16. Februar 2024
Xi Jinping hat im Rahmen der Belt and Road Initiative den Schwerpunkt auf ambitionierte und dringend notwendige grüne Investitionen im Ausland gelegt. Allerdings müssten die chinesischen Vorhaben konsequenter umgesetzt werden, um den globalen Kohleverbrauch tatsächlich zu reduzieren.
Der chinesische Präsident Xi Jinping stößt an bei einem Abendempfang im Rahmen eines Gipfeltreffens zur Belt and Road Initiative in Peking, 26. April 2019.
Wer den Bau neuer Kohlekraftwerke weltweit begrenzen oder stoppen will, muss sich womöglich auf einen weiteren Kampf einstellen: Eines der ehrgeizigsten Anti-Kohle-Versprechen der Welt steht offenbar auf der Kippe.
Im Jahr 2021 hatte Chinas Präsident Xi Jinping angekündigt, die sogenannte Belt and Road Initiative (BRI) – das gigantische chinesische Investitionsprogramm mit einem Volumen von 70 Milliarden Dollar pro Jahr – werde vor allem auf grüne Energie setzen; Investitionen in ausländische Kohleprojekte würden ausgeschlossen.
Die BRI ist das mit Abstand ambitionierteste Investitionsprojekt eines einzelnen Landes. Vom Umfang her übertrifft sie die von US-Präsident Joe Biden ins Leben gerufene Partnership for Global Infrastructure Investment – ein Gegenentwurf zur BRI – mit seinen 200 Milliarden Dollar in den kommenden fünf Jahren deutlich. Während es der US-Version abgesehen von einigen wenigen Prestige-Projekten bisher an Details mangelt, kann die chinesische Führung bereits auf eine mehrjährige Erfolgsbilanz bei grünen Investitionen verweisen.
Doch wie so viele vollmundige Absichtserklärungen zum Klimaschutz könnte sich bald herausstellen, dass auch Xi Jinpings Versprechen zu schön waren, um wahr zu sein. Schon jetzt haben rechtliche Schlupflöcher und Grauzonen dazu geführt, dass an diversen Orten der Welt große Kohleprojekte mit chinesischer Unterstützung vorangetrieben werden konnten. Angesichts der Energiekrise nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine versuchen die Staaten der Welt, ihre Energiesicherheit mit allen Mitteln zu gewährleisten. Dies bedeutet auch, dass weitere Kohleprojekte realisiert werden. So steigt die Aussicht auf immer mehr Emissionen aus diesem schmutzigsten fossilen Brennstoff. Da Peking bisher kaum Vorgaben macht, sind chinesisch finanzierte Kohleprojekte im Ausland zu einem echten Risiko geworden.
Der Blick auf die Zukunft sei daher »besorgniserregend«, meint Nandikesh Sivalingam, Direktor des Center for Research on Energy and Clean Air (CREA).
Für sich entwickelnde Länder, die große Infrastrukturprojekte stemmen wollen, ist die BRI mit ihrem finanziellen Netz aus chinesischen Banken und Institutionen, die in 148 Ländern Kredite vergeben, so ziemlich das einzige gangbare Angebot. In den gut zehn Jahren seit dem Start der Initiative 2013 sind Finanzierungen und Investitionen im Wert von mehr als einer Billion Dollar vor allem in den Globalen Süden geflossen. Das zeigen Daten des Green Finance and Development Center an der Fudan-Universität in Shanghai.
Als Xi der UN-Vollversammlung 2021 versprach, China werde im Rahmen der BRI keine neuen Kohlekraftwerke in Übersee bauen, wurde dies von Klimaschützern bejubelt. Darüber hinaus fügte er hinzu, China werde seine Ausgaben für grüne Energieträger aufstocken; es werde eine große, neue, »grüne« BRI entstehen. Im Jahr 2022 ging China sogar noch einen Schritt weiter und erhöhte die eigenen grünen Investitionen um die Hälfte. Ende vergangenen Jahres kündigte die Führung in Peking weitere 100 Milliarden Dollar an Finanzmitteln sowie eine neue grüne Projekt-Pipeline an, die dabei helfen soll, weitere potenzielle Investitionsmöglichkeiten zu identifizieren.
Hinter der schönen Fassade und den hochtreibenden Schlagworten zeigt sich jedoch ein weniger klares Bild. Ein großer Haken: das chinesische Kohleverbot bezieht sich ausschließlich auf neu auf den Weg gebrachte Projekte. Im vergangenen Oktober legte das CREA Daten vor, die bestätigen, dass von den 103 chinesisch geförderten Kohlekraftwerken in 28 Ländern, die sich zum Zeitpunkt von Xis Klimazusage in unterschiedlichen Planungs- und Genehmigungsstadien befanden, nur 36 komplett gestrichen wurden. In elf Fällen wurden Projekte, die auf Eis gelegt oder abgebrochen worden waren, still und leise wiederbelebt – wobei allerdings mindestens eines dieser Projekte, das Kraftwerk Tuzla 7 in Bosnien und Herzegowina, jetzt anscheinend erneut eingestellt wurde.
»Ein weiteres wesentliches Problem, auf das Aktivisten hinweisen, ist die fehlende Klarheit darüber, ob Chinas Zusagen auch für konzerneigene Anlagen gelten.«
Besonders enttäuschend für Umweltaktivistinnen und -aktivisten ist, dass einige der durch die Schlupflöcher gerutschten Projekte besonders groß sind.
Ein Beispiel ist das Kohlekraftwerk Gwandar in der gleichnamigen Hafenstadt im Südwesten Pakistans. Es soll(te) Teil eines wichtigen Wirtschaftskorridors werden, den Peking seit zehn Jahren zu entwickeln versucht. 2016 wurde das Kraftwerk zunächst genehmigt, dann verschoben und schließlich offiziell aufgegeben, als das pakistanische Energieministerium ankündigte, man werde das Kohle- durch ein ambitioniertes Solarprojekt ersetzen.
Dieser Fokus auf Solarenergie stand im Einklang mit Pakistans folgendem Versprechen aus dem Jahr 2020, keine neuen Kohlekraftwerke mehr zu bauen. Dieses Versprechen wurde allerdings 2023 angesichts der Energiekrise revidiert. Pakistans Regierung kündigte stattdessen an, man werde die heimischen Kohlekraftkapazitäten vervierfachen. Damit war das Gwandar-Kraftwerk wieder auf dem Tisch. Das 300-Megawatt-Projekt ist dabei nur ein Teil des pakistanischen Vorstoßes für mehr Kohleenergie.
Ein weiteres wesentliches Problem, auf das Aktivisten hinweisen, ist die fehlende Klarheit darüber, ob Chinas Zusagen auch für konzerneigene Anlagen gelten, also für Kraftwerke, die an Industrieanlagen angeschlossen sind und ausschließlich zur Stromversorgung dieser Anlagen dienen.
Solche konzerneigenen Anlagen erfreuen sich aktuell besonders in Indonesien zunehmender Beliebtheit. Dort werden sie oft mit chinesischer Unterstützung errichtet. Einem Bericht von CREA und Global Energy Monitor zufolge hat der Ausbau der Kohlekapazitäten dabei die erneuerbaren Energien überholt. Infolgedessen strauchelt Indonesien bei seinem Vorhaben, die eigenen Emissionen zu reduzieren. Unter den elf vom CREA ermittelten einst ruhenden Projekten mit chinesischer Unterstützung, die inzwischen wieder aufgenommen wurden, sind fünf Eigenbedarfskraftwerke in Indonesien.
Im CREA-Bericht von Oktober wird des Weiteren festgestellt, dass scheinbar zwei völlig neue Projekte (die vor Xis Ankündigung vor der UN noch nicht bekannt waren) entstanden sind. Beide konzerneigene Projekte befinden sich erneut in Indonesien und würden während ihrer Lebensdauer zusammen über 200 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen.
CREA-Direktor Sivalingam kritisiert die mangelnde Klarheit seitens der chinesischen Regierung darüber, welche Anlagen im Rahmen ihrer Klimazusage 2021 gestrichen wurden und welche weiterlaufen. »Gerade die Unklarheit in Bezug auf konzerneigene Anlagen ist ein sehr schwieriges Thema«, warnt er. Es gebe noch »viel Luft nach oben, um die Transparenz beim Einsatz solcher Anlagen zu erhöhen und sie auf lange Sicht umweltfreundlicher zu machen«.
Chinas halbherzige Umsetzung der eigenen grünen Zusagen ist ein schwerer Schlag für die globalen Bemühungen, weniger Kohle zu verfeuern. Das Problem verstärkt sich noch aufgrund des Krieges in der Ukraine, der die Energie-Unsicherheit verschärft und diverse Länder dazu veranlasst hat, die heimische Energieproduktion zu erhöhen.
Daten aus dem Kohle-Tracker des Global Energy Monitor zeigen, dass die Kohlekraftwerkskapazitäten im Jahr 2022 um 47 Gigawatt zugenommen haben (nachdem sie zuvor seit 2019 kontinuierlich gesunken waren). In der ersten Jahreshälfte 2023 hatten die Staaten der Erde bereits 26 Gigawatt an Kohlekraft zugebaut. Zwei Drittel der derzeit weltweit im Bau befindlichen Kohlekraftwerke entstehen in China; Indien und Indonesien folgen dahinter.
»Die Energiewende ist in jedem Fall unumgänglich. Die Frage ist nur: Wie schnell kann sie vollzogen werden?«
Doch trotz all dieser Rückschläge zeigt sich CREA-Chef Sivalingam zumindest vorsichtig optimistisch, was die Zukunft der BRI angeht. Insgesamt gebe es nach wie vor Grund zur Freude: Zum einen habe Xi Jinpings Fokus auf grüne Investitionen im Ausland zu greifbaren Ergebnissen geführt. In einer Analyse kommt das Green Finance and Development Center zu dem Schluss, dass die erste Hälfte des Jahres 2023 der »grünste Sechsmonatszeitraum« in der Geschichte der BRI war. In diesen Monaten flossen 41 Prozent der chinesischen Investitionen und Finanzierungsmittel in Solar- und Windprojekte sowie weitere 14 Prozent in die Wasserkraft. Insgesamt wurden dafür rund 4,8 Milliarden Dollar investiert. Gleichzeitig sind die Investitionen in den Öl- und Gassektor im Zuge der BRI auf einen historischen Tiefstand gesunken.
Das wird mit Blick auf internationale Unterstützung und Entwicklungszusammenarbeit auch immer wichtiger: Die Verwalter des sogenannten Grünen Klimafonds der Vereinten Nationen haben ihrerseits gewarnt, dass sie ihre Tätigkeit möglicherweise einschränken müssen, nachdem die USA wiederholt Gelder nicht zur Verfügung gestellt haben. Ex-Präsident Donald Trump hat darüber hinaus angekündigt, selbst die mageren drei Milliarden Dollar, die die Regierung Biden für den Fonds zugesagt hatte, zu streichen, sollte er ins Weiße Haus zurückkehren.
Im Gegensatz dazu hilft es, dass China beschlossen hat, gewisse Projekte zu stoppen beziehungsweise nicht zu starten. Aus den Zahlen des CREA geht hervor, dass die Welt durch die gestrichenen Kohleprojekte insgesamt 4,1 Milliarden Tonnen an Kohleemissionen einsparen konnte. Wenn China alle derzeit geplanten Kohleprojekte streichen würde, ließen sich jedes Jahr weitere 227 Millionen Tonnen Kohlendioxid vermeiden. Umweltaktivisten halten dies für einen wichtigen, wenn auch nicht ausreichenden Schritt.
»Es geht jetzt um Ehrgeiz und Ambitionen: wie viel wollen die Länder investieren, wie weit wollen sie gehen, um die Transformation zu beschleunigen?«, meint auch Sivalingam. Die Energiewende sei in jedem Fall »unumgänglich. Die Frage ist nur: Wie schnell kann sie vollzogen werden?«
Justin Villamil ist freiberuflicher Journalist in London und schreibt über die Folgen der Finanzialisierung. Zuvor arbeitete er als Korrespondent für »Bloomberg News« in Mexiko-Stadt.