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16. August 2025

Der Gehaltsdeckel ist eine Frage der Demokratie

Wenn Linke-Politiker ihre Gehälter begrenzen, hat das nichts mit Idealismus oder Populismus zu tun. Es geht darum, die Politik an die materiellen Interessen der arbeitenden Mehrheit zu binden. Höchste Zeit, dass der Gehaltsdeckel zum Standard wird.

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IMAGO / Chris Emil Janßen

Als Ines Schwerdtner und Jan van Aken den Vorsitz der Linkspartei übernahmen, machten sie mit der Ankündigung Schlagzeilen, von ihren Gehältern nur einen Durchschnittslohn zu behalten – rund 2.850 Euro netto im Monat. Dieser Schritt signalisierte, dass die neue Führung eine andere politische Kultur etablieren wollte, in der sich die gewählten Vertreter nicht von der Basis abheben und entfremden würden.

Seither stocken jedoch die Versuche, diese Praxis für die gesamte Partei zu verallgemeinern. Auf dem ersten Bundesparteitag nach dem Führungswechsel, wo eine solche Regelung hätte getroffen werden können, wurde lediglich die vage Selbstaufforderung beschlossen, ein Konzept für die Gehaltsbegrenzung zu entwickeln. Auch auf Landesparteitagen stehen solchen Initiativen Widerstände von Vertretern gegenüber, die sich entweder an ihre hohen Gehälter gewöhnt haben oder auch einfach den Sinn und Zweck eines Gehaltsdeckels nicht einsehen.

Damit droht die Gehaltsbegrenzung in der Linkspartei zu einem Mittel zu werden, das lediglich einzelne Kandidaten in Wahlkämpfen gebrauchen. In der Tat hat sich am Infostand gezeigt, dass sie bei vielen Menschen, die Politiker oft zurecht des prinzipienlosen Karrierismus verdächtigen, gleichermaßen Verwunderung wie Zustimmung hervorruft. In Wahrheit aber ist die Gehaltsbegrenzung kein populistisches Manöver, sondern ein Baustein für eine wirklich demokratische politische Kultur.

Mehr als nichts, aber nicht zu viel

Die Frage der Diäten ist seit jeher ein Politikum und bildete aus Sicht der Arbeiterbewegung sogar eine Schlüsselfrage der Demokratie. Sie beschäftigte schon die britischen Chartisten, die ab den 1830er Jahren dafür stritten, das auf die besitzenden Klassen beschränkte Wahlrecht auf die Arbeiterschaft auszuweiten. Dabei forderten sie unter anderem, dass gewählte Repräsentanten überhaupt bezahlt werden sollten. Schließlich sollten auch vermögenslose Arbeiter es sich leisten können, in die Politik zu gehen, und nicht mehr nur reiche Landbesitzer und Kapitalisten, die von den passiven Erträgen ihres Vermögens leben konnten.

»Die Pariser Kommune begrenzte die Gehälter der politischen Repräsentanten und Beamten auf einen guten Arbeiterlohn.«

Daher war es ein historischer Erfolg für die Arbeiterbewegung und die Demokratie, als politische Ämter besoldet zu werden begannen. Andererseits war es wiederum der Demokratie abträglich, wenn gewählte Vertreter so üppig verdienten, dass sie spätestens als Amtsträger in die Oberschicht aufstiegen. Denn auch das sorgte im Endeffekt wieder dafür, dass ein politisches Personal über die Geschicke des Volkes bestimmte, das den materiellen Sorgen und Interessen der Mehrheit enthoben war.

Aus diesem Grund begrenzte die Pariser Kommune, die kurzlebige radikaldemokratische Regierung der französischen Hauptstadt von 1871, die Gehälter der politischen Repräsentanten und Beamten auf einen guten Arbeiterlohn. Der sozialistische Vordenker Friedrich Engels bewertete dies als eine taugliche Schutzvorkehrung gegen die »in allen bisherigen Staaten unumgängliche Verwandlung des Staats und der Staatsorgane aus Dienern der Gesellschaft in Herren der Gesellschaft«.

Die Arbeiterpartei und ihre Anführer

»Die Kommune hat ein Beispiel von Sparsamkeit gegeben, das allen Regierungen als Muster dienen könnte«, erklärte auch August Bebel, der Mitgründer und Vorsitzende der deutschen Sozialdemokratie. Während die Mitglieder der Deutschen Reichsregierung großzügig entschädigt wurden, erhielt Bebel als einfacher Reichstagsabgeordneter keine Diäten. Reichskanzler Otto von Bismarck verhinderte nämlich die Abgeordnetenentschädigung aus Angst vor einer Proletarisierung des Parlaments.

Das stellte für die Sozialdemokratie jedoch kein allzu großes Problem dar. Zwar stand die Forderung nach einer staatlichen Besoldung von Volksvertretern seit frühesten Tagen in ihren Parteiprogrammen. Jedoch hatte sich die Arbeiterpartei in der Zwischenzeit damit beholfen, ihre Abgeordneten stattdessen mit betont bescheidenen Gehältern aus der Parteikasse zu finanzieren. Als die Reichstagsdiäten dann 1906 eingeführt wurden, hatte die Sozialdemokratie dazu gemischte Gefühle. Einerseits war damit ein Erfolg errungen, andererseits sorgte man sich jedoch um eine verstärkte Verbürgerlichung der Arbeitervertreter.

Die Vorsicht, mit der die Partei darüber wachte, dass ihre Vertreter nicht zu viel Geld verdienten, beurteilte der Parteiensoziologe Robert Michels als eine vergebliche Hoffnung, »künstlich Idealismus züchten und wachhalten zu können«, und als »ein sehr prekäres Sicherheitsventil gegen eventuelle Pflichtverletzungen«. Er argumentierte jedoch nicht, die Entfremdung der Führung von der Basis sei keine reale Gefahr. Im Gegenteil betrachtete er eine solche »Oligarchisierung« der Arbeiterpartei als geradezu unabwendbar. Aus Desillusionierung über die Möglichkeit echter Demokratie wandelte sich Michels vom Sozialdemokraten zum Faschisten – ein Weg, den man nicht mitgehen möchte.

Reich und trotzdem links

Michels wandte außerdem ein, »der schlecht entlohnte Führer« würde »der Versuchung des Verrats und der Käuflichkeit leichter unterliegen als der gut entlohnte«. Das Argument könnte überzeugen, lebten wir nicht in einer Gesellschaft, in der das Konzept »genug Geld« schlichtweg nicht existiert. Das sieht man vielleicht am deutlichsten in den USA, wo die meisten Abgeordneten und Senatoren Millionäre sind, sich aber trotzdem fast ausnahmslos ihre politischen Karrieren von noch reicheren Geschäftsleuten finanzieren lassen und nebenbei ihr Insiderwissen über kommende Gesetze an den Aktienmärkten vergolden.

»Eine Arbeiterpartei für das 21. Jahrhundert muss den Umstand, dass gewählte Vertreter systematisch in die Oberschicht befördert werden, als einer demokratischen Kultur abträglich ansehen.«

So treffen bis heute die Worte zu, mit denen Engels das politische System der USA seinerzeit als das Gegenteil der Pariser Kommune charakterisierte: »[Z]wei große Banden von politischen Spekulanten, die abwechselnd die Staatsmacht in Besitz nehmen und mit den korruptesten Mitteln und zu den korruptesten Zwecken ausbeuten – und die Nation ist ohnmächtig gegen diese angeblich in ihrem Dienst stehenden, in Wirklichkeit aber sie beherrschenden und plündernden zwei großen Kartelle von Politikern.«

Doch selbst in einem solchen System kann es linke Politiker geben, die trotz ihres Klassenaufstiegs im Amt weiterhin Einfache-Leute-Interessen vertreten. Versuche von rechts, ihre sozialen Forderungen als unglaubwürdig darzustellen, weil sie mehrere Häuser besitzen wie Bernie Sanders oder sich in teuren Outfits fotografieren lassen wie Alexandria Ocasio-Cortez, sind Unsinn. Unglaubwürdig würden sie, wenn sie, einmal selbst reich geworden, plötzlich von Umverteilung schweigen würden. Man kann Geld haben und doch aus idealistischen Gründen zur arbeitenden Mehrheit stehen. Bei der Gehaltsbegrenzung geht es aber auch nicht, wie Michels missverstand, um Idealismus, sondern um materielle Interessen.

Muss das wirklich sein?

Wenn die Linke einfach nur eine Partei sein will, die links von den anderen Parteien steht, aber dieselbe Vorstellung von Demokratie vertritt wie diese, dann braucht sie keine Gehaltsbegrenzung. Diese kommt nur dann ins Spiel, wenn sie den Typus Arbeiterpartei für das 21. Jahrhundert neu erfinden und an das Demokratieverständnis der Arbeiterbewegung anknüpfen will. Dann muss sie den Umstand, dass gewählte Vertreter systematisch in die Oberschicht befördert werden, als einer demokratischen Kultur abträglich ansehen.

Für eine demokratische Gesellschaft wäre es durchaus sinnvoll, die Diäten gewählter Vertreter an den Durchschnittslohn zu binden. Denn dann hätten sie einen viel stärkeren Anreiz, eine Politik zu machen, die die Löhne in der Breite steigert. Und auch was die Preise von Lebensmitteln, Energie oder Wohnraum angeht, ständen sie den Interessen der arbeitenden Mehrheit deutlich näher. Einen solchen Wandel könnte am ehesten eine Partei bewirken, die bereits unter Beweis gestellt hat, dass man mit weniger Geld genauso gut – oder sogar besser – Politik machen kann, und die es versteht, die Frage hoher Diäten zu einer politischen Hypothek für das Establishment zu machen.

Die Demokratisierung der politischen Kultur ist das eine, die Proletarisierung der Partei das andere. Welche Mittel und Methoden zur neuen Arbeiterpartei führen, muss erst herausgefunden werden. Auch wenn die Gehaltsbegrenzung allein es sicher nicht richten wird, stellt sie wahrscheinlich eine Maßnahme neben anderen dar, um eine Partei zu schaffen, die von der arbeitenden Mehrheit als Teil von ihr und nicht als Teil der politischen Eliten wahrgenommen wird. Die Linke sollte dahingehend nichts unversucht lassen.

Thomas Zimmermann ist Print Editor bei JACOBIN.