02. November 2021
Um Rechtspopulisten auszubremsen, ist die dänische Sozialdemokratie nach rechts gerückt. Diese Strategie lenkt vom eigentlichen Problem ab: der Schwäche der Linken. Was wir brauchen, ist eine mehrheitsfähige linke Massenpartei.
Wahlkampagne der dänischen Rot-Grünen Einheitsliste (Enhedslisten) für die Kommunalwahlen am 16. November, 2021.
Im Jahr 2015 stieg die rechtspopulistische Dänische Volkspartei (Dansk Folkeparti) zu einer bedeutenden politischen Kraft auf, nachdem sie bei den Parlamentswahlen 21 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Ein Jahr darauf konnte die Partei bei der Wahl zum Europäischen Parlament überraschend 26 Prozent der Stimmen erzielen. Eine Zeit lang schien es, als hätte sie eine unaufhaltsame Welle des Rechtspopulismus losgetreten – letztendlich erwies sich ihr Erfolg jedoch als kurzlebig. Bei der Parlamentswahl von 2019 ging der Stimmenanteil der Dänischen Volkspartei um mehr als die Hälfte zurück. Inzwischen ist ihr Rückhalt laut Umfragen sogar noch weiter zurückgegangen.
Ein zentraler Grund für den Abstieg der Dänischen Volkspartei auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs war die Fähigkeit der dänischen Sozialdemokratie (Socialdemokratiet), Wählerinnen und Wähler von rechts anzuziehen – und nicht zuletzt von der Dänischen Volkspartei selbst. Zwar hatte der prozentuale Stimmenanteil der Sozialdemokratie bei der Parlamentswahl von 2019 leicht abgenommen, jedoch zog die Partei ausreichend Stimmen von den Rechten ab, um eine sozialdemokratische Regierung mit parlamentarischer Unterstützung zweier linker Parteien und einer liberalen Zentrumspartei bilden zu können.
Die Sozialdemokratie verfolgte eine hochgradig kalkulierte politische Strategie, die darauf abzielte, jene Wählerinnen und Wähler aus der arbeitenden Bevölkerung außerhalb der Großstädte anzusprechen, welche die Dänische Volkspartei vier Jahre zuvor für sich gewonnen hatte, und zugleich entbehrliche Stimmen in den Großstädten an die Parteien zu ihrer Linken abzugeben. Dazu vollzog die Sozialdemokratie einen Politikwechsel, der eine Linkswende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik und eine gleichzeitige Rechtswende in Fragen der Einwanderung beinhaltete.
Der Erfolg dieser Strategie wurde in der dänischen Linken intensiv diskutiert. War es moralisch vertretbar, rechte Positionen in der Einwanderungspolitik einzunehmen, um den Aufstieg der Dänischen Volkspartei auszubremsen? War vielleicht die Linkswende in Wirtschafts- und Sozialfragen in Wirklichkeit wichtiger gewesen – wenn nicht, um Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, so doch zumindest, um sie von der Rückkehr zur Dänischen Volkspartei abzuhalten? Letzteres scheint den Nagel auf den Kopf zu treffen. Die Dänische Volkspartei konnte keines ihrer sozialpolitischen Versprechen einlösen –stattdessen trieb sie Steuersenkungen und massive Kürzungen bei Sozialleistungen und öffentlichen Ausgaben voran. In der Zeit vor den Parlamentswahlen 2019 wurde die Migrationspolitik für Wählerinnen und Wähler weniger zentral und von anderen Themen wie Klima, Gesundheit und Sozialstaat verdrängt.
Die Diskussionen auf der Linken haben sich zumeist darauf konzentriert, wie man sich zum Rechtspopulismus verhalten müsse. Sollten die Mitte und die Linke jede Zusammenarbeit mit der populistischen Rechten ablehnen und sie politisch isolieren? Oder sollte man lieber in einigen – vor allem wirtschaftlichen – Angelegenheiten kooperieren und eine Strategie der Inklusion und Deflation verfolgen? Vielleicht sogar, indem man in der Einwanderungspolitik und in kulturellen Fragen nach rechts rückt, so wie es die Sozialdemokratie getan hat?
Diese Diskussionen lenken von der Kernfrage ab, denn sie geben keine Antwort darauf, welche Art von politischem Projekt die Linke selbst aufbauen muss, um eine Mehrheit zu erzielen. Letztlich liegt der Hauptgrund für den Erfolg des Rechtspopulismus nicht darin, dass er zu wenig moralisch verurteilt oder zu sehr politisch ausgegrenzt wurde, sondern im Versagen der Linken, eine eigene überzeugende Vision zu entwickeln, die das Leben breiter Bevölkerungsschichten verbessern kann. Um die gegenwärtige Zwangslage der dänischen Linken zu verstehen und die Möglichkeit eines solchen politischen Projekts einschätzen zu können, muss man sich die Geschichte der Sozialdemokratie und der Linken in Dänemark nachvollziehen.
In der Zwischenkriegszeit konnte die dänische Sozialdemokratie – oft mit Unterstützung der sozialliberalen und agrarischen Parteien – stabile Regierungen führen und soziale Reformen durchsetzen. Dazu zählten eine Ausweitung der Renten- und Arbeitslosenleistungen sowie die Einführung von bezahltem Urlaub und einer allgemeinen Krankenversicherung. Zugleich konzentrierte man sich auf lokaler Ebene vor allem auf die Bereitstellung von besserem und trotzdem bezahlbarem Wohnraum für die arbeitende Klasse.
Wie auch ihre Pendants in anderen Ländern Europas gelang der dänischen Sozialdemokratie der Aufbau einer effektiven Gegenmacht auf Grundlage von Massenparteien und -organisationen. Sie zählte 1919 über 100.000 und in den 1940er Jahren über 300.000 Mitglieder und organisierte damit zwischen einem Drittel und der Hälfte ihrer gesamten Wählerschaft. Die dazugehörigen Gewerkschaften organisierten bereits 1900 rund 50 Prozent der Industrie-, Handwerks- und Transportarbeiter, 1920 betrug ihre Mitgliederzahl rund 280.000. Neben den Parteiorganisationen und Gewerkschaften entstanden in dieser Zeit eine Vielzahl von Genossenschaften, darunter Konsumgenossenschaften, genossenschaftliche Banken und Versicherungen, genossenschaftliche Bäckereien und andere Arten von Erzeugergenossenschaften sowie ein genossenschaftlicher Wohnungsbau.
Neben diesen drei Zweigen der Arbeiterbewegung existierte noch ein vierter, nämlich ein ausuferndes Netzwerk sozialer und kultureller Organisationen und Institutionen, die eine alternative sozialdemokratische Öffentlichkeit bildeten und dabei jeden Lebensbereich umfassten: von Arbeitersportvereinen über Radiogesellschaften, Zeitungen, Magazinen und Zeitschriften bis hin zu Volkshochschulen und Arbeiterbildungsverbänden. In den 1930er Jahren konnten Arbeiterinnen und Arbeiter ihr ganzes Leben im Inneren der sozialdemokratischen Bewegung verbringen – in der öffentlichen Konfirmationsgesellschaft konfirmiert werden, in einer Genossenschaftswohnung wohnen, in genossenschaftlichen Geschäften einkaufen, in einer der Gewerkschaften für bessere Löhne kämpfen, ihre Freizeit in der Arbeiter-Sportverbänden oder vielleicht in einer der Arbeiter-Volkshochschulen verbringen und schließlich durch die Arbeiter Bestattungsgesellschaft beerdigt werden.
Diese vier Bestandteile der Arbeiterbewegung – die Massenpartei, die Gewerkschaften, die Genossenschaften und die Kulturorganisationen – machten aus der dänischen Sozialdemokratie eine bedeutende politische und soziale Kraft, die die dänische Gesellschaft formen und die Richtung der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung vorgeben konnte. In der Nachkriegszeit nutzte die Bewegung diese Macht, um einen der umfangreichsten Wohlfahrtsstaaten der Welt aufzubauen, während sie zugleich eine Wirtschaftspolitik der stabilen und gut bezahlten Vollbeschäftigung verfolgte.
Der Erfolg der Sozialdemokratie und ihre hegemoniale Stellung innerhalb der Arbeiterbewegung ließen der kleinen, aber sehr aktiven kommunistischen Partei, die 1919 gegründet wurde, nur wenig Raum. Abgesehen von einer kurzen Periode im Anschluss an ihre aktive Rolle im Widerstand gegen die Nazi-Besatzungstruppen war die kommunistische Partei nie in der Lage, die Sozialdemokratie herauszufordern – nicht einmal während der Wirtschaftskrise der 1970er Jahre, als die sozialdemokratische Partei ihre auf Vollbeschäftigung ausgerichtete Wirtschaftspolitik aufgab und eine Inflationsbekämpfung auf Kosten der öffentlichen Ausgaben und der Löhne forcierte.
In den 1980er Jahren kamen die Ausweitung des Wohlfahrtsstaats und die traditionelle keynesianische Wirtschaftspolitik an ihr Ende. In den 1990er Jahren wurden unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung öffentliche Infrastruktur sowie staatliche Unternehmen verkauft und Reformen im Sinne einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik eingeführt, die sich aus Steuersenkungen, Deregulierung und einer Kürzung öffentlicher Zuschüsse zur Erhöhung des Arbeitsangebots zusammensetzten. Diese Politik wurde von späteren sozialdemokratischen Regierungen rigoros fortgesetzt – zuletzt während des sogenannten »Reformwahns« der Regierungen von Helle Thorning Schmidt zwischen 2011 und 2015.
Während sich die dänische Sozialdemokratie von der politischen Partei der Arbeiterbewegung zur Durchsetzerin von wirtschaftlicher Deregulierung, Austerität sowie Kürzungen öffentlicher Leistungen entwickelte, vollzogen sich zeitgleich zwei andere Verschiebungen: erstens der Prozess, den der irische Politikwissenschaftler Peter Mair als »Aushöhlung der westlichen Demokratien« bezeichnet hat, und zweitens der »Rückzug von der Klasse«, wie es die US-amerikanische Historikerin Ellen Meiksins Wood formulierte.
Bei der Aushöhlung der Demokratie handelt es sich um einen zweiseitigen Prozess: einerseits der Entfremdung der Bürgerinnen und Bürger von der Politik und andererseits des Rückzugs der politischen Eliten in eine »abgeschlossene Welt der Regierungsinstitutionen«. Zu dieser Entwicklung gehören schrumpfende Parteimitgliedschaften und damit ein Ende der Massenparteien, wodurch die Mehrheit der Menschen von der Welt der Politik zunehmend abgetrennt wird. Diese Demobilisierung der Bevölkerung geht mit einer wachsenden Gleichgültigkeit und Skepsis gegenüber den bestehenden Institutionen einher, was eine volatilere politische Landschaft zur Folge hat.
Die Mitgliederzahlen der dänischen Sozialdemokratie sind seit den 1960er Jahren rückläufig. 1960 organisierte die Partei noch rund 260.000 Mitglieder, was einem Viertel ihrer Wählerinnen und Wähler bei den Parlamentswahlen im selben Jahr entsprach. Bis 1980 sank die Zahl auf 100.000, im Jahr 2000 lag sie bei 50.000 und 2019 nur noch bei 36.000 – nur noch 4 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler. Doch die Sozialdemokratie ist mit dieser Entwicklung nicht allein. Auch alle anderen großen Traditionsparteien haben einen Großteil ihrer Mitglieder verloren – die Gesamtzahl der Parteimitglieder in Dänemark ist von 600.000 im Jahr 1960 auf 135.000 im Jahr 2019 gesunken, was einem Rückgang von 13 Prozent der Bevölkerung auf etwa 2 Prozent gleichkommt.
Zwar können auch allgemeine Verschiebungen wie die Globalisierung als Gründe für den Verlust der demokratischen Legitimität der politischen Institutionen angeführt werden, doch um den generellen Niedergang der Parteiendemokratie zu erklären, müssen wir auch die spezifischen Entwicklungen der einzelnen Parteien unter die Lupe nehmen. Der Rückgang der Mitgliederzahlen der Sozialdemokratie hat zweifellos mit ihrem Rückzug aus der Arbeiterklasse, mit ihrer Hinwendung zu Werten wie Individualismus und Wettbewerb sowie mit ihrer auf Liberalisierung, Deregulierung und Sparmaßnahmen ausgerichteten Wirtschaftspolitik zu tun.
Die Sozialdemokratie verlor ihre gesellschaftliche Basis zu einer Zeit, in der sich Politik, Medien und Intellektuelle gleichermaßen von der Klassenfrage abkehrten. Jahrelang waren sich Politikwissenschaftlerinnen sicher, dass die Kategorie Klasse nicht mehr von Bedeutung sei oder das Klassen überhaupt nicht existierten, dass die Kämpfe um Wirtschafts- und Verteilungsfragen durch den Triumph von Kapitalismus und Liberalismus erledigt seien und sich die Wählerinnen und Wähler nun vor allem für postmaterialistische Werte und kulturelle Fragen interessierten.
Gleichzeitig setzte die dänische Sozialdemokratie auf das Dritte-Weg-Narrativ von Tony Blair, wonach Klasse für die Politik nicht mehr entscheidend sei und die politisch motivierte Wirtschaftslenkung durch einen dominanten Staat und sein öffentlicher Sektor durch eine marktfreundlichere Politik ersetzt werden müsse. Das Ergebnis waren ein stetiger Anstieg der Ungleichheit, ein Verfall des öffentlichen Sektors und eine Deregulierung des Arbeitsmarkts infolge von Deindustrialisierung und Globalisierung. Zwar war Dänemark von diesen Prozessen weniger stark betroffen als andere Länder in Europa, dennoch markierten sie auch dort einen entscheidenden Wandel.
Rückblickend ist kaum nachvollziehbar, wie der Aufstieg des Rechtspopulismus in der dänischen Politik irgendwen überraschen konnte, wurde er doch durch steigende Ungleichheit und neue Formen wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit angeheizt. In Ermangelung der kollektiven Solidarität, die die inzwischen aufgelöste Arbeiterbewegung samt ihrer alternativen öffentlichen Sphäre boten, und in Abwesenheit einer Klassenpolitik, von der sich Sozialdemokratinnen, Politikwissenschaftler und Medien verabschiedet hatten, gelang es den Rechten, einen Kulturkampf gegen vermeintlich linke Bildungseliten, Expertinnen und Einwanderer anzuzetteln.
Nach einem Wahlkampf, in dem das Thema Einwanderung alle anderen Themen überschattete, gewann die Dänische Volkspartei im Jahr 2001 12 Prozent der Stimmen. Die Sozialdemokratie erlitt schwere Verluste und die Rechten übernahmen für das nächste Jahrzehnt die Regierung.
Die Parteien links der Sozialdemokratie, namentlich die Sozialistische Volkspartei (Socialistisk Folkeparti) und die Rot-Grüne Einheitsliste (Enhedslisten) vollzogen verglichen mit der früheren sozialistischen Arbeiterbewegung ebenfalls einen Rückzug aus der Klasse. Die Rot-Grüne Einheitsliste, die 1989 als gemeinsames Projekt der einstigen kommunistischen Partei, einer kleinen linkssozialistischen Partei und einer winzigen trotzkistischen Partei gegründet wurde, konzentrierte sich auf den Aufbau einer Bewegungspartei, die Aktivistinnen und Aktivisten vor allem aus der Anti-EU-Bewegung, der feministischen Bewegung, der antirassistischen und antifaschistischen Bewegung und der Umweltbewegung zusammenbrachte. Zwar bekannte sich die Partei theoretisch zum Klassenkampf und zur sozialistischen Revolution, jedoch strebte sie in der Praxis nie danach, eine Massenpartei der arbeitenden Bevölkerung zu werden, geschweige denn die schrumpfende Sozialdemokratie als die hauptsächliche Arbeiterpartei herauszufordern.
Auch die Sozialistische Volkspartei wandte sich programmatisch wie praktisch von ihrer früheren Orientierung auf die arbeitende Klasse ab. Diese Neuausrichtung der Parteien links der Sozialdemokratie steht im Zusammenhang mit den neuen sozialen Bewegungen der 1970er und 80er Jahre und ihrer praktischen und intellektuellen Kritik an der sozialistischen Arbeiterbewegung und ihrer vermeintlich einseitigen Beschäftigung mit reduktionistischen und ökonomistischen Klassenfragen.
Da die beiden Parteien die Kritik und die Forderungen der neuen sozialen Bewegungen effektiv in ihre Programme aufnahmen, waren sie nicht in der Lage, die Arbeiterklasse zu organisieren – und das in einer Zeit, in der die Sozialdemokratie sie unmissverständlich im Stich ließ.
Die Abwendung von der Klasse sowohl in der Sozialdemokratie als auch bei den Parteien zu ihrer Linken war ein allgemeiner europäischen Trend. Die sozialdemokratischen Parteien in Europa ernteten heftige Kritik dafür, in ihrer Hinwendung zum Neoliberalismus die Arbeiterinnen und Arbeiter preisgegeben zu haben. Zugleich waren die linken Parteien in der Regel nicht in der Lage oder nicht willens, den von der Sozialdemokratie hinterlassenen Raum durch die Reorganisation der arbeitenden Klasse auszufüllen. Dies ist eine verpasste Gelegenheit, die durch die Erfolge und Misserfolge des Linkspopulismus in den 2010er Jahren nicht einmal halbwegs wettgemacht werden konnte.
Dänemark machte mit einer Spielart dieses Linkspopulismus Bekanntschaft, als die Sozialistische Volkspartei bei den Parlamentswahlen 2007 ihre Stimmenzahl mehr als verdoppelte und 13 Prozent erreichte. Es handelte sich dabei jedoch um eine seltsame Form des Populismus, die vor allem eine Professionalisierung ihrer Kommunikationsstrategie mit sich brachte, zugleich aber ihr altes linkes Image fallen ließ und sich politisch an die Sozialdemokratie annäherte.
Im Jahr 2011 ging die Sozialistische Volkspartei zusammen mit der Sozialdemokratie und der sozialliberalen Partei (Radikale Venstre) eine Regierung ein und akzeptierte sowohl die Privatisierung öffentlicher Unternehmen als auch die Kürzung öffentlicher Ausgaben und Leistungen, um das Angebot an Arbeitskräften zu erhöhen. Die Beteiligung an diesen Maßnahmen zerriss die Partei beinahe – die Mitglieder traten scharenweise aus. In der Folge endete ihr Höhenflug 2015, als sie nur noch 4,2 Prozent der Stimmen erhielt.
Der Rot-Grünen Einheitsliste erging es kaum besser. In den 1990er und frühen 2000er Jahren erreichte sie bei Wahlen nur niedrige einstellige Ergebnisse. Zudem beschränkte sich ihre Wählerschaft fast ausschließlich auf den Großraum Kopenhagen und einige weitere große Städte. In den späten 2000er Jahren stieß die Rot-Grüne Einheitsliste jedoch einen Modernisierungsprozess an, der die Verwendung von Wähleranalysen und Fokusgruppen, die Modernisierung ihrer Außenkommunikation, die Aktualisierung ihres politischen Programms und die Stärkung ihrer intellektuellen Kapazitäten für die Erarbeitung detaillierter Reformpläne beinhaltete. Dies zahlte sich bei den Parlamentswahlen von 2011 aus, als die Einheitsliste von 2,2 auf 6,7 Prozent kletterte – ein Trend, der sich bei den darauffolgenden Wahlen im Jahr 2015 fortsetzte, als sie vor allem durch den Zugewinn von Unterstützung außerhalb ihrer Kopenhagener Hochburg 7,8 Prozent der Stimmen erhielt.
Der Erfolg der Rot-Grünen Einheitsliste in dieser Periode hatte damit zu tun, dass sie effektiv an die europäische linkspopulistische Welle der 2010er Jahre anknüpfte, die vor allem von Syriza und Podemos repräsentiert wurde. Die Einheitsliste verschärfte ihre Kritik am »Neoliberalismus« der sozialdemokratischen Regierungen und entwickelte ein Narrativ des Konflikts zwischen den »alten Machtparteien« auf der einen und den »Parteien des Wandels« auf der anderen Seite, womit sie das zunehmende Misstrauen der Wählerinnen und Wähler gegenüber dem politischen Establishment aufgriff. Zeitweise kam die Partei in Umfragen sogar auf über 15 Prozent der Stimmen.
Es gelang der Rot-Grünen Einheitsliste jedoch nie, ihre gestiegene Popularität in eine dauerhafte und stabile Unterstützung unter jenen umzuwandeln, die die Sozialdemokratie und die Sozialistische Volkspartei unter Protest verließen. Auch schaffte sie es nicht, die Vorherrschaft der Sozialdemokratie innerhalb der Gewerkschaftsbewegung herauszufordern. Bei der Wahl von 2019 verlor die Einheitsliste fast überall außerhalb der größten Städte Wählerinnen und Wähler, weil diese zu der Sozialistischen Volkspartei und der Sozialdemokratie zurückkehrten.
Das Hauptproblem der Einheitsliste bleibt ihr Unvermögen, die arbeitende Klasse im Allgemeinen und insbesondere die Menschen außerhalb der Hauptstadtregion anzusprechen. Die meisten ihrer Wählerinnen und Mitglieder leben in Kopenhagen – und viele von ihnen sind Studierende und Studierte mit guter Ausbildung, aber schlecht bezahlten Jobs.
Zugleich ist die neue Führung der Sozialdemokratie von einer Generation geprägt, die dem Dritten Weg allgemein kritisch gegenübersteht und sich für eine Linkswende in der Wirtschaftspolitik der Partei einsetzt. Das neue Projekt der Sozialdemokratie und insbesondere der Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sieht eine der Wiederherstellung des dänischen Gesellschaftsvertrags vor, welcher in den Jahren der Liberalisierung und unregulierten Globalisierung auseinander gebrochen sei. Die in Beschäftigten im Niedriglohnsektor und die weniger Vermögenden insbesondere außerhalb der großen Städte, die von diesen Entwicklungen in keiner Weise profitiert haben, liegen nun im Fokus der Ansprache der Sozialdemokratie.
Der Machtverlust von Syriza, die Wahlniederlagen von Podemos, die Niederlage von Jeremy Corbyns Labour Party bei den Wahlen 2019 und das Scheitern von Bernie Sanders, sich 2020 bei den Präsidentschaftsvorwahlen die Nominierung zu sichern, haben den linkspopulistischen Aufbruch in Europa und darüber hinaus zum Erliegen gebracht. In Dänemark scheint die Linke – obwohl sie relativ populär ist – auf eine unüberwindbare Barriere gestoßen zu sein. Sie steht nun vor einem Dilemma, das sie derzeit nicht lösen kann.
Einerseits machen die Linkswende in der Wirtschaftspolitik der Sozialdemokratie und ihr damit verbundener Erfolg, Wählerinnen und Wähler aus der arbeitenden Klasse anzuziehen, es den linken Parteien schwer, ihre organisatorische Arbeit fortzusetzen. Sie schaffen es nicht, als Opposition zur gegenwärtigen sozialdemokratisch geführten Regierung aufzutreten und ihr Stimmen abzuwerben.
Andererseits kann die Linke nicht darauf warten, dass die Sozialdemokratie zu einer Politik der Austerität und Deregulierung zurückkehrt, um sie wieder herausfordern zu können. Die Sozialdemokratie wird noch einige Zeit eine für Wählerinnen und Wähler aus der arbeitenden Klasse attraktive Wirtschaftspolitik betreiben, selbst wenn sie an ihrer rechten Einwanderungspolitik festhält und sich die Klimakrise verschärft. Allerdings ist die Sozialdemokratie nicht dazu bereit, die Macht des Kapitals und der Wirtschaftseliten durch Strukturreformen herauszufordern, die das Eigentum an wichtigen Wirtschaftssektoren demokratisieren, und es besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie die arbeitende Klasse auf lange Sicht erneut enttäuschen wird, weil die Sozialdemokratie nicht in der Lage ist, die Lebensverhältnisse der arbeitenden Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. Wenn dieser Moment einmal kommt, dann droht ein Wiederaufleben des Rechtspopulismus.
Aus diesen Gründen sollte sich die Linke auf die Frage konzentrieren, wie ein politisches Projekt auf den Weg gebracht werden kann, das in der Lage ist, das Leben der arbeitenden Mehrheit der Gesellschaft zu verbessern und die dominante Position der Sozialdemokratie herauszufordern. Das erfordert wiederum die Ausarbeitung eines realistischen und ansprechenden Programms, das die wichtigsten Probleme der arbeitenden Bevölkerung angeht.
Um gesellschaftliche Mehrheiten zu mobilisieren und der Sozialdemokratie ihren Platz als dominierende Kraft auf der Linken streitig zu machen, müssen die linken Parteien eine Strategie entwickeln, mit der sie sich insbesondere in den Communities der arbeitenden Klasse und den Gewerkschaften verwurzeln können. Das bedeutet eine Abkehr vom aktivistischen Stil dieser Parteien, der vor allem an bereits überzeugte und meist großstädtische, junge und gebildete Menschen appelliert, und hin zu einer breiter angelegten Form der massenmobilisierenden Organisation.
Die Linke muss daran arbeiten, wie sie Unterstützung generiert – sowohl bei Wahlen als auch in ihren Parteistrukturen. Politische Kampagnen sollten nicht von einem kleinen Kreis führender Parteifunktionäre entwickelt werden, sondern indem man die Wählerinnen und Wähler und ihre Anliegen direkt in die Kampagnenplattformen einbezieht. Die Parteiorganisation sollte mehr auf die Einbindung von Vertreterinnen und Vertretern der arbeitenden Klasse ausgerichtet sein und weniger auf interne Diskussionen über Entscheidungen und Erklärungen, die ohnehin kein breiteres Publikum erreichen werden.
Die Linke sollte den Ehrgeiz haben, eine Massenpartei der arbeitenden Klasse aufzubauen – aber um das zu erreichen, muss sich die derzeitige Parteikultur ändern: Sie muss Menschen organisieren, die nicht bereits Teil einer linken aktivistischen Szene sind.
Die Strategie der Massenmobilisierung und -organisation muss ein Element beinhalten, das den Menschen ein Gefühl kollektiver Solidarität vermittelt. Der Aufbau sozialer und kultureller Einrichtungen ermöglicht es der Linken, im Alltag der arbeitenden Klasse präsenter zu werden und Bande der Solidarität zu knüpfen. Durch den Aufbau eigener Medien und Bildungsinstitutionen wird sie die öffentliche Debatte effektiver in ihrem Sinne gestalten und ebenso die intellektuellen Kräfte heranbilden können, die notwendig sind, um sich gegen Mainstream-Meinungen zu behaupten – sei es in der Wirtschaft, der Politikwissenschaft oder im Kulturbetrieb.
Die zu entwickelnde Gegenkultur und alternative Öffentlichkeit sollte jedoch nicht mit der Art von Subkulturen verwechselt werden, die lange Zeit linke und aktivistische Milieus geprägt haben, sondern muss ein viel breiteres Publikum insbesondere aus der arbeitenden Klasse anziehen.
Die Wählerinnen und Mitglieder linker Parteien sind in Dänemark vor allem in Kopenhagen und den anderen Großstädten ansässig. Dagegen haben sowohl der Rechtspopulismus als auch die Sozialdemokratie landesweit in mittelgroßen Städten sowie in ländlicheren Regionen Unterstützung gewinnen können. Da die Mieten und Immobilienpreise in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt sind, wurden Teile der arbeitenden Klasse aus den größten Städten verdrängt – insbesondere die Ungelernten und diejenigen mit den prekärsten Jobs.
Die Linke sollte einen Großteil ihrer Energie darauf verwenden, mit diesen Arbeitercommunities außerhalb der größten Städte in Verbindung zu treten und eine Strategie zu entwickeln, wie man Allianzen zwischen verschiedenen, über das ganze Land verstreuten Teilen der arbeitenden Klasse knüpfen kann.
Die Linke ist stets gut darin gewesen, lange Forderungskataloge zu jedem erdenklichen Thema zu erstellen. Wir wollen Rassismus und Sexismus abschaffen, die Klimakrise lösen, den Weltfrieden erreichen, den Kapitalismus überwinden und haben obendrein eine Vielzahl konkreter Vorschläge zur Förderung des Gemeinwohls. Dabei bürden wir unseren Plattformen aber oft zu viel auf einmal auf – sie wirken dann unrealistisch und arbiträr, was sie für eine große Mehrheit der Menschen unattraktiv macht.
Die Linke braucht ein konzentriertes Programm konkreter und ansprechender Forderungen im Interesse der arbeitenden Klasse – etwa neue Arbeitsplätze, Beschäftigungssicherheit, die Ausbildung und Vermittlung von ungelernten und schlecht bezahlten Arbeiterinnen und Arbeitern in besser bezahlte qualifizierte Jobs, eine bessere und gleichberechtigtere Gesundheitsversorgung oder die Bekämpfung von Steuerbetrug.
Dies sollte durch Reformpläne strukturellerer Art untermauert werden, die darauf abzielen, die Eigentumsverhältnisse zu demokratisieren und die Wirtschaft umzustrukturieren, um die Macht der Mehrheit zu stärken und ihr Leben zu verbessern. Während es der Linken nicht gelang, ein überzeugendes und zielgerichtetes Programm mit realistischen Reformvorschlägen zu formulieren, bestand das Problem der traditionellen sozialdemokratischen Strategie darin, dass sie in der Regel keine strukturellen Reformen in Angriff nahm, sondern sich auf rein verteilungspolitische Forderungen beschränkte und die wirtschaftliche Macht in den Händen der Eigentümerinnen und Eigentümer von Kapital beließ. Das Programm und die Konzepte für Strukturreformen sollten realistisch sein und detaillierte Pläne enthalten, wie sie erreicht werden können.
Die Graswurzelbewegungen und die aktivistische Linke haben sich auf den Protest gegen Austerität, Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, Rassismus, Sexismus und die Untätigkeit im Angesicht der Klimakrise konzentriert. Linke Parteien haben sich oft – und mitunter erfolgreich – als Stimme dieser Proteste gegenüber den jeweiligen Regierungen positioniert. Zwar sollte die Linke diese Verbindung zu aktivistischen Gruppen und Protestbewegungen nicht aufgeben, jedoch muss sie ihrem bisherigen Versagen in der Organisierung der arbeitenden Klasse ins Auge sehen.
Die linken Parteien müssen anerkennen, dass die breite Mehrheit der Wählerinnen und Wähler aus der arbeitenden Klasse sie nicht als die wichtigsten politischen Kräfte zur Beförderung ihrer Interessen ansieht. Die Linke kann nicht erwarten, dass sie aus rein ideologischen Gründen politische Mehrheiten erzielt oder weil sie den Anspruch vertritt, ein Sprachrohr für Protestbewegungen zu sein. Sie wird unter Beweis stellen müssen, dass sie in der Lage ist, konkrete materielle Verbesserungen für eine breite Mehrheit der Arbeiterklasse zu erreichen.
Es sieht zwar danach aus, als sei die rechtspopulistische Herausforderung in Dänemark eingedämmt worden, besiegt ist sie aber noch lange nicht – und es besteht durchaus die Gefahr, dass sie beim nächsten Mal noch stärker zurückkommt. Das beste Mittel gegen den Rechtspopulismus ist aber eine Linke, die in der Lage ist, die arbeitende Klasse zu organisieren und ihre Lebensverhältnisse zu verbessern.
Esben Bøgh Sørensen ist regionaler Parteisekretär der Rot-Grünen Einheitsliste und Dozent für Ideengeschichte an der Universität Aarhus.
Die englische Originalversion dieses Beitrags erschien im Sammelband »Don’t Panic: Analysis and Strategy on Right-Wing Populism«. Dieser Beitrag wurde durch das Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert.