26. Januar 2024
Statt Israel zum Waffenstillstand in Gaza zu drängen, haben die USA im Jemen eine weitere Front eröffnet. Die Luftschläge werden Angriffe auf Schiffe im Roten Meer kaum verhindern, dafür aber Vermittlungsversuche für ein Ende des jemenitischen Bürgerkriegs unterminieren.
Protestierende demonstrieren gegen die US-geführten Luftangriffe auf den Jemen in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa, 24. Januar 2024.
Nach wochenlangem Zögern haben die Streitkräfte der USA und des Vereinigten Königreichs am 11. Januar mit mehr als 60 Luftschlägen gegen Stellungen der Ansar-Allah-Bewegung, hierzulande besser bekannt als Huthis, im Jemen begonnen. Diese und weitere Angriffe sollen die Huthis offiziell davon abhalten, ihre Attacken auf die Schifffahrt im Roten Meer fortzusetzen. Ob dies gelingt, bleibt abzuwarten. In jedem Fall sind die Angriffe aber eine erhebliche Eskalation der aktuellen Nahostkrise.
Die zunächst als »einmalig« bezeichneten Angriffe finden seither fast täglich statt – und werden fortgesetzt. Die Regierungen der USA und des Vereinigten Königreichs erklären, man wolle die international anerkannte Freiheit der Schifffahrt sicherstellen. Eine weitere Rechtfertigung, die gerade in der europäischen Öffentlichkeit positiv aufgenommen werden dürfte, zielt auf die möglichen Auswirkungen der Huthi-Aktionen im Roten Meer auf die Inflation und Lieferverzögerungen. Schließlich müssen viele Schiffe nun den großen Umweg um das Horn von Afrika machen.
Die Vereinigten Staaten haben des Weiteren erklärt, die derzeitigen Angriffe würden nicht im Rahmen der Mitte Dezember angekündigten Operation Prosperity Guardian durchgeführt. Das Hauptmerkmal dieser »Koalition« war ihre Unbedeutsamkeit: Keiner der Anrainerstaaten des Roten Meeres hatte sich angeschlossen, auch nicht Ägypten, das am stärksten von den Einnahmeausfällen bei der Durchfahrt durch den Suezkanal betroffen ist. Die meisten großen Reedereien leiten ihre Schiffe nun tatsächlich um Afrika herum – was zu höheren Kosten und Verzögerungen führt.
US-amerikanische und andere westliche Regierungsvertreter haben bisher entweder nicht bemerkt oder nicht akzeptiert, dass die Huthis ausdrücklich erklärt haben, ihre Aktionen unterstützten die Palästinenserinnen und Palästinenser und würden enden, sobald Israels Angriffe und die Blockade des Gazastreifens eingestellt werden. Ansar Allah hat weiter erklärt, man werde ausschließlich Schiffe angreifen, die Verbindungen zu Israel haben – auch wenn betont werden muss, dass die Huthi-Attacken nach den Luftangriffen inzwischen auch Schiffe aus den USA und dem Vereinigten Königreich betreffen. Ganz grundsätzlich hat die Bewegung aber offenbar nicht das Ziel, eine generelle Blockade des Roten Meeres zu errichten.
In den westlichen Medien werden die Huthis, wie auch eine Reihe anderer Bewegungen in der Region, routinemäßig (und fälschlicherweise) als Stellvertreter des Iran dargestellt, die Befehle aus Teheran erhalten. Die Standardformulierung für Ansar Allah lautet daher »vom Iran unterstützte Huthis«. Diese Formulierung und ihre zugrundeliegende Annahme dienen zwei Zwecken.
Zunächst spielen sie US-amerikanischen Hardlinern in die Hände, die sich einen umfassenden Krieg gegen den Iran wünschen. Dies hätte unvorstellbare Folgen für die gesamte Region und darüber hinaus. Der Wunsch deckt sich mit den Plänen der rechtsradikalen Regierung Israels, deren extremste Vertreter ebenfalls darauf hinarbeiten, die Vereinigten Staaten in einen solchen Krieg zu treiben. Das Ergebnis wäre insbesondere für die Sicherheit der Staaten des Golfkooperationsrates (GKR) nachteilig. Diese Länder liegen geografisch (und in geringerem Maße auch politisch) zwischen Israel und dem Iran.
Zweitens ist der Vorwurf, lediglich als Stellvertreter Teherans zu agieren, eine Beleidigung für die Huthi-Organisation, die sehr wohl ihre eigenen Beweggründe und ideologischen Positionen hat. Der Grund-Slogan der Huthis, der täglich wiederholt wird, lautet: »Tod den USA, Tod Israel, Fluch über die Juden«. Zu diesen drei negativen Zielen gesellen sich die zwei bei den Huthis positiv konnotierten Elemente »Allah ist groß« und »Sieg dem Islam«.
»Die Intervention im Roten Meer hat das Image von Ansar Allah verändert, von einer weitgehend unbekannten ›Rebellen‹-Bewegung im Jemen hin zu einer konkreten Kraft, die in der ganzen Welt von tausenden Menschen als ›heldenhaft‹ gefeiert wird.«
Die Huthi-Reaktion auf das Massaker im Gazastreifen bestand zunächst darin, Raketen und Drohnen auf den Süden Israels abzufeuern. Wenig überraschend konnten diese Geschosse abgefangen werden, bevor sie ihr Ziel erreichten, und erwiesen sich als weitgehend unwirksam. Im Gegensatz dazu haben die späteren Interventionen der Huthi im Roten Meer echte Wirkung gezeigt: Die Zahl der Schiffe, die den israelischen Hafen Eilat anlaufen, ist um 85 Prozent zurückgegangen; Israel habe demnach bis Ende Dezember bereits Verluste in Höhe von drei Milliarden US-Dollar erlitten.
Die Intervention im Roten Meer hat das Image von Ansar Allah verändert, von einer weitgehend unbekannten »Rebellen«-Bewegung im Jemen hin zu einer konkreten Kraft, die in der ganzen Welt von tausenden Menschen als »heldenhaft« gefeiert wird – von tausenden Menschen wohlgemerkt, die noch vor wenigen Monaten nicht einmal von der Existenz der Huthis wussten. Gleichzeitig ist das Image der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und des größten Teils des Westens weltweit deutlich negativer geworden, da diese Staaten die israelischen Kämpfe im Gazastreifen (bei denen inzwischen mehr als 25.000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet wurden) weiterhin bedingungslos unterstützen.
Auch in der allgemein propalästinensisch eingestellten jemenitischen Bevölkerung hat sich die Meinung über die Huthis geändert. Die Gruppe erhält nun Unterstützung, die sie zuvor nicht genossen hatte – gerade, weil sie im Gegensatz zu den meisten Staaten der arabischen und muslimischen Welt tatsächlich etwas für die Palästinenser getan zu haben scheint. An den wöchentlichen propalästinensischen Demonstrationen in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa und in anderen Städten haben sich große Menschenmassen beteiligt. Die aktuellen Aktionen am Roten Meer helfen der Ansar Allah auch, Jugendliche für den Kampf zu rekrutieren.
Im Jemen trägt der auffällige Kontrast zwischen den aktiven Aktionen der Huthi einerseits und den Lippenbekenntnissen der international anerkannten Regierung zur palästinensischen Sache andererseits dazu bei, dass die Popularität der Huthi-Bewegung wächst.
Die amerikanisch-britischen Luftangriffe gegen die Huthis und ihre Einstufung als »Specially Designated Global Terrorist Group« durch Washington am 17. Januar werden erhebliche Auswirkungen auf den Jemen haben. Entgegen den Erklärungen der USA wird die Einordnung der Huthis als Terroristen die humanitäre Krise im Lande wahrscheinlich verschärfen.
Interventionen wie diese Terror-Einstufung und die Luftschläge haben besonders negative Auswirkungen auf die ärmeren, einfachen Bürgerinnen und Bürger des Jemen. Besonders gefährdet sind der Zugang zu Nahrungsmitteln (die bereits jetzt unzureichend sind) und das Erhalten von Geldüberweisungen aus dem Ausland. Letztere sind angesichts der Lage im Land unerlässlich, um tausende Haushalte über Wasser zu halten.
Was die Auswirkungen der Luftangriffe auf den jemenitischen Friedensprozess betrifft, so sollten wir uns zunächst die grundlegenden Fakten vor Augen führen. Erstens: Gegen wen kämpfen die Huthis? Ihre einheimischen Gegner werden seit April 2022 vom sogenannten präsidialen Führungsrat (PLC) angeführt, der zeitgleich mit dem Beginn der von den Vereinten Nationen vermittelten Waffenruhe (die nur bis Oktober desselben Jahres andauerte) sein Amt aufnahm.
Der PLC als international anerkannte Regierung des Jemens setzt sich aus acht Männern zusammen, die verschiedene geografische Gebiete und politische Fraktionen des Landes sowie die rivalisierenden Interessen Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate vertreten. Letztere zwei Staaten hatten den PLC überhaupt erst ins Leben gerufen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die internen Rivalitäten und der Konkurrenzkampf zwischen ihren externen Geldgebern Vorrang vor dem eigentlichen Kampf gegen die Huthis haben.
»Der Vorwurf, lediglich als Stellvertreter Teherans zu agieren, ist eine Beleidigung für die Huthi-Organisation, die sehr wohl ihre eigenen Beweggründe und ideologischen Positionen hat.«
Im Gegensatz dazu treten die Huthis geschlossen auf. Es gibt zwar Differenzen innerhalb der Bewegung, aber diese werden durch die stark zentralisierte Organisation und Führung im Zaum gehalten.
Seit 2015 herrscht Ansar Allah über rund zwei Drittel der jemenitischen Bevölkerung und ein Drittel des Landesgebiets. Ihr Regierungssystem ist äußerst autoritär und repressiv. Die Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Meinungsfreiheit und der Gleichberechtigung von Frauen, gehört definitiv nicht zu den politischen Grundsätzen der Bewegung.
In finanzieller Hinsicht bauen die Huthis weitgehend auf hohe Steuern auf alles und jeden in ihrem Machtbereich. Im vergangenen Jahr sind die Zolleinnahmen aus den Häfen der Küstenstadt al-Hudaida dank der teilweisen Aufhebung der Seeblockade gestiegen. Die Huthis haben es geschafft, Schiffe von Aden abzulenken und zu zwingen, in ihren Gebieten zu ankern und Zölle zu zahlen.
Gleichzeitig haben der Zusammenbruch der Wirtschaft und die unzureichende humanitäre Unterstützung für den Jemen das Leid im ärmsten Land der Region erheblich verschlimmert. Im Laufe des nun schon fast neun Jahre andauernden Bürgerkriegs sind die militärischen Kapazitäten und die Stärke der Huthi gewachsen. Ohne die Luftangriffe der von Saudi-Arabien angeführten Koalition hätten sie wahrscheinlich weitere Gebietsgewinne erzielt, insbesondere in den Öl- und Gasfördergebieten um die Stadt Ma’rib [die auch de facto Sitz des PLC ist].
Soviel zum Hintergrund. Zu dieser bereits komplexen Situation kommt hinzu, dass seit Ende 2022 direkte, offene Verhandlungen zwischen Saudi-Arabien und den Huthis stattfinden. Mit diesen Verhandlungen sollte der Krieg im Jemen endlich beendet werden.
Der saudische Machthaber Mohammed bin Salman, der schon lange nicht mehr an einen schnellen und einfachen Sieg über die Huthis glaubt, will sein Land seit einigen Jahren aus dem Jemenkrieg herauslösen. Die Huthis ihrerseits betonen stets, sie befänden sich mit Saudi-Arabien im Krieg und unterstellen, die (tatsächlich von Saudi-Arabien unterstützte) international anerkannte Regierung sei lediglich eine saudische Marionette. Direkte Verhandlungen gelten daher als ein wesentlicher Faktor dafür, dass sich Saudi-Arabien aus dem Konflikt herausziehen und dieser vielleicht sogar beendet werden kann.
Während des gesamten Jahres 2023 bestand die Hoffnung, dass eine Einigung in greifbare Nähe rücken könnte. Dies hätte Lösungen für mehrere wichtige Fragen bringen können, darunter die saudische Finanzierung der Gehälter der Regierung, ein vollständiges Ende der Blockade der Häfen von Hudaida und eine Ausweitung der internationalen Flugziele vom Flughafen Sanaa. Vor allem aber hätte es wohl einen dauerhaften Waffenstillstand und sichere jemenitisch-arabische Grenzen bedeutet.
Knackpunkt war jedoch die Frage nach dem offiziellen Status Saudi-Arabiens im Abkommen. Die Huthis bestanden darauf, dass die Saudis als »Teilnehmer« des Konflikts unterzeichnen müssten. Dies hätte dazu geführt, dass die saudischen Behörden wegen früherer Militäraktionen wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden könnten. Die Saudis wollten ihrerseits als »Vermittler« unterzeichnen, um genau dies zu vermeiden (und um ihr internationales Image zu verbessern).
»Für die Vereinigten Staaten war die Beendigung des Bürgerkriegs im Jemen einer der wenigen potenziellen außenpolitischen Erfolge, die Biden zu Beginn seiner Präsidentschaft anstrebte. Mit dem Angriff auf die Huthis und deren Einstufung als Terroristen hat der US-Präsident dieses Ziel offenbar ad acta gelegt.«
Im Dezember vergangenen Jahres gab es Hinweise darauf, dass die Huthis in dieser Frage einen Kompromiss eingehen würden. Berichten zufolge sollten die Huthis und der PLC das Abkommen mit den Saudis als Vermittler Anfang Januar formell unterzeichnen. Letztendlich kam es jedoch lediglich zu einer Erklärung des UN-Sondergesandten Hans Grundberg, der während der vorherigen Verhandlungen zwischen den Saudis und den Huthis komplett außen vor gelassen worden war. Grundberg konnte letztlich nur mitteilen, dass er mit der Ausarbeitung eines Ablaufplans für innerjemenitische Verhandlungen fortfahren werde. Dieser Plan solle zu einem Friedensabkommen zur Lösung des jemenitischen Bürgerkriegs führen.
Auch die PLC-Mitglieder wurden von den Saudis lediglich über den Inhalt des geplanten Abkommens »informiert«. Ebenso wie der UN-Sonderbeauftragte waren sie weder konsultiert worden noch hatten sie die Möglichkeit, ihre Ansichten in den Verhandlungen mit den Huthis zum Ausdruck zu bringen.
Wäre dieses Abkommen zustande gekommen, hätte es zwar mehrere Golfstaaten formell aus ihrer Verwicklung in den jemenitischen Bürgerkrieg entlassen – doch es besteht kaum Zweifel daran, dass diese Staaten die von ihnen finanziell und politisch abhängigen Fraktionen im Jemen trotzdem weiter unterstützt hätten.
Dieses Abkommen hätte also vermutlich den Bürgerkrieg im Jemen nicht beendet, doch es wäre immerhin ein guter Schritt in Richtung einer Friedenslösung gewesen. Inzwischen liegt das Machtgefälle deutlich zugunsten der Huthis. Es ist schwer vorstellbar und wäre sicherlich ein extrem schwieriger Auftrag, einen überlebensfähigen demokratischen Staat im Jemen aufzubauen. Dazu trägt auch bei, dass einige Teile der international anerkannten Regierung (wie der sogenannte Südübergangsrat und die Nationalen Widerstandskräfte von Tareq Saleh) ebenso autoritär und repressiv auftreten wie die Huthis, während andere wie die Islah eine rivalisierende islamistische Ideologie vertreten.
Das Eingreifen der Huthis in den Gaza-Krieg stellt eine weitere Herausforderung für mögliche Friedensgespräche dar. Ursprünglich hatten die Saudis und die USA gehofft, ein Abkommen könne unterzeichnet werden, bevor sich die Lage in Gaza noch weiter verschlechtert. Diese Hoffnung erklärt auch das saudische Schweigen zu den Aktionen von Ansar Allah am Roten Meer – wobei es für jede Regierung im Nahen Osten heikel ist, sich gegen eine solche aktive Unterstützung Palästinas während des laufenden Krieges auszusprechen. Als Reaktion auf die US-Angriffe im Jemen hat Riad erneut zu »Zurückhaltung und Vermeidung einer Eskalation« aufgerufen.
Für die Vereinigten Staaten war die Beendigung des Bürgerkriegs im Jemen einer der wenigen potenziellen außenpolitischen Erfolge, die Biden zu Beginn seiner Präsidentschaft anstrebte. Mit dem Angriff auf die Huthis und deren Einstufung als Terroristen hat der US-Präsident dieses Ziel offenbar ad acta gelegt.
Die amerikanische Einstufung der Huthis als Terrororganisation deckt sich mit der Strategie der international anerkannten Regierung und ihrer andauernden Forderung, die Gruppe als Terroristen zu bezeichnen. Da Unterstützung für Palästina im Jemen sehr populär ist, fällt es dem PLC jedoch schwer, sich allzu lautstark über die Terror-Einstufung der Huthis zu freuen. Andererseits hat die Aussicht auf verstärkte Angriffe der USA und Großbritanniens auf die Huthis zweifellos die Hoffnung des PLC verstärkt, dass die Gruppe militärisch besiegt werden könnte.
Befürworter dieser militärischen Eskalation scheinen nichts aus der Geschichte gelernt zu haben. Diese hat in unterschiedlichen Teilen der Welt immer wieder gezeigt, dass solche Militäraktionen in der Regel zu einer Verschlimmerung der Lage und zu regelrechten Katastrophen führen.
Helen Lackner ist Autorin von Yemen in Crisis: The Road to War (2019) sowie Yemen: Poverty and Conflict (2022). Sie war in der Entwicklungszusammenarbeit tätig und lebte insgesamt 15 Jahre in drei unterschiedlichen Staaten im Jemen.