16. Oktober 2024
Lob und Unterstützung von Republikanern, Rechtsruck in der Außenpolitik, eine wenig ambitionierte Agenda mit minimalen Veränderungen und die ständige Warnung, dass dieser andere Typ ganz schön schlimm ist? Kommt einem bekannt vor.
Kamala Harris auf einer Wahlkampfkundgebung in Erie, Pennsylvania, 14. Oktober 2024.
Hin und wieder überkommt mich das Gefühl, dass die Demokratische Partei in den USA wirklich gar keine Lust hat, aus der Wahlniederlage Hillary Clintons gegen Donald Trump 2016 zu lernen. Die damals flott aufgestellte Liste mit Erklärungen für die Schlappe war endlos. Schuld hatten Russland, James Comey, die Medien, eigentlich alle und jeder außer Hillary Clinton und ihr Wahlkampf.
Es war der verzweifelte Versuch der Partei, keinerlei Verantwortung für den Wahlsieg Trumps zu übernehmen und trotzdem die Wut der Basis zu besänftigen – nicht, dass diese noch auf die Idee kommen würde, die Parteiführung zur Rechenschaft zu ziehen.
Es heißt, wenn man eine Lüge nur oft genug wiederholt, glaubt man sie irgendwann auch. Dies scheint bei einigen Demokraten der Fall zu sein, die nun offenbar wirklich der Ansicht sind, man habe damals einen großartigen Wahlkampf geführt und hätte auch den Sieg davongetragen, wenn da nicht diese heimtückischen Schurken im Hintergrund gewesen wären. Und nun will man bei der anstehenden Wahl beweisen, dass es tatsächlich so war.
Zunächst bestand durchaus etwas Hoffnung, dass Kamala Harris’ Aufstieg zur demokratischen Präsidentschaftskandidatin neue, aufregendere Visionen in den Wahlkampf bringen würde. Vielleicht könnte sie Joe Bidens frühen (wenn auch bald abgeschwächten) Wirtschaftspopulismus mit dem Optimismus versprühenden Charisma und dem historischen Erfolg von Barack Obamas Wahlkampagne 2008 verschmelzen. Vorbei war die »Kellerstrategie«, bei der der bisherige Kandidat vor allzu spontanen Äußerungen in den Medien abgeschirmt und stattdessen lieber »versteckt« gehalten wurde. Die inzwischen abgedroschen wirkenden Warnungen vor demokratiebedrohenden und diktaturhungrigen Republikanern würden vom neuen, sie vielmehr entzaubernden Label »weird« abgelöst. Harris’ eigener Slogan »We’re not going back« legte nahe, dass sie das Land nicht nur aus dem Morast des Trumpismus herauslenken wolle, sondern darüber hinaus in eine andere Richtung als die der katastrophalen letzten zwei Jahre der Regierung Biden.
»Diese angekündigte Politik ist bei genauerer Betrachtung ein Schritt zurück gegenüber den Biden-Jahren.«
Nunja. Inzwischen ist klar, dass das Harris-Wahlkampfteam stattdessen beschlossen hat, die Clinton-Strategie aus dem Jahr 2016 zu wiederholen. Sie nehmen offenbar an, dass 2016 tatsächlich eine Art Betriebsunfall war und Trump so verhasst ist, dass die Amerikanerinnen und Amerikaner faktisch keine andere Wahl haben, als für seine Konkurrentin zu stimmen. Frei nach dem Motto: »2016 hat es aus irgendeinem Grund nicht funktioniert, aber dieses Mal…«
Wie sieht dies in der Praxis aus? Das vermeintlich »negative« Weird-Label für die Republikaner wird abgelegt und stattdessen werden »zivilisierte« Auseinandersetzungen mit ihnen geführt. Der progressive Flügel der Partei wird nicht mehr angesprochen – ihm wird sogar aktiv die lange Nase gezeigt – und stattdessen explizit darauf gesetzt, zu versuchen, republikanische Wähler für sich zu gewinnen. Strategie- und Positionspapiere, die nur wenige Menschen lesen werden, werden geschrieben. Derweil spricht man selten in der breiteren Öffentlichkeit darüber, was man konkret für die Zukunft des Landes plant. In der Einwanderungs- und Außenpolitik versucht man, Trump rechts zu überholen, absurderweise den Iran als den gefährlichsten Gegner der USA zu bezeichnen und sogar nahezulegen, dass ein Präventivschlag gegen die Islamische Republik im Rahmen des Denkbaren ist.
Nun würden Demokraten vielleicht entgegen: »Okay, aber was ist mit den Ankündigungen und Versprechen, die Harris gibt? Was ist zum Beispiel mit der Wohnungspolitik, laut der drei Millionen Häuser gebaut und Erstkäufern von Eigenheimen ein Zuschuss von bis zu 25.000 Dollar gewährt werden soll? Oder was ist mit Harris’ jüngster Ankündigung, Medicare auszuweiten, sodass auch häusliche Pflegedienste sowie Seh- und Hörhilfen von den Kassen übernommen werden? Weist das etwa nicht in eine andere, progressivere Richtung als Clintons Kandidatur 2016?«
Die Antwort ist: Nein, nicht wirklich. Denn diese angekündigte Politik ist bei genauerer Betrachtung ein Schritt zurück gegenüber den Biden-Jahren. Zwar mag der amtierende Präsident oft gezögert haben, seine wirtschaftspopulistischen Ankündigungen – die er aufgenommen hatte, um sich bei den Fans von Bernie Sanders beliebter zu machen – energisch voranzutreiben; aber seine Agenda war tatsächlich ambitioniert: Sie beinhaltete unter anderem universellen Vorschulenbesuch, kostenlose Community Colleges (für zwei Jahre), Zuschüsse für die Kinderbetreuung, bezahlten Urlaub, die Ausweitung von Medicare und großzügigere Kinderfreibeträge. Bis auf die letzten beiden Punkte findet sich nichts mehr davon in Kamala Harris »First Day Agenda« für den Fall ihres Wahlsiegs.
Selbst ihre angekündigte Medicare-Ausweitung ist kein Fortschritt gegenüber früheren Ambitionen der Demokraten: Biden hatte versprochen, Medicare auch auf zahnärztliche Leistungen auszudehnen und das Anspruchsalter auf 60 Jahre zu senken, während Hillary Clinton sogar angeboten hatte, Menschen ab 50 in das Programm aufzunehmen (was ihr Ehemann übrigens schon knapp zwanzig Jahre zuvor ebenfalls vorgeschlagen hatte). Über diese früheren Vorschläge hinaus hat Harris keine wirkliche Gesundheitspolitik für Menschen unter 65 Jahren anzubieten.
Dies führt zu Szenen wie in einer Town Hall in der vergangenen Woche, bei der einige notleidende Menschen Harris fragten, wie sie das dysfunktionale, rein auf Gier ausgerichtete Gesundheitssystem des Landes in Ordnung bringen oder ihnen auch nur helfen würde, eine entsprechende Krankenversicherung zu bekommen. Die Kandidatin antwortete mit ebenso langen wie inhaltsleeren Nicht-Antworten und versprach, sie werde nicht zulassen, dass Schulden für medizinische Prozedere auf die Kreditwürdigkeit der Leute angerechnet würden.
»Es ist nach wie vor möglich, dass Harris mit ihrer lahmen und selbstgefälligen Strategie im November die Wahl gewinnt. Schließlich ist Trump in der Tat äußerst unbeliebt und wirkt inzwischen auch instabil.«
Mehr noch: Harris betont, sie sei für eine Erhöhung des Mindestlohns, weigert sich aber hartnäckig zu sagen, um wie viel sie ihn anheben will. Weder sie noch ihr Vizekandidat Tim Waltz haben in ihren jeweiligen TV-Debatten dieses Thema angesprochen – im Gegensatz zu Biden vor vier Jahren.
Hinzu kommt, dass Harris in ihrem Wahlkampf die Kryptoindustrie und Corporate America umwirbt; dass sie Bidens höhere Kapitalertragssteuer aufgegeben hat; und dass sie offenbar über den Rauswurf der Vorsitzenden der [Verbraucherschutzbehörde] Federal Trade Commission, Lina Khan, nachdenkt – während sie zeitgleich mit den Konzernen, die Khan derzeit verklagt, klüngelt.
All das hat Konsequenzen: Mehrere aktuelle Umfragen zeigen, dass das Rennen in den wichtigen Swing States eng ist. In Michigan, Pennsylvania, Wisconsin und Nevada liegt Harris entweder nur noch knapp vor Trump oder sogar hinter ihm. Darüber hinaus schneidet sie selbst in einigen wichtigen, traditionell demokratisch geprägten Wählerschichten schlecht ab.
Es ist nach wie vor möglich, dass Harris mit ihrer lahmen und selbstgefälligen Strategie im November die Wahl gewinnt. Schließlich ist Trump in der Tat äußerst unbeliebt und wirkt inzwischen auch instabil. Seine Wahlversprechen und sein politisches Programm sind extrem und gelinde gesagt befremdlich. Trotzdem ist der aktuelle Ansatz der Demokratischen Partei und ihrer Spitzenkandidatin ein gewaltiges Vabanquespiel, das vor acht Jahren bekanntlich schon einmal in die Hose gegangen ist.
Wie schon 2016 – man könnte auch sagen: wie immer – zeigen sich die Demokraten im Wahljahr 2024 abermals gewillt, das zerstörte Alltagsleben der Arbeiterinnen und Arbeiter sowie der ärmsten der Armen in den USA als Kollateralschaden für ihren Wahlsieg in Kauf zu nehmen.
Branko Marcetic ist Redakteur bei JACOBIN und Autor des Buchs »Yesterday’s Man: The Case Against Joe Biden«. Er lebt in Chicago, Illinois.