allen anderen mitbestimmten Unternehmen gilt, dass die Arbeitnehmerseite strukturell unterlegen ist und bei Entscheidungen überstimmt werden kann. Von der Unternehmensmitbestimmung profitieren zudem nur Beschäftigte, die in Kapitalgesellschaften mit einer Belegschaft von mehr als 500 Personen arbeiten. Alle kleineren Unternehmen können ihre Beschäftigten von unternehmerischen Entscheidungen ausschließen, denn Betriebsräte haben auf diesen Bereich keinen Einfluss. Hinzu kommt, dass Betriebsrätinnen und Betriebsräte nur in wenigen Fällen über ein Vetorecht verfügen. Meist beschränkt sich ihr Handlungsspielraum auf das Recht, informiert, beraten oder angehört zu werden.
Man könnte an vielen Stellen ansetzen, um ihre Rechte auszubauen und zu stärken. Seit das Betriebsverfassungsgesetz in Kraft getreten ist, wurde es zwar mehrfach novelliert und die Mitbestimmung verbessert, jedoch hat das wenig daran geändert, dass auch mitbestimmte Unternehmen aktuell weit von echter demokratischer Partizipation entfernt sind.
Unternehmen und demokratische Institutionen funktionieren nach völlig verschiedenen Logiken. Während im Kapitalismus ungleiche Eigentumsverhältnisse vorherrschen und Unternehmen ihr Handeln an Profiten ausrichten, definiert sich die politische Demokratie durch gleiche Rechte und hat das Gemeinwohl im Blick.
Dieser Widerspruch schränkt besonders demokratische Prozesse in Unternehmen ein, denn die Arbeitswelt ist der Ort, wo diese grundverschiedenen Logiken im Alltag am deutlichsten aufeinanderprallen. In Unternehmen sind Beschäftigte in erster Linie Untergebene, die Anweisungen ihrer Vorgesetzten befolgen müssen, und keine Bürgerinnen und Bürger mit gleichen Rechten. Durch eine Ausweitung der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung könnte das Ungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der Arbeitnehmerseite verschoben werden.
Es bleibt jedoch offen, inwiefern kapitalistische Unternehmen überhaupt nach demokratischen Werten funktionieren können, solange die Eigentumsverhältnisse in den Betrieben bestimmen, wer das Sagen hat. In konventionellen Unternehmen können die Menschen, die die Anteile besitzen, aufgrund ihres Eigentums weitreichende Entscheidungen für das Unternehmen und seine Belegschaft treffen. Allein das verletzt schon das demokratische Grundprinzip des »one person, one vote«, weil die Stimme einer Eigentümerin immer mehr Gewicht hat als die einer einfachen Arbeiterin. Beschäftigte ohne nennenswertes Vermögen sind ökonomisch abhängig und befinden sich damit in einer vulnerablen Position gegenüber dem Handeln ihres Arbeitgebers, selbst dann, wenn er illegal agiert.
»Im Kapitalismus sind Ausbeutung und Fremdbestimmung keine unglücklichen Fehler, sondern Voraussetzungen dafür, dass diese Wirtschaftsordnung funktioniert.«
Auch wenn sich die Position von Beschäftigten durch kollektive Rechte am Arbeitsplatz verbessern lässt, verhindern Eigentumsverhältnisse im Kapitalismus demokratisches Handeln. Das zeigt sich auch daran, dass Union Busting vor allem dort vorkommt, wo die Eigentümerinnen und Eigentümer ihre Unternehmen selbst leiten. Aus dem Eigentum an ihrem Unternehmen scheinen diese das Recht abzuleiten, über die Menschen, die für sie arbeiten, nach Belieben zu verfügen. Die Art und Weise, wie kapitalistische Gesellschaften aktuell aufgebaut sind, bestätigt sie darin. Im Kapitalismus sind Ausbeutung und Fremdbestimmung keine unglücklichen Fehler, sondern Voraussetzungen dafür, dass diese Wirtschaftsordnung funktioniert.
So wird ermöglicht, dass sich Wenige aufgrund ihres Eigentums an der Arbeit der Vielen bereichern können. Mehr demokratische Beteiligung in der Wirtschaft zu fordern, ist nur dann konsequent, wenn auch die Verteilung von Eigentum und Profiten an Unternehmen hinterfragt wird. Dadurch würde auch ein weiteres demokratiegefährdendes Problem adressiert – das der enormen sozialen Vermögens- und Einkommensungleichheit. Nicht nur vom Standpunkt der Demokratie aus werfen die Missstände des Kapitalismus grundsätzliche Fragen nach einem anderen Wirtschaftssystem auf.
Wie kann ein demokratisches Wirtschaftssystem aussehen, das Wohlstand und industrielles Wachstum erhält und gleichzeitig sozial gerecht und ökologisch nachhaltig ist? In der Diskussion um sozialistische Alternativen, die diesen Ansprüchen gerecht werden, sind vor allem vier Fragen zentral: Wie können Eigentum und Profite von Unternehmen gerecht verteilt werden? Auf welche Weise werden Beschäftigte an Entscheidungen im Unternehmen beteiligt? Inwieweit existiert der Markt weiterhin als Verteilungsmechanismus und wie wird er reguliert? Und auf welche Weise wird das Geld- und Finanzsystem organisiert? Sozialistische Denkerinnen und Denker haben diese Aspekte unterschiedlich bewertet.
Diese können auf zwei Arten demokratisch sein: Erstens, indem Management- und administrative Prozesse über einen demokratischen politischen Prozess organisiert werden. Und zweitens, indem die Beschäftigten einen Anteil am Unternehmenseigentum erhalten. Neben Modellen, die darauf setzen, dass die Arbeitenden gleichzeitig auch über das Eigentum verfügen, gibt es andere, in denen sie als Bürgerinnen und Bürger mit politischen Rechten verstanden werden.
Für den Wirtschaftswissenschaftler John Roemer ist die demokratische Organisation auf Betriebsebene nachrangig gegenüber anderen Aspekten einer sozialistischen Wirtschaft, etwa der materiellen Beteiligung von Beschäftigten an Unternehmensprofiten. Zugleich äußert er Zweifel daran, ob demokratische Unternehmen überhaupt effizient agieren könnten. Die Soziologin Isabelle Ferreras betont dagegen, wie wichtig demokratische Strukturen sind. Eine andere Verteilung der Produktionsmittel führe nicht automatisch zu mehr demokratischer Teilhabe. Wichtig sei, dass Beschäftigte in demokratischen Unternehmen als Bürgerinnen und Bürger betrachtet würden.
Auch die Soziologin Lisa Herzog spricht sich für demokratische Kontrolle in Unternehmen aus und argumentiert für ein Zwei-Kammern-Modell mit Aktienbesitzenden und Angestellten. Für manche Unternehmen müsse auch über eine dritte Kammer von Konsumentinnen und Konsumenten nachgedacht werden. Ebenso argumentiert Herzog dafür, dass demokratische Unternehmen weiterhin auf Hierarchien setzen, die Vorgesetzten jedoch regelmäßig gewählt und abgewählt werden können. Es wäre aber auch denkbar, dass in Betrieben alle auf Augenhöhe und ohne Vorgesetzte arbeiten, wie es schon jetzt in einigen Genossenschaften der Fall ist. Darüber hinaus können sich Unternehmensmodelle auch danach unterscheiden, ob Profite individuell an die Beschäftigten ausgeschüttet werden oder in das kollektive Unternehmenseigentum fließen.
»Unternehmen mit gesetzlich vorgesehenen Aufsichtsräten kommen besser durch wirtschaftliche Krisen.«
Der Ökonom Mike Beggs spricht sich ebenso für Unternehmen aus, die von Mitarbeitenden geführt werden, geht aber auch auf kritische Aspekte ein. Im Gegenteil zu konventionellen Unternehmen sind demokratische Unternehmen beispielsweise weniger flexibel bei der Einstellung von Beschäftigten, da diese mit ihrem Arbeitsvertrag auch eine Mitgliedschaft des Unternehmens erhalten. Der Autor Sam Gindin wirft zusätzlich die Frage auf, wie man sicherstellen könne, ob demokratisch geführte Unternehmen in Einklang mit sozialen Interessen handelten.
Diese Diskussion macht deutlich, dass verschiedene demokratische Unternehmensformen verschiedene Vor- und Nachteile mit sich bringen. Dass es eine einzige Unternehmensform gibt, die für jede Branche oder Betriebsgröße passt, ist unwahrscheinlich. Es ist gut, wenn es unterschiedliche Formen demokratischer Unternehmen gibt, denn das entspricht dem demokratischen Pluralismus und bietet Menschen auf dem Arbeitsmarkt mehr Optionen, je nachdem, was ihnen wichtig ist.
Ein prominentes Beispiel für demokratisches Wirtschaften ist die spanische Industriegenossenschaft Mondragón, die von den über 85.000 Beschäftigten geführt wird und über 200 eigenständige Unternehmen umfasst. Das Unternehmen ist nicht nur wirtschaftlich erfolgreich, sondern zeichnet sich unter anderem auch durch ein geringes Lohngefälle aus.
Dass unterschiedliche Formen demokratischer Beteiligung erfolgreich sind, zeigen nicht nur Genossenschaften auf der ganzen Welt. Verschiedene Studien machen außerdem deutlich, dass Unternehmen mit betrieblicher und unternehmerischer Mitbestimmung meist besser abschneiden als ihre Konkurrenz. Wenn ein Betriebsrat eingeführt wird, hat das beispielsweise langfristige Produktivitätszuwächse und höhere Unternehmensprofite zur Folge. Gleichzeitig bieten diese Unternehmen eher familienfreundliche Arbeitszeitmodelle oder Weiterbildungen an und zahlen höhere Löhne. Ähnliches gilt für die Unternehmensmitbestimmung: Unternehmen mit gesetzlich vorgesehenen Aufsichtsräten kommen besser durch wirtschaftliche Krisen.
Der Soziologe Erik Olin Wright hat argumentiert, dass die gesellschaftliche Linke nicht nur einen überzeugenden Gegenentwurf eines anderen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems formulieren, sondern mithilfe von konkreten, aber wünschbaren Alternativen auch aufzeigen müsse, wie eine sozialistische Transformation gelingen kann.
Eine Möglichkeit, dies zu tun, wären demokratisch geführte Unternehmen. Diese verkörpern die Überzeugung, dass arbeitende Menschen keine von oben verordneten Vorgaben brauchen, sondern selbst gestalten können und sollen, wie sie arbeiten und was sie wie produzieren. Sie könnten im Sturm kapitalistischer Verhältnisse utopische Inseln darstellen, die Hoffnung auf eine gerechtere Welt machen und bereits jetzt bessere Arbeitsbedingungen herstellen.
Viele Schritte einer demokratischen Transformation der Wirtschaft können innerhalb des kapitalistischen Systems vollzogen und durch staatliches Handeln unterstützt werden. Der Staat könnte beispielsweise Modelle mit grundlegenden demokratischen Strukturen und alternativen Eigentumsverhältnissen aktiv fördern, etwa indem er bevorzugt solchen Unternehmen öffentliche Aufträge vergibt. Auch könnte er mit vergünstigten Krediten oder Startkapital die Neugründung demokratischer Unternehmen erleichtern. Wenn konventionelle Unternehmen vor der Schließung stehen, kann durch eine Verstaatlichung das Unternehmen vorübergehend gerettet und die Belegschaft dabei unterstützt werden, das Unternehmen selbst zu übernehmen.
»Es tut auch der politischen Demokratie gut, wenn Menschen Demokratie in ihrem Arbeitsalltag erfahren.«
Darüber hinaus müssen auch konventionellen Unternehmen mehr demokratische Strukturen vorgeschrieben werden. Die Rechte von Arbeitnehmervertretungen sollten durch eine bessere Mitbestimmung bei unternehmerischen Fragen ausgebaut und Betriebsräte und Gewerkschaften besser vor Union Busting geschützt werden. Betriebsräte verpflichtend zu machen, könnte zusätzlich demokratische Standards für alle Unternehmen etablieren.
Doch selbst dann stünden demokratische Unternehmen immer noch vor der Herausforderung, unter kapitalistischen Spielregeln konkurrieren zu müssen. Außerdem müssten sie mit dem Dilemma umgehen, mit undemokratischen Zulieferern zusammenzuarbeiten. Die konkrete Utopie einzelner demokratisch geführter Unternehmen muss daher langfristig mit einem Umbau der gesamten Wirtschaft einhergehen.
Immer mehr Beschäftigte überlegen, ihren Arbeitsplatz zu wechseln – das zeigen Studien. Lediglich ein Viertel gibt aktuell an, mit ihren Vorgesetzten zufrieden zu sein. Der Wunsch nach mehr Selbstbestimmung am Arbeitsplatz ist allgegenwärtig. Dieses berechtigte Bedürfnis wird derzeit aber nur ungenügend beantwortet.
Kein Wunder, dass selbst oberflächliche Trends wie New Work bei Beschäftigten Anklang finden. Die New-Work-Bewegung verspricht mehr Autonomie, Flexibilität und Sinn am Arbeitsplatz und ist vor allem in der Digitalisierungs- und Startup-Branche beheimatet. In der Praxis gehen diese Ansätze jedoch selten über Obstkörbe, eine andere Büroausstattung oder einen Feel-Good-Manager hinaus. Viel mehr wird das Bedürfnis vieler Beschäftigter nach sinnstiftender Arbeit derzeit durch das Management ausgenutzt, um sie noch mehr auszubeuten.
Die gesellschaftliche Linke sollte den Wunsch der Mehrheit der Arbeitenden nach mehr Selbstbestimmung adressieren und Wirtschaftskonzepte entwerfen, die diese Bedürfnisse verwirklichen. Demokratisch geführte Unternehmen können eine ehrliche und sozialistische Antwort auf die genannten Bedürfnisse sein. Wo sonst hätten Mitarbeitende die Möglichkeit, ihre Ideen und ihr Potenzial zu entfalten, als in demokratisch geführten Betrieben? Studien zeigen außerdem, dass es auch der politischen Demokratie guttut, wenn Menschen Demokratie in ihrem Arbeitsalltag erfahren. So gehen positive Erfahrungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften mit positiveren Einstellungen zur Demokratie im Allgemeinen einher.
Es kann nicht überraschen, wenn Menschen sich für die Wirtschaft ähnliche demokratische Rechte wünschen, wie für die Gesellschaft insgesamt. Am Ende können wir uns alle darauf einigen, dass wichtige Entscheidungen nicht über unsere Köpfe hinweg gefällt werden sollen – weder im Privaten, noch in der Öffentlichkeit, noch bei der Arbeit.
Miriam Siglreitmaier ist Mitglied im Vorstand von Forum Demokratische Linke 21 (DL21) und promoviert zu sozialer Ungleichheit im Generationenverlauf. Zuvor war sie stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende und Personalrätin an der Humboldt-Universität.