15. September 2024
Der Chef der Deutschen Bank zeigt sich entsetzt über den Rechtsruck – und empfiehlt, mehr zu arbeiten. Was das miteinander zu tun hat? Nichts. Aber das muss einen bürgerlichen Sachverstand auch nicht kümmern.
Gibt sich sehr besorgt über den Rechtsruck: Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing.
Die mit Furcht erwarteten Ost-Wahlen in Thüringen und Sachsen sind eine knappe Woche her, die Wahlergebnisse so schlimm wie befürchtet – und die Reaktionen deutscher Bürgerlicher lesen sich beinahe so, als wären sie von linken Satirikern geschrieben worden.
So etwa die Wortmeldung des Deutsche-Bank-Chefs Christian Sewing, der beim Banken-Gipfel des Handelsblatts kurz erklärte, dass ihn das Wahlergebnis sehr schockieren würde – um dann zu fordern: »Wir brauchen diesen großen Wurf. Wir brauchen unbedingt, dass die Parteien der Mitte sich zusammenwürfeln und dass wir hier einen Reformkurs anstoßen; dass die Menschen hier im Land auch merken: Meine Sorgen werden berücksichtigt.«
Das klingt erst einmal wunderbar: Die Sorgen der Menschen sollen berücksichtigt werden! Nur, was hat das zu bedeuten, wenn es der Chef der Deutschen Bank fordert? Höhere Löhne? Mehr Freizeit? Natürlich nicht, im Gegenteil. Denn einem Chef der Deutschen Bank ist es in Wahrheit egal, wie die Frage lautet. Es ist ganz gleich, ob man ihn fragt, was sein Lieblingsessen ist, wer deutscher Meister wird, oder wie er die Wahlergebnisse in Ostdeutschland interpretiert. Die Antwort lautet immer nur, wie bei einer kaputten Schallplatte: Der Wirtschaftsstandort ist in Gefahr, es muss mehr gearbeitet werden!
Das ist kein Scherz: Von den ostdeutschen Wahlen kam Sewing innerhalb einer Minute zur Forderung nach Reformen, und erläuterte dann, dass mehr geackert werden müsse. So erklärte er: »Lassen Sie uns doch einfach wieder so viel arbeiten, wie es im EU-Durchschnitt gemacht wird. Der EU-Durchschnitt hat nach Abzug von Teilzeit und Krankheit 33 oder 34 Stunden; wir liegen glaube ich irgendwo bei 27 oder 28 Stunden.«
»Marie Antoinette hätte wohl gesagt: Wenn sie keinen Arbeitsplatz haben, sollen sie doch einfach mehr schuften!«
Nun ja. Erstens war diese Aussage sachlich falsch: Im vergangenen Jahr lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland laut Statistischem Bundesamt bei 34,4 Stunden; die europaweite bei 36,9. Wenn man mal von dieser faktischen Unwahrheit absieht, ist es aber zweitens bemerkenswert, welcher Schluss hier gezogen wird: Die Menschen haben laut Sewing den Eindruck, dass ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden - und sollen deshalb mehr arbeiten? Die Bürger sind abgestoßen von der Politik – und sollen zurückgewonnen werden, indem man ihnen mehr zumutet? Das ist schon eine große Frechheit: Hier wird das Partikularinteresse der Arbeitgeber nach längeren Arbeitszeiten und späterem Renteneintrittsalter zum größten Wunsch aller Werktätigen verklärt.
Diesen politökonomischen Sachverstand mag durchdringen, wer will. Besonders absurd ist aber, wie Sewing die angeblich zu geringe Arbeitszeit als individuelles Versagen darstellt. So als würden nicht Millionen von Frauen vor allem deshalb in Teilzeit stecken, weil an ihnen die Betreuung von Kindern und Angehörigen hängen bleibt – so dass sie nicht einmal dann mehr Erwerbsarbeit leisten könnten, wenn sie wollten. Und dass es in Zeiten einer Rezession nicht immer ganz trivial ist, eine gute Beschäftigung zu finden, das könnte man selbst bei der Deutschen Bank schon einmal vernommen haben. Die Auftragsbücher deutscher Unternehmen werden immer dünner, viele Unternehmen gehen in Kurzarbeit – und bei der Deutschen Bank ruft man der Bevölkerung zu, sie solle einfach mehr arbeiten gehen, um dem Rechtsruck Einhalt zu gebieten. Marie Antoinette hätte wohl gesagt: Wenn sie keinen Arbeitsplatz haben, sollen sie doch einfach mehr schuften!
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.