06. Januar 2022
Die Klimabewegung ist von der Politik enttäuscht, jetzt liebäugelt sie mit militanten Protestformen. Doch statt hilflosem Radikalismus sollte sie das Bündnis mit den organisierten Beschäftigten suchen.
Die Pipeline in die Luft jagen?
Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung war eine herbe Enttäuschung für die Klimabewegung: Während sich die Grünen noch mit dem Kohleausstieg bis 2035 rühmten, war den meisten Aktivistinnen und Aktivisten sofort klar, dass die beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen würden, um auch nur in die Nähe des 1,5-Grad-Ziels zu gelangen. Das Einknicken der Grünen ist für die Bewegung besonders bitter, denn ohne sie hätte die Partei wohl nicht so einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Im Jahre 2018 – unmittelbar vor dem Startschuss von Fridays for Future und Extinction Rebellion – zählten die Grünen noch etwas über 60.000 Mitglieder, ungefähr so viele wie FDP und Linkspartei. Mittlerweile sind es doppelt so viele, und auch bei der Bundestagswahl im September konnte die Partei ganze 5,9 Prozentpunkte zulegen.
Doch weder die Grüne Jugend noch die anderen engagierten Basis-Mitglieder konnten etwas am kapitalfreundlichen Kurs der Partei oder an der institutionellen Übermacht der Realos in den Koalitionsverhandlungen ändern. Die alte und neue Erkenntnis sozialer Bewegungen lautet: Es hilft nichts, regelmäßig Hunderttausende auf die Straße zu mobilisieren, solange man von den Institutionen realer politischer Macht ausgeschlossen ist. Prominente Aktivistinnen wie Luisa Neubauer haben sich zwar schon früh auf den Weg zu den Grünen gemacht, um diesem Problem entgegenzuwirken, wurden dort allerdings umstandslos absorbiert. In der Bundestagsfraktion oder gar den Ministerien spielen sie praktisch keine Rolle, denn sie besitzen weder die Basis noch die Strategie, um die Partei in realpolitischen Entscheidungen zu beeinflussen. Die Vorstellung, dass die Präsenz der Bewegung auf den unzähligen Kundgebungen schon ausreichen würde, um den Funktionärinnen und Funktionären den Ernst der Lage begreiflich zu machen, hat sich als fataler Irrtum erwiesen.
Ohne Aussicht auf politische Macht verharrt die Bewegung zwischen ohnmächtigem Aktionismus und den aalglatten Beschwichtigungen grüner Parteifunktionäre – jener Funktionäre, übrigens, die der Bewegung zwar ihre Wahlerfolge verdanken, sich nun aber jeder direkten demokratischen Kontrolle entziehen.
Eingeengt zwischen institutioneller Bedeutungslosigkeit und den Grenzen der eigenen Aktionsformen verliert die Klimabewegung stetig an Traktion: Sowohl das eigene Mobilisierungspotenzial als auch die öffentliche Aufmerksamkeit schwinden zusehends dahin. Dies erzwingt eine Richtungsentscheidung. Die einen versuchen an ihrem gescheiterten Kurs festzuhalten, in der Hoffnung, so zumindest den verschwindenden Einfluss auf Partei und Zivilgesellschaft nicht zu verspielen. Auf der anderen Seite drängt ein wütender linker Flügel auf mehr zivilen Ungehorsam und konfrontativere Protestformen, wie die Blockade des Willy-Brandt-Hauses im Oktober – eine Aktion, die weder der breiten Öffentlichkeit noch den SPD-Funktionären eine besondere Beachtung abringen konnte. Dass sich hitzige Debatten innerhalb von Fridays for Future nun gerade um solche Fragen wie den Einsatz von Pyrotechnik auf Demonstrationen drehen, ist eine Zerfallserscheinung.
Eine Sprecherin der FFF-Gruppe in Frankfurt am Main hat die strategische Orientierung der Linksradikalen erst kürzlich auf den Punkt gebracht: Anstatt nur zu demonstrieren, müsse man »aktiv in die materielle Infrastruktur einzugreifen«, etwa durch friedliche Sabotage oder durch die Blockade von Kohlekraftwerken. Zwar räumt sie ein, dass damit nur kurzfristig umweltschädliche Produktionsvorgänge unterbrochen und CO2-Emissionen gesenkt werden können, hofft aber, dass solche Interventionen eine »Kettenreaktion« auslösen. Man will also Investoren abschrecken und das Geschäft mit fossilen Energieträgern langfristig unrentabel machen.
Was zunächst nach materialistischer Analyse klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als bloße Bewegungsmythologie: Schon die Anti-AKW-Bewegung ist mit dem Versuch, Kernenergie durch die Blockade von Kraftwerksbaustellen und Castorbahngleisen unprofitabel zu machen, genauso grandios gescheitert wie die neue Klimabewegung mit Waldbesetzungen oder dem Lahmlegen von Braunkohlebaggern. Die Aktivistinnen und Aktivisten überschätzen schlicht ihre eigene Mobilisierungskraft, wenn sie glauben, die Produktionsketten lange genug unterbrechen zu können, um dem Kapital ernsthaft gefährlich zu werden. Gleichzeitig ignorieren sie die Macht der staatlichen Repressionsorgane, die noch bereit waren, jede Besetzung brutal aufzulösen, wenn es den Energiekonzernen am Ende doch zu bunt wurde.
Die Stärke von Fridays for Future lag immer darin, breite Schichten junger Menschen für die eigene Bewegung zu gewinnen. Die vermeintlich radikaleren Aktionsformen bauen zwar nicht mehr Macht gegen das Kapital auf, verlagern die Auseinandersetzung jedoch auf das Terrain kleiner und entschlossener Aktivistengruppen, deren Schicksal es ist, genauso am Unverständnis gesellschaftlicher Macht zu scheitern wie jener »NGO-Kurs«, von dem sie sich abgrenzen wollen.
Die Unzulänglichkeit spektakulärer Einzelaktionen sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Eingriffe in die »materielle Infrastruktur« dieser Gesellschaft grundsätzlich richtig, und vor allem möglich sind. Dafür müsste man jedoch genau dort ansetzen, wo es ums Eingemachte der kapitalistischen Klassengesellschaft geht – dem Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit.
Gerade die Beschäftigten jener Sektoren, die für die Klimawende entscheidend sind, genießen in der Bewegung allerdings einen zweifelhaften Ruf. Sie und ihre Gewerkschaften gelten häufig als konservativer Block, der die sozialökologische Transformation eher behindert als befördert, sind ihre unmittelbaren ökonomischen Interessen doch von Arbeitsplätzen in den klimaschädlichen Industrien abhängig.
In der Vergangenheit haben gewerkschaftliche Spitzenfunktionäre durch ihre Handlungen und Aussagen diese Skepsis mitunter gerechtfertigt. Genauere Beobachtungen zeigen aber, dass gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte nicht nur Kenntnisse über die Organisation ihrer Unternehmen mitbringen, die für den Umbau der Industrie unerlässlich sind, sondern den Forderungen der Klimabewegung durchaus offen gegenüberstehen. Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, für die Beschäftigte in der Automobilindustrie befragt wurden, kommt zu dem Schluss, dass sich die Kolleginnen und Kollegen sehr bewusst mit klimapolitischen Forderungen auseinandersetzen. In aller Regel wissen sie genau, dass eine ökologische Transformation der großen Konzerne notwendig und vor allem nicht mehr aufzuhalten ist. Sie wissen ebenso, dass die Transformationsstrategien der Konzernspitzen darauf ausgerichtet sind, öffentliche Subventionen für massive Dividendenausschüttungen einzusetzen, nicht jedoch für Investitionen in die Weiterqualifizierung der Beschäftigten. Der jüngste Skandal um Herbert Diess, der im Oktober massive Stellenkürzungen bei VW angekündigt hatte und sich im Nachgang dafür entschuldigen musste, bezeugt die Weitsicht der Beschäftigten.
Tatsächlich wurden in den letzten Jahren bereits Zehntausende Auto-Arbeiter auf die Straße gesetzt und der Trend hält unvermindert an. Allein bei Daimler sollen zukünftig 20.000 weitere Stellen gestrichen werden. Beim wichtigen Zulieferer Continental sind es 13.000. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass dieser Personalabbau gerne mit der Klimawende begründet wird, jedoch vornehmlich mit der Verlagerung teurer Produktionsstätten in lukrative Billiglohnländer zusammenhängt. Genau hier müssten Gewerkschaften und Klimabewegung ansetzen.
Doch nicht nur die Klimabewegung musste in den vergangenen Jahren die schmerzhafte Erfahrung machen, dass ihr die institutionelle Macht fehlte, um ihre wichtigsten Forderungen durchzusetzen. Auch die Arbeiterinnen und Arbeiter haben in den letzten Jahren trotz diverser Streiks und Tarifrunden fallende Reallöhne, Tarifflucht, Union Busting und den damit einhergehenden Bedeutungsverlust der einst mächtigen DGB-Gewerkschaften zähneknirschend hinnehmen müssen. Die anstehenden Reformen der neuen Bundesregierung, insbesondere die Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes, dürften ihre Position in den kommenden Konflikten weiter schwächen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen Automatismus, sondern um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse, die verändert werden können und müssen. Dies würde jedoch eine Strategie voraussetzen, die sich nicht mit reinen Abwehrkämpfen begnügt, sondern den Aktionsradius der Arbeiterinnen und Arbeiter massiv ausdehnen will. Damit das gelingt, müssen gewerkschaftliche Interessen mit gesellschaftspolitischen Fragen verbunden werden, um über die eigenen Kernbelegschaften hinaus Gehör zu finden.
Strategische Bündnisse mit Klimagruppen, wie etwa bei den Tarifrunden im öffentlichen Nahverkehr oder im Münchener Bosch-Werk, können dabei helfen, den Arbeiterinnenkämpfen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen und mehr gesellschaftliche Solidarität einzufordern. Die Klimabewegung wiederum darf ihre Forderungen nicht gegen die Interessen der Belegschaften artikulieren, sondern muss für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und die Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen kämpfen. Die Gewerkschaften wären zudem ein mächtiger Bündnispartner, um Druck auf die Parlamente und Regierungen auszuüben, wozu die Klimabewegung bisher nicht imstande war.
Die Zukunft der ökologischen Transformation – von der Verkehrswende bis zum Umbau der großen Industrie – wird im Wesentlichen von der Frage abhängen, wer diesen Prozess maßgeblich nach seinen Interessen gestaltet. Aktuell verschlingen die Konzerne massive Staatssubventionen, die für die Dividenden der Aktionäre und massiven Personalabbau genutzt werden. Dies ist auch ein politisches Programm, denn es schwächt die arbeitende Klasse in ihrer Fähigkeit, eigene Interessen auf der betrieblichen oder politischen Ebene durchzusetzen. Dabei steuern wir zweifelsfrei auf einen grünen Kapitalismus zu, doch er entwickelt sich trotz massiver sozialer Verwerfungen zu zaghaft, um wenigstens die entscheidendsten Klimaziele zu erreichen.
Der gesellschaftliche Gegenentwurf zu diesem Szenario lautet: Die Beschäftigten – im Bündnis mit Klimagruppen, sozialen Initiativen und nicht zuletzt linken politischen Parteien – übernehmen selbst die Kontrolle über diesen Prozess. Dies würde jedoch voraussetzen, dass die alten wirtschaftsdemokratischen Kernforderungen der Arbeiterbewegung – vom Ausbau betrieblicher Mitbestimmung bis zur Vergesellschaftung der großen Energiekonzerne – zum Dreh- und Angelpunkt gewerkschaftlicher und klimabewegter Politik werden. Dafür reichen gegenseitige Demobesuche und gute Öffentlichkeitsarbeit nicht aus. Vielmehr braucht es strategische Perspektiven auf kommende betriebliche Auseinandersetzungen in den Schlüsselindustrien und auf die Durchsetzung radikaler Reformen, die den Beschäftigten mehr Macht über ihr Leben und ihre Arbeit geben, dem dem Kapital also die Macht über die Verwendung des gesellschaftlichen Reichtums mehr und mehr entziehen. Dafür werden kluge und konkrete Policys notwendig sein, die Bündnisse mit relevanten politischen Akteuren ermöglichen und damit durchsetzbar werden. Man darf sich an dieser Stelle nicht der Illusion hingeben, dass selbst kleine Kompromisse im parlamentarischen Prozess zumindest ein Schritt in die richtige Richtung seien. In der Klimafrage zeichnet sich der Konflikt um die Gesellschaft ab, in der wir in Zukunft leben wollen. Jede Reform, jedes Gesetz und jeder Kompromiss müssen anhand der Frage bewertet werden, welche Klasse auf ihrer Grundlage mehr gesellschaftliche Macht zur Durchsetzung ihrer Interessen erhält. Wer sich einmal in diesen Konflikt begibt, der muss bereit sein, jede Errungenschaft erbittert zu verteidigen und jeden Zentimeter an gewonnenem Boden konsequent auszuweiten.
Sascha Döring lebt in Berlin und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag.
Sascha Döring lebt in Berlin und arbeitet im Bereich politische Kommunikation.