22. Juli 2025
Landesregierungen, an denen die Linke beteiligt ist, haben im Bundesrat milliardenschweren Steuerentlastungen für Unternehmen zugestimmt. Wenn zentrale Grundsätze für den Koalitionsfrieden aufgeweicht werden, droht die Partei die Glaubwürdigkeit zu verlieren, die sie sich gerade erarbeitet.
Regieren um jeden Preis? Nicht mit der Linken, so das Wahlversprechen. In der Praxis durchkreuzen Mandatsträger dieses Bekenntnis immer wieder.
Mit dem sogenannten Investitionsbooster verteilt die neue schwarz-rote Koalition erste Geschenke an ihre Klientel: Steuererleichterungen in Milliardenhöhe für das Kapital, während bei den kleinen Leuten gespart wird. Kürzlich stimmte auch der Bundesrat dem Gesetz einstimmig zu. Einstimmig? Ist die Linke nicht an zwei Landesregierungen beteiligt? Doch in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern scheint der Koalitionsfrieden über der Beschlusslage der Partei und auch der klaren Positionierung der Bundestagsfraktion zu stehen.
Es ist nicht das erste Mal, dass linke Landesregierungsmitglieder seit der Bundestagswahl und dem Beginn der organisatorischen Erneuerung der Partei in Konflikt zum eigenen Parteiprogramm geraten sind. Die Anfang des Jahres vorgenommene Grundgesetzänderung, die Deutschland eine grenzenlose Aufrüstung ermöglicht, bekam im Bundesrat von den Landesregierungen mit Beteiligung der Linken ebenfalls Zustimmung. Begründet wurde dies damals damit, dass das ebenfalls enthaltene Infrastrukturpaket eine große Entlastung für Länder und Kommunen bedeuten würde. Dazu sei gesagt, dass es die Zustimmung der Linken für die nötige Zweidrittelmehrheit im Bundesrat nicht einmal gebraucht hätte. Hinzu kommt: Da die Zinslast der neuen Schulden nicht von der Schuldenbremse ausgenommen ist, wird das Infrastrukturpaket massive Einsparungen zur Folge haben. Und wen wir das besonders hart treffen? Richtig, Länder und Kommunen.
Mit den nun beschlossenen Steuergeschenken trägt man ein Gesetzespaket mit, das dieses Problem nochmal verschärft. Es enthält eine schrittweise Senkung der Körperschaftsteuer – einer Gewinnsteuer für juristische Personen, also die meisten Unternehmen – ab 2028, deren Einnahmen zur Hälfte die Bundesländer erhalten, die davon also unmittelbar betroffen sind. Zusätzlich verursachen die im Investitionsbooster ebenfalls enthaltenen temporären Steuererleichterungen Mindereinnahmen von schätzungsweise 46 Milliarden Euro, die durch Ausgleichsmaßnahmen hauptsächlich den Bundeshaushalt betreffen. Dass dies von linken Regierungsmitgliedern einfach mitgetragen wird, ohne jeden ernstzunehmenden Widerspruch oder Rechtfertigungsdruck, verdeutlicht, dass die Positionen einzelner Mandatsträger die Positionen der Partei direkt durchkreuzen.
Dies steht stellvertretend für Widersprüche, die zwangsläufig entstehen, wenn sozialistische Politik auf Parlamentarismus trifft. Einerseits schaden Kompromisse, die oftmals eher systemerhaltend sind, der Glaubwürdigkeit des eigenen systemüberwindenden Anspruchs. Andererseits kann eine Totalopposition sehr abschreckend für die Wählerinnen und Wähler wirken, die sich von einer starken Linken konkrete Verbesserungen für ihr Leben erhoffen. Wenn der aktuelle Erneuerungsprozess der Partei das Ziel anvisiert, eine im Parlament vertretene sozialistische Massenpartei zu werden, muss sie mit diesen Widersprüchen offen umgehen – nicht erst im Falle von Regierungsbeteiligungen, sondern in Bezug auf alle Parlamentsfraktionen der Partei.
Dass die neue Parteispitze sich des Problems der Herausbildung einer Kaste von Berufspolitikerinnen und Berufspolitikern bewusst ist, zeigt die Begrenzung der Mandatszeit auf drei Legislaturperioden und der Wunsch nach einer Deckelung der Diäten auf ein Durchschnittsgehalt. Das kann jedoch nur ein Anfang sein. Um die kaum zu vermeidenden Eigendynamiken von Parlamentsfraktionen abzuschwächen, braucht es vor allem auch eine Parteikultur, in der es selbstverständlich ist, dass Abgeordnete keine höheren Wesen sind, sondern normale Mitglieder der Partei, die deren Positionen im Parlament vertreten.
»Dann werden aus einer vermeintlichen Alternativlosigkeit auch Steuererleichterungen für Unternehmen durchgedrückt. Die Technokratie des Staatsapparats kann einen schnell auffressen.«
Das bedeutet nicht, dass Abgeordnete keine eigenen Meinungen vertreten dürfen, im Gegenteil. Minderheitsmeinungen sind eine absolute Grundlage für eine demokratische Parteikultur. Bloß ist eine demokratische Parteikultur mit inhaltlichen Beschlüssen nur dann etwas wert, wenn sich in der Außenkommunikation auch daran gehalten wird. Dies ist auch fast zwei Jahre nach der Abspaltung der Wagenknecht-Fraktion noch lange nicht selbstverständlich.
Ein Parlament ist kein heiliger Ort. Es ist als Plattform für linke Inhalte nutzbar, für die Parteifinanzierung unabdingbar und birgt die Möglichkeit, reformerische Verbesserungen durchzusetzen, aus denen, gut umgesetzt, auch Kraft für radikalere Verbesserungen in der Zukunft gewonnen werden kann. Doch ohne Druck von außen, ohne eine Massenbasis, ohne breite Organisierung wird das nicht geschehen. Das Parlament ist als Selbstzweck für Linke praktisch wertlos.
Noch deutlicher zeigen sich die oben genannten Probleme im Falle von Regierungsbeteiligungen. Die Frage, wie sinnvoll diese sind, soll hier gar nicht diskutiert werden. Unleugbar sollte allerdings sein, dass man als sozialistische Partei in Regierungen zwangsläufig in Widersprüche gerät. Überwinden wird man den Kapitalismus in einer rot-rot-grünen Regierung definitiv nicht, und selbst größere reformistische Sprünge sind zurzeit nicht zu erwarten.
Wenn die Partei also faktisch schon in der Situation ist, in dieser Ausgangssituation an Regierungen beteiligt zu sein, muss diese permanent hinterfragt und von der Basis kontrolliert werden. Zumal man in der Vergangenheit gut beobachten konnte, wie schnell Beteiligungen an Regierungen zu einem rein systemerhaltenden Agieren führen; eine Gefahr, die ohnehin omnipräsent ist. Rasch verliert man sich im Kleinklein, das große Ganze gerät aus dem Fokus und plötzlich läuft man in Gefahr, sich mit dem zu identifizieren, was man vor kurzem noch kritisiert hat. Dann werden aus einer vermeintlichen Alternativlosigkeit auch Privatisierungen, Abschiebungen und Steuererleichterungen für Unternehmen durchgedrückt. Die Technokratie des Staatsapparats kann einen schnell auffressen.
»Die Partei darf sich nicht scheuen, Koalitionen, die nicht mehr der Sache dienen, in der Konsequenz auch wieder zu verlassen.«
Es ist klar, dass Abgeordnete und Regierungsmitglieder nicht in einer Kultur der Angst arbeiten möchten, mit der Perspektive, beim erstbesten Fehler abgesägt zu werden. Das soll und darf nicht das Ziel sein. Ziel der Erneuerung ist eben keine Parteikultur der Angst, sondern ein fairer Umgang miteinander. Ein solcher beinhaltet, dass man demokratische Beschlüsse auch dann nach außen vertritt, wenn sie einem nicht gefallen. Er beinhaltet angemessene Kritik an Fraktionen, Regierungen und Einzelpersonen. Und er beinhaltet ein Bewusstsein darüber, dass es sich bei einer solchen Kritik nicht um persönliche Gefechte handelt, die das Ziel haben, die vermeintliche Inkompetenz oder Bosheit einzelner Akteure offenzulegen. Es geht vielmehr darum, inhaltliche Debatten über den Umgang mit den Widersprüchen zu führen, mit denen wir als sozialistische Partei in einem kapitalistischen System konfrontiert sind.
Zur Wahrheit gehört jedoch auch: Damit eine solche Parteikultur Bestand haben kann, wird es auch Momente der Härte geben müssen. Wiederholte Alleingänge müssen Konsequenzen haben. Dann darf die Partei sich nicht scheuen, auch langjährigen Abgeordneten Listenplätze zu verwehren, Regierungsmitgliedern das Misstrauen auszusprechen und Koalitionen, die nicht mehr der Sache dienen, in der Konsequenz auch wieder zu verlassen. Die Partei darf sich nicht mehr treiben lassen, weder durch Einflüsse von innen noch von außen. Am Ende sollten es die Mitglieder und das gemeinsam beschlossene Programm sein – nicht aber Einzelpersonen oder Koalitionen – dem das politische Handeln gerecht werden muss.
Michel Schafmeister lebt in Bielefeld und ist aktives Mitglied bei der Linkspartei und Linksjugend ['solid].