18. März 2024
Robert Habeck stellt sich auf die Arbeitgeberseite und fordert von den Beschäftigten Mäßigung im Arbeitskampf. Da dürfen sich die Grünen nicht wundern, wenn sie beim nächsten Streikposten ausgepfiffen werden.
Der Wirtschafts- und Klimaschutzminister hält die Keynote Speech auf dem Zukunftstag Mittelstand am 13. März 2024.
Robert Habeck findet also, die Menschen arbeiten zu wenig und streiken zu viel. In einem Statement kritisiert er, zu einer Zeit, in der über 700.000 Stellen unbesetzt sind, könne man doch nicht über Arbeitszeitverkürzung nachdenken. Damit offenbart er viel über sein Verständnis von Politik und illustriert außerdem perfekt, warum die Grüne Partei unter vielen Beschäftigten wenig Sympathie erfährt.
Statt über die gesellschaftlichen Gründe für diesen »Fachkräftemangel« zu reden, appelliert er an die Verantwortung eines »Wir«, das jetzt einfach mehr arbeiten müsse. Das stärkt strukturell die Arbeitgeberseite. Denn die schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit ist seit jeher ein Kernanliegen der Arbeiterbewegung und unter den Arbeitenden extrem populär. Denn bei gleichem Geld für weniger Arbeit bedeutet sie eine ordentliche Lohnsteigerung pro Stunde. Aber nicht nur das: Die Beteuerung, dass man jetzt nicht zu viel verlangen sollte, untergräbt auch die Verhandlungen über einen Inflationsausgleich. Das ist für die gegenwärtig wieder aufkeimende Streikbewegung fatal.
Aber auch an dem Problem, dass in wichtigen Branchen Beschäftigte fehlen, geht Habecks Argumentation vorbei: Denn es ist ein strukturelles und hat wenig damit zu tun, dass Menschen sich davor scheuen, zu arbeiten. Sie scheuen sich vielmehr davor, unter schlechten Bedingungen zu arbeiten. Und das ist auch gut so. Es wird zu wenig ausgebildet, zu wenige Azubis werden übernommen und die Arbeitsbedingungen sind nicht rosig. Und wir haben viele fähige Beschäftigte, die an sinnvolleren Orten arbeiten könnten: mehr Bus-, statt Uber-Fahrerinnen, mehr Bahn-, statt SUV-Bauer.
Die Unternehmen sind am Zug, attraktivere Arbeitsbedingungen anzubieten, statt ihre eigenen Profitmargen hochzudrehen. Und bei den fehlenden öffentlichen Stellen muss der Staat den Kommunen und der Bahn die nötigen Mittel zur Verfügung stellen. Die Beschäftigten zu tadeln und von der Gesellschaft zu verlangen, sich einfach mehr anzustrengen, statt die Rahmenbedingungen zu verändern, damit wir alle gut leben können, ist eine politische Kapitulation.
Wer ist überhaupt dieses »Wir«, das sich nach Habeck mehr reinhängen muss, um die Wirtschaftskrise zu verhindern? Beschäftigte reißen sich den Hintern auf, große Unternehmen machen weiterhin Plus und die Ampel schickt uns mit ihrer Sparpolitik in die Rezession. Aber klar, »wir« sollen jetzt mehr arbeiten, damit es der Wirtschaft besser geht.
Habecks Mahnung reiht sich hinter Äußerungen aus der FDP ein, die den Streik nicht nur tadeln, sondern aktiv eine Schwächung des Streikrechts in die Debatte bringen. Volker Wissing hält eine Änderung des Streikrechts für »notwendig«, Djir Sarai schwadroniert über die »maßlose Streikgier«. Wollen sich die Grünen dem wirklich anschließen?
»Wenn man selbst Teil des Problem ist, sollte man sich zurückhalten, diejenigen zu maßregeln, die Teil der Lösung sind.«
Es ist besonders wohlfeil, ausgerechnet als Wirtschaftsminister einer Regierung, die wirklich gar nichts für mehr soziale Sicherheit und Zusammenhalt hinkriegt, diese Streiks zu delegitimieren. Denn die Streikenden tun mehr für den Zusammenhalt und gegen den Rechtsruck als die Ampel. Sie setzen sich für bessere Arbeit und Lebensbedingungen ein. Nur wenn der Nah- und Fernverkehr attraktive Jobs anbietet, werden die fehlenden Stellen besetzt werden. Und nur dann werden Bus und Bahn überall dort fahren können, wo man sie braucht.
Gute Tarifabschlüsse machen am Ende des Monats konkret einen positiven Unterschied für viele Menschen. Sie heben auch das allgemeine Lohnniveau, was wiederum uns allen zugutekommt. Und schließlich ist die Erfahrung der kollektiven Organisierung im Betrieb, gemeinsam die eigenen Interessen durchzusetzen, die beste Immunisierung gegen rechte Parteien. Währenddessen fährt die Ampel einen katastrophalen Sparkurs, treibt unsozialen Klimaschutz und damit Menschen in die Arme der AfD. Wenn man selbst Teil des Problem ist, sollte man sich zurückhalten, diejenigen zu maßregeln, die Teil der Lösung sind.
Wenn man Minister einer Partei ist, der am laufenden Band unterstellt wird, sie kenne die Probleme der einfachen Leute nicht, dann sind Aufrufe zur Mäßigung, bloß keine zu hohen Ansprüche an die eigenen Arbeitsbedingungen zu stellen, nicht gerade zuträglich fürs Image.
Es wird keinen Klimaschutz ohne gesellschaftliche Mehrheiten dafür geben. Entweder er findet im Bündnis mit der arbeitenden Bevölkerung statt, oder gar nicht. Die Beschäftigten sind es, die die Transformation tragen, die sie aufbauen und umbauen werden. Sie werden nicht an Bord kommen, wenn man die Kosten der Transformation auf sie abwälzt. Und sie werden sich nicht darauf einschwören lassen, einfach weiter und härter unter schlechten Bedingungen zu arbeiten. Denen ans Bein zu pinkeln, die eigentlich die natürlichsten Verbündeten sind – nämlich organisierte Beschäftigte im ÖPNV, die auch ein Interesse an einer echten Verkehrswende haben – ist absolut kontraproduktiv.
»Dass man den Grünen nicht zutraut, glaubhaft an der Seite der Beschäftigten zu stehen, ist angesichts solcher Äußerungen sehr verständlich.«
Die Grünen tauschen ihren progressiven Anspruch ein gegen die bloße Verwaltung der Verhältnisse. Die Antwort eines Teils der Partei auf ihre spürbare Unbeliebtheit ist nicht, populäre soziale Forderungen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern in allen Bereichen moderater zu werden. Man darf sich nur nicht wundern, wenn der konservativ-liberale Block, in den man sich mit solchen Äußerungen eingliedert, bei der nächsten Gelegenheit die Chance nutzen wird, um den Klimaschutz aufs Abstellgleis zu setzen, wie er es auch bei der Heizungsdebatte getan hat.
Dass man den Grünen nicht zutraut, glaubhaft an der Seite der Beschäftigten zu stehen und sie nicht hängen zu lassen, ist angesichts solcher Äußerungen und politischen Manöver sehr verständlich. Hier werden Brücken abgerissen. Umso nachvollziehbarer wird es sein, wenn Grüne beim nächsten Streikposten ausgepfiffen werden. Denn der Vizekanzler stellt sich mit solchen Aussagen im Zweifel auf die Seite der Arbeitgeber. Und solange das so ist, werden alle Bemühungen der Grünen, weniger abgehoben, menschennäher und sozialer wahrgenommen zu werden, ins Leere laufen.
Sarah-Lee Heinrich ist ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend und Aktivistin für soziale Gerechtigkeit.