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28. Juli 2025

Unternehmen jubeln – und die Kommunen zahlen den Preis

Der Investitionsbooster bedeutet eine milliardenschwere Entlastung für Unternehmen und reißt Löcher in die Haushalte der Kommunen. Nahverkehr, Jugendhilfe und anderen sozialen Angeboten droht die nächste Sparrunde.

Abriss der einsturzgefährdeten Brücke an der Wuhlheide in Berlin. Ob sie ersetzt wird, ist noch unklar. 28. Mai 2025.

Abriss der einsturzgefährdeten Brücke an der Wuhlheide in Berlin. Ob sie ersetzt wird, ist noch unklar. 28. Mai 2025.

IMAGO / Emmanuele Contini

Nach der Regierungsübernahme der Regierung Merz musste es schnell gehen. Mit dem sogenannten Investitionsbooster hat die Bundesregierung Merz ein Maßnahmenpaket beschlossen, das der altbekannten Logik neoliberaler Wirtschaftspolitik entspricht: Die steuerliche Entlastung von Unternehmen soll Investitionen bringen, die dann wiederum für Wachstum sorgen sollen. »Diese milliardenschweren Steuerentlastungen für Unternehmen suchen ihresgleichen«, weiß Bundeskanzler Merz (CDU) stolz zu berichten.

Die beschlossenen Sonderabschreibungen für Investitionen, Forschung und E-Mobilität bei Unternehmen und die schrittweise Senkung der Körperschaftsteuer ab 2028 wird zu milliardenschweren Steuerausfällen führen. Ob die Maßnahmen das versprochene Wachstum auslösen, bleibt eine riskante Wette. Die Steuergeschenke dürften vor allem für Wachstum bei den privaten Vermögen der Reichsten sorgen – für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum wären direkte, öffentliche Investitionen notwendig gewesen.

Gerade Länder und Kommunen werden die Steuerausfälle durch den Investitionsbooster zu spüren bekommen. Entsprechend hagelte es Kritik an den teuren Steuerrabatten für Unternehmen. Der Bund hat Kommunen daraufhin zugesichert, die Mindereinnahmen befristet bis 2029 aus Bundesmitteln auszugleichen. Auch den Ländern ist für den Zeitraum von 2026 bis 2029 im Gegenzug ein Investitionspaket von zusätzlichen 8 Milliarden versprochen worden. Dadurch hat sich die Regierung Merz die Zustimmung der Landesregierungen erkauft. Auch dieses Geld wird wiederum im Bundeshaushalt an anderer Stelle fehlen. Ab 2029 bleiben Länder und Kommunen auf den Steuerausfällen für die Geschenke an das Kapital sitzen.

Auch den Landesregierungen mit Beteiligung der Linken und des BSW war der Beweis ihrer eigenen »Regierungsfähigkeit« – also ihre Bereitschaft, das eigenes Parteiprogramm und die Positionen der Bundesparteien für ein paar Ministerinnenposten zu unterlaufen – wichtig genug, um dem Investitionsbooster im Bundesrat zuzustimmen, obwohl dies die finanzielle Lage der Länder und insbesondere der Kommunen langfristig und nachhaltig schädigen wird. Denn spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem die Ausgleichszahlungen ausbleiben, werden die Mittel noch knapper werden.

Strukturelle Unterfinanzierung

Seit Jahren klagen die kommunalen Spitzenverbände über die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen. Da die Aufgaben durch gesetzliche Verpflichtungen durch Bundes- oder Landesgesetze wachsen, aber die notwendigen Ressourcen für Personal und Sachmittel für die Umsetzung aus Sicht der kommunalen Spitzenverbände nicht oder nicht ausreichend durch den Bund bereitgestellt wurden, fehlt es zunehmend an Geld. Statt die ohnehin prekäre Finanzlage der Kommunen und der Länder zu stabilisieren und sie dazu zu befähigen, dringend notwendige Investitionen in Bildung, Infrastruktur und soziale Teilhabe zu eröffnen, setzt die Bundesregierung wie bereits ihre Vorgänger auf Steuererleichterungen für das Kapital.

Allein im vergangenen Jahr haben die deutschen Kommunen ein Defizit von 24,8 Milliarden Euro aufgewiesen. Die Kommunen in Deutschland finanzieren sich über eine Kombination aus eigenen Steuereinnahmen, Anteilen an Gemeinschaftssteuern und finanziellen Zuweisungen von Bund und Ländern für bestimmte Aufgaben. Zudem erheben sie Gebühren, Beiträge und Krediten, etwa für Mullabfuhr oder Wasserversorgung. Diese sind jedoch zweckgebunden und dürfen nur kostendeckend verwendet werden.

»Die Steuergeschenke dürften vor allem für Wachstum bei den Vermögen der Reichsten sorgen – für wirtschaftliches Wachstum wären öffentliche Investitionen notwendig gewesen.«

Die wichtigste eigene Steuer ist die Gewerbesteuer, die direkt bei den Unternehmen vor Ort erhoben wird. Hier kommt es oftmals zu einer Art Steuerkonkurrenz zwischen Kommunen, die teilweise extrem niedrige Gewerbesteuern erheben, um Unternehmen anzulocken. Da die Kommunen die Steuerhöhe selbst mitbestimmen, treten sie damit in eine Konkurrenz um den niedrigsten Steuersatz. Nicht selten führt dies zu Scheinansiedlungen von Unternehmen, die geringe Gewerbesteuern über Briefkastenfirmen zahlen, aber ihre Gewinne in Wirklichkeit an anderen Standorten erwirtschaften. Über den kommunalen Finanzausgleich erhalten Kommunen zudem Ausgleichszahlungen von ihrem jeweiligen Bundesland. Diese dienen dazu, Unterschiede in der Finanzkraft zwischen reichen und armen Kommunen etwas auszugleichen.

Zudem gibt es zweckgebundene Zuweisungen für bestimmte Aufgaben wie beispielsweise die Unterbringung von Geflüchteten, Klimaschutzprogramme, Kita-Ausbau und das Bundesteilhabe-Gesetz. Für Investitionen dürfen Kommunen in der Regel auch Kredite aufnehmen. In den Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen ist das bei den Bezirken, die dort die kommunale Ebene sind, nicht möglich. Bei Liquiditätsengpässen greifen Kommunen zusätzlich auf Kassenkredite zurück, die ähnlich wie ein privater Dispo-Kredit funktionieren. Eine starke Nutzung des Instruments der Kassenkredite, wie sie zuletzt immer wieder festgestellt wurde, verweist dabei auf eine Verschärfung der strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen.

Blick in den Koalitionsvertrag

Dass die Kommunen unter Druck stehen, ist auch der Bundesregierung bewusst. »Wir wollen«, so versichern CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag, »dass unsere Kommunen auch in Zukunft lebenswert und leistungsfähig sind«. Was Merz und Co. dahingehend jedoch planen, wird keine Abhilfe verschaffen, sondern das genaue Gegenteil erreichen.

In den vergangenen Jahrzehnten haben mehrere Kommunalreformen in verschiedenen Teilen Deutschlands dazu geführt, dass sich die finanzielle Abhängigkeit der Kommunen immer mehr verschärft. Reformen, die auf mehr Effizienz und Steuerung ausgerichtet waren, haben vielfach faktisch zu einem Rückgang kommunaler Autonomie und einem zunehmenden strukturellen Finanzdruck geführt.

Für die über Jahrzehnte aufgebauten Probleme der Kommunen liefert die Bundesregierung nur vage Pläne. Geplant ist ein »Zukunftspakt Bund, Länder und Kommunen«, durch den die »finanzielle Handlungsfähigkeit« gestärkt werden soll, und zwar durch »eine umfassende Aufgaben- und Kostenkritik«. Die Bundesregierung will mit diesem Pakt also vor allem dadurch »Entlastung« schaffen, indem sie die neoliberale Regulation der kommunalen Verwaltung vertieft.

Angeboten wird nicht eine auskömmlichere Finanzierung kommunaler Aufgaben. Vielmehr sollen aus Sicht der Koalition »unnötige« Aufgaben gestrichen werden. Es geht also um ein weiteres Trimmen auf Effizienz. Gleichzeitig gibt es bereits einen Forderungskatalog, deren Umsetzung man von den Kommunen einfordert: Digitalisierung der Verwaltung und der Antragsbearbeitung, Bürokratieabbau, Digitalisierung des Bürgergelds sowie die Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung von Bildung und der sozialen Teilhabe in sozial angespannten Wohngebieten.

»Vermögensbesitzer profitieren von sinkenden Unternehmenssteuern – und im Vergleich zur Mehrheit der Bevölkerung sind sie auch nicht auf kommunale Dienstleistungen angewiesen.« 

Eine noch umfassendere Implementierung von betriebswirtschaftlichen Mechanismen der Privatwirtschaft ist daher absehbar. Bereits seit den 1980er Jahren wird dieser Ansatz als »Neues Steuerungsmodell« diskutiert und wurde seitdem in vielen Kommunen eingeführt – mit zweifelhafter Bilanz. Der »Zukunftspakt« wird also absehbar ein weiteres Instrument, um in die Kommunen hineinregieren zu können, die Selbstverwaltung und politische Eigenständigkeit der Kommunen zu unterlaufen und ihnen den von der Regierung Merz auch an anderer Stelle beschworenen Sparzwang aufzudrängen.

Die Steuerpolitik der Bundesregierung sorgt zudem dafür, dass die Kommunen einen Anreiz haben, sich diesem neoliberalen Dogma zu beugen. Die Koalition plant Senkungen der Einkommensteuer, insbesondere durch die weitere Anhebung von Freibeträgen und Tarifanpassungen. Da die Kommunen an der Einkommensteuer mit 15 Prozent des gesamten Aufkommens beteiligt sind, führt dies direkt zu Mindereinnahmen für die Kommunen. Auch der Investitionsbooster fällt in diese Kategorie. Der zeitweilige finanzielle Ausgleich für die entgangenen Steuereinnahmen, die den Kommunen nun gewährt wird, ist in der Logik der Aufgaben- und Kostenkritik die Gnadenfrist, die den Kommunen gewährt wird, um ihren Haushalt auf die wegbrechenden Steuereinnahmen einzustellen.

Denn konkrete Zusagen über langfristige finanzielle Zuweisungen des Bundes sucht man vergebens. 250 Millionen Euro sollen jährlich während der Legislatur als Unterstützung für den Altschuldenabbau der Kommunen fließen. Angesichts eines Schuldenbergs von 322,9 Milliarden Euro mit dem Jahresabschluss 2023 und dem bereits angesprochenen Defizit der Kommunen von über 24 Milliarden in 2024 ist das offensichtlich ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Zur vorgesehenen Vereinfachung von Fördermittelabrechnung und Berichterstattung für die Kommunen finden sich bis auf die Idee, Pauschalen einzuführen, keine Details zur Umsetzung und auch keine grundlegende Abkehr von der Projektfinanzierungslogik. Dabei ist die an sich ein Problem. Denn bei Projektförderungen werden Fördermittel nur für einzelne Projekte, die die Bundesregierung (oder andere Institutionen wie die EU) für förderfähig hält, befristet zur Verfügung gestellt. Eine ausreichende Finanzierung der Kommunen durch ausreichend finanzielle Zuweisungen oder eigene Steuereinnahmen kann das kaum ersetzen.

Beschnitten wird damit auch der finanzielle Spielraum, um eigene (Investitions-) Entscheidungen zu treffen. Gerade ärmere Kommunen können sich größere Investitionen nur noch leisten, wenn sie ein Förderproramm finden, in das sich ihre Bedarfe einsortieren lassen. Findet sich kein passendes Programm, gibt es also keine Finanzierung, was den politischen Möglichkeitsraum entscheidend verengt. Kommunen sind somit immer weiter abhängig von EU-, Bundes- und Landesmitteln und die demokratische Mitbestimmung der Bürgerinnen reduziert sich auf unterschiedliche Ansätze der Mangelverwaltung. Insbesondere ärmere Kommunen verfügen zudem oft nicht über genügend Personal, um die voraussetzungsreichen Förderanträge zu schreiben und die bürokratischen Abrechnungen der Förderungen korrekt umzusetzen. Somit profitieren in der Tendenz eher reichere Kommunen, die sich das entsprechende Personal für Beantragung und Abrechnung leisten können.

Klassenpolitik von oben

Die aktuelle Steuerpolitik der Bundesregierung verschärft also die Unterfinanzierung der Kommunen und geht damit direkt zu Lasten ihrer Einwohnerinnen und Einwohner. Sie reiht sich dabei in eine Reihe vergangener Steuersenkungen ein, die dazu geführt haben, dass kommunale Dienstleistungen sich verschlechterten oder ganz gestrichen wurden. Dazu zählt etwa die Unternehmenssteuerreform von 2008, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz 2009/2010 und die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Hotels sowie die Entlastungen bei Einkommens- und Unternehmenssteuern, die direkte Auswirkungen auf die Kommunen hatten. Gleichzeitig steigen die Kosten, insbesondere für die Unterbringung von Geflüchteten, aber auch für die Jugend- und Eingliederungshilfe. Die sind gleichzeitig notwendige und dringliche Investition in den sozialen Zusammenhalt und für ein selbstbestimmteres Leben der Betroffenen.

Die Bundesregierung vertieft den ohnehin vorhandenen Druck auf die Kommunen und zwingt sie, ihre Ausgaben weiter zu reduzieren und die Qualität ihrer Leistungen abzusenken. Kapital und große Vermögensbesitzer profitieren von sinkenden Unternehmenssteuern wie etwa dem Investitionsbooster immens – und im Vergleich zu der Mehrheit der Bevölkerung sind sie auch nicht auf kommunale Angebote und Dienstleistungen angewiesen. Lohnabhängige und Marginalisierte, die besonders stark von staatlicher Daseinsvorsorge profitieren, sind die Verlierer dieser Politik, die zu dem Abbau von Sozialleistungen, die Schließung von Beratungsstellen, die Kürzung von Hilfen und schlechtere öffentlicher Infrastruktur zur Folge haben werden. Auch die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in den Kommunen sowie Mitarbeiter bei freien Trägern, an die die Kommunen den Kostendruck weiterreichen, bezahlen mit sinkenden Löhnen, niedrigeren Eingruppierungen und schlechteren Arbeitsbedingungen. Die kommunale Demokratie wird ausgehöhlt, weil es real kaum noch Spielräume für politische Entscheidungen gibt.

Wenig überraschend versteckt sich hinter den Phrasen über »lebenswerte und leistungsfähige« Kommunen im Koalitionsvertrag die Ideologie des Nachtwächterstaats. Zwar ist es noch nicht so weit, dass wie in Argentinien oder den USA die »Kettensäge« angesetzt wird, doch auch die große Koalition setzt zu Gunsten niedriger Steuern und vermeintlich besserer Verwertungsbedingungen für das Kapital die Axt an die verbliebene soziale Infrastruktur in den Kommunen an.

Fabian Nehring ist Politikwissenschaftler und aktives Mitglied bei der Linken in Berlin.