05. April 2024
Der britische High Court hat Julian Assange nur eingeschränkte Berufungsrechte zugestanden und verschließt damit bewusst die Augen vor den Fragen der Pressefreiheit, um die es eigentlich geht. Auch zeigt das Gericht ein groteskes Desinteresse an den grundlegenden Menschenrechten des Angeklagten.
Julian Assange, spricht vor der ecuadorianischen Botschaft, nachdem die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierung eine Entscheidung in seinem Fall getroffen hat, 5. Februar 2016.
Am 26. März 2022 hat der britische High Court eine Entscheidung darüber getroffen, ob Julian Assange gegen seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten Berufung einlegen kann. Die Vereinigten Staaten versuchen, den australischen Journalisten und Wikileaks-Gründer wegen der Aufdeckung von Kriegsverbrechen und Machtmissbrauch der USA vor Gericht zu stellen. Nach einem fast fünfjährigen Gerichtsverfahren, in dem ein britischer Richter die Auslieferung von Assange zunächst blockierte, bevor ein höheres Gericht diese Blockade wieder aufhob, hat der britische High Court im Februar zwei Tage lang darüber verhandelt, ob Assange das Recht hat, gegen seine Auslieferung Berufung einzulegen. Dabei ging es unter anderem um die Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Hätte das Gericht Assanges Recht auf Berufung abgelehnt, hätte dieser keine Möglichkeit mehr gehabt, vor der britischen Justiz gegen seine Auslieferung anzukämpfen.
Während der zweitägigen Anhörungen im Februar schienen die vorsitzende Richterin und der vorsitzende Richter Bedenken zu äußern, dass die USA argumentieren könnten, Assange habe als ausländischer Staatsbürger keine Rechte nach dem US-amerikanischen First Amendment. Ebenso dürften die Vereinigten Staaten nicht glaubwürdig zugesichert haben, dass sie nicht die Todesstrafe gegen Assange anstreben würden. Es überrascht daher nicht, dass das britische Gericht Assange das Recht zugestanden haben, aufgrund dieser zwei Punkte Berufung gegen seine Auslieferung einzulegen.
Der britische High Court hat die Auslieferung von Assange damit also vorerst gestoppt. Es besteht aber weiterhin Grund zur Sorge. Die Anwälte von Assange hatten versucht, die Auslieferung aus neun verschiedenen Gründen anzufechten. Der High Court hat der Berufung aber nur aus drei sehr eng gefassten Gründen stattgegeben. Der Großteil von Assanges Argumenten mit Blick auf die freie Meinungsäußerung wurde hingegen zurückgewiesen.
Es sind diese Sorgen, die Pressefreiheits- und Menschenrechtsgruppen, große Zeitungen und Medien und sogar die UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit dazu veranlasst haben, sich erneut gegen die Strafverfolgung von Assange auszusprechen. Trotz des weltweiten Aufschreis über die Gefährdung der Pressefreiheit schien der britische High Court nicht in der Lage oder nicht willens zu sein, die schwerwiegenden Probleme in Sachen Meinungs- und Pressefreiheit in diesem Fall anzuerkennen.
Darüber hinaus hat das britische Gericht den USA die Möglichkeit eingeräumt, eine Berufung zu umgehen, wenn die US-Behörden versichern können, dass sie nicht die Todesstrafe gegen Assange anstreben oder ihm die Rechte nach dem First Amendment aufgrund seiner Nationalität verweigern werden. Es wäre das zweite Mal in diesem verworrenen Gerichtsverfahren, dass die Vereinigten Staaten ihr fehlerhaftes Auslieferungsersuchen durch die Gewährung von Zusicherungen retten können.
Das Worst-Case-Szenario für Assange ist (noch) nicht eingetreten. Doch letztendlich ist die Entscheidung des britischen Gerichts ein düsteres Zeichen für die allgemeine Pressefreiheit.
Zwei der Gründe für die Berufung, die Assange zugestanden wurden, beziehen sich auf die Befürchtung, dass Assange die First Amendment-Rechte verweigert werden könnten, weil er als Australier ein ausländischer Staatsbürger ist. Damit würde Assange aufgrund seiner Nationalität benachteiligt und seiner Rechte auf freie Meinungsäußerung beraubt. Diese Befürchtung ist nicht aus der Luft gegriffen: Sie stützt sich auf die Aussagen, die der leitende US-Staatsanwalt selbst gegenüber der britischen Justiz gemacht hat.
Während des gesamten Auslieferungsverfahrens hat US-Staatsanwalt Gordon Kromberg, der besagte leitende Ankläger, dem Gericht eine Reihe von eidesstattlichen Erklärungen vorgelegt. Kromberg ist eine berüchtigte Figur: Ihm wird beispielsweise politisch motivierte Strafverfolgung und Voreingenommenheit gegenüber Muslimen vorgeworfen. Er leitete außerdem nicht nur die Anklage gegen Assange, sondern verfolgte auch den Whistleblower Daniel Hale. Ich war bei der Verurteilung von Hale im Gericht anwesend. Krombergs Feindseligkeit gegenüber dem mutigen Whistleblower war unübersehbar. In einer Aussage verglich Kromberg Hale mit einem Heroin-Dealer.
Das Ziel von Krombergs eidesstattlichen Erklärungen war es, aufzuzeigen, dass Assanges Fall nicht politisch gehandhabt und dass der Australier vor einem US-Gericht fair behandelt werden würde. Um diesen Punkt zu veranschaulichen, argumentierte Kromberg in einer Erklärung vom Juni 2020, dass Assange im Falle seiner Auslieferung an die Vereinigten Staaten die Möglichkeit hätte, die Anklage vor »unabhängigen Bundesrichtern« in den USA anzufechten. Kromberg zählte vorsorglich schon einmal die Arten von Anfechtungen auf, die Assange und sein Verteidigungsteam vorbringen könnten. So könnten diese argumentieren, dass Assange Opfer einer selektiven Strafverfolgung war, dass sein Verhalten durch das First Amendment geschützt sei und dass das US-amerikanische Spionagegesetz (Espionage Act) verfassungsrechtlich zu vage gehalten sei.
»Bei der grundlegenden Frage, ob die strafrechtliche Verfolgung eines Journalisten wegen der Berichterstattung über Kriegsverbrechen eine eklatante Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung darstellt, hat der britische High Court Assanges Recht auf Berufung abgelehnt.«
Als federführender Staatsanwalt in diesem und anderen Espionage-Act-Fällen wollte Kromberg allerdings auch klarstellen, dass »die Vereinigten Staaten Argumente gegen diese potenziellen Anfechtungen [...] haben und nicht glauben, dass [diese Anfechtungen] stichhaltig sind«. Andernfalls hätte man die Anklage »gar nicht erhoben«. Als Beispiel für die Sichtweise der US-Anklage schrieb Kromberg: »Was die Anfechtung gemäß des First Amendment betrifft, so könnten die Vereinigten Staaten argumentieren, dass ausländische Staatsangehörige keinen Anspruch auf Schutz gemäß des First Amendment haben, zumindest wenn es sich um Informationen bezüglich der nationalen Verteidigung und Sicherheit handelt.«
Mit seinen Erklärungen wollte Kromberg eigentlich aufzeigen, dass Assange in den Vereinigten Staaten fair behandelt werden würde, um so den Weg für seine Auslieferung zu ebnen. Mit seiner folgenden Aussage, dass die US-Regierung versuchen könnte, Assange den Schutz grundlegender Menschenrechte zu entziehen, weil er kein US-Bürger ist, hat der Staatsanwalt jedoch das Gegenteil erreicht.
Das britische Gericht räumte Assange aufgrund des Patzers von Kromberg zwei verschiedene Klagemöglichkeiten ein. Erstens kann Assange mit der Begründung Berufung einlegen, dass er als ausländischer Staatsangehöriger in den USA nachteilig behandelt werden würde. Zweitens kann er – wenn das First Amendment scheinbar nicht auf Assange anwendbar ist – gegen die Auslieferung mit der Begründung Berufung einlegen, dass sie gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt, der die freie Meinungsäußerung garantiert.
In Bezug auf die freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 haben die Verteidiger von Assange eine breitere und solide Palette von Argumenten vorgebracht. Sie erinnerten daran, dass Assange Kriegsverbrechen aufgedeckt hat und nun dafür strafrechtlich verfolgt wird. Nach den europäischen Menschenrechtsgesetzen sei die involvierte Chelsea Manning eindeutig eine Whistleblowerin – und Personen, die staatliche Verbrechen aufdecken, verdienen in Europa besonderen Schutz.
Allerdings: Das britische Gericht gestand Assange das Recht auf Berufung mit Verweis auf Artikel 10 nur in Bezug auf die Äußerungen Krombergs zu. Bei der grundlegenden Frage, ob die strafrechtliche Verfolgung eines Journalisten wegen der Berichterstattung über Kriegsverbrechen (die von einer Whistleblowerin aufgedeckt wurden) eine eklatante Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung darstellt, hat der britische High Court Assanges Recht auf Berufung abgelehnt. Damit zeigt er eine erschütternde Verachtung für den freien Journalismus.
Das Gericht argumentierte, dass die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte »die vom Antragsteller vorgebrachte Behauptung nicht stützen, dass Whistleblower oder Journalisten in Bezug auf kriminelles Verhalten im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeit Immunität genießen«. Diese Aussage ist grundsätzlich natürlich richtig: Journalisten dürfen nicht alles. Doch es besteht ein Unterschied zwischen der Vorstellung, dass ein Journalist nicht strafbar sein kann einerseits, und der Kriminalisierung des Journalismus an sich andererseits.
Mit Blick auf die freie Meinungsäußerung scheint der britische High Court somit wenig an der US-amerikanischen Anklage gegen Assange zu bemängeln. Assange soll wegen 18 Straftaten angeklagt werden; 17 davon unter dem Espionage Act. Diese betreffen Informationen, die die Whistleblowerin Manning über Kriegsverbrechen und Machtmissbrauch an Wikileaks weitergegeben hatte. Pressefreiheits- und Menschenrechtsgruppen haben die Anklagen nach dem Espionage Act durchweg kritisiert. Laut dem britischen High Court betreffen jedoch nur drei der gegen Assange erhobenen Anklagen »direkt die Freiheit der Meinungsäußerung«. Die verbleibenden 15 Anschuldigungen »beziehen sich auf etwas, das man als gewöhnliche Straftaten bezeichnen« könne. Bei den Anklagepunkten, bei denen das Gericht einen Zusammenhang mit der freien Meinungsäußerung feststellte – nämlich die Veröffentlichung der Berichte über die Vorgänge im Irak und in Afghanistan sowie über interne Nachrichten des Außenministeriums – argumentierte das Gericht, da in den Dokumenten unter anderem die Namen von Personen enthalten seien, die Informationen mit der US-Regierung ausgetauscht hätten, habe es kein öffentliches Interesse an deren Veröffentlichung geben können.
Der britische High Court akzeptierte somit (auf Basis der Erklärungen von Kromberg), dass die Vereinigten Staaten mit der strafrechtlichen Verfolgung von Assange für drei der wohl folgenreichsten Veröffentlichungen über die US-Außenpolitik jemals – das Afghan War Diary, die Iraq War Logs und Cablegate – in Wirklichkeit nur ein Interesse am Schutz der Sicherheit von Ausländern verfolgen, die Informationen mit den USA teilen.
Diese Einschätzungen sind in mehrfacher Hinsicht falsch. Die Veröffentlichungen – an denen sich namhafte Zeitungen auf der ganzen Welt beteiligten – waren absolut im öffentlichen Interesse. Es gibt von niemandem, auch nicht vom US-Militär, Beweise dafür, dass irgendjemandem durch diese Veröffentlichungen Schaden zugefügt wurde. Die Veröffentlichung der Dokumente selbst lag eindeutig im öffentlichen Interesse.
Außerdem agierten Assange und Wikileaks alles andere als leichtsinnig. Mehrere Medienvertreter haben während der ersten Anhörung zur Auslieferung ausgesagt, dass Wikileaks strenge Maßnahmen zur Unkenntlichmachung und zum Schutz von Informationsquellen ergriffen hatte. John Goetz, ein Investigativjournalist, der für den Spiegel mit Wikileaks interagierte, erklärte, Assange habe während der Arbeit am Afghanistan War Diary zugestimmt, die Dokumente nochmals zu überprüfen, damit sie keinen anderen Personen schaden könnten. Wikileaks habe die Veröffentlichung von 15.000 Dokumentenseiten als Teil dieses »Prozesses zur Schadensminimierung« verzögert. Goetz beschrieb die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen als die strengsten, die er als Journalist je erlebt habe.
»Nach britischem Recht darf die Regierung eine Person nicht ausliefern, wenn ihr im anderen Land die Todesstrafe droht. Die Rechtslage ist diesbezüglich eindeutig.«
Bei den Irak War Logs hat Wikileaks sogar noch strengere Vorkehrungen getroffen, um die Namen von Informanten zu schützen. John Sloboda von Iraq Body Count sagte während der ursprünglichen Auslieferungsanhörung aus, wie seine Organisation ein Computerprogramm für WikiLeaks entwickelte, um die Namen der Informanten in den 400.000 Seiten umfassenden Dokumenten unkenntlich zu machen. Wikileaks war diese Schwärzung demnach sehr wichtig und sie wurde so gewissenhaft vorgenommen, dass sich diverse Partner in den Mainstream-Medien verärgert darüber zeigten, dass die Veröffentlichungen dadurch verzögert wurden. Eine andere Medienpartnerin von Wikileaks, die italienische Enthüllungsjournalistin Stefania Maurizi, sagte ebenfalls aus, die Vorsichtsmaßnahmen seien die strengsten gewesen, die sie als Journalistin jemals erlebt habe. Sie betonte weiter, nicht einmal ihre Kolleginnen und Kollegen, die an Artikeln über die italienische Mafia arbeiten, hätten derart strenge Sicherheitsprotokolle einhalten müssen.
Zum historischen Vergleich: Die Kopien der Pentagon Papers, die Daniel Ellsberg 1971 an die Medien weitergab, enthielten ungeschwärzte Namen von Geheimdienstquellen und sogar eines CIA-Offiziers. Ellsberg glaubte – zu Recht – dass das öffentliche Interesse an der Veröffentlichung der Pentagon Papers die Privatsphäre-Bedenken überwiegt.
Wenn es bei Wikileaks zu einer Sicherheitslücke kam, war dies nicht die Schuld von Wikileaks selbst, sondern von einem der Medienpartner. Bei den State Department-Dokumenten setzte Wikileaks seine Politik der strikten Schwärzung zum Schutz von Informanten und der strengen Informationssicherheit beispielsweise fort. Ein Reporter des Guardian veröffentlichte aber das Passwort zu den verschlüsselten Dateien als Kapitelüberschrift in seinem Buch. Dies löste eine Serie unübersichtlicher Ereignisse aus, wobei Einzelpersonen in der Lage waren, online auf den gesamten Dokumentensatz zuzugreifen. Assange und Wikileaks benachrichtigten das US-amerikanische Außenministerium über den Vorfall, doch dessen Beamte zeigten kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit Assange.
Erst nachdem andere Websites die vollständigen, unzensierten Dokumente des Außenministeriums veröffentlicht hatten, tat auch Wikileaks dies. Keines dieser internationalen Medienunternehmen wurde nach dem Espionage Act angeklagt – auch wenn der Herausgeber von Cryptome, der ersten Website, die die ungeschwärzten Dokumente veröffentlichte, den ungewöhnlichen Schritt ging, die Regierung regelrecht zu bitten, ihn anzuklagen. Wenn es der US-Regierung tatsächlich um die Namen der Informanten und deren Schutz ginge, müssten sie diejenigen Medien und Personen strafrechtlich verfolgen, die sie als erste veröffentlicht haben.
Das britische Gericht kam indes zu dem Schluss, dass das First Amendment der USA dem Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention sehr ähnelt. Seine reine Existenz und Assanges Möglichkeit, sich auf das First Amendment zu berufen, bedeute demnach, dass die Auslieferung auch nicht gegen Artikel 10 verstößt. Dies setzt aber natürlich voraus, dass die USA nicht [wie von Kromberg getan] erklären, für Assange könnten die Rechte dieses Ersten Verfassungszusatzes nicht gelten.
Der High Court hat Assange des Weiteren das Recht verweigert, Berufung einzulegen, weil er aufgrund seiner politischen Ansichten verfolgt werde oder weil er wegen einer politischen Straftat ausgeliefert werden soll. Tatsächlich verbietet ein bestehendes Auslieferungsabkommen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich die Auslieferung wegen politischer Straftaten. Ein britisches Auslieferungsgesetz aus dem Jahr 2003 enthält diese Bestimmung jedoch nicht. Nach Ansicht des High Court kann aufgrund dieser unklaren Rechtslage die entsprechende Frage nicht eindeutig beurteilt werden. In gewisser Weise könnte ein Richter demnach eine Auslieferung veranlassen, obwohl dies eindeutig gegen den Wortlaut des Abkommens mit den USA verstößt.
Der zweite Punkt, der die britischen Richter im Februar unruhig werden ließ, waren die ausbleibenden Zusicherungen der USA in Bezug auf die Todesstrafe. In der Tat würde auf keine der Anklagen gegen Assange die Todesstrafe stehen. Es ist zwar nicht komplett unmöglich, dass die Vereinigten Staaten neue Anklagen mit der Höchststrafe erheben könnten, allerdings gilt dies als recht unwahrscheinlich. Während der Anhörung im Februar skizzierte die Verteidigung von Assange dennoch mehrere Szenarien, in denen die USA die Todesstrafe verhängen könnten. Als die britischen Staatsanwälte, die nach britischem Auslieferungsrecht die Vereinigten Staaten während des Auslieferungsverfahrens vor Gericht vertreten, dazu befragt wurden, bestätigten sie, die Ausführungen der Verteidigung von Assange seien richtig. Sie erklärten weiter, dass die britische Regierung in einem solchen Fall wohl machtlos wäre und die Auslieferung in die USA nicht aufhalten könne.
Nach britischem Recht darf die Regierung eine Person nicht ausliefern, wenn ihr im anderen Land die Todesstrafe droht. Die Rechtslage ist diesbezüglich eindeutig. Dementsprechend ist es nicht überraschend, dass der High Court Assange im Hinblick auf eine [zumindest theoretisch] drohende Todesstrafe das Recht auf Berufung zugestanden hat.
Die Richter zeigten sich zwar besorgt angesichts der drohenden Todesstrafe, andererseits aber erschreckend gleichgültig gegenüber den extralegalen Anschlagsplänen der US-Regierung auf Assange. Der High Court hat Assange ausdrücklich untersagt, während eines möglichen Berufungsverfahrens neue Beweise für eine CIA-Verschwörungen zu seiner Ermordung oder Entführung vorzubringen. Während der ursprünglichen Auslieferungsanhörung hatte das Gericht noch mehrere Zeugen des spanischen Sicherheitsdienstleisters UC Global vorgeladen. Diese Zeugen schilderten ausführlich, wie das Unternehmen Assange ausspioniert hatte und plante, ihn zu entführen oder zu vergiften. Ihrer Meinung nach wurden diese Aktionen auf Geheiß der CIA durchgeführt. Diese Anschuldigungen sind Gegenstand einer strafrechtlichen Untersuchung in Spanien.
»Eine zynische Interpretation des Ganzen wäre, dass der britische High Court durchaus gewillt ist, die strafrechtliche Verfolgung eines Journalisten, der Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, abzusegnen.«
Auch Yahoo News berichtete über CIA-Verschwörungen gegen Assange. Unter anderem habe der Geheimdienst ein Attentat auf Assange in Erwägung gezogen (den Plan aber letztlich verworfen). Während die Zeugenaussagen direkt von Angestellten von UC Global stammten, beruhte der Yahoo-Bericht auf »Insiderinformationen« aus der US-Regierung.
Assanges Verteidigung weist zu Recht darauf hin, dass dies weitere Belege für ein Attentatskomplott gegen ihn sein dürften. Der High Court befasste sich nicht einmal mit dieser Argumentation; es war ihm schlichtweg gleichgültig. Die Begründung für die Ablehnung der besagten Belege ist, dass diese »neuen Beweise den Beweisen ähneln, die der Richterschaft bereits vorlagen«. Die Richter räumen aber ein, dass sie die vorgelegten Beweise für glaubwürdig halten und dass sie »äußerst schwerwiegend« sind.
Wenn ein geplantes Attentat auf Assange »im Zusammenhang mit seiner Auslieferung« stünde, wäre dies auch ein Hindernis für seine Auslieferung. Diesen Zusammenhang sieht der High Court jedoch nicht – mit einer höchst absurden Begründung: »Eine Auslieferung würde dazu führen, dass [Assange] sich rechtmäßig im Gewahrsam der US-Behörden befindet [...] Die Gründe (wenn man sie so nennen kann) für eine Verschleppung oder Entführung oder Ermordung fallen dann weg.«
Man könnte auch sagen: Es ist vollkommen in Ordnung, Assange an das Land auszuliefern, das einen Mord an ihm plante. Für die britischen Richter ist das Thema damit erledigt.
Obwohl Assange also mit Verweis auf einige wenige und extrem eng gesteckte Gründe Berufung einlegen darf, ist unklar, ob es tatsächlich zu einer Berufung kommt. Der Grund dafür: Der britische High Court würde die Berufung nur zulassen, wenn die Vereinigten Staaten keine zusätzlichen Zusicherungen und Garantien für Assange geben. Wenn die USA garantieren können, dass Assange »sich auf das First Amendment berufen kann«, dass das Verfahren gegen ihn (einschließlich der Verurteilung) nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit voreingenommen geführt wird, dass er den gleichen Schutz durch das First Amendment genießt wie ein US-Bürger und dass die Todesstrafe nicht verhängt wird, dann wird es keine Berufung geben – solange das Gericht die US-amerikanischen Zusicherungen für zufriedenstellend hält (Assanges Anwälte hätten dann wiederum das Recht, diese Zusicherungen anzufechten).
Die meisten der Garantien dürften recht simpel zu befolgen sein. Da die Vereinigten Staaten offenbar nicht die Todesstrafe gegen Assange anstreben und in der Vergangenheit ähnliche Zusicherungen gegeben haben (beispielsweise die Zusage, Edward Snowden werde nicht zum Tode verurteilt), ist es wahrscheinlich, dass sie sich auch daran halten werden.
Deutlich komplizierter ist die Frage, was es für Assange bedeutet, sich »auf das First Amendment« berufen zu können. In einem Strafprozess würde der Erste Verfassungszusatz auf verschiedene Weise ins Spiel kommen: Die Verteidigung kann eine Bestimmung entweder an sich als verfassungswidrig anfechten oder argumentieren, dass sie zwar an sich verfassungsgemäß ist, ihre Anwendung in einem bestimmten Fall jedoch verfassungswidrig ist. In Strafprozessen würde die Verteidigung meist beide Argumente vorbringen: Das Gesetz ist verfassungswidrig und sollte in seiner Gesamtheit aufgehoben werden; aber selbst wenn es verfassungskonform ist, wird es in diesem Fall auf eine verfassungswidrige Weise angewandt. Im US-Rechtssystem werden solche Fragen als Rechtsfragen betrachtet, über die ein Richter (und nicht eine Jury) zu entscheiden hat.
Selbst wenn eine bestimmte Anklage aus solchen Gründen nicht abgewiesen wird, könnte die Verteidigung argumentieren, dass die Regierung, wenn sie Assange wegen seiner reinen Meinungsäußerung verurteilen will, ein hohes Maß an Vorsatz nachweisen muss. Ein Richter oder eine Richterin würde dabei an die Geschworenen deutlich kommunizieren, was die Regierung ohne begründeten Zweifel beweisen muss, um Assange verurteilen zu können.
Solange kein US-Prozess stattfindet, wissen wir nicht, was Assanges Anwälte vorbringen werden oder nicht. In Anbetracht der Tatsache, dass Assange und sein Anwaltsteam bei seiner Anklage stets die Pressefreiheit und die freie Meinungsäußerung betont haben, braucht es aber keine Hellseherei, um zu vermuten, dass sie die Anklage wahrscheinlich auf Basis des First Amendment anfechten und torpedieren werden.
Assange ist der erste Publizist, der auf Grundlage des Espionage Acts angeklagt würde. In der Vergangenheit wurden bereits Regierungsinsider verklagt, die als Whistleblower oder anderweitige Quellen für Journalisten fungierten. Unter Berufung auf das First Amendment haben sie meist beantragt, dass ihre Anklagen vollständig abgewiesen werden, oder sie haben argumentiert, dass die Regierung beweisen muss, dass der Angeklagte eine »spezifische Absicht oder einen bösen Zweck« verfolgt habe. In all diesen Fällen haben die US-Gerichte diese Argumente zurückgewiesen und absurderweise festgestellt, dass es keine Konflikte mit dem Ersten Verfassungszusatz bei der strafrechtlichen Verfolgung von Regierungsangestellten gibt, die bei der Beschaffung von Informationen behilflich waren.
»Letztendlich ist jeder Tag, an dem Julien Assange eine weitere Möglichkeit erhält, für sein Leben, seine persönliche Freiheit und die Pressefreiheit sowie die freie Meinungsäußerung zu kämpfen, ein guter Tag.«
Da er selbst aber kein Whistleblower ist, sondern geleakte Dokumente veröffentlicht hat, ist Assanges Fall anders gelagert. Es stellt sich die Frage: Kann das britische Gericht davon ausgehen, dass vorherige Angeklagte sich tatsächlich auf ihre im First Amendment verbrieften Rechte »verlassen« konnten? Die US-Regierung bestritt nicht, dass die Angeklagten grundsätzlich Rechte nach dem First Amendment hatten, sondern argumentierte stattdessen, dass das First Amendment ihr Whistleblowing nicht schütze. So konnten die Angeklagten zwar Argumente mit Bezug auf den Ersten Verfassungszusatz vorbringen, aber die Richterschaft wies diese Argumente stets zurück.
Nach meiner Lesart der Entscheidung des britischen High Court verlangt dieser lediglich, dass ein US-Gericht den Ersten Verfassungszusatz berücksichtigt, nicht aber, dass er Assanges eindeutig journalistische Tätigkeit explizit schützt. Da das britische Gericht den Großteil von Assanges Argumenten mit Bezug auf die freie Meinungsäußerung zurückwies, gingen die Richterin und der Richter bei ihren Feststellungen offenbar davon aus, dass Assange (entgegen Krombergs Erklärung!) die gleichen Rechte wie ein US-Bürger genießen würde.
Das Gericht hätte nur ein Problem damit, wenn Assange als ausländischer Staatsbürger keinen solchen Schutz nach dem First Amendment erhalten würde. In seiner Erklärung erwähnte Kromberg mögliche Argumente, die die US-Regierung als Antwort auf Assanges Ansprüche aus dem Ersten Verfassungszusatz vorbringen könnte. Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs hat diese Argumente aber nicht nur nicht beanstandet, sondern die Richter haben sie nachgeahmt mit ihrer eigenen Feststellung, dass die Anklagen gegen Assange keine Bedrohung für seine Rechte auf freie Meinungsäußerung darstellen würden.
Eine zynische Interpretation des Ganzen wäre, dass der britische High Court durchaus gewillt ist, die strafrechtliche Verfolgung eines Journalisten, der Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, abzusegnen. Die in dieser Hinsicht wenig hilfreichen Kommentare von Kromberg, dass die US-Regierung argumentieren könnte, Assange habe als ausländischer Staatsbürger womöglich keine Rechte nach dem First Amendment, und die ungeschickten Antworten der britischen Staatsanwälte auf Fragen nach der Todesstrafe machten dies zunächst unmöglich. Mit der Forderung nach Zusicherungen würden die britischen Richter den US-amerikanischen und britischen Staatsanwälten nun eine Art Anweisung geben, was sie genau sagen und zusichern müssen, damit eine Auslieferung tatsächlich angeordnet werden kann.
Letztendlich ist jeder Tag, an dem Julien Assange eine weitere Möglichkeit erhält, für sein Leben, seine persönliche Freiheit und die Pressefreiheit sowie die freie Meinungsäußerung zu kämpfen, ein guter Tag.
Die Entscheidung des britischen High Court ist nicht das Worst-Case-Szenario, aber sie ist dennoch zutiefst beunruhigend. Indem sie Assange nur die begrenztesten Berufungsrechte zugestanden haben, haben die Richter bewusst die Augen vor den allgemeineren Fragen der Pressefreiheit verschlossen, die hier auf dem Spiel stehen. Das Gericht zeigt außerdem ein groteskes Desinteresse an den grundlegenden Menschenrechten von Assange. Auch die implizite Einladung an die USA, ihrerseits Zusicherungen zu geben, damit eine Berufung Assanges gegen die Auslieferung vermieden werden kann, ist besorgniserregend.
In Assanges Fall steht viel auf dem Spiel. Dieser Fall ist groß; es geht um mehr als nur eine Person: Die Rechte der Presse und die globale Pressefreiheit stehen auf dem Spiel. Wer nicht in einer Welt leben will, in der Journalistinnen und Journalisten über Grenzen hinweg verschleppt werden können – damit die Regierungen, deren Verbrechen sie aufgedeckt haben, sie vor Gericht stellen – der sollte den Ernst dieser Situation nicht verkennen.
Chip Gibbons ist der politische Direktor von Defending Rights & Dissent. Er war Moderator des Podcasts »Still Spying«, der die Geschichte der politischen Überwachung durch das FBI untersuchte. Derzeit arbeitet er an einem Buch über die Geschichte des FBI.