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19. Mai 2025

Warum Panzer jetzt als »nachhaltig« gelten

Rüstung ist klimaschädlich – das ist bekannt. Trotzdem finden sich Rüstungsaktien neuerdings in angeblich nachhaltigen ESG-Fonds. Der Grund: erfolgreiche Lobbyarbeit in Brüssel. Die Profiteure sind Großaktionäre wie Blackrock.

Militärübung der Bundeswehr, 16. März 2025.

Militärübung der Bundeswehr, 16. März 2025.

IMAGO / Steinsiek.ch

Es ist rund drei Jahre her, dass Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz die Zeitenwende in Deutschland ausrief. Am 27. Februar 2022, drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, stellte sich der SPD-Kanzler ans Rednerpult des Bundestags und hielt seine mittlerweile legendäre Rede. Darin forderte er unter anderem, »deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes [zu] investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen«. In der Debatte um Aufrüstung weht mittlerweile ein völlig anderer Wind als noch vor wenigen Jahren. Das zeigte sich auch in der Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz. Die deutsche Bundeswehr soll die stärkste Armee Europas werden, forderte der CDU-Politiker. Die Bundesregierung werde »alle finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die es dafür braucht«.

Am Tag später war klar: Die neue Bundesregierung meint es ernst mit der Aufrüstung. Merz‘ Parteikollege und Außenminister Johann Wadephul stellte sich am Donnerstag hinter die Forderung des US-Präsidenten Donald Trump, jährlich 5 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Verteidigung auszugeben. Die Aktionäre von Rüstungsunternehmen haben allen Grund zur Freude. Der Aktienkurs von Rheinmetall etwa stieg allein am Donnerstagvormittag um mehr als 6 Prozent. Seit Jahresbeginn hat sich der Kurs fast verdreifacht. Und seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist die Aktie sogar um das 17-fache gestiegen. Zur Veranschaulichung: Aus 5.000 Euro wären also 85.000 Euro geworden. Hätte man das Geld in einen klassischen ETF angelegt, etwa in den FTSE All World Index, wären es mittlerweile 6.200 Euro. Rüstung, so lautet die aktuelle Meinung an den Börsen, lohnt sich.

»Mehr als 1 Billion Euro wird von nachhaltigen Fonds verwaltet. Befindet sich ein Unternehmen wie etwa Rheinmetall zukünftig in immer mehr nachhaltigen Fonds, erhöht das die Nachfrage nach der Aktie.«

Wer sich an den Finanzmärkten bewegt, hört seit einigen Monaten aber noch eine weitere Behauptung. In Rüstungsunternehmen zu investieren lohne sich nicht nur, sondern sei sogar nachhaltig. Schließlich könne Europa nur auf diese Weise die Demokratie verteidigen, was Nachhaltigkeit überhaupt erst ermöglicht – so das Argument.

Erste Teile der Finanzbranche zeigen sich bereits überzeugt, ihre Haltung gegenüber Rüstungsinvestitionen zu überdenken. So hat sich etwa der Vermögensverwalter Allianz Global Investors im April dazu entschieden, Rüstungsunternehmen in Fonds aufzunehmen, die unter dem Label »Environmental, Social und Governance« (ESG) verkauft werden. Auch der Fondsverband BVI hat seine Nachhaltigkeitsregeln verändert. Ab 2021 durften sich in nachhaltigen Fonds keine Unternehmen befinden, die mehr als 10 Prozent des Umsatzes mit Rüstungsgütern einnehmen. Seit April gibt es diesen Ausschluss nicht mehr. Das Unternehmen Euronext, das unter anderem die Börsen in Paris, Amsterdam oder Mailand betreibt, geht noch einen Schritt weiter. Statt »Environmental, Social und Governance« steht das Kürzel ESG bei Euronext nun für »Energie, Sicherheit und Geostrategie«.

Die Profiteure der Zeitenwende

Über diese Entscheidungen dürften sich zuallererst einmal die Rüstungskonzerne selbst freuen. Gelten sie nicht als nachhaltig, haben sie schließlich auch einen schlechteren Zugang zu neuem Kapital. Mehr als 1 Billion Euro und damit fast ein Viertel des gesamten Fondsvermögens wird von nachhaltigen Fonds verwaltet. Befindet sich ein Unternehmen wie etwa Rheinmetall zukünftig in immer mehr nachhaltigen Fonds, erhöht das die Nachfrage nach der Aktie und damit auch den Preis. Davon profitiert das Unternehmen, indem es etwa deutlich günstiger an Fremdkapital kommt.

Gleichzeitig jubeln auch die bisherigen Aktionäre. Das sind aber in großen Teilen nicht Kleinanleger, die für die Rente sparen – sondern institutionelle Anleger, also beispielsweise Fondsgesellschaften. Mit über 5 Prozent der Rheinmetall-Anteile ist Blackrock aktuell der größte Aktionär – jenes Unternehmen, dessen Aufsichtsrat von 2016 bis 2020 von CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz geleitet wurde. Kann Blackrock nun auch das Kapital aus nachhaltigen Fonds auch in Rheinmetall-Aktien anlegen, erhöht das den Kurs der bisher gehaltenen Anteile. So steigt die Rendite der Fonds, wodurch die Vermögensverwalter einerseits neue Kunden gewinnen und zweitens satte Gewinne einfahren können.

»Mit über 5 Prozent der Rheinmetall-Anteile ist Blackrock aktuell der größte Aktionär – jenes Unternehmen, dessen Aufsichtsrat von 2016 bis 2020 von CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz geleitet wurde.«

Besonders spannend ist jedoch die Position der Europäischen Union. Seit Januar 2022 gilt in der EU die sogenannte Taxonomie. Das System legt verbindlich fest, welche Wirtschaftsaktivitäten als nachhaltig gelten, und welche nicht. Damals entschied sich die EU dafür, dass Rüstung nicht nachhaltig ist. Für Rheinmetall-Chef Armin Papperger war das »absurd«, wie er im Gespräch mit der Wirtschaftswoche sagte. Doch ganz zu Pappergers Freude scheint die EU mittlerweile eine andere Auffassung von Nachhaltigkeit zu haben. So heißt es in einem Papier der EU-Kommission aus dem März 2024, dass die europäische Rüstungsindustrie »einen entscheidenden Beitrag zur Widerstandsfähigkeit, Sicherheit und zur sozialen Nachhaltigkeit leistet.«

Nun könnte man meinen, dass die EU seit dem russischen Angriffskrieg einfach ihre Meinung geändert habe. Doch Recherchen von taz und Lobbycontrol zeigen enge Verbindungen der Rüstungsindustrie nach Brüssel. Laut taz habe in der vergangenen EU-Legislaturperiode »nahezu keine andere Branche so stark lobbyiert wie Rüstungsunternehmen.« Außerdem könne man belegen, »dass sich Forderungen der Rüstungslobby nahezu wortgleich in wichtigen Strategiepapieren der EU zu nachhaltiger Finanzwirtschaft finden.«

Die EU verliert ihre Glaubwürdigkeit

Es ist nicht das erste Mal, dass die EU auf Drängen der Industrie von Nachhaltigkeitsstandards abweicht. Bereits 2022 stufte die Union Atomkraft sowie Gas als nachhaltig ein, gegen den Protest zahlreicher Umweltverbände. Dabei ist das Regelwerk der EU für nachhaltige Geldanlage mittlerweile ohnehin locker. Fonds mit dem ESG-Label oder dem Begriff »nachhaltig« dürfen 20 Prozent ihrer Gelder beliebig investieren. Ausgenommen sind lediglich vom Völkerrecht geächtete Waffen, wie etwa Streubomben oder Landminen.

Trotz allem Zeitenwende-Pathos stellt sich die Frage: Wieso müssen Investitionen in Rüstungsunternehmen unbedingt nachhaltig sein? Schließlich sind sie bisher keineswegs verboten. Wer möchte, kann unkompliziert in europäische Rüstungsunternehmen investieren – und damit auch noch viel Geld verdienen. Doch dann sollte auch klar sein, dass die Branche keineswegs nur die Demokratie verteidigt. Ein Blick in den Rüstungsexportbericht der Bundesregierung von 2022 zeigt: Auch Länder wie Saudi-Arabien, Katar oder Indonesien stehen auf der Empfängerliste deutscher Waffenhersteller. Unter einer aufgeweichten ESG-Definition leiden schlussendlich vor allem Kleinanlegerinnen und Kleinanleger, die bei der Geldanlage zumindest nicht solche Unternehmen unterstützen wollen, deren Hauptgeschäft die Zerstörung von Mensch und Umwelt ist. Wer in Produkte investiert, die als nachhaltig gelabelt sind, konnte bisher wenigstens auf ein Mindestmaß vertrauen. Doch genau das macht eben eine Zeitenwende aus: Danach ist nichts mehr, wie es vorher war.

Moritz Kudermann hat Wirtschaft, Geschichte und Politik studiert. Er arbeitet für eine unabhängige Redaktion und schreibt regelmäßig Texte über Wirtschafts- und Finanzthemen.