24. Februar 2025
Das starke Wahlergebnis bietet der Linken die entscheidende Chance, sich als radikale Opposition zu erneuern. Um die AfD langfristig zu stoppen, muss die Partei die kommenden Jahre nutzen, um sich tiefer in der Gesellschaft zu verankern.
Anlass zur Freude: Co-Vorsitzender und Spitzenkandidat Jan van Aken, Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek und Ines Schwerdtner, Direktkandidatin der Linken in Berlin-Lichtenberg und Co-Vorsitzende, feiern den Wahlerfolg.
Die gestrigen Wahlergebnisse hätten eigentlich vor allem Grund zur Sorge geben müssen: Um den rechten Flügel der CDU hat sich ein neuer Mitte-Rechts-Block konsolidiert, flankiert von einer aufstrebenden AfD, die zwar vorerst noch von der Macht ausgeschlossen bleibt, aber bereit ist, einen künftigen Kanzler Merz von rechts zu stützen, sollten die Verhandlungen mit den angeschlagenen Sozialdemokraten unerwartet ins Stocken geraten. Das Projekt eines marktgesteuerten ökologischen Wandels, gespickt mit einer Prise Identitätspolitik, wurde gestern begraben. Mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler hat sich für eine rechte Alternative ausgesprochen. Wie auch immer die genauen Konturen der nächsten Bundesregierung aussehen werden, die Marschrichtung ist klar.
Und dennoch lieferte die gestrige Wahl einen unerwarteten Anlass zur Freude: Denn die gleiche Linkspartei, die vor wenigen Monaten noch totgesagt wurde, holte 8,7 Prozent und sechs Direktmandate. Damit übertraf sie bei weitem die Erwartungen der optimistischsten Anhänger. Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Dynamik ist auf externe Faktoren zurückzuführen, aber zur Wahrheit gehört auch, dass die Partei den stärksten Wahlkampf ihrer Geschichte geführt hat. Mit einem klaren Fokus auf soziale Kernthemen wie Mieten und Löhne, gepaart mit einer erheblich verbesserten Kampagnen- und Kommunikationsstrategie, hat die Partei gezeigt, dass die Stellung der AfD als Sprachrohr der Unzufriedenen nicht in Stein gemeißelt ist. Insbesondere die Vorstellung, dass »die Jugend« rechts wählt – eine weitverbreitete Binsenweisheit in den letzten Jahren –, wurde überzeugend widerlegt.
Dieses Wiederauferstehen ist besonders bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass die Linke in Deutschland bis vor wenigen Monaten auf dem Abstellgleis stand. Der lange Strömungskampf, selbst ein Ergebnis von Jahren politischer Stagnation, hatte verbrannte Erde hinterlassen und schien das Ende einer linken parlamentarischen Kraft zu bedeuten. Außerhalb des Parlaments sah es ähnlich düster aus. Selbst kleine Erfolge wie die Kampagne Deutsche Wohnen & Co. Enteignen hatten an Dynamik verloren. Aus Angst vor der AfD reihte sich ein Teil der außerparlamentarischen Linken in eine demokratische Volksfront ein, die bis in die CDU hineinreicht, während sich ein anderer Teil in sektiererischer Hyperaktivität verlor. Währenddessen wuchs die Unterstützung für rechtsextreme Parteien ungestört weiter.
Der Erfolg bei dieser Bundestagswahl, vor allem wenn man ihn mit den herben Verlusten im vergangenen Jahr vergleicht, zeigt also, dass eine kämpferische, zugespitzte linke Botschaft in breiten Teilen der Gesellschaft punkten kann. Diese Lektion sollten wir im Hinterkopf behalten, denn die CDU hat bereits einen Frontalangriff auf den Sozialstaat angekündigt. Es stehen uns schwierige Jahre bevor, aber wir sind nicht hilflos: Entscheidend wird sein, ob und wie Gewerkschaften, soziale Bewegungen und die zu neuem Leben erweckte Linkspartei in den kommenden Monaten zusammenarbeiten werden, um das Schlimmste von Friedrich Merz' Agenda abzuwehren. Jetzt ist die Zeit für eine entschlossene Opposition, in der eine neue Linke womöglich weiter erstarken kann.
Abgesehen von einem nun unvermeidlichen Kanzler Merz ist die schlimmste Nachricht der letzten Nacht zweifellos das zwar erwartbare, aber dennoch beachtliche Ergebnis für die AfD. Mehr als jeder fünfte Wähler hat sich für eine Partei entschieden, die nicht nur für ein rücksichtsloses, arbeitnehmerfeindliches Wirtschaftsprogramm steht, sondern auch rassistische Hetze schürt und sich unverhohlen an Massenabschiebungen und anderen Grausamkeiten erfreut, während sie einen extremistischen Flügel mit noch dunkleren Ambitionen in ihren Reihen hortet. Es wird keine leichte Aufgabe sein, die Popularität dieser Partei in weiten Teilen der Wählerschaft zu brechen.
»Es ist an uns, die Debatte entlang von Klassenlinien neu zu polarisieren. Die Kampagne der Linken hat gezeigt, wie das aussehen könnte.«
Umso wichtiger ist es, dass wir die politische Lage und unsere Aussichten nüchtern betrachten. Auch wenn das AfD-Ergebnis besorgniserregend ist, war gestern in Wahrheit kein sonderlich schlechter Wahlabend für die Parteien des Establishments. Das Zentrum hält. Zwar stehen uns Jahre des neoliberalen Rollbacks, eine unmenschlichere Grenzpolitik und etwas verstärkte polizeiliche Repression bevor, aber der Faschismus steht nicht vor der Tür. Wir sollten also nicht allzu bedrückt sein, sondern den kleinen, gestrigen Sieg feiern und uns dazu verpflichten, diese unerwartete politische Chance zu ergreifen, ohne uns jedoch Illusionen über die Bedrohungen und den schwierigen Weg, der vor uns liegt, zu machen. Uns bleibt noch etwas Zeit. Aber was machen wir mit ihr?
Wenn es etwas gibt, das wir aus Trumps Rückkehr ins Weiße Haus oder dem Aufstieg rechter Regierungen in Europa lernen können, dann ist es die Einsicht, dass wir den Einfluss unserer Gegner nicht untergraben, indem wir sie als Faschisten denunzieren – unabhängig davon, wie zutreffend der Begriff sein mag. Und wie wir in den letzten Jahren gelernt haben, helfen große Demonstrationen »für die Demokratie« scheinbar auch wenig. Was es anstelle dessen braucht, ist ein alternatives politisches Projekt, das die weitverbreitete Angst und Frustration aufgreift, die die AfD aufgreift und manipuliert. Es ist an uns, die öffentliche Debatte entlang von Klassenlinien neu zu polarisieren: die Bosse gegen alle anderen, anstatt Deutsche gegen Migranten. Die Kampagne der Linken hat in Ansätzen gezeigt, wie ein solches Projekt aussehen könnte.
Historische Parallelen zu ziehen, ist immer ein riskantes Unterfangen, aber der aktuelle Moment ähnelt in gewisser Weise Trumps erstem Sieg im Jahr 2016. Nachdem die amerikanische politische Mitte spektakulär daran gescheitert war, die Wahl eines rechten Demagogen zu verhindern, strömten Hunderttausende in linke Organisationen, traten Gewerkschaften bei oder engagierten sich in lokalen Kampagnen. Wir können uns glücklich schätzen, dass Friedrich Merz zwar schrecklich ist, aber längst nicht so unberechenbar und zerstörungswillig wie Donald Trump. Dennoch scheint das Schreckgespenst Merz und eine wachsende AfD nun auch hierzulande einen ähnlichen Effekt zu haben: Die Linke zählt mehr Mitglieder als je zuvor in ihrer Geschichte, es herrscht auf einmal eine Aufbruchsstimmung und eine Bereitschaft, zu kämpfen.
»Wer dauerhaft die Kräfteverhältnisse nach links verschieben und die extreme Rechte schwächen will, muss den Konflikt mit genau jener Mitte suchen, die die Bedingungen geschaffen hat, unter denen die AfD erst mächtig werden konnte.«
Aber Kampfbereitschaft alleine wird nicht reichen: Trumps erste Präsidentschaft hatte dazu geführt, dass die sozialistische Linke in den USA zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen beträchtlichen Aufschwung erlebte, der in der zweiten missglückten Präsidentschaftskandidatur von Bernie Sanders und schließlich der resignierten Akzeptanz von Joe Biden als bestmögliche Option zur Ablösung Trumps gipfelte. Da es Biden und den Demokraten jedoch nicht gelang, nicht nur einzelne politische Veränderungen, sondern eine kohärente, alternative Agenda voranzutreiben, konnte sich Trump nicht nur von seiner Niederlage im Jahr 2020 erholen, sondern gefährlicher und aggressiver denn je zurückkehren. Die bescheidenen Fortschritte, die in den Jahren zuvor erzielt worden waren, wird er nun zunichtemachen.
Ob die Linke hierzulande mehr aus dem Merz-Effekt ziehen kann, wird im Wesentlichen davon abhängen, ob sie das jetzige Momentum in ein langfristiges Aufbauprojekt lenken kann, das nicht nur junge Menschen und die Stammwählerschaft mobilisiert. Schaut man die Wählerwanderung an, kam ihre hinzu gewonnene Unterstützung primär aus dem Lager enttäuschter Wählerinnen und Wähler der Grünen und der SPD. Auch wenn Die Linke Zugewinne quer durch alle gesellschaftlichen Schichten hinweg verzeichnen konnte, bleibt ihre Unterstützung überproportional jung, urban und gebildet, während die AfD mit weitem Abstand die Lieblingspartei von Arbeitslosen, Arbeitern und Menschen, die ihre wirtschaftliche Lage als schlecht bewerten, bleibt.
Ein solches Aufbauprojekt müsste sich zum Ziel setzen, genau diese Milieus zurückzuerobern, um »progressive Mehrheiten« bilden zu können, die sich nicht auf Wechselwähler innerhalb des bestehenden linksliberalen Spektrums stützen. Stattdessen gilt es nun, langfristig und nachhaltig die eigene Basis auszubauen. Das kann aber nicht gelingen, wenn die Partei der Versuchung erliegt, im Namen der »Demokratie« gemeinsame Sache mit der politischen Mitte zu machen. Die Niederlage des BSW, die nach einem fulminanten Start direkt in zwei Landesregierungen gesprungen ist und dafür gestern die Quittung erhalten hat, ist in dieser Hinsicht eine Lektion: Wer dauerhaft die Kräfteverhältnisse in diesem Land nach links verschieben und die extreme Rechte schwächen möchte, muss in erster Linie den Konflikt mit genau jener Mitte suchen, die die Bedingungen geschaffen hat, unter denen die AfD erst mächtig werden konnte. Eine Linke, die sich sang- und klanglos in diese Mitte einreiht, wird früher oder später mit dieser Mitte gleichgesetzt und politisch bedeutungslos werden.
Loren Balhorn ist Editor-in-Chief von JACOBIN.