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30. Mai 2025

Antifaschistische Wirtschaftspolitik ist gut, aber nicht genug

Um dem Rechtsruck die Basis zu nehmen, ist eine antifaschistische Wirtschaftspolitik nötig. Aber sie wird nicht verordnet, sondern erkämpft werden müssen.

Protest gegen den Stellenabbau bei ThyssenKrupp Steel in Duisburg, 26. November
2024.

Protest gegen den Stellenabbau bei ThyssenKrupp Steel in Duisburg, 26. November 2024.

IMAGO / Funke Foto Services

Merz ist nicht mal einen Monat im Amt und erreicht schon jetzt ähnliche schlechte Zustimmungswerte wie vor ihm Olaf Scholz – jener Kanzler, der als der unbeliebteste der jüngeren Geschichte aus dem Amt schied. Das politische Zentrum strauchelt und es ist längst zur Binsenweisheit geworden, dass es auf die gesellschaftlichen Krisen unserer Zeit – wirtschaftliche Misere, soziale Verunsicherung, ein kollektives Gefühl der Zukunftslosigkeit – keine Antworten mehr findet. Die Folge: Ein tiefer Vertrauensverlust, der maßgeblich zum Erstarken der politischen Rechten beiträgt.

Auch diesem Vormarsch der Rechten haben die zentristischen Kräfte nichts entgegengesetzt. Im Gegenteil – erst ließ sich die Ampel in der Migrationspolitik von rechts hertreiben, jetzt überbietet die amtierende Regierung unter der Führung von Friedrich Merz diesen Kurs noch: verschärfte Grenzkontrollen, steigende Zahlen von Zurückweisungen, erschwerte Einbürgerung, eingeschränkter Familiennachzug. Diese Härte in der Migrationspolitik dient der Inszenierung, entschlossenes, staatliches Handeln zu demonstrieren und von Krisen abzulenken, für die man keine Lösungen hat, und stattdessen einen Sündenbock zu konstruieren: Migranten. Eine Brandmauer nützt nichts, wenn man selbst ständig Öl in das Feuer gießt, das auf der anderen Seite lodert.

Weniger für alle?

Wenn wir verstehen wollen, warum sich dieser Rechtsruck gerade jetzt vollzieht, können wir ihn nicht isoliert betrachten. Er fällt in einen Kontext wirtschaftlicher Unsicherheit und schleichender Wohlstandsverluste. Merz scheitert wie sein Vorgänger Scholz daran, die kränkelnde Wirtschaft auf Kurs zu bringen. Jetzt durchleben wir das dritte Jahr in Folge Stagnation. Was ist seine Antwort darauf? Noch mehr Kürzungen.

Wir leben unter einer Regierung, die den 8-Stunden-Tag aufheben und Rentner länger arbeiten lassen will. Der Sozialstaat steht unter Beschuss, die industrielle Basis bröckelt, jedes dritte Unternehmen plant, in diesem Jahr Stellen abzubauen. Während die Reallöhne gesunken sind, gab es in den letzten Jahren eine massive, vor allem auch profitgetriebene Verteuerung der Lebenshaltungskosten. Wohnraum ist in vielen Städten knapp und für immer mehr Menschen kaum bezahlbar. Die Konsequenz ist eine ökonomische Verunsicherung, die nicht nur die Ärmsten, sondern weite Teile der Mittelschicht erfasst hat.

»Es stimmt, dass viele Menschen, die die AfD wählen, bei ihrer Politik massiv verlieren würden. Doch selbst wenn man von links die besten Vorschläge hat – gegen das Gefühl, dass davon am Ende ohnehin nichts umgesetzt wird, kommt man nicht so leicht an.«

Natürlich kann man nun einwenden, dass Abstiegsängste oder reale Abstiegserfahrungen nicht zwangsläufig anfällig für politische Angebote von rechts machen müssen – und das stimmt. Genauso führt die Erfahrung, dass sich der Klassenkonflikt zuspitzt, nicht zwangsläufig nach links. Es gibt keinen Automatismus in der politischen Orientierung. Doch das bedeutet nicht, dass die wirtschaftliche Situation nicht zentral ist, wenn wir verstehen wollen, warum die politische Rechte gerade so einen Aufwind erlebt.

Eine Konsequenz der wirtschaftlichen Stagnation ist, dass sich die Verteilungskonflikte verhärten. Wenn Wachstum und Wohlstand schwinden, werden Kämpfe um Ressourcen zum Nullsummenspiel: Jeder Zugewinn erscheint nur noch möglich auf Kosten anderer. Diese Zuspitzung schafft den politischen Resonanzraum für die AfD. Je knapper alles wird, desto leichter verfängt die Erzählung von rechts, die das Gefühl des Abstiegs in reaktionäre Bahnen lenkt, ohne irgendeine Antwort auf die Wachstumsprobleme – und damit meine ich ein sinnvolles, klimafreundliches Wachstum – der Wirtschaft liefern zu müssen. Denn das Programm der Rechten ist ein Programm der Verarmung.

Politisieren statt moralisieren

Zu glauben, unsere Aufgabe wäre es, den Menschen zu erklären, dass der Wohnungsmarkt kollabiert, dass das Leben immer teurer wird, dass der Job unsicherer wird und die Rente nicht reicht, weil der Kapitalismus nicht funktioniert, greift zu kurz. Die meisten wissen es längst, weil sie es jeden Tag spüren. Sie wissen, dass dieses System für wenige sehr gut und für viele sehr schlecht funktioniert. Der Appeal der Erzählung von rechts ist nicht, dass sie so gute Antworten auf die Krisen unserer Gegenwart liefern würde, sondern dass sie ein trügerisches Gefühl von Souveränität, Stärke und Anerkennung vermittelt. Parteien wie die AfD versprechen keine Lösung für die Verteilungskonflikte in einer stagnierenden Wirtschaft, sondern lediglich deren Verschiebung: nicht Umverteilung von oben nach unten, sondern Umverteilung durch Ausschluss, Abwertung und Ausgrenzung.

Es stimmt, dass viele Menschen, die die AfD wählen, bei ihrer Politik massiv verlieren würden. Doch selbst wenn man von links die besten Vorschläge hat – gegen das Gefühl, dass davon am Ende ohnehin nichts umgesetzt wird, kommt man nicht so leicht an, vor allem, weil es auf realen Erfahrungen basiert. Die Kräfte, gegen die man sich durchsetzen muss, damit Vermögen gerecht besteuert, Preise reguliert, Wohnraum geschaffen und das Leben bezahlbar wird, sind stark und mächtig. Der Vertrauensverlust in die zentristischen Parteien ist auch das Resultat eines tief sitzenden Gefühls, politisch nicht repräsentiert, nicht einmal gehört zu werden. Wenn »die da oben« einen nicht einmal wahrnehmen, wie soll man dann gegen sie gewinnen?

Das Narrativ von rechts ist in dieser Stimmungslage so wirksam, weil es Menschen glauben macht, der Gegner steht nicht oben und ist stark, sondern unten und ist schwach. Gegen einen außer Reichweite stehenden Konzernboss zu gewinnen, kann man sich kaum vorstellen – gegen die Nachbarin, die Bürgergeld bezieht, vielleicht schon. Die Erfahrung der Deklassierung bietet auch deswegen so einen fruchtbaren Nährboden für den Rechtsruck – und genau dieses Gefühl ist bei der Wählerschaft der AfD stärker ausgeprägt als bei jeder anderen Partei.

Gegen dieses Gefühl brauchen wir eine politische Vision, die nicht nur moralisiert, sondern konkret vermittelt, wie man wieder Handlungsspielräume im eigenen Leben zurückgewinnen kann – anstatt sich Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft ohnmächtig ausgeliefert zu fühlen. Denn auch dieses Gefühl nutzen rechte Kräfte wie die AfD für sich mit ihrem inszenierten Anti-Elitismus. Wer das Vertrauen in die eigene politische Handlungsfähigkeit längst verloren hat, dem bietet die AfD für dieses Bedürfnis zumindest eine Projektionsfläche, weil sie behauptet, mit dem politischen Establishment, von dem man sich ignoriert und übergangen fühlt, ins Gefecht zu gehen – sie erweckt den Eindruck, man könne mit ihr zurückschlagen.

»Die Geschichte zeigt uns, dass viele soziale Fortschritte nicht von wohlmeinenden Technokraten umgesetzt wurden, sondern das Ergebnis von Arbeitskämpfen sind. Im Kapitalismus kriegt man nichts geschenkt, nur weil man kluge Reform-Vorschläge entwickelt.«

Es gibt inzwischen keine Partei, die unter Arbeitern und Arbeitslosen besser abschneidet als die AfD. Wenn wir es ernst meinen mit der Frage, wie wir den Aufstieg der Rechten stoppen können, dürfen wir uns nicht davor drücken, nach Wegen zu suchen, wie man Menschen politisch überzeugt, die noch als »Protestwähler« gelten. Wer andere politische Mehrheiten schaffen und die AfD strukturell schwächen will, muss sich der Herausforderung stellen, auch um diese Wähler zu ringen – nicht indem man sich rechts anbiedert, sondern indem man links überzeugt.

Das bedeutet auch: Wir werden akzeptieren müssen, dass sich manche Menschen der Linken zunächst nicht aus tiefer Überzeugung für ein humanistisches Menschenbild zuwenden – sondern erstmal deshalb, weil sie dort ihre materiellen Interessen am besten vertreten sehen. Politische Zugehörigkeit entsteht oft aus konkreten Lebenslagen und nicht aus abstrakten Werten. Das bedeutet nicht, dass wir Rassismus einfach hinnehmen oder relativieren sollten. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich auch in diesen Einstellungen bewegen, steigt, wenn sie sich überhaupt auf einen politischen Schritt nach links einlassen – Politisierung entsteht durch Organisierung.

Natürlich gibt es Rechte, deren Weltbild so gefestigt ist, dass sie politisch verloren sind. Aber es gibt auch diejenigen, die nach rechts schauen, weil sie in der Linken bislang keine Antwort auf ihre Lebensrealität sehen. Die entscheidende Frage ist, wie die Linke für sie wieder zur Option werden kann.

Gegen die Ohnmacht

Das Potenzial von wirtschaftspolitischen Ansätzen, die der Abstiegsangst mit Lösungen begegnen, liegt vor allem auch darin, dass sie konkret die Handlungsspielräume im Alltag ausweitet, etwa durch Preisdeckel für Wohnen, Energie und Lebensmittel und eine Sozialpolitik, die Menschen absichert und nicht gängelt. Anstatt nur Abwehrkämpfe gegen Rechts auszufechten – so richtig und wichtig sie auch sind –, sollten wir uns gleichzeitig fragen, welche Weichen wir stellen müssen, um eine Zukunft vorstellbar zu machen, die mehr verspricht als die Fortsetzung der Gegenwart.

Doch auch die »antifaschistische Wirtschaftspolitik«, so wie sie gegenwärtig innerhalb der deutschen Linken diskutiert wird, stößt an gewisse Grenzen. Das skizzierte Maßnahmenbündel ist im Grunde eine Handvoll keynesianischer Reformvorschläge. Das ist am Ende immer noch eine Form der Technokratie – nur eben eine progressive. Isoliert betrachtet stellt sich »antifaschistische Wirtschaftspolitik« gewissermaßen einen sorgenden, wohlmeinenden Staat als idealen Lenker der Wirtschaft vor, der den Kapitalismus vor seinen destruktivsten Auswüchsen rettet – und was könnte destruktiver sein als der Faschismus?

Doch man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass derartige Reformen vom Himmel fallen und innerhalb des Kapitalismus umgesetzt werden, schlichtweg, weil man die besseren Argumente hat. Momentan ist die »antifaschistische Wirtschaftspolitik« daher also vor allen Dingen erst einmal ein programmatischer Auftrag. Aber wer antifaschistische Wirtschaftspolitik nur als konkrete Policy-Forderungen denkt, läuft nicht nur Gefahr, sich Politik als eine Art Fürsorge-Dienstleistung vorzustellen und die Bevölkerung als deren passiven, stummen Empfänger, sondern der unterschätzt auch, wie sehr die Kräfteverhältnisse unserer Gesellschaft in den letzten Jahren zugunsten der Besitzenden verschoben wurden. Das bedeutet: Auch minimale, bedarfsorientierte Wirtschaftsreformen wird uns niemand schenken – sie werden erkämpft werden müssen.

Die Geschichte zeigt uns, dass viele soziale Fortschritte, die wir heute als selbstverständlich wahrnehmen – wie etwa die Arbeitszeitverkürzung auf 40 Stunden pro Woche, die Einführung der 5-Tage-Woche, Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall oder auch das Anrecht auf bezahlten Urlaub – nicht von wohlmeinenden Technokraten umgesetzt wurden, sondern das Ergebnis von Konfrontation und Arbeitskämpfen waren. Im Kapitalismus kriegt man nichts geschenkt, nur weil man kluge Reform-Vorschläge entwickelt.

»Unsere Antwort auf das grassierende Gefühl der Ohnmacht muss daher das Versprechen auf kollektive Ermächtigung sein – und das ist nur möglich über gemeinsame Organisierung.« 

Während also die einen eine antifaschistische Wirtschaftspolitik befürworten, weil sie sich einen sozialeren, funktionaleren und besseren Kapitalismus wünschen, darf unser politischer Horizont nicht bei der Forderung nach mehr Wohlfahrt und sozialer Absicherung enden. Der Grund, warum wir diese Forderungen teilen, basiert auf der Überzeugung, dass Reformen, die mehr soziale Sicherheit schaffen und arbeitende Menschen ökonomisch ermächtigen, eine bessere Grundvoraussetzung dafür schaffen, um die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft weiter zu verschieben.

Die entscheidende Frage ist also, wie wir den notwendigen gesellschaftlichen Druck aufbauen können, damit diese politischen Forderungen auch politische Realität werden. Gerade dort, wo Menschen sich am Arbeitsplatz besonders fremdbestimmt und machtlos erleben, finden rechte Erzählungen leicht Anschluss, wie etwa eine Studie zu Beschäftigten in Ostdeutschland zeigt. Dem Gefühl der Ohnmacht müssen wir deswegen mit einer Vision der Ermächtigung – nicht so sehr der Fürsorge – begegnen. Um Besitzende und Regierungen zu Zugeständnissen zu bewegen, sollten wir nicht darauf hoffen, gehört zu werden, sondern uns fragen, wie wir den nötigen Druck aufbauen können, um nicht mehr überhört werden zu können.

Der Neoliberalismus war ein politisches Projekt, dass das Ziel hatte, genau diese Art der Organisierung kollektiver Handlungsmacht so weit es geht zu unterbinden. Margaret Thatcher hat das unverhohlen zum Ausdruck gebracht, als sie versprach, aus einer Gesellschaft vereinzelte Individuen zu machen. Die neoliberale Offensive richtete sich nicht nur gegen soziale Sicherungssysteme, sondern auch deswegen gegen Institutionen wie Gewerkschaften, weil sie Menschen kollektive Handlungsmacht und Einfluss geben – innerhalb einer Wirtschaftsordnung, die nicht in ihrem, sondern gegen ihr Interesse gestaltet ist.

Zu verstehen, wie Solidarität systematisch geschwächt wurde, heißt auch, sich zu fragen, wie wir sie wieder ermöglichen können. Politik findet nicht nur im Parlament statt, sondern überall dort, wo Menschen die Kontrolle über ihr Leben selbst in die Hand nehmen – etwa am Arbeitsplatz, und zwar nicht nur, um bessere Bedingungen für sich selbst zu erstreiten, sondern auch um die notwendige Gegenmacht aufbauen zu können, um Regierende und Besitzende zu Zugeständnissen zu bewegen. Unsere Antwort auf das grassierende Gefühl der Ohnmacht muss daher das Versprechen auf kollektive Ermächtigung sein – und das ist nur möglich über gemeinsame Organisierung. Der marxistische Kulturtheoretiker Raymond Williams hat einmal gesagt: »Wirklich radikal zu sein bedeutet, Hoffnung zu ermöglichen, statt Verzweiflung überzeugend zu machen.« Momentan überzeugt die Verzweiflung. Es ist nun an uns, die Hoffnung wieder greifbar zu machen.

Dieser Gastbeitrag erscheint in Vorbereitung auf die Debatte »Was tun gegen den Rechtsruck?«, die auf dem bevorstehenden Marx is' Muss Kongress stattfinden wird.

Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.