20. März 2025
Was einst ein stabiler Job war, wird immer prekärer: die Arbeit im Hafen. Verantwortlich dafür sind Konzerne, die zunehmend die Kontrolle über zentrale Knotenpunkte übernehmen und so die Schifffahrt monopolisieren. Jetzt ist auch die größte Reederei der Welt, MSC, im Hamburger Hafen angekommen – mit verheerenden Folgen für die Beschäftigten.
Beschäftigte protestieren gegen den Einstieg der MSC in den Hamburger Hafen, 10. Juli 2024.
Am 13. September 2023 wurde bekannt, dass der Hamburger Senat wochenlang hinter verschlossenen Türen über den Verkauf von 49,9 Prozent der stadteigenen Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) an eine Tochtergesellschaft der weltgrößten Reederei MSC mit Sitz in Genf verhandelte. Während die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco am Hafenterminal Tollerort (CTT) noch vor einigen Jahren politisch hitzig diskutiert wurde, ist es um den Einstieg von MSC erstaunlich still geblieben. Dabei ist der Deal aus mehreren Gründen höchst kritikwürdig: Er ist ein Musterbeispiel dafür, wie die demokratische Kontrolle über öffentliches Eigentum zugunsten privatwirtschaftlicher Interessen systematisch ausgehöhlt wird.
Die Geheimhaltung wurde unter anderem damit begründet, dass ein vorzeitiges Bekanntwerden der Verhandlungen den Aktienkurs der HHLA hätte steigen lassen, wodurch der Einstieg für MSC teurer geworden wäre. Anstatt aber die finanziellen Spielräume der öffentlichen Hand zu maximieren, entschied sich der Senat, dem Konzern entgegenzukommen und die Bürgerschaft erst im Nachhinein mit den Ergebnissen des Geschäfts zu konfrontieren.
Die Teilprivatisierung der HHLA bedeutet aber auch einen erheblichen Kontrollverlust über zentrale Knotenpunkte des europäischen Logistiknetzwerks, denn MSC wird zukünftig mehr Einfluss auf die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen des Hafenbetriebs und des internationalen Schiffsverkehrs ausüben. Der MSC-Einstieg in die HHLA folgt dabei einer langfristigen Strategie, die eigene Monopolstellung in globalen Logistiknetzwerken auszubauen. Bereits seit den 1990er Jahren verstärkt MSC seine Präsenz in Genua und ist seit 2001 auch in Aarhus aktiv. Da MSC durch seine Hafenbeteiligungen immer mehr Einfluss auf die Preise im Waren- und Gütertransport gewinnt, führt diese Expansion zu massiven Wettbewerbsverzerrungen.
Da MSC ein mächtiger globaler Player in einer Branche ist, die zunehmend von Deregulierung, Automatisierung und Prekarisierung geprägt ist, liegt auf der Hand, wer die Folgen dieser Entwicklung als erstes zu spüren bekommt: die Beschäftigten im Hafen und den angrenzenden Logistiksektoren.
Die HHLA, die ursprünglich vollständig in öffentlicher Hand war, ist für wesentliche Teile der Logistik verantwortlich, die den Waren- und Güterumschlag im drittgrößten Hafen Europas am Laufen halten – von Containerterminals über Eisenbahnverbindungen bis hin zu Lagerflächen. Der schleichende Ausverkauf der HHLA begann im Jahr 2007. Unter der damaligen CDU-Regierung wurde das städtische Logistikunternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 30 Prozent der Unternehmensanteile wurden daraufhin als Streubesitz für den Verkauf an private Investoren freigegeben. Mit dem Teilverkauf der HHLA an MSC erfährt die Privatisierung logistischer Infrastruktur nun einen neuen Höhepunkt.
»Der Versuch von Bürgermeister Tschentscher, die MSC-Beteiligung als Fortschritt zu verkaufen, offenbart die erschreckende Kurzsichtigkeit politischer Entscheidungsträger, die auf Kosten der Hafen- und Logistikbeschäftigten die öffentliche Kontrolle über strategische Infrastruktur aufgeben.«
Doch der politische Skandal des Geschäfts reicht weiter als es zunächst schien. In Verhandlungen mit dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), Finanzsenator Andreas Dressler (SPD) und Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) sicherte sich MSC nicht nur die Beteiligung an den drei, mehrheitlich von der HHLA betriebenen Container-Terminals Burchardkai, Tollerort und Altenwerder. Längst ist klar, dass das Genfer Unternehmen eine viel strategischere Beteiligung anvisiert: die Metrans Rail. Die HHLA-Tochter, die den Güterverkehr auf der Schiene organisiert, verbindet wichtige Seehäfen Europas, darunter Hamburg, Bremerhaven und Rotterdam, mit dem südost- und osteuropäischen Hinterland. MSC verschafft sich durch den Deal also die Möglichkeit, den europäischen Güter- und Warenverkehr nach seinen eigenen Profitinteressen zu gestalten. Und damit nicht genug: MSC will sich nun auch 49 Prozent am Schlepperschifffahrtsunternehmen Boluda sichern, wodurch das Unternehmen über die größte Schlepperflotte der Welt verfügen würde – ein weiterer Schritt hin zur Monopolisierung der Transportlogistik und zur umfassenden Kontrolle über essenzielle Hafen-Dienstleistungen.
Mit der Zustimmung von Aufsichtsrat und Vorstand der HHLA im November 2023 und der Absegnung des Verkaufs durch die Hamburger Bürgerschaft im Spätsommer 2024 wird die Rolle des Hafens als öffentliches Gut der Stadt Hamburg endgültig gekippt. Der Versuch von Bürgermeister Tschentscher, die MSC-Beteiligung als Fortschritt zu verkaufen, offenbart die erschreckende Kurzsichtigkeit politischer Entscheidungsträger, die auf Kosten der Stadt und der Hafen- und Logistikbeschäftigten die öffentliche Kontrolle über strategische Infrastruktur aufgeben.
Befürworter des Teilverkaufs argumentieren, dass die Modernisierung des Hamburger Hafens hohe Investitionen erfordere, die die Stadt allein nicht stemmen könne. Akteure wie MSC wären demgegenüber finanziell dazu in der Lage und hätten zudem ein Eigeninteresse daran, den norddeutschen Hafen technologisch und infrastrukturell weiterzuentwickeln. MSC verspricht in diesem Zusammenhang auch, den Containerumschlag in Hamburg deutlich steigern zu wollen, was höhere Einnahmen in die öffentlichen Kassen spülen und die Arbeitsbedingungen für die Hafenbeschäftigten verbessern würde. Scheinbar eine Win-Win-Situation. Doch diese Versprechungen sind trügerisch.
»Mächtige Akteure wie MSC drängen darauf, Aufgaben, die traditionell im Kompetenzbereich tarifgebundener Hafenbeschäftigter liegen, auf schlecht bezahlte Schiffsbesatzungen zu übertragen.«
Der Hafen bleibt – ob mit oder ohne MSC – von globalen Produktions- und Handelsströmen abhängig. »Eine Reederei produziert ja nicht, also wenn nicht in China oder in anderen Ländern produziert wird, bringen sie auch keine Container«, so Hafenarbeiter und Vertrauensperson bei Eurogate Deniz Askar Dreyer. Auch HHLA-Betriebsrätin Sonja Petersen, gibt zu bedenken, dass man generell gar nicht wissen könne, wie der steigende Containerumschlag, den die MSC in Aussicht gestellt hat, in Hamburg realisiert werden soll: »Also gehen wir davon aus, dass sie aus anderen Häfen abgezogen werden. Da sind wir im klassischen Verteilungswettbewerb.« Schon bei der letzten umstrittenen Elbvertiefung hieß es: Nur wenn Hamburg für größere Containerschiffe erreichbar bleibe, könne der Hafen wettbewerbsfähig bleiben und der Umschlag steigen. Stagnierende Umschlagmengen zeigen, dass dies eine Fehleinschätzung war, die mit ökologischer Zerstörung und immensen Kosten für die öffentliche Hand bezahlt wurde.
Reedereien bestimmen in erster Linie die Transportrouten und setzen die Entscheidung, welche Häfen angelaufen werden, als Druckmittel ein, um möglichst günstige Abfertigungsbedingungen zu erzwingen. Ob MSC tatsächlich den Containerumschlag im Hamburger Hafen signifikant steigern wird, ist daher fraglich. Stattdessen sorgt der Standortwettbewerb für einen Unterbietungswettlauf bei den Kosten für Hafendienstleistungen. In diesem Zusammenhang dürften Häfen im Sinne der Modernisierung zunehmend auf Automatisierung setzen, was zu einem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen in der Hafenindustrie führt. Durch seine Hafenbeteiligungen wird es MSC möglich, diese Prozesse noch gezielter im eigenen Profitinteresse zu steuern.
Global lässt sich seit einiger Zeit eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im Logistiksektor beobachten. Dieser Trend ist eng mit der Privatisierung logistischer Infrastruktur und der fortschreitenden Marktkonzentration im maritimen Transportsektor verknüpft. Hafenbetreiber und Reedereien macht das »stolz wie Oskar, nach dem Motto: Wir sind so konkurrenzfähig«, kritisiert der hafenpolitische Sprecher der Hamburger Linken Norbert Hackbusch. Mächtige Akteure wie MSC drängen dabei darauf, Aufgaben, die traditionell im Kompetenzbereich tarifgebundener Hafenbeschäftigter liegen, auf schlecht bezahlte und gering qualifizierte Schiffsbesatzungen zu übertragen. Auf diese Weise können Reedereien nationale Lohn- und Arbeitsstandards untergraben.
»Die Arbeitsbedingungen sind so schlecht, die Löhne so niedrig, dass kein normaler Mensch mehr in Deutschland auf einem Schiff anheuern würde.«
Die Profitlogik der Reedereien, mittels Senkung der Arbeitskosten die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, zeigt sich besonders deutlich, wenn man den Wandel der Arbeitsbedingungen auf See betrachtet: »Vor vierzig Jahren war es üblich, dass aus unserem Dorf [südlich der Elbe] viele Leute auf Seeschiffen arbeiteten«, beschreibt Hackbusch. »Heute ist das unvorstellbar. Die Arbeitsbedingungen sind so schlecht, die Löhne so niedrig, dass kein normaler Mensch mehr in Deutschland auf einem Schiff anheuern würde«.
Sobald die Schiffe der Reedereien in Hamburg anlegen, stoßen sie dann auf einen Arbeitsmarkt, der noch vergleichsweise hohe Löhne bietet. »Plötzlich verdienen die Beschäftigten am Containerterminal 30 Euro die Stunde. Das finden die Reedereien in der Logistikkette völlig unverschämt. Sie argumentieren dann: Hamburg sei einfach zu teuer.« Die Reedereien drängen daher auf mehr Kontrolle über die gesamte Logistikkette. Neben der Automatisierung versuchen Reedereien auch durch die Veränderung von Arbeitsabläufen und betrieblichen Strukturen Kosten zu senken. Ein Ziel dabei ist es, die potenziell hohe Streikmacht der Hafenbeschäftigten, die sie durch ihre strukturelle Position in globalen Lieferketten einnehmen, zu brechen.
Eine Woche nach der Bundestagswahl wurde in Hamburg eine neue Bürgerschaft gewählt. Trotz Verlusten blieb die SPD stärkste Kraft, gefolgt von der CDU und den Grünen. Die allgemeine Zufriedenheit mit dem rot-grünen Senat ist laut Umfragen weiterhin hoch. Für die Stimmenverluste wird vor allem die politische Gemengelage auf Bundesebene verantwortlich gemacht. Glaubt man dem SPD-Wahlprogramm, dann soll der Hafen in Zukunft ökologisch nachhaltig gestaltet, wirtschaftlich weiterentwickelt und modernisiert werden. Dabei setzt die SPD weiter auf teure Großprojekte, die im Interesse der Reedereien sein dürften – wie etwa der Neubau der Kohlbrandbrücke, um den Hafen für riesige Containerschiffe besser erreichbar zu machen.
Sonderlich erfolgsversprechend ist diese Strategie nicht, wenn man bedenkt, dass Konkurrenzhäfen wie Rotterdam besser auf die Abfertigung der Containergiganten ausgelegt sind und die Ladekapazität dieser Schiffe oft nicht einmal vollständig ausgelastet ist. Den Beschäftigten im Hafen bringt eine solche Politik daher wenig.
»Im Kampf für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft, der nicht im Widerspruch zu Beschäftigteninteressen steht, sondern durch diese gestaltet und vorangetrieben wird, braucht es beides: linke Betriebsratsarbeit und eine authentische linke Industriepolitik.«
In Wilhelmsburg, einem Stadtteil des Bezirks Hamburg-Mitte, lag Die Linke bei der Bürgerschaftswahl mit 16,5 Prozent vor der CDU (15,8 Prozent) und der AfD (12,5 Prozent). Der Stimmenzuwachs der Linken, fiel jedoch gegenüber den anderen beiden Parteien geringer aus. Der Erfolg der Linken in Wilhelmsburg ist dennoch interessant: Mit Kay Jäger kandidierte hier ein Hafenarbeiter in dritter Generation, der zudem auch Gewerkschafter und aktiver Betriebsrat ist. Ein zentrales Anliegen von ihm ist es, den Hamburger Hafen wieder vollständig in die öffentliche Hand zu überführen. Mit Jäger in der Bürgerschaft könnte Die Linke dem Hafen und seinen Beschäftigten eine neue Perspektive eröffnen. Als langjähriger Arbeiter im Gesamthafenbetrieb und Gewerkschafter kennt er die Sorgen der Beschäftigten aus erster Hand. Er verbindet ein starkes Klassenbewusstsein mit einer politischen Linie, die sich für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen sowie die De-Privatisierung öffentlicher Güter einsetzt. Eine derartige Verankerung in der Gewerkschaftsbewegung und unter Industriebeschäftigten hat der Partei in der Vergangenheit gefehlt.
Für Die Linke geht es künftig darum, eine kraftvolle Antwort auf die sozialen Nöte der arbeitenden Bevölkerung zu geben und ihre Interessen in linke Politik zu übersetzen. Im Kampf gegen den steigenden Einfluss der AfD unter der arbeitenden Bevölkerung, für einen wirksamen Antirassismus und Feminismus sowie einen ökologischen Umbau der Wirtschaft, der nicht im Widerspruch zu Beschäftigteninteressen steht, sondern durch diese gestaltet und vorangetrieben wird, braucht es beides: linke Betriebsratsarbeit und eine authentische linke Industrie- und Wirtschaftspolitik. Gelingt dies auf Bundes- wie auch auf Landesebene, könnte wider Erwarten ein neuer Wind im Hamburger Hafen wehen.
Janina Puder ist Arbeits- und Wirtschaftssoziologin. Seit 2025 ist sie Gast-Professorin an der TU Cottbus und beschäftigt sich dort mit sozial-ökologischen Transformationskonflikten, Arbeit und Ökologie sowie Klassentheorie. Aktuell forscht sie zum Strukturwandel in der Hafenindustrie.