17. Mai 2022
Nach desaströsen Wahlergebnissen und inneren Konflikten blicken viele mit Häme oder Verzweiflung auf DIE LINKE. Doch es wäre geschichtsvergessener Unsinn, die Partei jetzt einfach aufzugeben.
Wer führt die Partei in die Zukunft? Darüber wird schon in wenigen Wochen entschieden.
Wer in diesen Tagen mit Menschen über die Linkspartei spricht, stößt wahlweise auf resigniertes Achselzucken oder spöttischen Galgenhumor. Der Grundtenor: »Die sind am Ende«. Diese Stimmung fußt zum einen auf Wahlergebnissen – der Ausgang der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen belegte diese Enttäuschung noch einmal in Prozenten. Zum anderen ist sie auch das Ergebnis einer Dynamik, die sich zwischen inneren Konflikten und einem Außen, das der Linken nicht gerade wohlgesonnen ist, entspinnt. Zusammengenommen mündet das in eine selbsterfüllende Prophezeihung: DIE LINKE ist am Boden, weil sie am Boden ist. Und Verantwortung übernimmt kaum jemand.
Einige interne Konflikte schwelen seit Jahren, etwa um die Frage nach dem Wählermilieu oder der Migrationspolitik. Andere, etwa um sexuelle Übergriffe innerhalb der Partei, haben die innere Zerstrittenheit kürzlich noch verstärkt. Die Trägheit des Parteiapparats, sterbende Verbände im Osten, mangelnde Verankerung im Westen und eine Dauer-Blockade zwischen Partei und Fraktion erschweren den so notwendigen Erneuerungsprozess. Kurz: Die Lage ist nicht schönzureden und es wird Jahre dauern, die Partei programmatisch und strukturell zu reformieren.
In diese Gemengelage hat sich der Angriffskrieg auf die Ukraine geschoben. Auch prominente Figuren treten aufgrund der vielstimmigen Positionierung der LINKEN aktuell aus der Partei aus: Evrim Sommer etwa hält die Friedenspolitik für »sowjetnostalgisch«, während Simone Barrientos der Partei »Putin-Versteherei« attestiert. Andere wiederum, wie etwa Oskar Lafontaine, sorgen sich im Gegensatz dazu um den außenpolitischen Kompass. Was alle drei gemein haben: Sie hatten früher ein Mandat. Fraglich ist, warum sie ihre Position in Partei und Fraktion nie nutzten, um genau diese Debatte angemessen zu führen. Mit ihrem Austritt bescheinigen sie der Partei, nicht reformierbar zu sein. Was soll Basismitglieder mit weitaus weniger Einfluss dann noch in der Partei halten, wenn diejenigen, die in Verantwortung standen, sie nun aufgeben?
Die Dynamik nach unten wird aber auch durch jene miterzeugt, die aus der gesellschaftlichen Linken heraus mit Häme auf die Partei schauen und glauben, diese Konflikte hätten mit ihnen nichts zu tun. In Teilen der radikalen Linken scheint man sich sogar auf den Untergang zu freuen, in der Annahme, das würde einen Neuanfang erst möglich machen. Wenn aber alle Probleme tatsächlich bloß »hausgemacht« sind (und hausgemachte Probleme gibt es sicher zuhauf), warum zeigen dann die großen Bewegungen unserer Zeit, etwa die Klimabewegung, nicht den gewünschten Erfolg? Die Ampelregierung ist nicht gerade auf einem 1,5-Grad-Pfad, genau genommen verfehlten auch die Grünen dieses Ziel bereits in ihrem Parteiprogramm – im Vergleich zur Linkspartei. Wenn die Bewegung allein ausreichen würde, warum scheitert der gewonnene Volksentscheid in Berlin gerade an einem rot-grün-roten Senat, der versucht, das Vorhaben auf die lange Bank zu schieben? Auch die erfolgreichsten Bewegungen brauchen eine starke linke Partei, die ihre Forderungen auch umsetzen kann. Es fehlt allenthalben das Bewusstsein dafür, dass eine halbwegs vernünftige Klima-, Wohn- und Sozialpolitik ohne eine funktionierende sozialistische Partei nicht zu machen sein wird.
Manch ein Kommentar erblickte in der Niederlage der LINKEN nach der Bundestagswahl die Chance, die Partei zur Stimme der Klimabewegung zu machen. Das ist gelinde gesagt voluntaristischer Unsinn, denn der Erfolg sozialer Bewegungen hat der LINKEN in der Vergangenheit eben nicht automatisch mehr Aufwind verschafft. Das liegt nicht allein daran, dass die Partei unattraktiv wäre: Doch das Milieu der Klimabewegung sammelt sich – anders als die früheren Hartz-IV-Proteste – nicht bei der Linkspartei, sondern bei den Grünen, auf Klimalisten oder in der außerparlamentarischen Politik.
Es ist aber auch nicht damit zu rechnen, dass die Massen in die Linkspartei strömen werden, sobald Sahra Wagenknecht sich verabschiedet. Von einer neuen Wagenknecht-Partei sollte man sich Selbiges jedoch auch nicht erhoffen. Wagenknecht ist weder Teufel noch Heiland der Partei, ihre Rolle wird in letzter Zeit maßlos überhöht. Wer darauf hofft, dass die jetzige LINKE untergeht, damit andere ihren Platz einnehmen, der missversteht, wie die LINKE aus PDS und WASG und in Abgrenzung zur Agenda-Politik entstand. Eine solche Situation lässt sich nicht so einfach wieder herstellen.
Hinzu kommt, dass die Partei gerade auch in den letzten Jahren versuchte, sich an soziale Bewegungen zu heften – mit mäßigem Erfolg. Das liegt zum einen daran, dass diese autonom von einer Partei bleiben wollen. Zum anderen streben Aktivistinnen und Aktivisten oft ein Maximalziel an, das mit den Kompromissen, die eine Partei grundsätzlich in ihrem Programm abbilden muss, kaum zu vereinbaren ist. Wer glaubt, die Partei sollte ihre gesamte Strategie auf Bewegungen fokussieren, der vergisst jene Menschen, die einst ihre soziale Basis gebildet haben. Gerade unter Arbeiterinnen und Arbeitern, aber auch unter Arbeitslosen und Gewerkschaftsmitgliedern schneidet die Partei in den Wahlen immer schlechter ab, viele werden zu Nichtwählern.
Absterbende Landes- und Ortsverbände lassen sich nicht so einfach wieder aufbauen, überhaupt lässt sich eine soziale Basis mittelfristig nur durch kommunale Anbindung halten. Die Wählerinnen und Wähler, die jetzt verloren wurden, lassen sich nicht kurzerhand durch eine neue junge Wählerschaft ersetzen. Zwar gibt es einen Trend zu jüngeren Neueintritten, den allgemeinen Niedergang der Partei kann das jedoch auch nicht ausbremsen. Wer die noch vorhandenen Strukturen leichtfertig aufs Spiel setzt und sich etwas ganz Neues wünscht, sollte sich ansehen, wie Parteien wie DiEM25 trotz linkem Programm und charismatischen Figuren keine Wahlerfolge verzeichnen können. Eine linke Partei ist mehr als eine Kopfgeburt. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn sich noch fünf andere linke Parteien mit einem radikaleren Programm gründen.
Natürlich können solche Versuche auch von Erfolg gekrönt sein. Die jüngere Geschichte zeigt aber, dass erfolgreiche Parteineugründungen von einer wirklich massiven populären Bewegung getragen werden müssen, wie im Falle von Podemos und der 15M-Bewegung – und selbst wenn das gelungen ist, dann halten sich auch diese Parteien nicht notwendig länger als über eine Regierungsphase hinaus. Es gibt gerade keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine neue Linkspartei aus einer populären Massenbewegung heraus entstehen könnte. Natürlich kann sich jederzeit sozialer Protest durch gestiegene Energie- oder Mietpreise entzünden. Doch es ist allemal besser, diesen Protest in eine bestehende LINKE zu kanalisieren als den jahrelangen Aufbau einer neuen Partei (die nicht frei von Widersprüchen sein wird) in Kauf zu nehmen.
Die Abwärtsdynamik wird außerdem von außen befeuert. Alle anderen Parteien und auch Teile der bürgerlichen Medien haben durchaus ein großes Interesse am Untergang der einzigen linken Partei. Die AfD könnte sich ohne die LINKE im Parlament noch stärker als bisher als einzige Alternative inszenieren und die zentristischen Parteien der Ampelregierung müssten sich nicht mehr vor einer sozialen Opposition fürchten. DIE LINKE wurde immer wieder als anti-demokratisch und extremistisch dargestellt. Diese Attacken ließen zwar mit dem Erstarken der AfD nach, aber die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus wird besonders von Konservativen weiterhin gerne als Argument gegen DIE LINKE ins Feld geführt.
Nichts deutet darauf hin, dass die bürgerliche Öffentlichkeit mit ein paar wenigen Ausnahmen der Linkspartei hinterhertrauern wird, sollte sie von der parlamentarischen Bühne verschwinden. Gerade deshalb wäre es so wichtig, beim Prozess der Erneuerung nicht darauf zu hören, was in diesen Blättern über die Partei geschrieben wird. Die Feindseligkeit des bürgerlichen Lagers überträgt sich sonst ins Innere und zerstört jede Grundlage für einen solidarischen Umgang miteinander.
Vor dem Hintergrund dieser Sogwirkungen nach unten, sollten alle jene, die mit Schadenfreude oder Ratlosigkeit auf DIE LINKE schauen noch einmal bedenken, was es zu verlieren gibt. Sollte sich die Linkspartei nach dem Parteitag und darüber hinaus nicht reformieren können, steht uns vermutlich nicht weniger als ein Jahrzehnt ohne LINKE im Parlament bevor. In Italien hat sich gezeigt, wie schwer es ist, eine linke Partei zu konsolidieren, wenn sie erst einmal aus dem Parlament geflogen ist. Und im Vergleich zur FDP, die sich auch schon einmal aus dem Bundestag verabschiedete, hat DIE LINKE kaum Großverdiener und Spender, die die Partei über Wasser halten könnten. Wir haben schlicht nicht die Zeit, um Jahre der linken Zersplitterung zuzulassen. Und wir tragen eine gemeinsame Verantwortung dafür, auch über die Partei hinaus.
Zur Erneuerung gehört der Fokus auf Kernthemen wie soziale Gerechtigkeit und Antimilitarismus. Die Partei braucht eine Vision eines demokratischen Sozialismus für das 21. Jahrhundert. Sie muss verlorene Wählerschichten zurückgewinnen und insbesondere die Nichtwähler, die sich nicht mehr repräsentiert fühlen, mobilisieren. Eine konzentrierte, professionelle Kampagnenarbeit in den Bereichen Arbeit, Wohnen und Verkehr muss das phrasenhafte Wortungetüm der »sozial-ökologischen Transformation« in praktische Vorschläge umsetzen, die im Leben der Menschen spürbar sind. Eine nach Innen gekehrte und von Vorsicht und Parteiströmungen getriebenen Ansprache muss einer nach außen gerichteten Kommunikation weichen. Zuletzt wird es bei dem Parteitag auch um die Führungsfrage gehen, die weiterhin im Korsett der Ost-West- und Strömungs- und Geschlechterquoten gefangen ist. Wenn es schon nicht zu einer Urwahl kommt, so sollten doch mindestens verschiedene Teams ihre Vorstellungen eines programmatisch-personellen Neuanfangs zur Wahl stellen.
Der Verdruss in und mit der Partei liegt nicht zuletzt auch daran, dass immer wieder versucht wird, die Konfliktlinien unter der ewigen Maßgabe der Geschlossenheit zu verdecken. Besser ist es, den Konflikt offen und moderiert auszutragen, wichtige Entscheidungen gemeinsam zu treffen und sich selbst und andere wieder von der eigenen Bedeutung zu überzeugen.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.