ABO
Das Online-Magazin von JACOBIN Deutschland

26. August 2025

Per Volks­abstimmung zur Vermögen­steuer

Das reichste 1 Prozent der Schweiz besitzt fast die Hälfte des Gesamtvermögens. Das könnte sich bald ändern: Denn die Schweizer Jungsozialisten wollen per Volksabstimmung eine 50-Prozent-Steuer auf Vermögen ab 50 Millionen Schweizerfranken einführen.

»Alleine die 300 reichsten Familien haben ihr Vermögen in den letzten zwanzig Jahren auf 833,5 Milliarden Schweizerfranken verdoppelt«, erklärt JUSO-Vorsitzende Mirjam Hostetmann.

»Alleine die 300 reichsten Familien haben ihr Vermögen in den letzten zwanzig Jahren auf 833,5 Milliarden Schweizerfranken verdoppelt«, erklärt JUSO-Vorsitzende Mirjam Hostetmann.

public domain

Am 30. November stimmt die Schweiz über eine Erbschaftssteuer auf Mega-Vermögen ab. Die JUSO, also der Jugendverband der Schweizer Sozialdemokratie, fordert: Superreiche sollen endlich für ihre Verantwortung an der Klimakrise zahlen – und für eine gerechte Zukunft.

Die »Initiative für eine Zukunft« will eine Erbschafts- und Schenkungssteuer auf Vermögen über 50 Millionen Franken einführen – und die Einnahmen gezielt für sozial gerechte Klimaschutzmaßnahmen nutzen. Volksinitiativen in der Schweiz sind rechtlich bindend: Gewinnt die Initiative, so wird die Steuer tatsächlich eingeführt und in der Verfassung verankert. Unterstützt wird das Vorhaben aktuell von mehreren Organisationen: der Sozialdemokratischen Partei (SP), der JUSO Schweiz, den Grünen, den Jungen Grünen, der Gewerkschaft VPOD sowie einigen kleineren Umwelt- und Wirtschaftsorganisationen.

Im Interview erklärt JUSO-Präsidentin Mirjam Hostetmann, warum gerade die Superreichen zur Kasse gebeten werden sollen, wie die Initiative die Demokratie stärken will und was die Jungpartei in den kommenden Monaten im Abstimmungskampf vorhat.

Die Schweiz stimmt am 30. November über eine neue »Zukunftssteuer« ab. Worum geht es?

Wir wollen eine nationale Erbschafts- und Schenkungssteuer einführen – so etwas gibt es in der Schweiz derzeit nicht. Geplant ist ein Freibetrag von 50 Millionen Franken, alles darüber hinaus soll mit 50 Prozent besteuert werden. Diese Steuer soll jährlich rund 6 Milliarden Franken einbringen, die dann zweckgebunden für sozial gerechte Klimaschutzmaßnahmen verwendet werden. Laut Bundeshochrechnung wären etwa 0,05 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler betroffen – das sind rund 2.500 Personen in der ganzen Schweiz. Also wirklich eine sehr kleine Gruppe Superreicher.

Die JUSO Schweiz hat die Initiative maßgeblich vorangetrieben. Wie kam es dazu?

Die Initiative wurde von uns, der JUSO, 2022 lanciert. Viele unserer Mitglieder – ich selbst eingeschlossen – waren in der Klimastreikbewegung aktiv. Unser Ziel war und ist es, die Klimafrage mit der Klassenfrage zu verbinden und klarzumachen: Klimaschutz ist auch Klassenkampf.

Das ist in der Schweiz ziemlich einzigartig. Bisherige Klimaprojekte haben meist nur vage Reformen angestrebt und die Frage der Finanzierung ausgeklammert. Genau das machen wir anders. Wir zeigen auf, dass der Kapitalismus die Ursache der Klimakrise ist – und dass die Profiteurinnen und Profiteure des aktuellen Systems, also die Superreichen, auch für die Lösungen bezahlen müssen. Klimaschutz ist nur durch Rückverteilung finanzierbar.

In Eurer Pressemitteilung schreibt Ihr, dass die »bürgerliche Klimapolitik« gescheitert sei. In öffentlichen Debatten – und zwar leider sowohl im rechten als auch linken Spektrum – werden Klimaschutz und Soziales häufig gegeneinander ausgespielt. Einerseits geht es um berechtigte Anliegen wie die Frage, wer teurere Energie- und Wärmekosten finanziert, andererseits werden Bratwurst und Autofahren zur Freiheit des »kleinen Mannes« hochstilisiert. Wie versucht Ihr diese Rhetorik aufzubrechen?

Wenn man die Emissionen nach Einkommensklassen betrachtet, sieht man, dass sie bei mittleren und unteren Einkommen in den letzten dreißig Jahren gesunken sind, bei den Reichsten hingegen um 30 Prozent gestiegen – das ist verheerend. Es sind nicht die »Konsumentinnen und Konsumenten«, die die hohen Emissionen verursachen, sondern die »Produzentinnen und Produzenten«. Dort müssen wir ansetzen.

Nach dem Verursacherprinzip – das in der Verfassung und im Gesetz verankert ist – sollen diejenigen mehr bezahlen, die mehr verursachen. Das muss konsequent umgesetzt werden, so wie wir es jetzt mit der Initiative fordern.

»Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Superreiche als Gefahr für die Demokratie sieht.«

Es reicht nicht, weiter auf Anreize, Subventionen und Appelle an die Eigenverantwortung zu setzen. Wir brauchen einen radikalen Paradigmenwechsel – einen grundlegenden Umbau der gesamten Wirtschaft. Genau das fordern wir mit unserer Initiative. Ohne diesen Wandel wird es keinen echten Fortschritt geben.

Leider sehen wir aktuell, dass selbst knappe Klimaschutzmittel immer wieder zweckentfremdet werden – zum Beispiel für Rüstungsausgaben statt für den ökologischen Umbau. Das darf nicht weiter passieren. Die Klimakrise bedroht auch Arbeitsplätze, daher müssen wir die daraus entstehenden Unsicherheiten abfedern – mit ausreichenden staatlichen Mitteln, die aber sinnvoll und zielgerichtet eingesetzt werden müssen.

In keinem anderen Land der Welt ist die Millionärsdichte in Relation zur Bevölkerung so hoch wie in der Schweiz. Gleichzeitig sind 16 Prozent der dort lebenden Menschen armutsgefährdet. Wie schätzt Du die politische Stimmung in Bezug auf Rückverteilung ein?

Ich habe das Gefühl, dass sich der Wind in den letzten Jahren gedreht hat. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Superreiche als Gefahr für die Demokratie sieht. Die Vermögensungleichheit in der Schweiz ist extrem: 1 Prozent der Bevölkerung besitzt fast 45 Prozent des gesamten Vermögens. Gleichzeitig wurden die kantonalen Erbschaftssteuern fast überall abgebaut – und für direkte Nachkommen gibt es praktisch immer Ausnahmen. Im Durchschnitt zahlt man auf einen Erbschaftsfranken nur etwa 1,6 Rappen Steuern, während der durchschnittliche Steuersatz auf Arbeitseinkommen bei rund 30 Prozent liegt.

Diese Ungleichbehandlung ist enorm. Die Löhne stagnieren, die Krankenkassenprämien und Mieten steigen – das merken die Menschen. Das macht der Gegenseite Angst – und deshalb kämpfen sie auch so erbittert gegen uns, beispielsweise Economiesuisse, die FDP oder Swiss Family Business. Diese Verbände investieren vermutlich mehrere Millionen Franken in den Abstimmungskampf, weil sie Angst haben, dass die Akzeptanz gegenüber dem Kapital sinkt.

Also setzen die Reichen jetzt massiv auf Lobbying, um den Rest der Bevölkerung davon zu überzeugen, dass mit der Steuer die Wirtschaft untergeht?

Ja, das passiert jetzt schon und wird sich sicher noch intensivieren. Normalerweise beginnt die öffentliche Debatte erst wenige Monate vor der Abstimmung. Bei uns war aber schon seit der Einreichung deutlich zu spüren, dass bürgerliche Medien, allen voran die Neue Zürcher Zeitung, massiv Stimmung gegen die Initiative macht.

»80 Prozent des Vermögens von Superreichen in der Schweiz wurde geerbt.«

Wir wissen, dass Erbschaftssteuern weniger beliebt sind als andere Steuerfragen. 2015 gab es bereits eine Abstimmung über eine Erbschaftssteuer – mit einem deutlich niedrigeren Freibetrag und Steuersatz –, die damals klar abgelehnt wurde.

Warum setzt ihr den Freibetrag eigentlich so hoch an? Eine Alternative hätte ja sein können, den Freibetrag deutlich niedriger zu setzen und eine progressive Vermögenssteuer einzuführen, bis dann bei 50 Millionen Franken die 50-Prozent-Steuer greift. Salopp formuliert: Traut ihr euch an die 1 Prozent nicht ran und geht deswegen auf die 0,05 Prozent? Und wenn ja, liegt das auch an dem Scheitern der Abstimmung 2015?

Mit dem Freibetrag von 50 Millionen machen wir ersichtlich: Es geht wirklich um die Reichsten in diesem Land. Die Vermögensungleichheit in der Schweiz ist enorm hoch. Alleine die 300 reichsten Familien haben ihr Vermögen in den letzten zwanzig Jahren auf 833,5 Milliarden Schweizerfranken verdoppelt. Es sind also die letzten Perzentile, die absurd hohe Vermögen haben und diese in Form von Megaerbschaften über Generationen weitergeben. 80 Prozent des Vermögens von Superreichen in der Schweiz wurde geerbt. Mit der Erbschaftsteuer wollen wir also auch auf die neofeudalen Tendenzen aufmerksam machen und wie gefährlich die für Klima und Demokratie sind.

Was sagt Ihr denjenigen, die behaupten, dass Reiche bei einer solchen Steuer einfach abwandern oder ihr Vermögen ins Ausland verschieben?

Solche Drohungen hört man immer wieder – in der Schweiz genauso wie anderswo –, sobald man versucht, Verbesserungen für die breite Bevölkerung durchzusetzen. Die Vergangenheit hat aber immer gezeigt: Die Einführung einer neuen Steuer oder die Abschaffung eines Steuerprivilegs für Superreiche führt zu Mehreinnahmen.

Wir sagen ganz klar: Es braucht mehr Mittel für den Klimaschutz – und die müssen gerecht aufgebracht werden. Wir sind überzeugt, dass sich die Schweizer Bevölkerung von solchen Drohungen nicht einschüchtern lassen sollte. Außerdem sieht unsere Initiative griffige Maßnahmen gegen Steuervermeidung vor, denn es ist lediglich eine Frage des politischen Willens, ob man Kapitalflucht eindämmt oder nicht.

Wobei die Schweiz auch nicht gerade als linke Hochburg bekannt ist. Bei den letzten Parlamentswahlen im Oktober 2023 gab es einen Rechtsruck.

Wie überall in Europa. Gleichzeitig kann auch die Sozialdemokratie Wahl- und Abstimmungserfolge verbuchen. In den letzten Jahren gab es mit der Einführung der 13. AHV-Rente und der Pflegeinitiative, die die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern sollte, erstmals linke Initiativen, die angenommen. Diese Erfolge haben der Bevölkerung gezeigt, dass linke Politik konkrete Verbesserungen im Leben der Menschen bewirken und nicht die Bürgerlichen.

Unsere Initiative ist auch eine Antwort darauf, wie man in Zeiten von Rechtsruck und wachsendem Faschismus eine konsequente Klimapolitik umsetzen kann: Indem man den Rechten den Nährboden entzieht.