26. Februar 2025
Diese Bundestagswahl war kein Aufbruch, sondern eine Abrechnung – die alte Regierung ist abgewählt, Merz nun Kanzler. Damit die AfD nicht der größte Profiteur des kommenden Frusts wird, kommt es jetzt auf Die Linke an.
Alles andere als ein strahlender Sieger: das Ergebnis für Friedrich Merz war schwach.
Diese Wahl war vor allem eine Abwahl, egal wie sehr Friedrich Merz auch versuchen mag, die 28 Prozent für die Union als Triumph zu verkaufen. Von der überwältigenden Enttäuschung über die Ampel hat Friedrich Merz – immerhin Oppositionsführer gegen die unbeliebteste Regierung der Bundesrepublik – nicht nennenswert profitiert. Die sich anbahnende Zweckehe zwischen Union und SPD wird die zahlenmäßig schwächste GroKo, die es je gegeben hat. Mit knapp 45 Prozent der Stimmen lässt sie sich kaum mehr als »große Koalition« bezeichnen, sondern ist auf eine »Reicht-gerade-so-Koalition« zusammengeschrumpft: Die Union hat ihr zweitschlechtestes Ergebnis und die SPD ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren. Die ehemalige Kanzler-Partei wurde mit Platz drei hinter der AfD abgestraft und hat den Rechten gleich noch den Posten als Arbeiterpartei überlassen: Unter ihnen hat die AfD mit 38 Prozent fast doppelt so stark abgeschnitten wie im Gesamtergebnis.
»Man wollte uns halbieren, das Gegenteil ist eingetreten«, verkündete AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel. Es ist nun zu erwarten, dass die schwierigen Sondierungsgespräche zwischen SPD und CDU davon begleitet werden, dass die AfD bei jeder sich bietenden Gelegenheit die CDU daran erinnern wird, dass man gemeinsam eine bequeme Mehrheit jenseits der Sozialdemokratie hätte. Noch am Wahlabend hoffte man bei der AfD auf »österreichische Verhältnisse«, soll heißen: Wenn die schwierigen Koalitionsgespräche mit den Sozialdemokraten platzen oder die geschrumpfte, fragile GroKo implodieren sollte, stehen die Barbaren vor den Toren.
Der Union ist es indessen nicht gelungen, aus dem Scheitern der Ampel Kapital zu schlagen. Noch wenige Tage vor der Wahl betonte der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, dass der Politikwechsel, den Merz im Wahlkampf versprach, nur mit einer dominanten CDU möglich sei. Weit über 30 Prozent müssten es schon sein, »mit einer schwachen CDU wird das nicht gehen«.
Die CDU hat ihre eigene Zielmarke klar verfehlt. Man sollte sich daran erinnern, dass Merz 2022 den CDU-Vorsitz mit dem Versprechen übernahm, die AfD zu halbieren. »Das traue ich mir zu«, so der Kanzler in spe. Mit Merz sollte Schluss sein mit dem GroKo-Merkelismus, er sollte den Konservativen zu alter Stärke verhelfen, einige seiner Anhänger träumten sogar von einer absoluten Mehrheit – CDU pur. Merz’ kopflose Strategie, die AfD zu schwächen, bestand darin, sein Möglichstes zu tun, um ihr die Arbeit abzunehmen. Er propagierte ihre Positionen einfach selbst und zeigte sich gleichzeitig verwundert darüber, warum er denn immer betonen müsse, dass er mit der AfD nicht koalieren wolle. Dass die Union knapp 1 Millionen Wähler an die AfD verloren hat, ist keine Überraschung, sondern die logische Konsequenz dieser Strategie. Dass die Union an diesem Kurs festhält, bedeutet entweder, dass sie die Zeichen nicht lesen kann oder dass ihr schlichtweg nichts Besseres einfällt.
Die FDP, die als Korrektiv in der Ampel agieren wollte, um zu verhindern, dass Deutschland zu weit nach »links« driftet, hat sich inmitten des größeren Rechtsrucks überflüssig gemacht. Das wirtschaftsliberale Freiheitsversprechen ist ins Autoritäre gekippt: Als Elon Musk im Dezember seine Wahlempfehlung für die AfD gab, flehte Lindner ihn um ein Gespräch an und beteuerte, von Musk inspiriert zu sein. Doch das Freiheitsversprechen des Marktradikalismus, das vor allem maximale Freiheit für das Kapital und nicht die Bevölkerung verheißt, braucht die FDP nicht mehr und hat in der AfD eine natürliche Partnerin gefunden.
Die gedemütigte SPD wirkt indessen ausgezehrt. Nach Scholz’ Wahl zum Kanzler 2021 kündigten die SPD-Vorsitzenden Esken und Klingbeil noch eine sozialdemokratische Dekade an. Die SPD sollte die 2020er Jahre prägen und eine Ära Scholz einleiten. Im Wahlkampf wirkte es dann so, als habe sich die SPD bereits geschlagen gegeben: Obwohl die gesellschaftliche Stimmung einen politischen Richtungswechsel einforderte und Merz im Grunde der perfekte Gegner war, hat die SPD die Chance vertan, in die Offensive zu gehen. Im Gegenteil, die SPD betonte durchweg, dass Merz’ Kritik an der Ampel ins Leere laufe, weil die SPD sowieso schon das umsetzt, was er sich wünscht: Asylverschärfungen und die Rückabwicklung des Bürgergelds.
»Wie groß der politische Vertrauensverlust und die Sorge über die anhaltende Wirtschaftskrise tatsächlich ist, scheint man in keiner der Parteien der implodierten Ampel so richtig begriffen zu haben.«
Ähnlich sieht es bei den Grünen aus, die sich auf dem Weg zur Volkspartei wähnten und nun wieder mit 11,6 Prozent in die Opposition gehen müssen. Der unbedingte Wille zu regieren, egal mit wem, führte dazu, dass die Grünen in vorauseilendem Gehorsam mit ihrem 10-Punkte-Plan nach der Pfeife von Friedrich Merz tanzten, anstatt ihm Paroli zu bieten. Es war daher nicht nur der Merz-Effekt, der der Linken auf den letzten Metern im Wahlkampf Rückenwind verlieh, sondern auch die politische Enttäuschung über die Konturlosigkeit von Grünen und SPD und die Desillusionierung über das gescheiterte Fortschrittsprojekt, das beide Parteien anführen wollten.
Die Bevölkerung ist nicht einfach nur unzufrieden mit dem Spitzenpersonal der Ampel gewesen – unter dieser Unzufriedenheit brodelt ein tieferer politischer Vertrauensverlust. Wieweit der reicht und wie groß die Sorge über die anhaltenden Wirtschaftskrise ist, scheint man in keiner der Parteien der implodierten Ampel so richtig begriffen zu haben. Das krachende Ende der Ampel hat gezeigt, dass inkrementelle Kurskorrekturen angesichts der gegenwärtigen Lage zum Scheitern verurteilt sind. Die Ampel hat den Fortschritt, den sie versprach, nicht geliefert und die CDU konnte aus diesem Frust kein Kapital schlagen, weil sie auf Parteien der Ampel angewiesen ist. Aus der Verdrossenheit, die daraus erwächst, zieht die AfD ihren Erfolg. Soziale und ökonomische Abstiegsängste und reale Abstiegserfahrungen sind der Nährboden, auf dem sie erstarken konnte. Gegenwärtig schätzen 83 Prozent der Bevölkerung die wirtschaftliche Lage als schlecht ein, unter Wählerinnen und Wählern der AfD sind es 96 Prozent. 53 Prozent der Bevölkerung fürchten, ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Am stärksten zeigt sich diese Sorge mit 75 Prozent bei den Anhängern der AfD.
Eine Regierung unter Kanzler Merz, die plant, dem wirtschaftlichen Abschwung damit zu begegnen, dass man Steuergeschenke an Konzerne verteilt, den Sozialstaat dezimiert, auf dem Arbeitsmarkt die Daumenschrauben anzieht und sklavisch am deutschen Exportmodell, das sein Ablaufdatum schon lange überschritten hat, festhält, wird das verbreitete Gefühl der Unsicherheit verstärken. Das Ziel der AfD, die CDU im Grunde zu ersetzen und sie bei der nächsten Wahl zu überholen, ist nicht ausgeschlossen. Im Osten ist es ihr schon jetzt gelungen, in Sachsen erreichte die AfD 40 Prozent. Das ist nicht verwunderlich, wenn man sich vor Augen hält, dass sich die aktuelle Krise im Osten drastischer darstellt. »In der VW-Krise etwa hat die AfD den Arbeitern bei VW in Zwickau gesagt: Das war die Planwirtschaft von VW, die in die Krise geführt hat! Wir haben es euch doch gleich gesagt. Das mit der E-Mobilität wird nichts, das ist die Ausgeburt von globalistischen Eliten, die die deutsche Industrie kaputt machen wollen«, so der Wirtschaftssoziologe Klaus Dörre. Die Tatsache, dass VW nun tatsächlich Schwierigkeiten hat, Abnehmer für seine teuren E-Autos zu finden und die ersten Werke, die dichtgemacht werden, im Osten liegen, spielt der Erzählung der AfD in die Hände.
»Es zeigt sich eine politische Neuorientierung im linksliberalen Lager hin zur Linken. Entscheidend wird nun sein, ob die Partei auch Wähler jenseits des Mitte-Links-Spektrums erreichen kann, um die Mehrheitsverhältnisse nach links zu kippen.«
Die Parteien des politischen Zentrums scheinen ratlos darüber, wie sie sich neu aufstellen sollen. Der Stabilisierungskurs der Merkel-Jahre ist endgültig vorbei, aber auch das linksliberale Ampel-Experiment ist krachend gescheitert. Die schnelle Rückkehr der Union ins Zentrum der Macht ist angesichts der erstarkenden AfD vor allem auch deswegen fatal, da sechzehn Jahre Stagnation unter einer CDU-Kanzlerschaft – in der die Wende in der Industrie verschlafen wurde – maßgeblich zur gegenwärtigen Misere beigetragen haben.
Die Linkspartei hat ihren Wahlkampf auf die Preissteigerungen und Inflationseffekte, die die Mehrheit im Alltag spürt, fokussiert und damit ein solides Fundament gelegt. Sie profitierte nicht nur von der Kritik an Merz, sondern auch von der Frustration über die Ampel. Grüne- und SPD-Anhänger, die den Rechtskurs ihrer Parteien ablehnten, wandten sich der Linken zu: 700.000 ehemalige Grünen-Wähler und 540.000 frühere SPD-Wählerinnen stimmten für sie. Das ist zweifellos ein Erfolg. Doch bei aller berechtigten Euphorie zeigt diese Wählerbewegung vor allem eine politische Neuorientierung im linksliberalen Lager hin zur Linken. Entscheidend wird nun sein, ob die Partei auch Wähler jenseits des Mitte-Links-Spektrums erreichen und sich breiter in der Gesellschaft verankern kann, um die Mehrheitsverhältnisse nach links zu kippen. Dass die Linke bei der Bundestagswahl rund 300.000 frühere Nichtwähler mobilisieren konnte, deutet darauf hin, dass dieser Kampf nicht aussichtslos ist.
Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.